Sie wusste nicht, was genau sie im Büro erwarten würde, und das war genau das, was ihr Angst machte. Sie hatte nicht Angst vor Gewalt, Juri hatte seine Angestellten noch nie körperlich angegangen, aber man wusste bei ihm nicht, zu was er sonst noch fähig war. Auch weil er sie noch nie in sein Büro zitiert hatte, bekam es Salome mit der Angst zu tun, als sie zaghaft an die Tür klopfte.
"Herein", brummte Juris kräftige, tiefe Stimme, die so gut zu seinem Äußeren passte.
Juri saß an seinem Schreibtisch, eingehüllt von Rauchschwaden, sodass Salome reflexartig hustete, als sie näher kam. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, sich zu setzen und Salome kam dem sofort nach. Sie wollte alles vermeiden, was ihren bulligen Chef irgendwie hätte wütend machen können.
Juri seufzte vernehmlich und beugte sich zu ihr vor. Dadurch stieg Salome der beißende Geruch nach kalten Rauch noch mehr in die Nase, aber sie verzog keine Miene, denn sie wusste, dass das Juri nicht mochte.
"Salome, was ist nur mit dir los?", begann er in fast väterlichem Ton, "ich höre die Tage nur noch Beschwerden über dich, das ist mir in den Jahren, in denen du bei mir bist, noch nie passiert. Ist alles in Ordnung bei dir?".
"Wer hat sich beschwert?", fragte sie schon fast mechanisch, den Angstschweiß auf der Stirn.
"Die letzen Kunden die du hattest, zumindest ein paar davon, die dich länger kennen. Sie hätten sich ein wenig mehr Zuneigung erhofft und haben mich darauf angesprochen, ob mit dir alles in Ordnung ist. Also?".
"Mir geht es gut", versicherte ihm Saloem und versuchte dabei, Blickkontakt zu halten. Juris Blick war so durchdringend, dass es ihr schwer fiel.
"Bist du dir sicher? Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst wenn etwas ist, ich will ja schließlich nicht, dass mein Laden einen schlechten Ruf bekommt, weil ihr nicht bei der Sache seid."
Juris Gespür, wann etwas nicht so lief, wie es sollte, war bisher immer untrüglich gewesen und gerade jetzt schrillten sämtliche Alarmglocken seines Warnsystems. Irgendetwas war Salome passiert, einem seiner besten Pferde im Stall, und er würde einen Teufel tun und Umsatzeinbußen deshalb hinnehmen.
"Ja, ist alles gut", murmelte sie, obwohl Salome selbst nicht überzeugt von sich war. Wenn sie ehrlich war, wusste sie sogar genau, was gerade los war. Ihr ging der Kerl nicht mehr aus dem Kopf, der partout nicht mit ihr schlafen wollte.
"Hm", brummte Juri schließlich, "von mir aus. Aber die Verluste musst du mit ein paar Überstunden ausgleichen, oder eben länger bleiben- das weißt du."
Mit zerknirschter Miene nickte sie. "Ja, ich weiß. kann ich dann wieder los oder hast du noch irgendetwas? Ich möchte heute nicht so lange machen und wenn ich dann noch Überstunden dran hängen muss wird es wieder wahnsinnig spät...".
Juri musterte Salome und überlegte dabei, warum sie sich so seltsam verhielt. Er kannte sie jetzt schon einige Jahre und hatte viele Situationen mit ihr erlebt, aber so wie die letzten Tage hatte sie sich noch nie verhalten. Allerdings, solange sie weiter ihre Arbeit machte und sich für ihn nicht völlig zum Minusgeschäft entwickelte, konnte es ihm auch egal sein. Salome beteuerte, es sei alles okay, also war auch alles okay.
"Ja, geh", grummelte er deshalb und Salome atmete tief durch, bevor sie auf dem Absatz kehrt machte und sein Büro verließ. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurde es ihr leichter ums Herz. Auch wenn sie Juri nie als ungerecht oder gar gewalttätig kennengelernt hatte, verbrachte sie sehr ungerne Zeit mit ihm alleine in einem Raum.
Salome setzte sich an die Bar und ließ sich einen Wodka ausschenken, um die Gedanken zu betäuben. Sie zupfte ihre Klamotten zurecht und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Keinen der Freier, die gerade hier waren, kannte sie. VIele Männer kamen öfter hier her und so hatte sich um nette Stammfreier ein regelrechter Konkurrenzkampf entwickelt. Entspannt lehnte sie sich an der Bar zurück und dachte darüber nach, welchen der Männer sie gerne bei sich gehabt hätte. Die Wahl fiel auf einen jungen Mann, vielleicht war er so alt wie sie, der gerade an einem der Tische saß und den Blick ebenso suchend durch den Raum wandern ließ. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte Salome verführerisch und leckte sich betont langsam über die Lippen.
Das schien Einladung genug zu sein, denn ihr Auserwählter stand auf und kam zu ihr herüber. Er ließ es wie einen Zufall aussehen, dass er sich ausgerechnet neben sie an die Bar verirrt hatte. Mit breitem Lächeln beugte er sich zu ihr hinunter, er war über einen Kopf größer.
"Wodka hätte ich einem Mädel gar nicht zugetraut, du scheinst ja härter drauf zu sein", raunte er ihr ins Ohr.
"Du kannst es ja mal herausfinden", gab Salome leise zurück. Aus der Nähe betrachtet war der Mann mit seinem Dreitagebart und der rauen, tiefen Stimme noch attraktiver und Salome dachte für sich, dass sie heute einen Glücksgriff gelandet hatte, denn ekeln musste sie sich nicht.
Der Mann legte einen Arm um ihre Hüfte und schob sie sanft, aber ohne Widerrede in Richtung Separé. Dabei begrabbelten seine Hände schon wie zufällig ihre Brüste und ihre Scham, er konnte es wohl kaum abwarten. Solche Kunden waren meist die zahlungskräftigsten und Salome freute sich insgeheim schon auf das Ende ihrer 'Verabredung'.
Sie hatte kaum Zeit, sich auf ihr Gegenüber einzulassen, denn er schubste sie sofort auf das Bett und begrub sie unter seinem muskulösen Körper. Sein Atem roch nach Alkohol, sein Körper nach altem Schweiß, der unangenehm in der Nase juckte. Er riss ungeduldig an ihrem Oberteil und Salome hörte schon, wie der Stoff nachgab.
"Hey, ich ziehe mich schon noch für dich aus, nicht so schnell", hauchte sie, denn sie wollte ihre Kleidung heil behalten. Sie konnte nicht so schnell reagieren, wie er ihr eine schallende Ohrfeige verpasst hatte.
"Halt den Mund du kleine Nutte, ich will nicht, dass du redest", fauchte er zurück und presste sich mit noch größerem Gewicht auf sie:
Der Schmerz der Ohrfeige war heftig und hallte noch lange nach, sodass Salome schwindelig wurde, aber sie schaffte es dennoch, ein Stück nach links zu rücken und den Notfallknopf zu betätigen, den Juri in jedem Zimmer an der Seite des kleinen Nachttisches angebracht worden war für genau solche Fälle.
Die Sekunden, die Juri brauchte, kamen Salome vor wie Stunden, aber schließlich befreite Juri sie von ihrem Freier. Als sie sich aufsetzte, hatte Juri ihn am Kragen gepackt und gegen die Wand gedrückt.
"Was fällt dir eigentlich ein, meine Nutten so anzufassen, du kleines Arschloch?! Hast wohl geglaubt, du kannst dir hier alles erlauben? Ich sag dir jetzt mal was, du brauchst dich hier erst mal nicht mehr blicken lassen, Freundchen! Wenn ich dich hier sehe, bevor mir deine Nase wieder passt, kannst du froh sein, wenn du noch lebend hier raus kommst. Dasselbe gilt für jetzt. Nimm die Beine in die Hand, bevor ich mich vergesse. Lauf!".
Der Freier war schon eine muskulöse und imposante Person, wurde von Juri aber noch bei weitem übertroffen und deshalb sehr kleinlaut. Kaum hatte Juri ihn losgelassen, huschte er durch die Tür.
Salome entspannte sich augenblicklich. "Danke, Juri."
"Ist gut. Hat er dir weh getan?".
Prüfend tastete Salome über die Wange, die noch immer ein wenig kribbelte. Weder fühlte noch schmeckte sie Blut, deshalb schüttelte sie den Kopf. "Alles in Ordnung, er hat mir nur eine Ohrfeige verpasst. Ich bin nur ein bisschen...fertig."
"Wenn du willst, kannst du Feierabend machen, oder zumindest eine Pause. Der Typ ging gar nicht. Hol dir an der Bar was zu trinken und entspanne dich erst mal eine Runde."
Salome nickte und verließ das Separé. Hinter ihr schloss Juri die Tür und ging ohen ein weiteres Wort in die andere Richtung, zu seinem Büro, davon.
Salome ging zu den Waschräumen, in denen sich sie und ihre Kolleginnen jederzeit wieder auffrischen konnten. Gerade war niemand hier und Salome verzog sich in die hinterste Ecke des Raumes an ein Waschbecken. Um wieder klar denken zu können, schöpfte sie sich mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht.
Das verwischte ihre Schminke und ein Blick in den Spiegel zeigte ihr, wie verbraucht sie gerade aussah. Ihr Anblick brachte sie zum Weinen. Sie hatte das alles doch nicht gewollt, und was war nun aus ihr geworden? Von der Abiturientin zur Nutte in wenigen Jahren, und sie würde nie wieder aus dieser Falle finden. Die Schluchzeri ließen ihren ganzen Körper erzittern und einen Moment lang wanderten ihre Gedanken zu der Idee eines Selbstmords, um dem allem zu entkommen - wer würde sie schon vermissen, den sie wirklich schätzte?
Allerdings verwarf sie den Gedanken gleich wieder, denn zu sehr hing sie an den schönen Dingen des Lebens, für die sie sich hier kaputtschuftete.
Unbewusst und sehr leise schlich sich der junge Mann in ihre Gedanken, so wie schon oft die letzten Tage. Sie fragte sich, ob er es wohl schade finden würde, wenn sie nicht mehr da wäre. Im nächsten Moment schüttelte sie den Kopf und fragte sich, wie zum Teufel sie auf diesen Gedanken gekommen war.
Salome kämpfte um ihre Selbstbeherrschung, aber der Anblick ihres verheulten Ichs ließ sie wieder in Tränen ausbrechen.
"Ich will hier raus", flüsterte sie, dann sank sie gänzlich in sich zusammen.