„Und dann … dann guckt er mich an … hihihi … und … und sagt … hahaha … sagt: „Ich bin … pffft … ein Stein!“ Haha! Stellt euch das vor, ein Stein!“
Es gibt nichts Schlimmeres als Leute, die einen Witz nicht ordentlich erzählen können, weil sie vor Lachen kaum Luft bekommen! Da bekabbelt sich einer bis fast zur Besinnungslosigkeit, und man kann nicht mitlachen, weil er den Witz nicht herausbringt.
Allerdings gibt es noch andere schlimme Witzerzähler. Zum Beispiel Leute, die einen alten Witz wieder und wieder erzählen, und Leute, die über dich lachen. Und Dracula schafft es, alles zugleich zu sein.
Ich glaube, ein Mensch wäre schon längst vom Luftmangel in Ohnmacht gefallen. Während der vergangenen Stunden hat er es Stück für Stück durch den Kistenauftrag geschafft, während er sich gelegentlich am Boden kringelt. Er ist nun kurz vor dem Auftritt seines Erzfeindes, aber ich fürchte, es kann noch durchaus eine halbe Stunde dauern. Die drei Vampirinnen lauschen die ganze Zeit mit einem leichten Lächeln und konzentriert gefurchten Stirnen. Sie haben sich aus der Umwicklung am Torbogen befreit und bemühen sich, der unzusammenhängenden Geschichte ihres Meisters zu folgen. Ihretwegen wiederholt sich Dracula ständig, bis auch die letzte Frau aufgelacht hat. Erst dann geht es weiter.
Ich möchte überall sonst lieber sein als hier. Dummerweise haben die vier Blutsauger mich umringt und lassen nicht zu, dass ich den Kreis verlasse. Ich fürchte, sie hoffen immer noch auf einen kleinen Snack, auch wenn sie sich erst einmal die Zwerchfelle durchtrainieren müssen. Wann immer ich jedenfalls versuche, unauffällig aus dem Kreis zu schleichen, tritt mir eine Vampirin in den Weg.
Dracula massiert sich die Rippen, atmet tief durch und wischt sich ein Lachtränchen aus dem Augenwinkel. Dann sieht er mich an und bricht erneut in Gelächter aus.
Ich lege die Ohren an. „Langsam wird es alt.“
„Der wird jedenfalls nicht mehr alt!“, ruft eine Vampirin und die ganze Bande gibbelt schon wieder los.
Das darf doch nicht wahr sein! Ich springe vor und versuche, zwischen den Vampiren hindurchzuhuschen. Leider sind sie schneller. Selbst stolpernd und halbblind vor Lachen können sie mich wieder zurücktreiben.
Ich sehe mich panisch um. Es muss doch einen Ausweg geben! Ich kann nicht abwarten, bis Dracula endlich fertig ist! Vor allem, weil die Vampire mich danach wohl nicht einfach gehen lassen wollen.
„Jedenfalls …“, sagt der Vampir, während er mich mit einem semi-sanften Fußtritt zurück in die Mitte des Kreises befördert, „frage ich ihn … hihi … ob er der Stein ist, der meinen Sarg … hahaha … transportieren sollte. Und er … pffft … hahaha … einen Moment, ich muss … argh, meine Rippen! Jedenfalls sagt er … hahahahaha … er sagt …“
Ich rolle mit den Augen. „Er sagt: „Ich bin ein Stein?“, Fragezeichen inklusive.“
Die ganze Bande stürzt zu Boden und brüllt vor Lachen. Ich sprinte los und versuche, über eine der Vampirbräute zu springen, die Rothaarige, die sich mit einer Mischung aus Lachen und Weinen die Rippen hält. Ihr Arm jagt nach oben und schubst mich zurück. Verdammt! Sie hat nicht mal hingesehen.
„Ich bin ein Stein!“, heulte die schwarzhaarige Vampirin. „Ich kann nicht mehr!“
„Ein Stein!“, bestätigt Dracula. Er japst. Müssen Vampire überhaupt atmen? Also, vielleicht so ein gewisses Minimum oder so? Oder ist das reine Show?
„Kommt schon, Leute! Ich habe es eilig!“, drängele ich. Der Becher ist inzwischen komplett leer, nicht ein Tropfen Angst ist darin. Dabei fürchtet sich das Dorf vermutlich noch, nur ist so viel Gelächter um mich herum, dass es als Anti-Angst fungiert. Ich sehe zum Himmel und erschrecke. „Die Sonne geht gleich auf!“ Das heißt, dass die Angst der Dorfbewohner auch dahin sein wird …
Den vier Vampiren vergeht das Lachen schlagartig. Die blonde Frau verschluckt sich.
„Die Sonne!“, ruft die Rothaarige. „Wir müssen in Deckung!“
Wusch, und weg sind sie. Ich blinzele überrascht. Und weil mir ein früher Sonnenstrahl in die Augen sticht. Der Himmel ist bereits von einem rauchigen Rot, die Farbe kehrt in die Welt zurück.
Panisch drehe ich mich im Kreis. Wohin? Woher Angst nehmen?
„Marvin der Grauwolf!“ Es pufft erst nach der Stimme, die mit der Lautstärke mehrerer Nebelhörner in meinem Rücken erklungen ist. Sir Prise klingt diesmal so freundlich wie das eine Mal, als ich aus Versehen in der Zukunft gelandet bin. Soll heißen: Er strahlt die Friedfertigkeit eines Schwarms Hornissen aus, deren Nest man soeben mit einem schlecht gezielten Stück Steinmetzarbeit abgeschossen hat, weil der Meißel abgerutscht ist.
Ich drehe mich mit einem Schauer um. Ist der Dämon größer geworden? Seine Wolke hat jedenfalls die Farbe des Sonnenaufgangs, ein glühendes, dunkles Rot, und scheint sich zu ballen wie Regenwolken vor einem heftigen Gewitter.
„Deine Frist ist um!“, verkündet der gerüstete Dämon. „Es ist Zeit, deine Schuld zu begleichen!“
Ehe ich auch nur das Maul aufmachen kann, schnippst der Dämon. Blutdunkle Gewitterwolken hüllen mich ein. Als sie sich klären, streicht eisiger Wind durch mein Fell.
Ich stehe im Schatten einer weißen Bergflanke. Der Schnee ist ziemlich hoch und wird nur stellenweise von dunklen Steinen durchbrochen. Im Licht der steigenden Sonne sehe ich eine fast kreisrunde Eisfläche vor mir, durchzogen von bläulichen Schatten und Linien, und mir wird schlagartig noch kälter.
Längst vergangene Schreie hallen in meinen Ohren, mischen sich mit einem dröhnenden Echo von brechendem Eis. Dunkles Wasser spritzt in den Himmel, Schatten rennen und rutschen …
Ich blinzele. Der See liegt still vor mir. Außer Sir Prise ist niemand zu sehen.
„Deine Zeit ist um“, wiederholt der Dämon, etwas leiser, aber nicht weniger bedrohlich. „Du hattest eine Aufgabe und du hast mich enttäuscht.“
Etwas knistert wie Höllenflammen. Ich sehe zu dem Dämon, kann aber kein Feuer sehen. Obwohl … glüht da nicht etwas im Schlitz der Rüstung? Seit wann hat diese eigentlich so viele Dornen? Ich bin sicher, dass der Dämon gewachsen ist. Und diese Hörner auf dem Helm waren vorher auch nicht da! Ein Hirschgeweih dieser Art hätte ich mir gemerkt!
Obwohl die Sonne steigt, scheint es dunkler zu werden, als Sir Prise auf mich zu kommt. Ich ducke mich instinktiv und weiche zurück, bis ich statt Schnee kaltes Eis unter der Pfote spüre.
Ich kann nicht weiter! Nervös sehe ich auf den See. So dick das Eis auch wirkt, das kann trügen. Nun sehe ich jedoch drei große Konstrukte, sicher so hoch wie ein Menschenhaus mit Dach, aus gebogenem Glas. Große Sanduhren, umgeben von je sechs Säulen, die die Plattform am Boden und der Decke verbinden und mit hölzernen, geschnitzten Ranken umgeben sind. Zwei der Stundengläser sind gefüllt: In einem schimmert eine silbrige Flüssigkeit, die leichte Wellen schlägt. Im anderen bebt und zuckt rotes Plasma gegen die Wände, zähförmige Flammen, die einen Ausweg in den oberen Teil suchen.
„Du hast mich enttäuscht.“ Die dunkle Stimme des Dämons lässt mich herumwirbeln. Er hält ein Schwert mit einer gezackten Klinge in der Hand und zielt auf mich.
„Warte!“, rufe ich.
„Worauf?“, fragt Sir Prise. „Wie lange soll ich noch warten?“
„Ich habe Angst!“
„Das weiß ich doch, jeder hat Angst vor einem Dämon. Zu recht, wie du gleich erfahren wirst.“
„Das meinte ich nicht, sondern: Ich habe die Angst.“