Leo wälzte sich hin und her. Er konnte einfach nicht einschlafen.
Er hatte monatelang davon geträumt, Cookie Dough kennenzulernen, der im Chat so witzige und intelligente Sachen schrieb, immer einen lustigen Spruch parat hatte und einfach so wahnsinnig sympathisch war. Leo hatte von Beginn an versucht, sich ein Gesicht zu den geschriebenen Worten vorzustellen. Profilbilder von sich selbst hatten sie alle nicht und so blieb unendlich viel Spielraum für die eigene Fantasie.
Er hatte immer einen athletischen Mann vor sich gesehen, vielleicht einen Sportler oder einen Künstler, mit sensiblen Augen und sexy Lippen, der sich sexy bewegte und ein erotisches Lächeln hatte. Kentin hatte diese Vorstellung um das Tausendfache gesprengt.
Diese unglaublichen türkisfarbenen Augen unter dichten Brauen und dunklen Wimpern waren das Tollste, das Leo je gesehen hatte. Kentin war bis auf den letzten Zentimeter durchtrainiert, kein Gramm Fett zu viel entstellte diesen Wahnsinnskörper. Er war etwas kleiner, als Leo es normalerweise bevorzugte, aber immer noch größer als er selbst.
Leo hatte Ken gesehen und wusste, dass er ihn kennenlernen wollte. Er wollte alles von ihm wissen, er wollte ihn berühren, küssen, diese sinnlichen Lippen kosten, die so vielversprechend aussahen. Und scheinbar war Kentin auch nicht so ganz hetero.
Der Schwarzhaarige hatte sehr wohl gemerkt, dass seine Anwesenheit den Soldaten nervös gemacht hatte.
Genervt setzte Leo sich auf und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Es hatte keinen Zweck. Mit solchen Gedanken im Kopf würde er niemals einschlafen können.
Ob er es wagen konnte, einfach zu ihm rüberzugehen?
Er stand auf, schob sich einen Kaugummi in den Mund und schlich auf den Flur. Alles war ruhig. Hinter den verschlossenen Türen war nur leises Atmen, hier und da mal ein leiser Schnarcher, zu hören. Es war halb 1.
Kentins Zimmer lag der Treppe am nächsten und als Leo sein Ohr daran hielt, war es ruhig. Er hörte den anderen Mann atmen, ruhig und gleichmäßig. Leise öffnete der Schwarzhaarige die Tür, die nicht abgeschlossen war und betrat den Raum. Ein Kribbeln breitete sich auf der Haut des jungen Mannes aus. Der Raum duftete so maskulin nach einem herben Duschgel und After Shave, dass er tief einatmete.
Kentin lag im Bett ausgestreckt, auf dem Rücken, die Decke bis zur Hüfte runtergerutscht. Durch das Mondlicht konnte Leo deutlich die definierten Bauchmuskeln erkennen und es kribbelte ihn in den Fingern, diese nachzuzeichnen. Mit seiner Zunge.
Er setzte sich neben den Schlafenden und strich ihm eine Strähne aus der Stirn. Kentin zuckte und öffnete erschrocken und überrascht die Augen.
»Leo?«, japste er erstickt und versuchte, seine Decke hochzuziehen, doch der Schwarzhaarige hielt sein Handgelenk fest.
»Ich tue dir nichts«, flüsterte er und verschloss Kentins Mund mit seinem.
Der Soldat seufzte und Leo lehnte sich über ihn, weiter das Handgelenk festhaltend. Seine Lippen ließ er über das Kinn auf die Brust wandern und Kentin schnappte nach Luft, als Leo sanft seine Brustwarzen berührte. Ein zuckender Krampf durchfuhr Ken, als die Lippen zum Bauchnabel weiterwanderten. Leo erfüllte sich den Wunsch, die fein definierten Bauchmuskeln nachzumalen und der Soldat schüttelte den Kopf.
»Hör auf damit ... ngh ... Leo...«
»Sicher, dass ich aufhören soll?«, kicherte der Andere frech und zog die Decke weg. Kentin schlief nackt und Leo nutzte diesen Umstand mit einem leisen Lachen aus. Seine Hand sanft auf Kens Gemächt ablegend beobachtete er dessen Gesicht, durch das einfallende Mondlicht in silbernes Licht getaucht.
Es drückte sowohl Unsicherheit als auch Verlegenheit aus. Aber da war auch etwas anderes - Erregung. Es gefiel dem Soldaten, dass Leo da war und es gefiel ihm, von ihm angefasst zu werden. Der Zustand seines Körpers verriet ihn, denn er wuchs in Leos Hand an.
»Gut?« Sanft streichelte der Schwarzhaarige den Anderen und Kentin biss sich auf die Lippen. Leo ließ seine freie Hand weiter über die angespannten Bauchmuskeln wandern und der Atem des Soldaten wurde schneller. Mit einem Grinsen beugte Leo sich zu dem Bauchnabel hinunter und küsste ihn spielerisch. Kentin brummte und schnappte nach Luft, als der Schwarzhaarige seine Lippen an ihn legte.
»Gott ... hör ... auf ...«, stammelte er, drängte sich dem Anderen allerdings entgegen.
»Das willst du doch gar nicht«, nuschelte Leo und schloss die Augen. Ein lustvolles Schaudern ließ seinen Körper erbeben, als Kentin das erste Mal hörbar aufstöhnte und seine schönen Hände in dem blütenreinen Laken verkrampfte. Ohne groß von ihm abzulassen entledigte Leo sich seiner Kleider und verstärkte seine Bemühungen, bis ein heftiges Zucken durch den Körper des Anderen zuckte.
»Agh ...« Kentin schlug sich die Hände vor die Augen und atmete schwer, während Leo sich über die Lippen leckte und seinen Kopf in das Kissen bettete.
»Du schmeckst sogar nach Keksen«, kicherte er und fuhr mit dem Finger über Kentins Brust. Der wandte sich zu ihm um und blickte ihn verschämt an.
»Ich hab das noch nie gemacht ...«
»Mit ‘nem Kerl? Aber ich. Ich zeig es dir ...« Leo zog Ken an sich heran und versiegelte dessen Lippen. Er dirigierte die zitternden Hände des Anderen und legte sie an die Stellen, an denen er berührt werden wollte, ohne den Kuss zu unterbrechen. Hitze rauschte durch Leos Körper und die wohlige Gänsehaut wich einer stetig wachsenden Lust, einer reißenden Gier, die nur Kentin würde befriedigen können. Er drehte ihm den Rücken zu und der Soldat begann, ohne dass der Schwarzhaarige etwas sagen musste, die Haut zu massieren und mit fliegenden Küssen zu übersähen. Währenddessen streichelte die zweite Hand über Leos Brust und presste ihn an sich. Mit knabbernden Zähnen wanderte der eigentlich unerfahrene Kentin geschickt über den Nacken und die Halsbeuge, sodass Leo nun seinerseits leise aufstöhnte. Er griff nach Kens Hand und legte sie sich in den Schoß.
»Bitte ...«, hauchte der Schwarzhaarige und Kentin begann, ihn sanft zu massieren.
Der Schweiß brach ihm aus und er kniff die Augen zusammen, so heiß fuhr die Lust durch seinen Körper. Wie ein Ertrinkender presste er sich an Ken und krallte sich in dem Kissen fest. Er spürte deutlich Kentins Erektion an seinem Rücken und die Hitze, die von ihm ausging.
»Ich kann nicht mehr ... ich ... will ... ngh ...« Leo fummelte ein Gummi aus seiner Hose und gab es Ken. Der schluckte, nickte aber. Sein Atem ging ebenfalls schneller und er zitterte merklich. Mit geschickten Fingern hatte er sich geschützt und Leo dirigierte ihn ein weiteres Mal.
Ein Schaudern und Kribbeln fuhr durch beide, als sie sich vereinigten und Leo presste sich an den Anderen, als ginge es um sein Leben. Erst langsam, zärtlich und unter zahlreichen Küssen wurden sie schnell von ihrer Lust übermannt, ließen einander freien Lauf und erreichten schließlich einen gemeinsamen Höhepunkt, der sie ermattet liegen bleiben ließ.
Kentin stand auf und suchte in seiner Tasche nach einer Trainingshose. Durch das Schwitzen war es ihm zu kalt geworden. Sein Blick im silbernen Mondlicht war geradezu schuldbewusst, als er sich wieder neben den Schwarzhaarigen setzte, der ebenfalls seine Hose wieder anzog.
»Guck nicht so. Ich sollte ein schlechtes Gewissen haben. Ich hab dich doch überfallen.« Leo lehnte sich an das Kopfteil des altertümlichen Himmelbettes und zog die Beine bequem an die Brust.
Kentin nahm neben ihm Platz und zog die Decke über seine nackten Füße.
»Schon, aber ...«, setzte er an, stockte dann aber.
»Aber? Ok, du hast es gerade mit ‘nem Kerl getrieben. Und? War das so schlimm?«
»Nein. Das meine ich nicht. Ich ... hatte nur immer so ein komisches Gefühl. Immer. So, als wüsste ich nicht, was und wer ich bin. Weil ... weil ich mich nie für Mädchen interessiert, mich aber trotzdem mit ihnen getroffen habe, weil ich dachte, das würde man von mir erwarten.«
Leo lachte leise.
»Das kenne ich. Ich wusste erst mit achtzehn, dass ich Männer liebe. Vorher war das auch ein Krampf. Es hat sich nie richtig angefühlt. Immer so krampfig. Meine Eltern wollten auch nie eine Schwuchtel als Sohn.«
»Wie alt bist du?«
»Einundzwanzig.«
»Und haben sich deine Eltern wieder eingekriegt?«
Leo wandte den Kopf zu Kentin und verzog den Mund zu einem traurigen Grinsen.
»Nein. Bis heute nicht. Aber meine Oma hatte nie ein Problem damit. Dank ihr hatte ich überhaupt erst den Mut, mich zu outen. Sonst würde ich mich heut noch in irgendwelchen Hinterhof-Schuppen rumtreiben, um irgendwo einen Fick zu kriegen. Ich lebe auch bei ihr. Mein Vater hat mich rausgeschmissen.«
Kentin blickte auf seine Hände und nickte.
»Und warum hast du dich nicht geoutet?«, fragte der Schwarzhaarige leise.
»Ich bin Soldat«, murmelte Ken, als würde das alles erklären. Und das tat es auch. Leo nickte und legte ihm die Hand in den Nacken.
»Klar, ein Schwuler in einer Hetero-Domäne. Das könnte schwer werden.«
»Könnte nicht nur. Du hast ja keine Ahnung, was da los ist, wenn man im Fernsehen mal etwas von Homosexuellen hört. Dann bricht überall die Feindseligkeit und die Witzelei aus. Ich wäre die Matratze der Kompanie, wenn das rauskäme. Ob ich wollte oder nicht.«
Leo lachte und küsste Ken mit einem Schmatzer auf die Wange. »Sieh’s mal so. Jeder Kerl, der bereit ist, einen anderen in den Arsch zu ficken, hat jede Menge homosexuelles Potential. So sehe ich das.«
Der Soldat lächelte. »Ja, aber das würden sie auch noch abstreiten.« Er gähnte mit knackendem Kiefer und ließ sich aus der sitzenden in die liegende Position rutschen. Leo sah sich unsicher um.
Sollte er vielleicht lieber gehen? Er konnte nicht einfach davon ausgehen, dass es okay wäre, wenn er hier schlief. Er benetzte gerade seine Lippen, um Kentin zu fragen, als der nach seinem Arm griff und ihn neben sich zog.
»Ich bin müde. Lass uns schlafen.« Ken zog die Bettdecke über sich und Leo und legte sein Kinn in dessen Nacken.
»Weißt du, dass ich nur deinetwegen hergekommen bin?«, fragte der Schwarzhaarige flüsternd.
»Was hättest du gemacht, wenn ich ein vierzigjähriger Familienvater mit Halbglatze und Plauze gewesen wäre?«
Leo kicherte. »Dann hätte ich Kazu gevögelt, bis er nicht mehr hätte sitzen können.«
»Was ist das mit euch? Ich habe gemerkt, dass er sehr darauf bedacht ist, dich zu beschützen.«
Der Schwarzhaarige drehte sein Gesicht zu Kentin um und sah dessen meeresblaue Augen im Mondlicht funkeln.
»Er ist mein bester Freund. Und mein Fuck-Buddy. Wann immer es einem von uns scheiße geht, treffen wir uns, hängen ab, quatschen oder vögeln eben, bis es uns besser geht. Es ist nicht perfekt und vielleicht ist es auch arm und erbärmlich, aber für uns hat das immer gut funktioniert.«
»Ich habe das Gefühl, dass du ihm wichtig bist.«
»Kazu ist ein Masochist. Er liebt nichts mehr als sein Leid. Ich liebe ihn als meinen besten Freund, aber nicht als Mann selbst.«
Kentin brummte kichernd und zog den Anderen wieder näher an sich. »Für heute Nacht lieben wir uns, ok?«
Leo nickte und kuschelte sich an den Soldaten. Beide waren fast weggenickt, als ein Geräusch sie erneut aufschrecken ließ. Ein schauriges, leises Geräusch, das nicht hier her passte und von dem sich keiner erklären konnte, wo es herkam.
»Ken? Hörst du das?«
Der Angesprochene nickte. »Ja. Komisch. Wo das wohl herkommt?«
»Das ist echt gruselig. Wenn ich das gewusst hätte ...« Leo drehte sich in Kentins Armen um und presste seine Nase an dessen Brust.
Die leise Melodie einer Spieluhr hallte durch die Gänge des alten Gasthauses.