Lucius war klar, dass seine Ex-Frau ihn früher oder später verraten würde. Anders als ihn liebte sie Severus wirklich. Und aus ihrer Zeit als Ehepartner wusste er, dass sie ihre Drohungen fast immer wahr machte.
Für Lucius war das der Moment, um zu verschwinden. Noch in der selben Nacht verließ er Malfoy Manor. Über einen Patronus informierte er Amelia, dass sie aufgeflogen waren. Hätte er doch nur Severus' Gedächtnis gelöscht und sich über seine Partnerin hinweg gesetzt. Es war gefährlich seinen einstigen Freund anzuwerben, das wussten sie beide.
Dennoch, als Narzissa zu ihm kam wirkte es als hielte sie ihn für den alleinigen Verantwortlichen dieser Unternehmung. Das konnte ihnen wertvolle Zeit verschaffen. Selbst wenn sie ihn schnappten, Amelia und die anderen würden mit dem Plan fortfahren.
In der Tat dauerte es nur Stunden bis er von einem Kommando der Todesser gestellt wurde. Lucius kämpfte nicht gegen sie, sondern ergab sich. Solange sich der Dunkle Lord mit ihm beschäftigte würden die anderen entkommen können. Also ging er mit ihnen mit.
Wie erwartet schleppten sie ihn zum Dunklen Lord. Dieser traktierte ihn mehrmals mit den Cruciatus und ließ ihn dann abführen. Es kam zu keinem Gespräch. Anschuldigungen wurden nicht vorgetragen. Warum auch?
Also sperrten sie ihn in eine Zelle im Keller der Villa. Verräter kamen nicht nach Askaban und ein Prozess wurde ihnen auch nicht gemacht. Zugegeben, Lucius hatte damit schon vor langer Zeit gerechnet. Seine Angelegenheiten hatte er geregelt, denn er hatte nicht damit gerechnet zu überleben.
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Am Morgen wurde Severus in das Anwesen des Dunklen Lords gerufen. Er saß gerade mit Narzissa beim Frühstück als das Mal auf seinem Arm brannte. Tatsächlich war das schon lange nicht mehr der Fall gewesen.
Wie immer saß Voldemort auf seinem Thron, mit Nagini auf dem Arm und seine Throphäe, das Schwert von Gryffindor, lehnte an dem Stuhl aus Marmor. Er trug es immer bei sich als wolle er sagen: „Hier seht, das geschieht mit meinen Feinden!“
Severus kniete vor ihm nieder.
„Ihr habt mich gerufen, mein Herr.“, sagte er.
„Erhebe dich.“, antwortete der Dunkle Lord gelangweilt.
Severus stand auf und sah seinen Meister an.
„Hast du eine Ahnung warum ich dich gerufen habe?“, fragte Voldemort.
„Nein, mein Herr.“
„Überhaupt keine?“, fragte Voldemort weiter.
Severus senkte den Blick.
„Deine Frau war sehr gesprächig, nun ja, zumindest bevor ich sie zum Schreien gebracht habe.“, sagte der Dunkle Lord und grinste dreckig.
„Was wollt Ihr von mir?“, fragte Severus.
„Du weißt sicher, dass deine Frau an deiner Stelle zu mir kam und von dem Verrat berichtete den Lucius begangen hat.“
„Ja, mein Herr.“, sagte Severus.
„Hast du dazu irgendetwas mitzuteilen?“, fragte Voldemort.
„Die einzige Schuld, die ich trage ist, dass ich zu zögerlich gehandelt habe.“, antwortete Severus.
Der Dunkle Lord erhob sich von seinem Thron und schritt auf ihn zu. Er nährte sich bis sein Gesicht nur nur Zentimeter von dem von Severus entfernt war.
„Ich habe es genossen, musst du wissen.“, sagte Voldemort leise. „Narzissa wie eine Stute zu züchtigen. Und sie riecht so gut und erregend.“
„Was wollt Ihr von mir?“, fragte Severus erneut und zwang sich stur an Voldemort vorbei zu sehen. Er wusste das sein Meister das nur tat, um ihn zu provozieren. Trotzdem ließ es Wut in ihm aufsteigen wie er da geradezu lüstern erregt über seine Frau sprach.
„Ich habe Lucius in Gewahrsam nehmen lassen.“, sagte der Dunkle Lord jetzt wieder laut. „Du weißt welche Strafe ihn erwartet.“
„Sicher.“, antwortete Severus.
„Dann weißt du auch, was ich von dir verlange.“
„Gibt es eine Möglichkeit diesen Dienst abzulehnen?“, fragte Severus.
„Natürlich nicht.“, erwiderte der Dunkle Lord.
„Ich verstehe.“
Severus war von Anfang an klar gewesen wie Voldemort handeln würde. Der Dunkle Lord bestimmte den Henker und es war nur logisch, dass er ihn wählen würde.
„Ich habe die Exekution für morgen Mittag angesetzt und ich erwarte von dir, dass du sie ordnungsgemäß ausführst, ist das klar?“
„Natürlich.“, sagte Severus.
„Ordnungsmäß“ bedeutete, dass er Lucius nicht mit einem Gnadenstoß oder zu schnell töten durfte. Außerdem gab es eine Mindestzeit, die das Opfer aushalten musste. Wie gesagt; es war mittelalterlich. Ähnlich dem Rädern oder Martern. Und er musste das seinem besten Freund antun, wenn er nicht ebenfalls so sterben wollte.
Severus ließ sich nichts anmerken, doch innerlich schrie und tobte er.
„Das wäre alles.“, sagte der Dunkle Lord.
Severus nickte und verließ den Saal. Er machte sich auf den Weg in das Verlies. Es war ein altmodisches Gefängnis mit Backsteinmauern und Eisengittern. Eine Wache stand vor dem Eingang. Er nickte ihr im vorbeigehen zu. Lucius saß in der einzig besetzten Zelle auf dem Boden.
„Er hat also dich gewählt.“, sagte Lucius und es klang fast beiläufig.
„Ja.“, antwortete Severus.
„Und? Wirst du es tun?“, fragte Lucius.
„Ich habe keine Wahl und das weißt du.“
„Natürlich.“, sagte Lucius. „Nun, was immer passiert, ich werde dich deshalb nicht verachten. Du bist ja schließlich nur das Werkzeug eines viel größeren Übels.“
„Glaubst du, das gefällt mir?“
„Das war lediglich eine Feststellung.“, erwiderte Lucius. „Ich habe das erwartet. Ich bin vorbereitet.“
„Was soll das nun wieder bedeuten?“, knurrte Severus ärgerlich.
„Dass ich im Falle meines Todes Vorbereitungen getroffen habe. Du wirst schon sehen.“
„Sag mir nicht, dass das hier alles Absicht war!“, entgegnete Severus.
„Nicht ganz. Ich konnte nicht voraus sehen, was du tun würdest oder das es die gute Narzissa sein würde, die mich verrät. Allerdings habe ich damit gerechnet. Mein Tod wird nicht so sinnlos sein wie es jetzt vielleicht scheint.“
Severus wandte das Gesicht von ihm ab. Es passte gar nicht zu Lucius derart weit voraus zu planen. Und was meinte er mit Vorbereitungen? Was würde geschehen?
„Ich habe dich immer wie einen Bruder geliebt, das weißt du.“, sagte Severus.
„Ja, deshalb konntest du mich auch nicht verraten, oder? Du hast eben doch ein weiches Herz, mein Freund.“, antwortete Lucius. „Ach und noch was ...“
Er griff in die Innenseite seines Jacketts und trat an das Gitter. Lucius holte einen Briefumschlag heraus und reichte ihn Severus.
„Das ist für Narzissa. Sie wird es verstehen.“, sagte Lucius.
Severus nahm den Umschlag entgegen und steckte ihn in seine Tasche. Das alles machte ihn misstrauisch. Als ginge etwas vor, was er nicht verstand.
Lucius setzte sich wieder auf den kalten Steinboden. Ihr Gespräch war beendet.
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Als Severus am Abend nach Hause kam fühlte er elend. Er hatte heute versucht in seinem Büro in Hogwarts noch einiges weg zu arbeiten, doch es gelang ihm nicht. Der Gedanke, was er morgen tun sollte machte ihn rasend. Er wusste, dass die Bestrafung nicht nur Lucius einschloss, sondern auch ihn, seine Frau und nicht zuletzt seine Tochter. Severus wusste, dass sie Violett extra aus der Schule holen würde damit sie der Hinrichtung beiwohnte. Severus hätte ihr das gern erspart. Sie wusste nicht, was passiert war. Für sie wäre es einfach nur ihr „Onkel Lucius“ und ihr Vater wäre sein Henker. Severus schien es unmöglich das einem Kind zu erklären.
Er erzählte Narzissa davon als er wieder da war und gab ihr den Brief den Lucius ihm gegeben hatte.
„Was steht da drin?“, fragte sie ratlos.
„Keine Ahnung. Hab ihn nicht auf gemacht. Ich dachte, wenn er sagt, das ist nur für dich, dann wird es auch so sein.“, sagte Severus.
Die folgende Nacht tat er kein Auge zu. Severus hatte schon oft Leute gefoltert und getötet. Zu oft. Das hier hingegen war etwas anderes. Es war persönlich und der Dunkle Lord wusste das. Genau deshalb hatte er ihn ausgewählt, weil er wusste welche Schmerzen ihm das bereiten würde.
Am Morgen machte Severus sich auf den Weg ins Ministerium. Einer der alten Gerichtssäle diente heute als Hinrichtungsstätte. Allerdings glich der Saal mit seinem amphitheaterartigen Stufen eher einer Arena in deren Mitte ein Pfahl befestigt war. Gebaut, um Öffentlichkeitswirksam zu zeigen, was geschah, wenn man sich gegen den Dunklen Lord wandte.
In einem angeschlossenen Raum stand Severus in eine schwarze Robe gekleidet. Lucius war nackt und in Ketten gelegt und eine Wache hielt ihn am Arm fest. Von draußen hörten sie die Menge auf den Plätzen toben. Es war jedes Mal ein Ereignis, wenn Verräter hingerichtet wurden. Severus zog sich die schwarze Lederkapuze des Scharfrichters über den Kopf. Er hoffte seine Tochter würde ihn so nicht erkennen, wenn sie schon diesen Alptraum mit ansehen musste.
„Fertig?“, fragte die Wache.
Severus nickte und packte Lucius an dem anderen Arm. Sie führten ihn aus dem Raum in die Arena. Das Publikum fing erneut an zu toben. Neben dem Pfahl in der Mitte stand ein Tisch auf dem verschiedenstes Werkzeug zur Erzeugung von Schmerzen lag. Eisenstangen, Knüppel, Messer, glühende Eisen in einer Kohlepfanne. Das volle Programm.
Der Chef der Strafverfolgung, ein großer Kerl in Anzug und Krawatte, namens Audelus Karvington, begann ein Pergament zu verlesen.
„Die Anklageschrift lautet: Verschwörung zum Mord am Dunklen Lord ...“
Laute „Buh!“-Rufe gingen durch die Arena.
„Verschwörung gegen das Ministerium und den Minister höchstselbst! Konspirative Zusammenkunft! Verrat! Die daraus resultierende Strafe: Die Folter bis zum Tode!“
Severus und der Wächter fesselten Lucius mit den Armen nach oben und dem Rücken zum Publikum an den Pfahl. Die Ketten wurden am oberen Ende fest gezurrt damit er selbst wenn er ohnmächtig wurde, weiter stehen musste.
„Scharfrichter, vollstrecken Sie das Urteil!“
Severus atmete tief. Es war eine seiner Eigenschaften seine Emotionen bei derartigen Ereignissen abschalten zu können. Also versuchte er sich auf die Aufgabe zu konzentrieren und nicht daran zu denken, was er da eigentlich tat.
Er nahm nahm eine Peitsche vom Tisch und trat auf Lucius zu.
„Es tut mir leid, mein Freund.“, sagte Severus leise und holte aus.
Die Peitsche traf seinen Rücken und Lucius machte einen Schmerzenslaut, bemüht nicht zu schreien. Severus zögerte kurz, doch dann schlug er wieder zu – und wieder und wieder und wieder. Die Peitsche hinterließ blutige Striemen auf dem Rücken. Die Menge tobte und verlangte nach mehr Gewalt. Nach dreißig Schlägen ließ er die Peitsche sinken, ging erneut zum Tisch hinüber und holte die Eisenstange. Zustimmend johlte das Publikum.
Severus zwang sich zuzuschlagen. Seine üblichen Verdrängungsmechanismen funktionierten heute nicht. Mit vollem Bewusstsein musste er Lucius quälen. Er hörte wie unter seinen Schlägen die Knochen brachen. Lucius gab einen schmerzverzerrten Schrei von sich. Auch er war nicht mehr in der Lage zu verdrängen, was hier geschah. Wieder holte er mit der Stange aus und schlug auf seinen Rücken. Severus wusste nicht wie oft er das tat bis Lucius Beine nachgaben und er wie ein nasser Sack an den Ketten hing. Er musste das Bewusstsein verloren haben.
Eine der Wachen holte einen Eimer mit Wasser und klatschte ihn Lucius ins Gesicht, um ihn bei Bewusstsein zu halten. Außerdem sorgten sie dafür, dass er wieder aufrecht stand.
Severus spürte wie seine eigenen Knie zitterten und er stützte sich auf. Am Liebsten hätte er sich übergeben. Noch nie hatte er sich so elend und furchtbar gefühlt. Doch er riss sich zusammen, atmete tief durch und nahm das glühende Eisen aus der Kohlepfanne. Wieder tobte die Menge, doch er nahm das kaum noch wahr.
Er presste das Eisen auf Lucius' Schulter und der schrie. An verschiedenen Stellen setzte Severus an und brachte seinen Freund verzweifelt vor Schmerz und den Verstand. Er jedoch wollte nur das es endlich vorbei war, doch Severus hatte noch mindestens eine halbe Stunde vor sich.
Wieder ging er zum Tisch. Dieses Mal nahm er eine Eisenkette. Er wickelte das eine Ende um sein Handgelenk, holte aus und schlug damit nach Lucius. Wieder schlug er zu. Mit einem plötzlichen Rausch von Wut prügelte er immer wieder auf ihn ein.
Stirb! Stirb doch endlich, dann kann ich damit aufhören! , dachte Severus andauernd. Sein Verstand ertrug das alles nicht mehr. Er wollte das nicht tun, doch er musste.
Schließlich warf er die Kette weg. Er wollte es beenden, egal was diese verdammten Vorschriften besagten! Severus packte eines der Messer und rammte es Lucius in den Hals. Blut strömte über den Boden und sein Körper sackte in sich zusammen.
In die Arena kehrte erschrockene Stille ein. Einige der Zuschauer sahen ihn fragend, andere wütend an. Ohne weiter darauf einzugehen verließ Severus den Raum. Draußen zog er sich die Maske vom Kopf. Mit einem Mal erbrach er sich vor die Füße. Er stemmte sich auf seine Knie und spürte wie ihm die Tränen kamen. Das Grauen begann Besitz von ihm zu ergreifen.
Was hatte er nur getan? Er war das alles so leid. Dieses ganze Elend!
„Scharfrichter?“, hörte er jemanden sagen. „Das war nicht ordnungsgemäß. Ich werde das melden müssen.“
„Dann melde es, verdammt!“, rief Severus mit Verzweiflung in der Stimme.
Schlimmer konnte es ohnehin kaum noch werden.
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Violet war noch nie bei einer Hinrichtung. Sie hatte immer nur davon gehört. Nichts hätte sie jedoch auf diese schrecklichen Minuten vorbereiten können. Nicht darauf, dass es Onkel Lucius war, den sie hinrichten würden und auch nicht darauf, dass man sie zwingen würde alles mit anzusehen. Immer wenn sie ihr Gesicht abwenden wollte packte der Todesser neben ihr ihren Kiefer und zwang sie hinzusehen. Sie weinte erbärmlich dabei. Ihre Mutter neben ihr war wie versteinert. Zuerst wunderte sie sich, dass ihr Vater nicht anwesend war, doch dann erkannte sie den Scharfrichter. Auch ohne sein Gesicht zu sehen wusste sie, dass es ihr Vater war. Sein Gang, seine Art nach etwas zu greifen, selbst wie er versuchte nicht zusammenzubrechen, all das kannte sie.
Es war ihr unmöglich zu begreifen wie er nur so etwas tun konnte. Selbst wenn all das stimmte und Onkel Lucius den Dunklen Lord verraten hatte, warum musste ihr Vater ihn so quälen? Warum musste er überhaupt sterben? Warum?!
Violet lag in ihrem Bett und weinte. Seit sie zurück waren hatte sie kein einziges Wort mit ihren Eltern gewechselt. Sie wollte auch nicht angefasst oder getröstet werden. Es war einfach alles so grausam, so böse!
Ihre Mutter hatte ihr etwas zu Essen vor die Tür gestellt, doch sie rührte es nicht an. Violets Gemüt bewegte sich irgendwo zwischen bitterster Verzweiflung und Zorn, wenn nicht gar Hass. Sie hätte ihre Eltern am Liebsten geschlagen, selbst wenn ihre Hände nichts ausrichten konnten.
Es klopfte an der Tür. Violet vergrub ihr Gesicht in ihrem Kissen. An der Art wie die Tür geöffnet wurde und dem Klang der Schritte erkannte sie, dass es ihr Vater war. Er setzte sich zu ihr aufs Bett, sagte aber nichts.
„Hau ab!“, rief Violet durch ihr Kissen.
„Liebes, ich ...“ Er hielt kurz inne. „Ich musste es tun.“
Violet setzte sich mit erbosten Blick auf und sah ihn durch ihre geröteten Augen an.
„Du musstest es tun!?“, rief sie wütend und warf das Kissen nach ihm. Es knallte ihrem Vater an den Kopf, doch er ließ es geschehen. Das brachte sie jedoch nur noch mehr auf.
„Klar musstest du es tun! Du bist ja der beschissene Schwarze Falke! Der Mann vor dem alle so viel Angst haben, dass sie sich nicht mal in die Nähe seiner Tochter trauen!“, schrie Violet ihn an.
Sie sprang auf und stürmte aus dem Zimmer. Ihr Vater rannte ihr hinterher. Den Flur entlang und hinaus in den Garten.
„Violet, bleib stehen!“, hörte sie ihren Vater rufen, doch sie hielt nicht an. Wütend wie sie war rannte sie in Richtung des Waldes hinter dem Haus. Hier kannte sie sich aus. Sollte er sie doch suchen! Als Kind hatte sie hier einige Verstecke gebaut. Eigentlich zum Spaß, doch nun wollte sie wirklich nicht gefunden werden. Sollten sich ihre Eltern doch einen Wolf suchen!
Eines ihrer Verstecke war ein kleiner Verschlag zwischen Büschen und Kiefern. Davor lag ein alter, mit Moos bewachsener Baum quer. Als sie dort ankam wartete jedoch schon jemand auf sie. Es war ein Junge mit einer Art Punkerfrisur und in eine Lederjacke gekleidet. Er war vielleicht zwei Jahre älter als Violet. Er saß auf dem Baumstamm und rauchte eine Zigarette.
„Wer bist du? Was machst du hier?“, fragte Violet sofort. Das war ihr verdammtes Versteck, klar?!
„Ich pass auf euch auf.“, sagte der Junge.
„Auf wen?“, fragte Violet verwirrt.
„Na auf dich und deinen Dad.“
„Warum sollte auf den jemand aufpassen müssen!?“, entgegnete Violet schon wieder wütend.
„Willst du 'ne Fluppe?“, fragte der Junge beschwichtigend.
„Rauchen? Ernsthaft?“, antwortete Violet.
„Hast du es denn schon mal probiert?“, fragte er.
Misstrauisch ging sie zu dem Jungen hin und setzte sich neben ihn auf den Baumstamm. Er zog eine Zigarette aus der Schachtel und hielt sie ihr hin.
„Los, probier es mal, dann kommst du wieder runter.“ , sagte der Junge.
Zögernd nahm sie an.
„Du musst sie in den Mund stecken!“, ermahnte er sie als sie die Zigarette nur in der Hand hielt.
Violet steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und der Junge holte ein Feuerzeug heraus und zündete sie ihr an.
„Zieh dran!“, forderte er sie auf.
Violet zog an der Zigarette und bekam gleich darauf einen Hustenanfall.
„Und das rauchen die Leute wirklich?“, fragte sie nach Atem ringend.
„Du darfst es nicht gleich bis in die Lunge ziehen.“, erwiderte der Junge.
Sie probierte einen zweiten, vorsichtigen Zug und atmete den Rauch aus.
„Na schön, wer bist du?“, fragte Violet.
„Rate doch mal.“
„Ach komm, ich hab keine Lust auf Spielchen!“, entgegnete sie genervt.
„Ted Lupin, aber alle nennen mich Teddy.“, sagte er.
Violet machte große Augen.
„DER Ted Lupin? In der Zeitung siehst du irgendwie größer aus.“, bemerkte Violet.
„Auch nur, weil ich im Profil fotografiert echt scharf aussehe!“
Violet begann zu kichern.
„Da wäre aber immer noch die Frage was du hier machst.“, fragte sie.
„Hab ich doch schon gesagt; ich pass auf euch auf!“
„Aber wieso?“, wollte Violet wissen.
„Das darf ich dir nicht sagen.“, antwortete Ted.
„Boah!“, machte Violet genervt.
„Das ist echt 'ne Sache auf Leben und Tod!“, sagte Ted.
„Wie passend, heute wurde nämlich mein Onkel hingerichtet – von meinem verdammten Vater! Verstehst du?!“, erwiderte Violet schon wieder wütend.
„Ja, ich weiß.“, antwortete Ted.
„Ich hasse ihn manchmal.“, sagte Violet. „Ihn und dieses ganze, verfluchte … Zeug! Von wegen Rechte Hand des Dunklen Lord, der Schwarze Falke und diese ganze beschissene Scheiße!“
„Du weißt, dass sie ihn gezwungen haben, oder?“, fragte Ted sie. „Wenn er nein gesagt hätte, dann hätten sie euch auch umgebracht.“
„Aber warum?“, sagte Violet nun unter Tränen. „Was haben wir getan?“
„Nichts.“, antwortete Ted. „Weil der Dunkle Lord ein Bastard ist. Meine Eltern hat er auch umgebracht und deinen Vater zwingt er Leute umzubringen!“
Violet schlug die Hände vor ihr Gesicht. In ihrem Kopf sah sie wieder die Bilder, wie ihr Vater ihren Onkel quälte.
„Ich kann nicht wieder nach Hause.“, sagte sie. „Ich will nie wieder nach Hause!“
„Musst du ja nicht! Du kannst mit mir herumziehen.“, antwortete Ted.
„Erzähl' keinen Müll! Ich muss wieder in die Schule!“
„Ich war noch nie in einer.“, sagte Ted. „Ich habe übrigens keinen Scheiß erzählt. Ich bin schon mein ganzes Leben lang auf Achse.“
„Du meinst du bist obdachlos.“, entgegnete Violet.
„So würde ich das nicht nennen.“, antwortete Ted.
Violet rieb sich die Augen.
„Sei nicht wütend auf deinen Dad.“, sagte Ted.
„Und warum nicht?“
„Weil ihn keine Schuld trifft. Ich denke, ihm ist genauso elend.“
„Und woher willst du das wissen?“, fragte Violet aufgebracht. „Du kennst ihn doch gar nicht!“
„Ich beobachte euch schon lange. Ich hatte nie 'nen Dad, der mich getröstet hat oder mich liebte. Du tust ihnen viel mehr weh, wenn du abhaust.“
„Ich dachte, ich soll mit dir durchbrennen?“, erwiderte Violet.
„Vielleicht, wenn's nicht anders geht, aber ich würde lieber wieder nach Hause gehen, wenn ich denn eins hätte.“
„Sag mal, lebst du etwa in meinem Versteck?“, wollte Violet plötzlich wissen.
„Dein Versteck? Steht da etwa dein Name dran?“, entgegnete Ted.
„Was glaubst du warum ich hier bin, Blödmann!?“
Ted Lupin begann auf einmal schallend zu lachen. Er bekam eine regelrecht Lachattacke.
„Was? Was ist so komisch?“, fragte Violet.
„Ach nix.“, sagte Ted.
Violet verschränkte die Arme vor der Brust. Ausgerechnet ein gesuchter, flüchtiger, obdachloser Werwolf wollte sie dazu bringen nach Hause zurück zu kehren. Und jetzt lachte er sie auch noch aus! Das war alles nicht fair!
„Komm, ich bring dich nach Hause.“, sagte Ted schließlich und sprang von dem Baumstamm.
„Warum?“, wollte Violet wissen.
„Weil es hier nachts scheiße kalt wird!“, entgegnete Ted und reichte ihr seine Hand.
Zögernd nahm sie sie.
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Severus hatte mit Narzissa alles abgesucht. Violet kannte den Wald besser als sie und wenn sie sich dort versteckte und nicht gefunden werden wollte, dann würden sie ihre Tochter auch nicht finden.
Er saß auf der Bank im Garten und hasste sich für alles, was passiert war. Natürlich hatte sie ihn trotzdem erkannt und sie hasste ihn völlig zu recht. Der verdammte Schwarze Falke war er und der Tod folgte ihm auf Schritt und Tritt.
Es war das erste Mal, dass er ernsthaft daran dachte das Angebot von Amelia anzunehmen. Warum eigentlich nicht? Warum sollten sie dieses Schwein nicht einfach töten? Voldemort hatte sie zu so viel gezwungen und ihnen so viel genommen, warum sollte er nicht dafür sterben?
Plötzlich raschelte etwas im Gebüsch auf der anderen Seite des Zauns. Severus griff nach seinem Zauberstab in der Innenseite seiner Jacke und zielte auf was immer dort sein mochte.
„Nur die Ruhe, alter Mann!“, sagte Ted Lupin und trat hervor. Mit ihm im Schlepptau: Violet.
Severus sah sie verblüfft an und ließ den Zauberstab sinken.
„Was zum …? Wie?“, fragte er.
„He, Mister Snape ...“, machte der Werwolf. „Ich hab nur ihre Tochter aufgegabelt.“
Violet ging ohne ein Wort zu verlieren an ihm vorbei ins Haus.
„Was tust du hier?“, fragte Severus.
„Ich bin so was wie ihr Aufpasser.“, antwortete Ted.
„Du?“, fragte Severus ungläubig.
„Jemand muss es ja tun.“, erwiderte Ted.
Severus war nicht ganz klar wie er das deuten sollte, trotzdem war er dankbar.
„Wo hast du sie gefunden?“
„Sie hat mich gefunden.“, antwortete Ted. „Und das schaffen meistens nicht viele.“
„Ich vermute, ich sollte dir danken. Wie auch immer du sie dazu gebracht hast zurück zu kommen.“
„Ich bin halt ein charmanter Kerl.“, sagte Ted und grinste.
„Hmpf.“, machte Severus.