Severus Snape saß hinter seinem Schreibtisch im Direktorenbüro. Sein schulterlanges, rabenschwarzes Haar wurde mittlerweile von einigen, grauen Strähnen durchbrochen. Er war gealtert, doch er trug dieses Alter mit Würde. An seiner Hand trug er einen goldenen Ring, der allen zeigte, dass er verheiratet war. Nach dem Ende des Krieges hatte sich sein Leben in einer Weise verändert wie es nicht für möglich hielt. Er hatte sich entgegen aller Wahrscheinlichkeiten verliebt und ein Kind gezeugt. Trotz das zunächst alles schief ging, was schief gehen konnte. Harry Potter starb in der Schlacht um Hogwarts. Ebenso sein Patensohn Draco. Dumbledores Plan Voldemort endgültig zu besiegen schlug fehl. Bis heute wusste Severus nicht, was schief gelaufen war in jener Nacht vor über zehn Jahren. Er war noch immer die Rechte Hand des Dunklen Lords und bis auf seine Frau wusste niemand, welche Rolle er bei alldem wirklich gespielt hatte. Seine Tochter Violett war ein wissbegieriges Mädchen und löcherte ihn mit Fragen, doch er entschied, dass es besser sei wenn sie nichts von alldem wusste. Sie sollte davon unbehelligt aufwachsen, auch wenn Severus spürte, dass sie sich Gedanken machte in ihrem elfjährigen Kopf. Sie war für ihr Alter ziemlich gescheit. Das der Hut sie in Ravenclaw eingeordnet hatte schien ihm daher nur konsequent und logisch.
Severus rieb sich die Augen. Es war schon spät, aber nach dem üppigen Essen der Eröffnungsfeier konnte er immer so schlecht schlafen. Also saß er in seinem Büro bei einem Glas Whiskey und einer Zigarette und schlug sich die Nacht um die Ohren. Dieses Jahr würde garantiert das Anstrengendste seit langem werden. Schließlich musste er nicht nur den üblichen Schulbetrieb managen, sondern auch alle Vorbereitungen für die Jubiläumsfeiern treffen. Eine Anordnung direkt vom Dunklen Lord. Er wollte Stärke demonstrieren und eine Show abziehen. Die Arbeit hatten natürlich wieder andere.
Es klopfte an der Tür.
„Herein!“, rief Severus.
Eine junge Frau trat ein. Sie hatte ihr langes, braunes Haar zu einem Zopf gebunden und trug ein dunkelblaues Kleid. Ihre schwarze Lehrerrobe hatte sie jedoch abgelegt. Ihr Name war Amelia Cordworth. Sie war die Professorin für Zauberkunde, die Hauslehrerin von Ravenclaw und nebenbei noch seine Stellvertreterin. Severus hatte sie gewählt, denn von allen Lehrern, die er über die Jahre eingestellt hatte, war sie die Vertrauenswürdigste. Trotz, dass sie gerade so die Dreißig überschritten hatte waren ihre Fertigkeiten enorm. Severus war allerdings kaum älter als er in Hogwarts Lehrer wurde, wenn auch aus anderen Gründen.
„Was kann ich für sie tun, Amelia?“, fragte er.
„Sie sind nicht der Einzige, dem das Essen den Schlaf verwehrt.“, sagte Amelia und setzte sich auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.
„Hmm.“, machte Severus.
„Ihre Tochter, Violet, sie scheint mir ganz nach Ihnen zu kommen.“
„Seien Sie sich da mal nicht zu sicher.“, antwortete Severus mit einem schiefen Lächeln. „Sie ist ein echter Wirbelwind. Da können Sie sich auf was gefasst machen.“
Amelia lachte leise.
„Von wem sie das wohl hat?“
„Behandeln Sie sie einfach völlig normal. Ich möchte nicht, dass sie bevorzugt wird. Es soll nicht der Eindruck entstehen die Tochter des Schulleiters sei besser gestellt. Das ist sie nämlich nicht. Sagen Sie das auch ruhig den anderen.“, entgegnete Severus ihr.
„Oh, ich hätte nie im Traum daran gedacht, Severus.“, sagte Amelia verblüfft.
„Ich sage es nur vorsichtshalber.“, antwortete Severus. „Die Leute werden zwangsläufig etwas von ihr erwarten, im Guten wie im Schlechten. Ich möchte, dass meine Tochter hier so normal wie möglich behandelt wird.“
„Sie ist die Tochter des Schwarzen Falken. Da wird sie wohl nicht um ein paar Unannehmlichkeiten drumherum kommen.“, sagte Amelia.
Severus verdrehte genervt die Augen. Amelia wusste genau, dass er seinen Spitznamen nicht leiden konnte. Einen Namen, den er sich wohl irgendwie mit den Jahren verdient hatte, weil es hieß er würde wie ein Falke auf seine Gegner herabstürzen und sie niederringen. Er hielt diesen Vergleich immer für ziemlich witzlos.
„Ihr Kampfname ist wohlverdient.“, erwiderte Amelia auf seine missmutige Mime.
„Warum müssen es immer Tiernamen sein?“, fragte Severus.
„Nicht jeder von uns bekommt einen Beinamen, der seine Feinde zum erzittern bringt.“, sagte Amelia.
„Nicht, dass ich so was nötig hätte.“, antwortete Severus.
„Es ist eine große Ehre.“, erwiderte Amelia.
„Mhpf.“, machte Severus.
„Ich sehe schon, Sie haben heute keine Laune für meine Sticheleien.“, sagte Amelia lächelnd.
„Ich habe nie Laune dafür!“, entgegnete Severus. „Ich weiß nicht warum wir dieses Gespräch immer wieder führen?“
„Weil Sie drollig aussehen, wenn Sie sich ärgern, Severus.“, sagte Amelia.
„Tz.“, machte Severus. „Irgendwann fällt mir etwas ein, dass Sie genau so ärgert.“
„Auf diesen Tag warte ich schon seit zehn Jahren.“, erwiderte Amelia.
Severus trank seinen Whiskey. Die Gespräche mit Amelia endeten immer in Spitzfindigkeiten. Sie kannten sich jedoch lange genug, um es sich nicht gegenseitig übel zu nehmen.
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Die erste Woche in Hogwarts fühlte sich für Violet wie ein Spießrutenlauf an. Immer wenn sie in der ersten Stunde eines Faches die Namen der Schüler durchgingen und ihr Name fiel brach lautes Gemurmel aus und sie konnte sehen wie sich manche auf den Fluren nach ihr umdrehten und mit dem Finger auf sie zeigten. Sie fand das unglaublich nervtötend. Allerdings hatte niemand den Mumm an sie heran zu treten und sie auf ihren Nachnamen anzusprechen. Alles Feiglinge, fand sie. Hätten sie wenigstens den Mund aufgemacht, dann hätte sie schon was Ordentliches entgegnet, aber dieses ständige Getuschel raubte ihr noch ihren letzten Nerv.
Im Unterricht saß sie neben einem Jungen namens Colin Perkins. Er war klein, spindeldürr und hatte braunes, stoppeliges Haar. Sie wechselten nur wenig Worte, weil er sich offensichtlich vor ihr fürchtete. Allerdings nicht genug, um nicht von ihr abzuschreiben, wenn er nicht im Unterricht mitkam.
An den Nachmittagen im Ravenclaw-Gemeinschaftsraum erging es Violet jedoch kaum besser. Immer wenn sie sich irgendwo dazu setzte brachen sofort alle Gespräche ab und sie wurde aus den Augenwinkeln angeschaut als würde sie gleich jemanden fressen. Violet musste zugeben, dass sie das schon irgendwie traf. Nach außen versuchte sie ihre Verunsicherung nicht zu zeigen. Meist vergrub sie sich in irgendein Buch und tat so als ob die anderen nicht da wären. Ihre Hausaufgaben machte sie auch meistens allein.
Lange ging das allerdings nicht gut. In einer Stunde Offensiver Magie sollten sie sich zu Paaren zusammenfinden und weil ihre Klasse aus irgendeinem Grund eine ungerade Schüleranzahl hatte blieb am Ende immer Violet übrig, die dann widerwillig vom Lehrer einer Gruppe zugeordnet wurde. Heute wurde sie zu einem Slytherin namens Jerek Cransper und einem Hufflepuffmädchen namens Holly Mandis gestellt. Sie sollten sich gegenseitig mit Funken besprühen, doch die beiden ignorierten Violet und ließen sie nicht an der Übung teilhaben. Schließlich platzte ihr der Kragen.
„Was ist euer verdammtes Problem!?“, rief Violet außer sich. Jerek und Holly blickten sie an als hätten sie gerade erst bemerkt, dass sie überhaupt da war. „Bin ich nicht gut genug für euch, oder was?“
Im ganzen Klassenraum verstummte es plötzlich selbst. Selbst ihr Lehrer, Professor Bannon, ein stämmiger Mann mit kurzen, schwarzen Haaren, blickte sie nun an.
„Ja was?“, rief Violet als ihr keiner von beiden antwortete. „Ich weiß schon, ich bin die gruselige Tochter vom Direktor, aber ihr könntet wenigstens so tun als würde ich zur Klasse gehören!“
„Was ist hier los?“, fragte Professor Bannon nun. Er hatte eine tiefe, donnernde Stimme, die ihr eigentlich Furcht hätte einflößen sollen, doch Violet war so zornig, dass für andere Gefühle gerade kein Platz war. Also blubberte alles aus ihr heraus als ob jemand einen Stöpsel gezogen hätte.
„Fein, ignoriert mich! Ist ja nicht so als ob ich hier auch was lernen müsste! Und hört auf hinter meinem Rücken zu tuscheln! Sagt es mir ins Gesicht oder ihr könnt mich mal kennen lernen! Aaargh!“
Violet schnappte sich ihre Tasche und stürmte aus dem Unterricht. Sie war so wütend, dass sie nicht mal bemerkte wie Professor Bannon sie aufforderte stehen zu bleiben. Stattdessen stürmte sie durch den Flur, die Treppen hinunter und raus auf das Gelände. Hinter einem Baum blieb sie schließlich stehen und setzte sich. Erst jetzt wurde ihr klar, was eigentlich geschehen war und dass Tränen ihre Wangen hinab rannen. Violet verschränkte die Arme auf den Knien und legte weinend ihren Kopf darauf.
Es war alles so ungerecht! Sie hatte sich wie jedes Kind auf Hogwarts gefreut, doch aktuell wäre sie lieber zu Fuß nach Hause gelaufen wegen all dieser Idioten, die ihr hier das Leben zur Hölle machten. Sicher hätte sie zu ihrem Vater gehen können, doch das hätte vermutlich alles nur noch schlimmer gemacht, also saß sie hier weinte. Violet wusste nicht wie lange genau, doch irgendwann hörte sie unweit von sich Stimmen.
„Geh du zu ihr!“
„Nein, mach du es!“
„Ich will es aber nicht machen!“
„Mach es, verdammt!“
Violet wischte sich die Tränen aus den Augen und sah einige Schüler aus ihrer Klasse. Unter anderem Colin und Jerek. Schließlich ließ sich Colin breitschlagen und ging nervös zu ihr.
„Ähm, alles okay?“, fragte er.
„Seh ich etwa so aus?“, sagte Violet zerknietscht.
Colin schwieg und sah zu den anderen. Er fühlte sich ganz offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.
„Ähm, Violet ...“, sagte Colin und hockte sich neben sie. „... die anderen haben es nicht so gemeint.“
„Wenn sie es nicht so meinen, dann sollen sie auch nicht so tun!“, entgegnete Violet ärgerlich.
„Es ist nur, na ja, wegen dem, was man über deinen Vater sagt.“
„Und was sagt man über ihn?“, fragte Violet und sah Colin mit geröteten und trotzdem wütenden Augen an.
„Na, er ist ja jetzt nicht irgendwer, oder?“, sagte Colin unsicher.
„Habt ihr Angst, dass ich euch verpetze? Mann, seit ihr blöd!“, antwortete Violet.
Die anderen Schüler nährten sich vorsichtig. Es war klar, dass sie Colin vor geschickt hatten, um zu sehen, was passierte. Offenbar waren einige von ihnen der Meinung sie könnten jetzt zu ihr gehen, da sie Colin weder verflucht noch gefressen hatte.
„Es tut mir leid.“, sagte das Mädchen namens Holly nun. „Bitte sag es nicht deinem ...“
„Argh!“, entfuhr es Violet und sie war sofort auf den Beinen. „Ihr seid so bescheuert, echt!“
Sie schnappte sich ihre Tasche und stürmte in Richtung Ravenclaw-Turm davon. Violet grollte hinter einem Buch versteckt den Nachmittag über im Gemeinschaftsraum vor sich hin. Dennoch sah sie, dass die anderen sie einmal mehr beäugten. Und als reiche das nicht kam irgendwann Professor Cordworth herein.
„Violet, komm bitte mal mit.“, sagte sie.
Nun blieb ihr nichts anderes übrig als ihrer Hauslehrerin zu folgen. Sie brachte Violet zum Büro ihres Vaters, blieb jedoch vor der Tür stehen. Sie wusste, dass ihr Vater davon erfahren hatte. Musste er ja nach ihrem Auftritt heute im Unterricht. Also trat sie ein.
Ihr Vater stand am Fenster und sah hinaus. Als er sie bemerkte wandte er sich ihr mit dem Anflug eines Lächelns zu.
„Also, was war das heute in Professor Bannons Unterricht?“, fragte er sanft.
Violet verschränkte die Arme und sah bewusst auf den Boden.
„Das ist ein Haufen Bekloppter!“, entfuhr es ihr.
Ihr Vater kam auf sie zu.
„Was war los?“, fragte er.
„Seit ich hier bin werde ich behandelt wie … als sei ich ein Monster oder so ...“ Violet merkte wie sehr es sie schmerzte und dass sie kurz davor war wieder in Tränen auszubrechen. Allerdings wollte sie nicht weinen. Nicht hier und nicht jetzt. Also unterdrückte sie es. Ihr Vater jedoch musste das Glitzern in ihren Augen gesehen haben. Er kam auf sie zu und nahm sie in den Arm wie es nur ein Vater tun konnte. Violet drehte sich weg. Sie wollte nicht, dass er sie bedauerte.
„Wie lange geht das schon?“, fragte ihr Vater sie.
Violet zuckte mit den Schultern.
„Zwei Wochen vielleicht.“
„Und du bist nicht auf den Gedanken gekommen, es mir zu sagen?“, fragte er.
„Was hätte das gebracht?“, fragte Violet und rieb sich die Augen. „Es macht doch alles nur noch schlimmer, wenn du dich einmischt. Dann denken alle ich hätte sie verpfiffen!“
„Werden sie nicht.“, sagte ihr Vater und hockte sich neben sie. „Und jetzt komm her!“
Er drückte sie sanft an seine Brust und streichelte sie über den Kopf. Mit einem Mal konnte Violet die Tränen nicht mehr zurück halten und begann hemmungslos zu weinen. Ihr Vater sprach ihr beruhigend zu und setzte sie auf die Couch vor dem Kamin. Sie drückte sich an seine Brust und ließ sich von seiner elterlichen Wärme trösten. Violet liebte ihren Vater und im Augenblick war sie froh mit ihm hier zu sitzen und die ganzen anderen Idioten vergessen zu können.