Salome erwachte von einem stetig nervig gleichbleibendem Piepton, der sich langsam in ihr Bewusstsein schob.
Grelles weiß ließ sie ihre Augen nur langsam öffnen und erst allmählich begriff sie, dass sie gerade eine Wand anstarrte - eher eine Zimmerdecke, stellte sie fest, als sie ihre liegende Position bemerkte.
Verwirrt versuchte Salome, sich umzudrehen, aber ihre Arme schmerzten dabei, irgendetwas stach unangenehm bei der Bewegung.
Lagsam dämmerte es Salome, dass sie in einem Krankenhaus lag. Neben ihr stand ein Infusionstropf und schräg vor ihr hing einer dieser typischen Krankenhausfernseher an einem ausfahrbaren Greifarm.
Aber wie war sie ins Krankenhaus gekommen? Sie konnte sich nur noch an wenig erinnern, die letzte klare Erinnerung war der Bankertyp im Auto, der sie irgendwo hin mitgenommen hatte.
Sie war beim Aussteigen geflohen und um ihr leben gestöckelt, dann gerannt, als gäbe es kein Morgen.
Wie in jedem schlechten Horrorfilm rechnete Salome damit, erwischt zu werden, aber das schien nicht der Fall gewesen zu sein, denn sonst würde sie dann jetzt nicht im Krankenhaus liegen, schlussfolgerte sie.
Die Tür wurde geöffnet und eine junge Schwester trat ein, um sofort nach ihr zu sehen.
„Oh, Frau Roth, sie sind wach? Das ist schön. Wie geht es Ihnen?“.
„Äh, kaputt“, nuschelte Salome und sie fühlte sich tatsächlich, als hätte sie ein Fünfzigtonner überrollt.
„Das glaube ich“, grinste die Schwester, „Sie müssen Hunger haben, immerhin haben sie fast zwei volle Tage geschlafen. Möchten Sie etwas essen? Das Mittagessen ist noch nicht so lange her, ich kann ihnen sicher noch eine Portion organisieren.“
Salome war noch dabei, die Information zu verdauen, dass sie so lange geschlafen hatte, aber beim Thema essen meldete sich ihr Magen sofort rigoros.
„Ja doch, etwas essen wäre glaube ich gut“, nuschelte sie kraftlos und rang sich ein Grinsen ab.
Ihre Gegenüber nickte wissend.
„Ich kümmere mich gleich darum. Wenn noch etwas sein sollte, Sie haben hier links neben sich“, sie deutete auf die Wand hinter Salome, „einen Notfallknopf, den roten. Wenn sie den drücken ist so schnell wie möglich jemand von uns bei Ihnen.“
Zu kraftlos, um sich umzudrehen, nickte Salome einfach nur. Sie merkte, dass es sie anstrengte, mit Menschen zu reden und deshalb war sie froh, als die Schwester endlich aus dem Zimmer war - egal wie nett sie sie behandelt hatte.
Salomes Gedanken kreisten weiter, jetzt mit der Information, dass sie seit zwei Tagen hier war. Ihren Nachnamen hatten sie mit Sicherheit aus ihren Papieren, aber zu gerne würde sie wissen, ob sich Juri schon die Mühe gemacht hatte, sie zu suchen. Zwei Tage Verdienstausfall wiegten auch für ihn schwer.
Erst jetzt fielen ihr die Blumen auf, die jemand auf ihrem Tisch neben dem Bett hinterlassen hatte. Es war ein bunter Blumenstrauß mit Sommerblumen.
So etwas hätte sie Juri niemals zugetraut, aber vielleicht war er es ja doch gewesen. Wer sollte es sonst gewesen sein, außer vielleicht noch eine ihrer Kolleginnen?
Ihr Magen rebellierte deutlich gegen die viele Kopfarbeit und Salome ließ sich in die Kissen zurücksinken. MIt allem anderen würde sie warten, bis sie etwas gegessen hatte, dann würde es nicht mehr so anstrengend sein.
Das Essen war allerdings nicht dazu gemacht, Salomes bestialischen Hunger zu stillen. Ein wenig Suppe und eine Scheibe Brot mit ein bisschen Rohkost waren nichts für einen Magen, der seit gut drei Tagen ohne Essen auskommen musste. Deshalb knurrte der Magen auch nach dem kargen Essen immer noch.
Salome hatte gerade den Entschluss gefasst, aufzustehen und sich zumindest Wasser zu besorgen, als es wiederum an ihre Tür klopfte.
Kaum hatte Salome hereingebeten, streckte Harald den Kopf durch die Tür, grinste und kam dann ganz herein.
Salomes Gefühle bei seinem Anblick schwankten zwischen Wut, Freude, Erleichterung und Misstrauen. Sie fragte sich, was er hier suchte und diese Frage sprach sie wohl laut aus, denn Harald antwortete.
„Ich denke ich habe dich gefunden. Wie geht es dir?“, fragte er zurück.
„Ganz okay denke ich. Aber ich meine, warum bist du hier? Warum interessiert es dich wie es mir geht?“.
Als sie Haralds Blick sah, kamen Salome das erste Mal Zweifel daran, dass Harald sie nur ausnutzen wolte. Die Zärtlichkeit in seinem Blick war für sie fast unerträglich, sodass sie wegschaute.
„Ich denke du weißt es, oder?“, fragte er sanft und setzte sich zu Salome auf das Bett.
„Ich weiß es von deinen Kolleginnen, dort ist es kein großes Geheimnis. Übrigens freuen sich auch einige darüber, dass du erst mal arbeitsunfähig bist.“
Salome war nicht überrascht. In ihrer Branche gönnte man sich nicht einmal das Schwarze unter den Fingernägeln
„Weißt du denn, was Juri sagt?“, fragte Salome, aber Harald schüttelte den Kopf.
„Ich habe nichts gehört, aber ich glaube nicht, dass er es nicht weiß.“ Harald zögerte, aber dann atmete er tief durch und sprach das aus, weswegen er überhaupt her gekommen war.
„Du, ich weiß, dass wir Streit hatten und mir tut es auch immer noch leid, aber ich wollte das wirklich nicht. Ich will nur, dass es dir gut geht. Als ich erfahren habe, dass du weg bist, habe ich mir riesige Sorgen gemacht. Deshalb... willst du nicht doch nochmal über mein Angebot nachdenken? Ich weiß du willst auch bei mir keine Schulden, aber bei mir musst du dich nicht von Typen entführen lassen - so war es doch eigentlich, oder?“.
Salome schwieg lange, sie dachte nach. Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine solche Angst empfunden wie in diesen Stunden. Als sie weggelaufen war, hatte sie sogar daran gedacht, Harald um Hilfe zu bitten, weil ihr alles zu viel wurde. Aber wollte sie wirklich nachgeben? Sie konnte Harald immer noch nicht durchschauen, zumindest beschlich sie immer noch dasselbe seltsame Gefühl, das sie immer im Umgang mit Männern hatte.
„Schau nicht so kritisch“, unterbrach Harald ihre Gedanken, „du musst dir von mir helfen lassen. Ich werde verrückt, wenn ich das nicht darf, ehrlich.“
Salome rümpfte die Nase. „Also soll ich mir helfen lassen, damit es dir besser geht? Was bist du, ein Samariter?“.
Harald verdrehte die Augen und seufzte genervt. Es war nicht einfach, Salome zu helfen. Aber er wollte sturer sein.
„Nein, bin ich nicht. Ist es so schlimm, dass ich dir einfach nur helfen will? Vielleicht mag ich dich ja, hast du darüber schon mal nachgedacht?“.
Die Worte waren harscher ausgesprochen als beabsichtigt, Salome blieb ihr bissiger Kommentar im Hals stecken. „Tut mir leid“, schob Harald schnell nach, „ich wollte nicht so laut sein. Aber vielleicht denkst du trotzdem mal darüber nach, ob ich dich nicht einfach nur mag?“.
Der nächste bissige Kommentar blieb Salome im Hals stecken. Einen Moment lang dachte sie, sich verhört zu haben, aber dann holte ihr Gehirn sie wieder ein. Das erste Mal in sehr langer Zeit war sie zu verlegen, um direkt etwas zu antworten.
Harald grinste triumphierend, er war sich seines Sieges sicher.
Behutsam setzte er sich auf die Bettkante und musterte Salome genau, die es immer noch nicht schaffte, ihm in die Augen zu sehen.
„Lässt du mich noch ein bisschen drüber nachdenken?“, bat sie schließlich und war dabei viel kleinlauter als sonst.
„Von mir aus, das ist ja schon mal besser als dein ‚Nein‘ vorher“, meinte Harald, „Sag mal, wann kommst du denn eigentlich hier raus? Weißt du schon irgendetwas?“.
Salome schüttelte den Kopf nur ganz leicht, selbst davon bekam sie Schwindelgefühle.
„Ich bin erst kurz wach und habe ein bisschen was gegessen, einen Arzt habe ich noch nicht gesehen.“
Als wäre dies eine Aufforderung gewesen, klopfte es und ein Mann mittleren Alters kam herein. Der weiße Kittel und ein Klemmbrett verrieten seine Position.
„Frau Roth, ich habe schon gehört, dass sie aufgewacht... oh, Sie haben ja Besuch“, hielt er inne und hob die Augenbrauen.
„Der wollte gerade gehen Herr Doktor, das ist kein Problem“, meinte Salome und starrte Harald mit einem durchdringenden Blick an, bis er sich schließlich erhob.
„Na gut, aber du meldest dich, okay? Du hast ja meine Nummer.“
Erst als Salome nickte, verließ Harald mit einem Nicken in Richtung des Arztes das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich.
Mit gerunzelter Stirn studierte der Arzt das Klemmbrett, dann seufzte er und kam noch ein paar Schritte auf Salome zu.
„Frau Roth, mein Name ist Doktor Schmidt. Ich habe mir gerade ihre Daten angesehen. Sie scheinen sehr geschwächt gewesen zu sein, als sie hier eingeliefert wurden, aber angesichts dessen, dass Sie wach sind, scheint es Ihnen ja wieder ganz gut zu gehen. Wie fühlen sie sich“?.
Salome überlegte kurz. „Hungrig“, antwortete sie ehrlich und entlockte dem Arzt damit zumindest ein Grinsen.
„Haben Sie gegessen, seit sie wach sind?“.
„Ja, eine Krankenhausportion, aber die reicht mir wirklich nicht.“
„Kleiner Geheimtipp: Gehen Sie zum Schwesternzimmer und drücken Sie da ein wenig auf die Tränendrüse, immerhin haben Sie zwei Tage nichts gegessen. Wir sehen uns dann morgen noch einmal, aber ich denke, Sie sind auf dem besten Weg wieder in das normale Leben. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag, Frau Roth.“
Mit einem Zahnpastalächeln, das Harald Konkurrenz machte, wandte sich der Arzt zum Gehen und ließ Salome wieder alleine in ihrem Zimmer zurück. Sie dachte noch über seine letzten Worte nach und interpretierte diese positiv für eine schnelle Entlassung.
Nichtsdestotrotz wollte sie den Geheimtipp des Arztes befolgen und die Schwestern um etwas Essbares anbetteln, denn ihr Magen rumorte schonwieder rebellisch.