Die Tage kamen und vergingen. Die Venturas bemühten sich sehr, sich ihrer neuen Heimat anzupassen. Sie blieben die meiste Zeit zurückhaltend, um den anderen Predator die Chance zu geben, sich an sie zu gewöhnen. Wie jeden Morgen ohne Tirzah, war Laryn früh aufgestanden und hatte begonnen zu trainieren. Sie hatte weiterhin vor, ihren Status zu erhöhen. Die Trophäen die sich langsam aber sicher bei ihr zu Hause häuften, konnten nicht länger ignoriert werden. Delia schien dies mit ihren Freundinnen zu teilen, da Laryn überrascht feststellen musste, dass immer mehr Weibchen Fragen an sie hatten.
Entsprechend häufig fanden sich auch einige Weibchen beim Trainingsplatz ein, um Laryn zuzusehen. Diese Entwicklung war nicht bei allen Weibchen gern gesehen. Gerade die Älteren kritisierten häufig, dass dadurch Arbeit liegen blieb, doch diejenigen, die von dem Gedanken einer weiblichen Jägerin gefangen genommen worden waren, ignorierten es. Auch Delia war an diesem Tag wieder gekommen. Sie hielt Janna fest, die auf den Zaun geklettert war, um besser sehen zu können.
Laryn stützte sich auf ihren Fäusten ab und machte ihre Liegestützen. Wie Tirzah es ihr beigebracht hatte, ließ sie ihre Umgebung kein bisschen aus den Augen. Daher war ihr auch aufgefallen, dass auch heute wieder ein paar Weibchen gekommen waren, um ihr zuzusehen. Auch wenn sie sich dafür schalt, irgendwie… ehrte es sie.
„Guten Morgen, Delia und Janna“, grüßte sie sie. Man konnte ihre Anstrengung hören, aber das Lächeln fiel ihr noch leicht. „So früh schon wach?“
„Eine Jägerin muss immer früh auf sein!“, kam es prompt von Janna zurück und Delia lachte. Warum hatte sie nur das Gefühl, dass der Weg eines normalen Weibchens für ihre Tochter mehr und mehr uninteressant wurde? Allerdings hatte sie auch etwas ganz anderes beobachtet und das gefiel ihr. Die Männchen sahen nicht so abschätzend auf Laryn herab, wie sie gedacht hatte oder wie es in der Vergangenheit geschehen war, wenn ein Weibchen den Weg des Jägers verfolgt hatte. Auch jetzt beim Training konnte sie den einen oder anderen sehen, der sie beobachtete. Ob es die Tatsache war, dass sie keinem Clan angehörte und somit völlig allein stand? Oder dass sie trotzdem Trophäen sammelte, mit denen sie bei einer potenziellen Partnerin durchaus punkten konnte? Jedenfalls würde sie wohl nicht lange allein bleiben, sollte sich der erste Jäger dazu durchringen können und um sie werben. Allein, dass dies möglich war, offenbarte Delia eine ganz neue Sicht. Mit einem Mal war es für sie sehr wahrscheinlich, dass man dem Weg der Jägerin folgen und trotzdem eine stolze Mutter sein konnte. Ohne die Hand von dem Kleidchen ihrer Tochter zu nehmen, die sich ganz furchtlos auf die oberste Latte des Zauns gesetzt hatte, stützte sie das Kinn auf. „Willst du dir eigentlich einen Gefährten suchen?“, fragte sie nach.
Damit schaffte Janna es beinahe, dass Laryn von dem Zwang, lachen zu müssen zusammengebrochen wäre. Allerdings hatte sie sich schnell gefangen und konnte die Spannung angestrengt halten. Nach einem immer noch belustigten Laut drückte sie sich vom Boden weg. „Allerdings, Janna. Jeder Jäger sollte früh aufstehen um seinen Körper und Geist zu trainieren.“ Was dann kam, ließ Laryn innehalten. Ohne aufzustehen blickte sie zu Delia. Dann fuhr sie mit ihren Übungen fort. „Ich glaube nicht, nein.“
„Warum nicht?“, kam die prompte Frage zurück. Natürlich war Delia aufgefallen, dass ihre Freundin für einen Moment gestockt hatte. Traute sie sich nur nicht, den Gedanken an einen Gefährten auszudrücken, weil sie so anders aussah? Oder fürchtete sie, dass sie niemand beachten würde? Wobei... Ein ganz anderer Gedanke kam dem jungen Weibchen. Laryn war anders und ein Jäger suchte sich seine Gefährtin doch in erster Linie, um Kinder mit ihr zu zeugen. Aber hatte Laryn nicht zum großen Teil die gleichen Gene wie sie? Waren sie genetisch dennoch inkompatibel?
„Ich denke nicht, dass du lange allein bleiben würdest“, gab sie dennoch von sich und nickte unauffällig in Richtung eines Jägers, der zwar ein Messer in der Hand hielt, dessen Aufmerksamkeit jedoch eindeutig nicht auf der Waffe lag. Janna sah ebenfalls in die Richtung. Nicht ganz so unauffällig, wie ihre Mutter. Abschätzend legte sie den Kopf schief. „Der ist aber nicht so toll wie Tirzah!“, gab sie ihre eigene Meinung kund. „Wie stark muss er sein, wenn er im Rat sitzt, auch wenn er keinen Clan hat!“
Laryn antwortete nicht. Sie machte einfach ihre Liegestützen, auch wenn ihre Gedanken nun wieder bei Tirzah lagen. Die meiste Zeit des Tages konnte sie ihn aus ihrem Kopf verbannen, aber nun hatte Delia sie wieder gezwungen an ihn zu denken. Bei den Göttern, er fehlte ihr. Als sie noch zu zweit durch die Galaxie gestreift waren, hatten sie stundenlang miteinander geredet oder sich auch stundenlang gegenseitig angeschwiegen. Sie hatten rumgealbert, aber auch Geschichten geteilt. Wobei sie lange nicht so viele erzählen hatte können, wie ihr Gefährte.
Die Jägerin sah nur kurz in die Richtung, in die Delia gedeutet hatte. Sie kannte den Predator nur flüchtig. Er war immer zur selben Zeit wie sie hier und trainierte. Dass er allerdings gerade nicht seine Waffen sondern sie beobachtete, war ihr nicht aufgefallen. Die Blicke die ihr zugeworfen wurden, schob sie immer auf ihr fremdes Aussehen, nicht auf Eventualitäten. Vor allem hatte sie kein Interesse. Sie hatte einen Gefährten und sie war völlig glücklich mit dieser Bindung. Prompt aber meinte Janna etwas, dass sie kaum ignorieren konnte. „Mein Meister ist in der Tat ein starker Predator…“, gab sie so leise von sich, dass sie selbst es kaum hören konnte.
Begeistert sprang Janna auf diese Vorlage an. „Ja, er ist stark und groß und er hat ganz sicher sooooo viele Trophäen gesammelt.“ Sie holte weit mit den Armen aus, um einen riesigen Berg anzudeuten. Hätte ihre Mutter sie nicht festgehalten, wäre sie dabei bestimmt vom Zaun gepurzelt. Kichernd hielt sich das Mädchen fest. „Wenn ich mal groß bin, werde ich um ihn werben!“, legte sie fest.
Delia schüttelte sacht den Kopf. „Ersteinmal musst du aber erwachsen werden“, stellte sie fest und Janna nickte eifrig. Dem Weibchen war jedoch aufgefallen, dass ihre Freundin nicht auf die Frage geantwortet hatte, die sie ihr gestellt hatte. „Warum willst du dir keinen Gefährten suchen?“, wiederholte sie diese.
„Weil sich niemand mit einem Streuner abgeben würde!“, kam die ungebetene Antwort vom Platz. Rikkar stand dort und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
Wieder brachte Janna Laryn damit zum Lächeln. Ja, Tirzah hatte einst eine beachtliche Sammlung an Trophäen besessen und mittlerweile war schon wieder einiges zusammen gekommen. Was sie dann sagte, ließ ihr Lächeln sofort verschwinden. Augenblicklich rief sie sich zur Ruhe. Janna war ein junges Mädchen. Bis sie alt genug war, würde noch viel Zeit vergehen und in der Zwischenzeit – so hoffte sie zumindest – würde Tirzah veröffentlichen, dass sie mehr als die Beziehung zwischen Meister und Schüler verband.
Delia blieb hartnäckig. Sie stellte erneut die Frage, auf die sie nicht geantwortet hatte. Sie wollte ihr gerade erklären, dass es für einen Predator wenig Sinn machen würde, sie zu seiner Gefährtin zu erwählen, wenn sie keine Kinder zeugen konnte, da hatte schon jemand anderes darauf geantwortet. Es war Rikkar.
Thanos, der gegenüber von ihr lag und über sie gewacht hatte, hob seinen Kopf und fletschte augenblicklich seine Zähne. Auch in Laryn kroch Wut auf, die sie allerdings nicht so leichtfertig freilassen würde. Elegant kam sie auf die Füße und blickte dem Jäger völlig unberührt entgegen.
„Du weißt genauso wie jeder andere, Rikkar, dass ich kein Streuner mehr bin. Und so recht ich mich entsinne, steht dir mit deinem niederen Rang nicht zu, zu entscheiden, wer seine Zeit mit mir verbringt und wer nicht", antwortete sie ruhig.
Rikkar knurrte wütend, als Laryn ihm so dreist die Stirn bot. Leider konnte er ihr nichts befehlen, da sie kein Mitglied des Cobras-Clans war. Dort stünde er im Rang über ihr. Sie hatte gerade mal die Initiation bestanden und da wagte sie es, derart mit ihm zu reden? „Werde bloß nicht übermütig“, gab er zurück. „Nur weil der Rat dich vorerst akzeptiert, bedeutet das noch lange nicht, dass du irgendwelche Rechte besitzt. Du bist und bleibst ein Streuner!“ Argwöhnisch lag sein Blick auf dem Dusoq, der ihn anknurrte. Seine Hand lag schon längst auf dem Griff seines Messers. Er konnte nicht zuerst angreifen, doch wenn das Schoßtierchen Tirzahs ihn zuerst angriff, hätte er jedes Recht, dieses Vieh zu töten. Ob das dem großen ehrlosen Cleaner gefallen würde?
Laryn verengte ihre Augen, als sie sah, dass Rikkar nach seinem Messer griff. Thanos bemerkte dies ebenso und wurde angespannter. Gut, dass sie darauf vertrauen konnte, dass er nur auf ihren Befehl angriff. Die Jägerin trat furchtlos einen Schritt auf den Verräter zu. „Ist das so?“, fragte sie. Das Knurren ihres treuen Begleiters wurde lauter. „Du stellst also nicht nur die Prüfer in Frage, die meine Initiation und Erlangung meines Status beobachtet haben – indes auch Rechten und Pflichten – sondern auch die Entscheidung des Rates, dies anzuerkennen. Interessant.“
Rikkar verzog wütend das Gesicht, doch er zwang sich zur Ruhe. Lieber verließ er sich auf Spott, dann konnte ihm kaum jemand einen Vorwurf machen. Immerhin hätte nicht er zuerst angegriffen. „Ich stelle niemanden in Frage, außer dieses mickrige Menschlein, das behauptet, eine von uns zu sein“, widersprach er. „Der Rat ist lediglich ein Opfer eines ehrlosen Verbannten! Bisher hat er immer den Platz eines Rates ausgeschlagen und weshalb? Damit er nun zurückkehren und sich als Usurpator aufspielen kann. Dem Rat kann nicht einmal ein Vorwurf gemacht werden. Er wurde erpresst.“
Vollkommene Stille herrschte für einen Moment auf dem Platz. Lediglich Thanos' Knurren war zu hören. Dann erklangen Schritte. Beraht, ein Venturas trat näher. Beinahe nebensächlich hatte er seine Glaive, eine speerartige Waffe mit je einer geschwungenen Klinge an den Enden, über die Schultern gelegt. Beide Hände locker auf dem Griff. „Wenn du eine Herausforderung aussprechen willst, warum tust du es nicht einfach?“, fragte er demonstrativ. Er war sich bewusst, dass Laryn keinen Schutz benötigte, doch dieses feige Beleidigen ging ihm gegen den Strich. Vor allem, da es von einem Jäger kam, der eindeutig minderwertig war.
Laryn verengte ihre Augen. „Es war ein faires Abkommen und es wundert mich, dass du dich traust ‚ehrlos‘ überhaupt in deinen Mund zu nehmen. Wer sonst handelt gegen den Befehl eines Ranghöheren?“ Es war ein Befehl gewesen! Ein Befehl, ihr die Kette zu geben! Alles hätte weitaus besser sein können, hätte er nur getan, was Tirzah von ihm verlangt hatte. Beraht trat näher. Auf seine Worte, musste die Jägerin spöttisch lächeln und wandte sich von dem Predator ab.
„Lass gut sein, Beraht“, meinte sie ruhig zu dem Venturas. Sie kannte ihn gut. Er hatte sie nicht nur der Geschichten der alten Völker gelehrt, sondern auch mit ihr gekämpft. „Würde er sich trauen, hätte er es längst getan. Er ist nicht nur ein Dieb, der mir meine Waffen und meine erste Trophäe gestohlen hat, sondern auch ein Idiot. Jeder weiß, dass Menschen keine Jahrhunderte alt werden", ohne mit der Wimper zu zucken gab sie diese Worte von sich. Allerdings hatte auch sie nicht länger Lust auf dieses Getue. Nur leicht verbeugte sie sich, um Beraht Respekt zu erweisen. „Ich würde mich geehrt fühlen, wenn du ein paar Runden mit mir kämpfen würdest.“
„Du wagst es mich zu beleidigen!?!“, fauchte Rikkar. Nun zog er sein Messer. „Es war nicht einmal rechtmäßige Beute!“ Thanos' Knurren wurde lauter und er machte sich zum Sprung bereit.
In einer einzigen fließenden Bewegung hatte Beraht seine Glaive von der Schulter genommen und herum geschwungen. Die Klinge lag direkt an Rikkars Hals, minimal die Haut ritzend. Er sah den anderen nicht einmal direkt an. „Von einer ehrenhaften Herausforderung hast du auch noch nichts gehört, wie ich das sehe...“ Gelassen nahm er die Waffe herunter, bevor Rikkar reagieren konnte. Gekonnt die Glaive schwingend, trat er einen Schritt zur Seite, um mehr Platz zu haben. „Es wäre mir eine Ehre, mich mit dir zu messen“, grinste er Laryn an und neigte den Kopf.
Laryn hätte nicht gedacht, dass Rikkar bei all den Weibchen die ihre Konversation folgten, sie so hinterrücks angreifen würde. Überrascht hatte es sie aber auch nicht. Wäre Beraht nicht gewesen, so hätte sie bestimmt einen Schnitt kassiert. Laryn drehte sich zu diesem Idioten um und zeigte ihm einen warnenden Blick, ehe sie wenige Schritte Richtung Platzmitte ging und sich positionierte, damit sie sich mit Beraht messen konnte.
Thanos beruhigte sich wieder, als er sah, was der Ventura tat, als Laryn in Gefahr kam. Sie ließen Rikkar stehen, sodass der Dusoq mit einem spöttischen Schnauben aufstand und ihnen ein Stück weit folgte.
Für einen Moment überlegte Rikkar noch, ob er nicht doch noch eine Herausforderung aussprechen sollte, doch das sähe dennoch wie eine Niederlage aus und diese Blöße wollte er sich nicht geben. Nicht gegenüber einem Streuner und einem Verbannten. Leise vor sich hin fluchend verließ er den Platz. 'Irgendwann', schwor er sich. 'Irgendwann würde er diesen Streuner endgültig an seinen Platz verweisen.
Erleichtert atmete Delia auf, als Rikkar verschwand. Es war kein Geheimnis, dass dieser und Tirzah sich nicht verstanden und wenn sie sich auf eine Seite schlagen sollte, dann war es die des Rates. Selbst ihr Gefährte sah es so. Es war nicht so, dass Rikkar ehrlos war oder ein schlechter Jäger, doch er ließ oftmals sein Temperament über seine Fähigkeiten herrschen, was dafür sorgte, dass er sich etwas mehr um Weibchen bemühen musste. Interessiert sah Delia mit ihrer Tochter zu, wie sich Laryn und der Venturas gegenüber standen. Es war ein interessantes Bild. Der Venturas überragte sie bei Weitem und dennoch war nicht einmal ansatzweise Unsicherheit bei der Jägerin zu erkennen.
Es war nicht das erste Mal, dass sie sich im Kampf messen würden und Beraht fand es immer wieder erstaunlich, wie gut Laryn geworden war. Die meiste Zeit endeten ihre Kämpfe in Unentschieden oder äußerst knapp zugunsten einen von ihnen. Sie waren sich trotz ihres unterschiedlichen Äußeren gleichwertige Gegner. Geschickt schwang er die Glaive und trat taxierend einen Schritt seitwärts.
Laryns Blick wurde ernst. Sie hatte Beraht nie unterschätzt. Er war ein starker und ebenbürtiger Gegner. Auch er hatte ihr einiges beibringen können. Sie zog ihre beiden Messer und drehte sie in ihren Händen. Sie machte ebenso wie er einen Schritt zur Seite und drehten dabei eine Runde, während sie sich gegenseitig abschätzten. Dann griffen sie an.
Der Kampf endete damit, dass Beraht und sie auf dem Boden saßen und angestrengt nach Luft schnappten. Ihr Blick wanderte zu ihrem Gegner und… sie lachte. „Das war ein guter Kampf“, lobte sie ihr beider Tun, verzog aber ihr Gesicht augenblicklich, als sie den Schlag merkte, den er ihr in den Rumpf verpasst hatte. Immer noch standen einige Weibchen am Zaun und hatten den Kampf verfolgt. Und siehe da, eines von ihnen begann plötzlich ihre Reize spielen zu lassen. „Na sieh mal einer an…“, machte sie Beraht flüsternd aufmerksam. „Willst du ihr mal 'Hallo' sagen?“
Beraht folgte dem Blick Laryns. Als er das Weibchen sah, begann er zu grinsen. Geschmeidig kam er auf die Beine. Als er mit den anderen Yautja-Prime hatte verlassen müssen, war er noch ein Kind gewesen. Das war das erste Mal überhaupt, dass ihm ein Weibchen Avancen machte. Nicht, dass es ihm überhaupt an Selbstbewusstsein mangelte. Die Venturas waren trotz allem Jäger und strebten nach Perfektion. Doch dies plötzlich von einem Weibchen anerkannt zu sehen, fühlte sich großartig an.
Gekonnt schwang er seine Waffe. „Ich denke, ich werde ihr mal 'Hallo' sagen“, meinte er zu Laryn, bevor er langsam zu dem Weibchen schlenderte. Nicht zu schnell, zumal er nahezu beiläufig auf seinem Weg seine eigenen Vorzüge zur Schau stellte. Er ließ die Muskel spielen und präsentierte seine Narben, die ihn als erfolgreichen Jäger auswiesen.
Laryn konnte gar nicht anders, als zu lachen. Vor allem, als Beraht gekonnt seine Muskeln spielen ließ und das Weibchen zu schnurren begann. Prompt fiel ihr Tirzah ein. Nein, bei ihr hatte er das nicht machen müssen. Sie war in seinen Händen gleich dahingeschmolzen wie Eis in der Sommerhitze. Mit einem tiefen Atemzug kam sie auf die Beine und ließ die Messer wieder in die dazugehörigen Scheiden verschwinden.
„Das war großartig!“, meinte Janna, die über den ganzen Kampf mit ihrer Mutter geblieben war. „Vor allem als er das gemacht hat und du dann so ‚Warrrr!‘ und dann-!“ Laryn schmunzelte amüsiert über die Imitationen des Mädchens.
Interessiert sah Delia zu dem Jäger und dem Weibchen, die sich offenbar schon ziemlich einig waren, wohin ihre Begegnung führen sollte. Sie gönnte es ihnen beiden. Auf die Begeisterung ihrer Tochter, lachte sie ebenfalls. War sie selbst als Kind jemals so begeistert von etwas gewesen? Sie konnte sich nicht entsinnen. Schon gar nicht gegenüber einer Jägerin. Das Auftauchen Laryns und deren Erhebung zu Jägerin hatte vieles geändert. Auch die Venturas und Tirzah als unabhängiger Rat brachten Veränderung. Vielleicht war es tatsächlich an der Zeit, neue Wege einzuschlagen.
Delia lehnte sich an den Zaun und sah ihre Freundin an. „Würdest du mich unterrichten?“, fragte sie gerade heraus. Augenblicklich ruckte der Kopf ihrer Tochter zu ihr herum. Mit offenem Mund starrte das Mädchen ihre Mutter an. Dann hatte sie sich gefasst. „Ich will mitmachen!“, legte sie fest, noch bevor Laryn überhaupt antworten konnte.
Laryn zog gerade ihre Rüstung etwas fester, als sie die Bitte Delias hörte. Ihr Kopf ruckte zu ihrer Freundin und… irgendwie fühlte sie sich geschmeichelt. Der Deal zwischen ihnen, dass sie vom Leben einer Jägerin erzählte und sie von dem Leben einer Mutter hielt immer noch an, aber dass ihre Interesse so steigen würde, dass sie selbst den Weg einer Jägerin gehen wollte, hätte sie nicht gedacht. Aber konnte sie das vereinbaren? Es war gefährlich. Nur ein Fehler bei der Jagd und sie könnte sterben. Ein wertvolles Weibchen wäre verloren gegangen und nicht nur das. Auch eine Mutter und Gefährtin. Laryn stützte sich auf dem Zaun ab und blickte ihr ins Gesicht. Jannas Bitte, mitmachen zu dürfen, beantwortete sie vorerst nicht.
„Es ist gefährlich und du wirst mehr als einmal an dir zweifeln. Denke daran, dass du bei jeder Jagd sterben könntest“, sprach sie ungewöhnlich ernst mit ihr. „Du wirst teilweise verletzt nach Hause zurückkehren und Schmerzen erleiden, die du sonst nie kennen lernen würdest. Wenn du es wirklich willst, dann werde ich alles tun, um dich unterrichten zu können.“
Delia überlegte. Schon mehr als ein Mal hatte sie ihren Gefährten verletzt gesehen und geholfen, seine Wunden zu versorgen. Natürlich war ihr die Gefährlichkeit des Lebens als Jägerin bewusst und sie hatte diese Bitte nicht leichtfertig geäußert. Dennoch gönnte sie sich einen Moment, um sich selbst ein weiteres Mal zu hinterfragen. War ihr das Risiko es tatsächlich wert? Nach einem Augenblickl lächelte sie Laryn an. „Ich weiß“, sagte sie schlicht. „Dennoch: Bitte unterrichte mit und lehre mich den Weg einer Jägerin.“
Warum sie diese Bitte äußerte? Wohl weil sie bisher ihr Leben nach den Regeln anderer gelebt hatte. Sie hatte die Pflichten eines Weibchens gelernt, wie man ein Männchen umwirbt und Kinder heranzog. Bis auf die Wahl, welchen Partner sie haben wollte, hatte sie noch keine einzige wichtige Entscheidung selbst getroffen. Es war an der Zeit anzufangen. Und wenn ihr Gefährte sie dann nicht mehr wollte, würde sie einen anderen finden.
Ganz genau beobachtete Laryn das Mienenspiel ihrer Freundin. Als diese ihre Bitte aber nicht zurückzog, nickte sie und stieß sich vom Zaun ab. „In diesem Fall muss ich zum Rat gehen und ihn um Erlaubnis bitten, ob ich eine Clanfremde unterrichten darf.“ Ihr Blick glitt zu dem Tempel, in der sich eben besagter Rat befand. Es war das erste Mal, dass sie sie um etwas bitten durfte. Das letzte Mal, als sie alleine um die Erlaubnis gefragt hatte, zu sprechen ohne überhaupt den Status einer Jägerin zu besitzen, hatte Tirzah sie zurechtgewiesen. Wenn auch schlicht mit Worten. Jeder andere hätte sie damals geschlagen. Ohne länger zu zögern machte sie sich auf den Weg. Thanos folgte ihr mit trottendem Schritt. Gedanklich überlegte sie, wie sie sich am besten ausdrücken sollte.
Die Gänge des Tempels waren dunkel und nur spärlich beleuchtet. Das änderte sich allerdings, als sie sich dem Halbkreis die die Sitze des Rates formten, näherte. Ein Cobras trug gerade ein Anliegen vor. Während sie sich lautlos hinter den Säulen, die den beachtlichen Raum stützten, im Schatten bewegte, beobachtete sie die kunstvollen Verzierungen der Wände. Trophäen und Bilder, die von heldenhaften Taten der Ratsmitglieder erzählten. Ihr Blick huschte zu Tirzah, der in der Mitte des Halbkreises saß und sich immer noch den Vortrag anhörte. So ruhig und beherrscht er für alle anderen wohl wirkte, konnte sie genau sehen, wie gelangweilt und angespannt er war. Er wollte hier raus.
Thanos blieb ruhig. Es war, als würde er genau wissen, dass er jetzt nicht auf seinen Herren und Freund stürzen durfte, so sehr es ihn auch danach verlangte. Er folgte Laryn einfach auf leisen Pfoten, was sie mehr als nur stolz machte.
Schon längst hatte Tirzah, und wohl auch die anderen Räte, bemerkt, dass sich jemand zu ihnen gesellt hatte. Was er wusste, die anderen jedoch nicht, dass es Laryn war. Es kannte jedoch auch wohl keiner ihre Schritte, so gut wie er. Ebenso das nahezu lautlose Tapsen von Thanos. Was die beiden wohl hier her führte? Seine Gefährtin wusste gut genug, dass sie nicht wegen jeder Kleinigkeit beim Rat vorsprechen durfte. Wobei dies wohl viele andere weniger interessierte. Eindeutig ein Punkt, der sich ändern musste.
Kryz wandte sich ihm zu. „Wir würden ihm die Erlaubnis erteilen“, gab er bekannt. Tirzah nickte und gab damit offiziell seine Zustimmung. Warum auch nicht. Nur weil er Veto einlegen durfte, hieß es noch lange nicht, dass er es bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch tat. Vor allem weil der gesamte Rat noch angespannt war. Keiner von ihnen behagte es, dass es nun jemanden gab, der sie alle überstimmen konnte. Sie waren es nicht gewohnt, um Erlaubnis zu bitten, wenn es um eine Entscheidung ging. Vielleicht sollte er mit ihnen abmachen, dass er grundsätzlich einverstanden war und wenn nicht, es schon sagen würde. Immerhin hatte der Rat die letzten Jahrtausende auch funktioniert.
Als Ratsoberhaupt bestätigte er die Entscheidung und nach einem respektvollen Gruß verabschiedete sich der Cobras. „Was führt dich hier her, Laryn?“, fragte er. „Tritt vor und nenn uns dein Anliegen.“
Und Laryn tat, wie ihr geheißen. Sie trat vor, legte ihre Hand auf die Brust und neigte respektvoll ihren Kopf, um den Rat zu grüßen. Ihr Blick wanderte zuerst durch die Runde, ehe sie sich wieder an Tirzah aber auch zugleich an Kryz wandte. Es lag hauptsächlich an ihnen.
„Ein Weibchen der Cobras bat mich darum, sie den Weg des Jägers zu lehren“, begann Laryn, wobei sie sich versuchte, kurz zu halten. „Da ich Clanfremd bin, obliegt es nicht meiner Macht zu entscheiden, ob dies gemäß den Vorstellungen der Cobras ist. Vor allem, wenn sie auf der Jagd fallen und zwei Kinder dem Clan überlassen könnte.“
„Die Aufgabe eines Weibchens liegt nicht in der Jagd“, gab Kryz mit ernster Stimme zu bedenken. „Sie sollte helfen, den Clan zu ernähren und starke Nachkommen zur Welt bringen.“ Er sah die Jägerin ernst an. „Du bist ohnehin eine Ausnahme, doch du bist auch nicht in der Lage Kinder zu bekommen. Von daher solltest du nicht von dir auf andere schließen.“
Tirzah hob die Hand ein Stück und brachte Kryz damit zum Schweigen. In erster Linie, damit dieser nicht noch weiter ausführte, wie sehr sich Laryn von den anderen Weibchen unterschied. Zum Anderen, weil er wusste, wie sehr es sie beschäftigte, dass sie keine Kinder bekommen konnte. „Wie ist der Name des Weibchens und ihres Gefährten?“, fragte er stattdessen nach. Bewusst sprach er mit ihr, wie mit jedem anderen, der hier vorstellig wurde.
Sie hörte genau zu, was Kryz zu sagen hatte. Sollte es sie wundern, dass der Rat wusste, dass sie keine Kinder zeugen konnte? Eigentlich nicht. Sie wussten es bestimmt schon seit Tirzah sie zum ersten Mal nach Yautja-Prime gebracht hatte. Es war sein Auftrag gewesen, sie zu beobachten und die Informationen über sie abzugeben. Nur ihr war es erst gesagt worden, als sie bei der Army aufgenommen worden war. Ihr Gefährte brachte das Ratsoberhaupt der Cobras zum Schweigen und lenkte somit ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Delia und Makish."
Tirzah gab die beiden Namen in den Computer ein, der prompt ihm und allen anderen Mitgliedern des Rates die entsprechenden Informationen präsentierte. Makish war kein junger Jäger mehr, er hatte bereits viel Ansehen gesammelt und nannte mehrere Weibchen sein Gefolge. Delia war nicht einmal sein oberstes Weibchen und noch recht jung. „Sie ist nicht das oberste Weibchen des Haushalts“, fasste er kurz zusammen. „Drei Kinder, zwei davon noch in Aufzucht, die jedoch beide ins Erwachsenenalter übergehen, noch bevor die ersten Prüfungen anstehen würden.“ Er wandte sich den anderen Räten zu. „Es spräche nichts dagegen.“ Ihm war all dies nicht unbekannt. Immerhin hatte er Delia selbst ausgesucht, damit sie Laryn das normale Leben auf Yautja-Prime näher brachte.
„Ein Weibchen soll sich um den Clan und die Nachkommen sorgen, nicht um Jagden und Trophäen“, wandte Galvar ein. „Es ist nicht richtig, dass ein Weibchen sein Leben dafür riskiert. Sie muss sich nicht beweisen. Wenn eines erst anfängt, werden andere folgen. Letztendlich wäre unser ganzes Volk betroffen und könnte sogar an den Rand der Existenz gedrängt werden.“ Zustimmendes Gemurmel folgte.
„Ihre Einwände sind rechtens“, meldete Laryn sich zu Wort. „Aber ich bin mir sicher, dass dies nicht zum Ende eurer Existenz führen würde. Nur weil ein Weibchen den Weg des Jägers einschlägt, heißt das noch lange nicht, dass sie keine Kinder haben wird. Das Risiko ist höher, dass sie ihr Leben verliert, aber dennoch hättet ihr eine Kriegerin mehr, was dazu noch den Clan stärkt. Ebenso würde sich die Wahl auf ein Weibchen für die Männchen teils attraktiver gestalten. Wenn sich Delia zur guten Jägerin entwickeln würde, dann ist es wahrscheinlich, dass sie ebenso starke Kinder zeugen wird. Sie würde die Regeln ihren Kindern noch im Kindesbett nahelegen können. Vor allem kann es nicht für jedes Weibchen in Frage kommen, Jägerin zu werden. Viele sind mit ihren Aufgaben zufrieden, den Clan zu umsorgen.“
Tirzah verkniff sich ein Schmunzeln, als Laryn ihre Argumente vorbrachte. Es war nicht üblich, dass sich ein Außenstehender in die Entscheidungen des Rates einmischte, doch er hielt sie nicht auf. Immerhin waren das gute Einwände. „Es mag im Moment nur ein Weibchen sein, das diesem Weg folgen will“, wandte er ein. „Wir sollten jedoch nicht außer Acht lassen, dass es schon immer welche gab, die Jägerinnen werden wollten.“
„JA und sie alle haben früher oder später versagt!“, warf Marooth ungebeten ein. „Sie mag eine Ausnahme sein, doch das ist ihre alleinige Existenz. Weibchen sind nicht dafür geschaffen zu jagen.“
Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte sich Tirzah erhoben. Wortlos fixierte er den anderen Rat mit seinem Blick. Es war unter den Räten eine Respektlosigkeit, den anderen nicht aussprechen zu lassen, doch gerade ihm gegenüber schien es doppelt zu reizen. „Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass es schon immer Weibchen gab, die dem Weg der Jäger folgen wollten“, wiederholte er sich, ohne seine Stimme auch nur ein Stück zu heben. „Die Frage ist doch eher, ob sie nicht versagt haben, weil wir sie nicht mit allen Mitteln vorbereitet haben. Ebenso sollten wir bedenken, was es für Konsequenzen haben könnte, verweigerten wir den Weibchen eine eigene Wahl dahingehend. Wir sind keine Barbaren, die es nötig haben, ihre Weibchen zu unterdrücken. Ich denke, wir sind uns einig, dass wir über dieses primitive Benehmen weit hinaus sind.“ Einen Moment lang schwieg er und ließ seine Worte wirken. „Unsere Weibchen sind stark an Körper und Geist. Es wäre töricht zu glauben, wir könnten ihnen einen Versuch verbieten. Lassen wir ihnen die Wahl, so lange dem Clan und den Kindern dadurch kein Schaden zugefügt wird.“ Gerade Marooth, der noch immer absolut dagegen eingestellt schien, warf er noch einen Blick zu. „Wir könnten es auch in die Hände eines jeden Clans legen zu entscheiden“, gab er zu Bedenken. „Doch was ist, wenn sich ein Clan dagegen entscheidet? Was werden die Weibchen, die Jägerinnen werden wollen, dann wohl tun?“ Es war eine rein rhetorische Frage, die keiner Antwort bedurfte. Besagte Weibchen würden sich von ihrem Clan lossagen und zu einem anderen überlaufen, der ihnen diese Möglichkeit bot. Was wiederum eine Schwächung des verlassenen Clans mit sich zog.
Tirzah setzte sich. „Ich bin dafür, dass wir den Weibchen diese Möglichkeit eröffnen.“ Einen Moment später nickte Kryz und gab damit seine Stimme dafür ab. Auch die anderen rangen sich zu einem Nicken durch. „Du hast die Erlaubnis“, gab er Laryn mit. Am Abend würden, wie jeden Tag, die Clanumfassenden Entscheidungen durch das Netzwerk offiziell gemacht werden. Dann würden sie ja sehen, ob sich noch mehr Weibchen für diesen Weg entschieden.
Selbst Laryn blieb kurz das Herz stocken, als Tirzah sich erhob, um gegen diese Respektlosigkeit vorzugehen. Ein Schauer glitt ihr den Rücken hinab und… erregte sie. Wenn sie nur an das letzte Mal dachte oder… an andere Male. Verflucht! Ihre Gedanken schweiften ab!
Und plötzlich hatte sie die Einwilligung! Sie hatte sie! Ohne ihren Gefährten hätte sie das wohl auch kaum geschafft. Ihre Mundwinkel hoben sich nur kurz, ehe sie ihre Hand auf die Brust legte und sich mit ihrem Verneigen bedankte. Aber was war das? Ihre Hand hatte ihren Haargummi gefunden und zog ihn heraus, als sie sich umdrehte, um zu gehen. Ihre Finger fuhren über ihren Kopf, lösten die sorgfältig geflochtenen Strähnen. Wie eine einzige schwarze Welle fiel ihr Haar über ihre Schultern. Ohja, sie wusste, dass Tirzah seine Finger nur zu gerne darin vergraben würde. Eine kleine Erinnerung, die sie ihren Gefährten in den Kopf stieß. Wie gut, dass der Rat nicht sehen konnte, wie sehr sie grinste, als sie den Tempel verließ.
Wieder einmal regte sich Stolz in Tirzah, als sich Laryn nach allen Regeln respektvoll verabschiedete. Was sie dann jedoch tat, ließ ihm für einen Moment den Atem stocken. Sie löste ihren Zopf und löste ihre Frisur auf. Augenblicklich wollte er nichts weiter, als selbst mit beiden Händen durch die schwarze Flut zu streichen, diese seidigen Strähnen zu würdigen. Mit aller Gewalt rief er sich zur Ruhe. Alles zu seiner Zeit und er musste dafür sorgen, dass bald die Zeit war, sonst würde er noch überschnappen. So lang er seine Gefährtin nicht sah, war es etwas einfacher, doch es änderte nichts an dem Bedürfnis, in ihrer Nähe zu sein. Jahrzehnte hatten sie miteinander verbracht. Größtenteils auf ihrem Schiff auf engstem Raum. Diese plötzliche Distanz war zwar nicht unerwartet, aber es raubte ihm seine Geduld.
tbc...