Nachdem die am stärksten verfallenen Gebäude am Stadtrand sich als eher enttäuschende Nahrungslieferanten herausgestellt hatten, drangen sie tiefer ins Zentrum vor. Damit schafften sie das, was die Vegetation bereits einen Kilometer vor ihnen aufgegeben hatte. Eine graue Masse bedeckte den Raum zwischen den Gebäuden, durchsiebt von Kratern verschiedenster Größe. Ob die Menschen wohl lieber auf ihrem Mond gelebt hätten? Wenn Baldor sich die vereinzelten grünen Büschel wegdachte, die hier und da ihre Stellung behaupteten, war der Anblick genauso trostlos, wie der leblose Brocken dort oben.
"Warum lieben die Menschen es so, ihre Erde mit diesem grauen Zeug zu bedecken?"
"Wenn ich die Dokumentationsfilme des Satelliten richtig deute, gibt es auf der Erde keine Lebewesen, die in der Lage sind, zu schweben und gleichzeitig Lasten zu transportieren. All ihre Transporttiere oder später ihre Fahrzeuge waren an den Boden gebunden oder ans Wasser. Überall, wo es zu wenig Wasser gibt und man Strecken zu Land hinter sich bringen muss, haben sie sogenannte Straßen gebaut, auf denen die Fortbewegung leichter ist."
"Wie soll ein Hindernislauf um diese Löcher leichter sein, als einfach so über den Boden zu laufen?"
"Die meisten Straßen, die sie vor den Vetis hatten, sahen besser aus, Boss. Sie hatten weniger Löcher."
"Wenn ich Präsident der Erde wäre, würde ich sofort einige Tiere von Nethufia importieren."
"Selbst, wenn du Präsident der Erde wärst, würde dir das jetzt schwerfallen, Chef."
Baldor seufzte. Ja, jetzt ging das natürlich nicht mehr. Nethufia würde in seinen Gedanken ewig weiterexistieren, da war er sich sicher. So, als könne er jeden Tag einfach dorthin zurückkehren.
Sie erreichten eine Ruine. Ein großer grauer Klotz, gegen den ein verbeultes und vom Rost zerfressenes Metallschild gelehnt war. Der Wind stieß es immer wieder gegen die Fassade und das Klappern wurde gespenstisch von den umliegenden Ruinen zurückgeworfen. Symbole, die einst leuchtend bunt gewesen sein mussten, wiesen im schwachen Licht der Nacht nur noch wie eine weit entfernte Erinnerung auf etwas hin, das Baldor natürlich nicht verstand.
"Hey! Boss!", rief Ngi blechern erfreut aus.
"Was ist?", fragte Baldor genervt. Boss und Chef gingen ihm schon gehörig auf die Nerven.
"Weißt du, was das ist?"
"Nein, woher auch? Du bist bestimmt der Einzige, der hier einen Dokumentarfilm über die Erde gesehen hat."
"Das ist ein Supermarkt. Hier horteten und verkauften die Menschen Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände." Wow, er hatte zwei Sätze geschafft, ohne ihn Boss zu nennen.
"Also ein Ort, an dem wir wahrscheinlich etwas zu essen finden werden?"
"Vielleicht. Diese Orte waren bei einer Eiszombieapokalypse immer das erste Ziel für eine Plünderung. Es könnte aber noch etwas übrig sein ... Boss."
Baldor zuckte bei dem nachgeschobenen Boss zusammen und musterte, den verschütteten Eingang. "Alles klar, aber wie kommen wir hinein?"
Ngi hob die Augenbrauen, hob einen Finger und schnappte sich einen Felsbrocken, der im Eingangsbereich dieses Supermarktes lag. Baldor war ehrlich überrascht, dass wenigstens das reibungslos lief. Ein Dutzend weggeräumte Felsen später stiegen sie ein und Ngi stellte seine Augen auf den Scheinwerfermodus. Durch die Lichtkegel, die sie in den Raum warfen, schwamm eine Armee von Staubkörnern vorbei, von jedem ihrer Schritte in die Höhe geworfen. Die tiefen Spuren, die sie im staubbedeckten Boden hinterließen, erinnerten ihn wieder an Nethufia, an den Sand, durch den er so gern gelaufen war.
In der obersten Etage fanden sie nichts zu essen, aber etwas anderes.
"Hey Boss, schau mal, ich habe einen Ersatz für deinen Anzug gefunden." Ngi schwang etwas in der Luft, das Baldor nicht erkennen konnte, und wechselte in dieselbe Regalreihe, wie der Roboter. Im Licht der Scheinwerfer konnte er etwas aus blauem Stoff erkennen, das luftdicht in einer Tüte verpackt war.
"Konservierte Kleidung? Anders als bei ihren Gebäuden haben sie bei der Kleidung wenigstens an die Zukunft gedacht."
Er riss die Verpackung auf und ein sonderbar künstlicher Geruch schlug ihm entgegen. Er probierte die Hose, die zum Vorschein kam, an, aber sie war zu klein. Glücklicherweise war das ganze Regal mit Kleidungsstücken gefüllt. Er wühlte sich hindurch und fand schließlich etwas Passendes. Blaue Hosen und ein schwarzes Oberteil, mit dem Bild eines bedrohlich grinsenden Hais, unter dem irgendein menschlicher Text stand.
"Wie seh ich aus?" Wie ein Diplomat sicher nicht.
"Ganz passabel, Boss. Fast wie ein menschlicher Jugendlicher. Wenn da nicht die Haare und die fehlenden Schuhe wären."
"Schuhe, was soll das sein?"
"Das tragen die Menschen, um ihre Füße zu schützen. Auf der Erde liegen oft gefährliche Sachen rum, hauptsächlich Abfall. Ich würde dir raten, ebenfalls welche zu tragen."
Baldor sah auf seine Füße hinab. Er bewegte seine Zehen im der Staubschicht und wirbelte kleine Flocken auf. Bisher war ihnen nichts zugestoßen, aber wenn er sich jetzt in einem Gebiet befand, in dem die Menschen mit alle dem erwähnten Müll gehaust hatten, sollte er vielleicht auf Ngi hören. Also suchte er sich noch etwas in Schwarz und Grün raus, das Ngi als Turnschuhe bezeichnete.
Schließlich fanden sie den Weg in eine untere Etage und einen wahren Schatz an Nahrungsmitteln: Regale voller Dosen. Baldor fischte wahllos eine davon heraus und hielt sie in Ngis Licht.
"Ravioli", las der Roboter vor. "Mindestens haltbar bis: Siehe Deckel."
"Sind Ravioli gut?", wollte Baldor wissen.
"In den Dokumentationen über die Zombieapokalypsen haben die Überlebenden in der Regel Bohnen gegessen. Aber es ist Dosenfutter, also muss es gut sein."
"Kannst du das Ding öffnen?"
"Klar, Boss." Ngi nahm ihm die Dose ab, schob einen Finger in eine Metalllasche und zog sie auf. "Soll ich sie dir noch erhitzen?"
"Kannst du das?"
Ngi stellte die Dose auf dem Boden ab und richtete seinen Arm darauf. Der Gang flackerte rot auf und schon stieg Baldor der Geruch des dampfenden Inhalts in die Nase. Wenn sein Leibwächter seine Waffe doch auch mal einsetzen würde, wenn es darauf ankam.
Zwei Minuten später hatte er den Inhalt verschlungen.
Fünf weitere Minuten später hatte er sich übergeben. Er würde nie wieder menschliches Dosenfutter anrühren.