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Im Sommer eine tödliche Giftpflanze, im Winter eine Heilpflanze.
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Von wem wurde (Weißer) Germer verwendet?
Weißer Germer wurde unter anderem in der Antike als Pfeil- und Mordgift verwendet. Die Pflanze kommt hauptsächlich in Europa vor.
Weitere Germer-Arten sind auf der ganzen Nordhalbkugel verbreitet, wo sie ebenfalls als Pfeilgift Verwendung finden.
Woraus wird das Gift gewonnen?
Das Gift wurde aus der ganzen Pflanze, primär jedoch aus den Wurzeln, gewonnen.
Dazu wurde die Pflanze ausgepresst und dann eingedickt. Aufbewahrt wurde das Gift bspw. in Rinderhörnern. In manchen Fällen nutzten amerikanische Ureinwohner den ausgepressten Pflanzensaft direkt, um ihre Pfeilspitzen darin einzutauchen.
Aus England ist ein Rezept (bekannt als „Crossbowman‘s Herb“) von 1644 überliefert.
Zunächst sollte die Wurzel des weißen Germers im August gesammelt werden, da die Giftkonzentration in dieser Zeit am stärksten ist. Danach wird die Wurzel von Erde befreit und gründlich gewaschen.
Als nächstes wird die Wurzel zerstoßen und in eine Presse gegeben, der Saft wird herausgepresst und aufgefangen. Der Saft wird vorsichtig durch ein Sieb gegeben und dann über einem Feuer gekocht. Schaum und zähflüssige Überbleibsel werden abgeschöpft. Danach wird die Flüssigkeit abermals durch ein Sieb gegeben und von 10 Uhr morgens bis zum Ende des Tages in die Sonne gestellt.
Der Saft wird nochmals 3-4 Tage in die Sonne gestellt und jeden Tag davor abgesiebt bzw. gefiltert. Irgendwann hat die Flüssigkeit eine sirupartige Konsistenz, die Farbe hat sich in der Zeit nicht verändert.
Taucht man einen Strohhalm oder ein Stöckchen in das Gift, soll es anhaften. Ein starkes Gift bringt die Leute beim Geruch zum Niesen.
(Originaltext siehe Quelle [19], Seite 21)
Wie wirkt das Gift?
Die Informationen beziehen sich auf die orale Einnahme der Pflanze. Es ist gut möglich, dass die Wirkung bei einer Vergiftung durch die Blutbahn schneller eintritt – zumindest dürfte das Gift nicht schwächer wirken.
Beim Menschen wurden folgende Symptome beobachtet: Kribbeln der Haut, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindel, Schwäche, Flache Atmung (Hypopnoe), Bewusstlosigkeit, niedriger Blutdruck und verlangsamter Herzschlag, bis zu Herzrhythmusstörungen und schlussendlich Tod.
Übelkeit, Erbrechen und Unterleibsbeschwerden treten 15-30 Minuten nach der Einnahme der Pflanze auf. Gleichzeitig kommt es zu Schwindel, Verwirrung, Kribbeln und Sehstörungen („dimmed and jumping vision“) oder temporärer Blindheit. Weitere Symptome scheinen rasch zu folgen – die Berichte von Vergiftungen besagen, dass die Patienten an Rhythmusstörungen litten, als sie in der Notaufnahme ankamen.
Allgemein treten die ersten Symptome binnen 15 Minuten bis zwei Stunden auf und können bis zu 6 Stunden andauern (ob sich dieser Zeitraum auf eine Zeit mit oder ohne Behandlung bezieht ist mir nicht bekannt). Ist eine Behandlung erfolgreich oder die Giftdosis niedrig genug, dann klingen die Symptome i.d.R. binnen 24 Stunden vollständig ab.
Was passiert im Körper?
Die Wirkung des Gifts wird durch ein Steroidalalkaloid ausgelöst. Dieses setzt an den Natrium-Ionen-Pumpen der Zellen an und erhöht die Durchlässigkeit der Zellwände für Natrium-Ionen. Schlussendlich steigt die Natrium-Konzentration in den Zellen an, wodurch die Erregbarkeit der Nerven und Muskeln erhöht wird. Dies führt zu Muskel-Kontraktionen (ggf. Krämpfen), wiederholter und hoher Aktivität der Nervenzellen und Herzrhythmusstörungen.
Ab wann ist das Gift tödlich (Dosis)?
Zur konkreten Dosis habe ich keine Angaben gefunden. Die tödliche Dosis für Steroidalkaloide liegt zwischen 1,35mg und 3,5mg pro Kilogramm Körpergewicht.
Bei den Berichten zur Vergiftung handelte es sich um Verwechslungen mit anderen Pflanzenarten.
Anekdoten und Wissenswertes
Germer-Pflanzen sind nur während des Wachstums giftig. Danach nimmt die Toxizität beständig ab, zumindest in Nordamerika. In dieser Zeit sammeln die dortigen Ureinwohner die Wurzeln der Pflanze für medizinische Zwecke.
Die Wurzeln sind fünf- bis zehnmal so giftig wie die Blätter und Stängel der Pflanze.
Aus Spanien (17. Jahrhundert) ist ebenfalls ein Rezept für die Herstellung des Pfeilgiftes überliefert. Der Name des Giftes lautet „yerua de ballestero“ und wurde in der „Arte de Ballesteria y Monteria“ aufgeschrieben.
Quellen
[1] https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?141569-Pfeilgifte-Mythos-oder-nicht/page3 – aufgerufen am 09.02.2020
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Wei%C3%9Fer_Germer – aufgerufen am 09.02.2020
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Veratrum_album – aufgerufen am 09.02.2020
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Germer_(Gattung) – aufgerufen am 09.02.2020
[5] https://www.ars.usda.gov/pacific-west-area/logan-ut/poisonous-plant-research/docs/false-hellebore-veratrum-californicum/ – aufgerufen am 09.02.2020
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Steroidal_alkaloid – aufgerufen am 09.02.2020
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Steroidalkaloide – aufgerufen am 09.02.2020
[8] https://wagwalking.com/condition/hellebore-poisoning – aufgerufen am 09.02.2020
[9] https://www.ars.usda.gov/pacific-west-area/logan-ut/poisonous-plant-research/docs/false-hellebore-veratrum-californicum/ – aufgerufen am 09.02.2020
[10] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29490507 – aufgerufen am 09.02.2020
[11] https://en.wikipedia.org/wiki/Hypopnea – aufgerufen am 09.02.2020
[12] https://en.wikipedia.org/wiki/Bradycardia – aufgerufen am 09.02.2020
[13] „Hikers poisoned: Veratrum steroidal alkaloid toxicity following ingestion of foraged Veratrum parviflorum“; Anwar et al.; 2018 – aufgerufen am 09.02.2020
[14] https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.3109/15563650.2010.533675 – aufgerufen am 09.02.2020
[15] https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.3109/15563651003733666 – aufgerufen am 09.02.2020
[16] „Accidental Intoxication with Veratrum album“; Grobosch et al.; 2008
[17] „LC-EI-MS Determination of Veratridine and Cevadine in Two Fatal Cases of Veratrum album Poisoning“; Gaillard and Pepin; 2001
[18] „Greek Fire, Poison Arrows and Scorpion Bombs: Biological and Chemical Warfare in the Ancient World“; Adrienne Mayor; 2009
[19] „Poison Arrows – North American Indian Hunting and Warfare“; David E. Jones; 2007 (https://books.google.de/books?id=m2v8akdyZfwC – aufgerufen am 09.02.2020)
[20] „ARROW AND DART POISONS“; N.G. Bisset; 1989