Kentin erwachte, als sich Leo sanft von ihm losmachte. Er schlug erschöpft die Augen auf und murmelte ein »Hey«. Leo lächelte ihn an.
»Komm, aufstehen. Bald gibt’s Frühstück.«
Kentin fasste den Schwarzhaarigen am Arm und zog ihn mit dem Rücken noch mal an sich. Mit den Lippen strich er ihm über den Nacken, was den Anderen kichern ließ.
»Nicht doch ... so was macht man vor dem Zähneputzen nicht.«
»Hast Recht.« Mit diesen Worten und einem Lachen schob Kentin Leo aus dem Bett und setzte sich auf.
Der Schwarzhaarige verließ das Zimmer und der Soldat verschwand im Bad. Nach etwas Wasser im Gesicht und einer erfrischenden Zahnbürste fühlte er sich gleich besser.
Na ja, noch besser. Denn es war schon ein tolles Gefühl gewesen, mit Leo im Arm die Nacht zu verbringen. Und auch das andere mit ihm zu machen. Ken hätte nicht gedacht, dass ein Erlebnis so intensiv sein konnte. Er hatte Erfahrungen mit Frauen gemacht, aber die waren nichts gewesen im Vergleich zu Leo. Der Soldat lächelte in den Spiegel.
Er machte sich nichts vor. Wahrscheinlich würden sie sich nicht wiedersehen. Er wusste nicht, wo Leo wohnte und schätzte ihn als etwas leichtfertigen Charakter ein, der sich schnell langweilte mit nur einem Partner. Immerhin schlief er aus diesem Grund immer mal wieder mit seinem besten Freund.
Aber Kentin würde die Erinnerung bewahren. Sie hatten eine Menge Spaß gehabt.
Als er auf den Flur kam, verzog sich Viola gerade mit hochrotem Kopf in ihr Zimmer. War denn noch keiner weiter wach? Es war 8 Uhr.
Plötzlich ertönte ein Gong im ganzen Haus. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sämtliche Türen aufgingen und alle in den Flur spähten.
»Was war’n das?«, nuschelte Kim mit Zahnbürste im Mund und Jonathan Faraize, der Lehrer, rubbelte mit einem Handtuch seinen Kopf ab. Ohne Brille sah er fünf Jahre jünger aus.
»Vielleicht eine Art Wecker?« Kentin blickte über das Treppengeländer in die Eingangshalle und als hätte er es heraufbeschworen, tauchte das altmodisch gekleidete Hausmädchen auf.
»Wenn die Herrschaften soweit sind, das Frühstück wird serviert.«
Ken musterte die junge Frau. War die gestern auch schon so blass gewesen? Oder hatte er das nicht gesehen, weil es dunkel und das künstliche Licht hier eher dämmrig war?
Die anderen zogen sich noch einen Moment in ihre Zimmer zurück und kamen dann nach und nach auf den Flur. Man wollte gemeinsam in das Esszimmer gehen.
Kentin bemerkte, dass auch Kazuya angespannt aussah. Hatten er und Leo Streit gehabt, weil der die Nacht bei ihm, Ken, gewesen war? Allerdings sah der Rothaarige eher besorgt als ärgerlich aus. Die anderen trabten alle noch etwas müde die Treppe runter, als Leo Kentin an der Hand festhielt.
»Du ...?«
»Ja?«
»Kazu und ich hauen nach dem Frühstück ab. Er fühlt sich nicht gut. Gibst du mir vorher deine Nummer?«
Sie wollten schon wieder fahren? Kentin fühlte so etwas wie Enttäuschung in sich aufsteigen, nickte aber und zog sein Handy. Leo gab die Nummer ein und versuchte anschließend, Ken anzurufen. Doch er kam nicht durch.
In dem Gemäuer hatte man keinen Handy-Empfang. Na, fantastisch!
»Egal, gib her, ich tipp sie dir schnell ein.«
»Wieder so ein Zufall ... das ist nicht auszuhalten«, nuschelte Kazuya, der dabei stand und sich gehetzt umsah.
»Was meinst du?« Kentin fokussierte den anderen jungen Mann.
»Er hat auch die Melodie gehört«, murmelte Leo leise und Kazuya nickte.
»Und gestern wollte ich vom Hausapparat unten schnell zuhause anrufen, weil mein Akku leer war, aber das Telefon ist tot. Ich finde das alles sehr unheimlich. Je eher ich hier wegkomme, desto besser.«
Kentin sah die beiden jungen Männer vor sich an. Konnten das Zufälle sein? Das Haus war alt, aber sooo sehr?
»Lasst uns das mit den anderen bereden, ok?«
Kazuya und Leo nickten und gingen zusammen mit Kentin die Treppe runter und betraten das Esszimmer, das schon in voller Pracht für sie hergerichtet worden war.
»Da seid ihr ja. Wir wollten schon ohne euch anfangen«, lächelte Nathaniel ihnen entgegen. Er sah noch müder aus als die anderen. Er war wohl einer dieser Kandidaten, die nirgendwo außer in ihrem eigenen Bett schlafen konnten.
»Entschuldigt. Hey, sagt mal, habt ihr mit dem Handy Empfang?«
Die anderen blickten auf ihre Mobiltelefone und schüttelten fast synchron den Kopf.
»Boah ... ich hau hier ab. Das ist mir zu abgefahren...« Leo hielt Kazuya fest und zwang ihn, sich zu setzen.
»Das ist ein Funkloch, Alter. Bleib mal geschmeidig«, brabbelte Kim und begutachtete das Angebot an Speisen auf dem Tisch. Kazuya zog ihr eine lange Nase und trommelte mit den Fingern auf den Stuhllehnen herum. Er weigerte sich, etwas zu essen.
Das Hausmädchen erschien wieder wie ein Geist vor ihnen. »Bitte. Bedienen Sie sich.«
Jonathan wandte sich noch einmal um und hielt sie auf, bevor sie den Raum wieder verlassen konnte. »Ach entschuldigen Sie. Haben Sie inzwischen erfahren, wo unser letztes fehlendes Mitglied abgeblieben ist?«
Richtig, der mysteriöse Mod hatte sich weder abgemeldet noch überhaupt Bescheid gegeben, ob er noch kommen würde. Kentin blickte mit ebenso viel Interesse zu der jungen Frau wie die anderen.
»Bitte essen Sie doch. Die Nachricht wird Ihnen währenddessen abgespielt.«
Und weg war sie.