Die darauffolgenden Tage waren furchtbar. Es gab keine Chance, dass Rhutvak Tirzah um ein Gespräch bitten konnte, so gern er auch wollte. Niemand konnte das. Wenn er ihn sah, dann nur, wenn er die Tür hinter sich schloss. Er wusste nicht einmal, was aus Laryn geworden war. Hatte er sie bestatten dürfen? Aß sein Freund überhaupt noch was?
Die Entdeckung, die der Venturas eine Woche nach Laryns Tod machte, machte es nur um so schlimmer. Um Laryns Erbe nicht vollständig zu verlieren, hatte Rhutvak begonnen, sich um die Jägerinnen zu kümmern. Delia natürlich eingeschlossen. Das eine oder andere Gespräch ließ ihn mehr und mehr hinterfragen, was geschehen war und als er schließlich die Gewissheit hatte, machte er sich auf den Weg zum Rat.
Interessiert sah Kryz auf, als sich die Türen der Ratshalle öffneten und Rhutvak eintrat. Die letzten Tage war es erstaunlich ruhig gewesen. Was genauer betrachtet wohl weniger verwunderlich war. Das Volk trauerte und verarbeitete noch seinen Schock. Dennoch waren Vorwürfe aufgekommen, die mit jedem Tag lauter wurden. Hätten die Weibchen nicht das Recht bekommen, über die Nachkommen mit zu bestimmen, die eigentlich bei ihren Erzeugern sein sollten, wären nicht so viele Kinder im Frauenhaus gewesen. Trotzdem war der Rat noch nicht soweit, diesen Entschluss rückgängig zu machen.
„Was führt dich vor den Rat?“, fragte er den Venturas.
Rhutvak verneigte sich kurz, da erteilte im Kryz schon das Wort. Er sah jeden einzelnen der Räte an. Der Stuhl Tirzahs war leer. Kein Wunder. Gut, dann hatte er erst einmal die Chance es ihnen zu erklären, bevor sie es ihm sagen würden, der zweifelsohne… nicht begeistert sein würde.
„Wir haben alle einen Fehler gemacht. Laryn war unschuldig."
Die Ratsmitglieder sahen sich erstaunt an. Wie konnten sie einen Fehler gemacht haben? Wie konnte es sein, dass Laryn unschuldig gewesen war. Sie alle hatten die Aufzeichnungen gesehen! Kryz beugte sich ein Stück vor. „Welche Beweise hast du?“, fragte er nach. Rhutvak war alt genug um zu wissen, dass er nicht nur eine Behauptung aufstellen konnte.
Rhutvak begann die Einstellungen seines Computers zu ändern, der bisher nur mit dem Netzwerk der Venturas verbunden war. „Wie ihr wisst, wurde Laryn einst von den Venturas erschaffen. Sie konnte nicht nur selbst denken, handeln und lernen. Wir hatten Zugriff auf ihr Bewusstsein, was vor allem zu Beginn nicht nur wichtig, sondern überlebensnotwendig für sie war. Erst nachdem wir sicher sein konnten, wurde die Verbindung gekappt. Wie ich glaubte, endglültig.
Ihre Taten waren für mich jedoch ein Rätsel. Also begann ich zu suchen und fand dies." Er stellte die Verbindung des Computerkerns der Venturas mit dem von Yautja-Prime her. Ein Bild erschien auf dem Bildschirm der Ratsmitglieder. Aus der Perspektive von Laryn.
Rhutvak ließ alles abspielen, ab dem Moment, an dem Laryn mit Tirzah von ihrer Jagd zurückkehrte. Da hatte alles begonnen. Sie war mitten in der Nacht aufgestanden, ohne, dass ihr Gefährte etwas davon mitbekommen hatte. Sie ging jagen, kehrte aber ohne Trophäe zurück. Am nächsten Morgen erzählte sie zwar belustigt, dass sie von einer Jagd geträumt hatte, aber nicht mehr. In der nächsten Nacht war sie wieder verschwunden, doch da erzählte sie nichts am Morgen. Ihre Vitalfunktionen sanken. Die Müdigkeit brach über sie herein, aber nicht aufgrund der Kämpfe um die Rechte der Weibchen, sondern wegen ihrem mangelden Schlaf. Schließlich kamen sie an der Nacht an, die vor dem Massaker stattgefunden hatte. Sie ging in die Richtung Wald. Minutenlang, bis sie bei einem Schiff ankam, das eindeutig den Venturas gehörte. Sie betrat es. Bekannte Gesichter warteten darin auf sie.
„Schalte es aus“, wies Rikkar Havlik, ein Venturas, an. Dieser tippte und es war, als würde Laryn aus einer Trance erwachen. Erschrocken blickte sie sich um sich, schien erst jetzt zu merken, was los war. Adrenalin wurde ausgeschüttet, was deutlich an den Werten am Bildschirm zu sehen war. „Was… wo bin ich?!“, forderte sie sofort zu wissen.
Süffisant grinsend trat Rikkar einen Schritt näher an sie heran. Sie konnte ihm nichts anhaben, so lange sie die Kontrolle hatten. Ein winziger Tastendruck oder auch zwei und sie war vollständig unter ihrer Kontrolle. Inzwischen hatten sie sogar herausgefunden, wie sie sie bei Bewusstsein halten konnten, ohne dass sie selbst Einfluss auf die Aktionen ihres Körpers hatte. Wenn er wollte, könnte er sie dazu bringen, sich das Messer in die Kehle zu stoßen. Aber wo bliebe dann seine Rache? „So wie es aussieht, bist du vorerst unser Gast“, spottete er. „Du hast dir über die Jahre viele Freunde geschaffen und ein paar davon sind sogar hier.“
An der Seite stand ein weiterer Venturas, Kywar und neben ihm Rhazad. Dieser fixierte Laryn mit hasserfülltem Blick. Er hatte ihren Zweikampf nie vergessen. Seit dem humpelte er noch stärker als früher. Als er erfahren hatte, dass Laryn von den Venturas erschaffen worden war, hatte er sich bei diesen vorsichtig bekannt gemacht. Und nun wollte er seine Rache. Er hatte lange genug darauf warten müssen.
Laryns Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Gast? Wohl kaum. Es beunruhigte sie zwar, dass sie nicht wusste, wie sie hier her gekommen war, aber sie hatte nicht vor, hier länger zu bleiben. Dem bösen Blick Rhazads entgegnete sie kühl. „Es war nicht meine Schuld, dass dir dein Weibchen davon gelaufen ist“, sagte sie. „Und wenn du dich mit mir anlegst, musst du ebenso gut mit den Konsequenzen leben.“ Sie hatte auch nicht vergessen, dass der Sieg ihr damals zugestanden hatte. „Wenn keiner von euch mich zum Kampf herausfordern will, gehe ich.“
Das Grinsen von Rikkar wurde regelrecht bösartig. „Oh bitte, tu dir keinen Zwang an“, meinte er und zeigte zur offenen Tür. „Wenn du wirklich nicht hier bleiben willst, bitte.“ Sie würde keinen Schritt weit kommen, dafür würde Havlik sorgen. „Aber wenn du dich doch dazu entscheidest, denke immer daran, dass es DEINE Entscheidung ist.“
Nun runzelte sie die Stirn. Was sollte dieses idiotische Gehabe? Sie konnte aber nicht leugnen, dass sie dadurch zögerte. „Phs“, entkam es ihr nach einem Moment abfällig schnaubend. Kopfschüttelnd drehte sie sich um und wollte gehen. Sie hörte, wie jemand auf irgendetwas tippte und… im nächsten Moment blieb sie stehen. Laryn ging zurück. Warum ging sie zurück? Sie wollte doch gar nicht! Oder?
Die versammelten Predator lachten. „Wie schön“, stellte Rikkar fest. „Deine Gesellschaft ist uns sehr willkommen, weißt du das?“ Er trat zu ihr und sah auf sie herab. „Denn du wirst es sein, die es uns ermöglichen wird, Tirzah endlich in seine Schranken zu verweisen.“ Er hob auffordernd die Hand. „Deine Waffen bitte.“
Tirzah in die Schranken weisen? Was?! Laryn wollte umdrehen und kehrt machen, aber sie… blieb. Warum auch nicht? Nein, irgendetwas stimmte hier nicht. Sie merkte es auch vor allem daran, als sie nach ihrem Messer griff und es Rikkar ohne irgendetwas überreichte. Nein, das waren ihre Waffen! Schon einmal hatte er sie bestohlen, sie wollte es nicht noch einmal vorkommen lassen! Aber trotzdem ließ sie los und gab sie ihm.
„Vielen Dank auch“, sagte Rikkar und legte die Messer zur Seite. Es würde ihm Spaß machen, sie vor Laryns Augen zu zerstören, doch es würde ihr auffallen, wenn sie am Morgen fehlen würden. Selbst wenn sie sich an nichts hiervon erinnern konnte. Und das oberste Ziel war ja die Rache an Tirzah. Sie alle hier wollten ihn zerstört sehen und Mittel zum Zweck würde seine Gefährtin werden. Die vergangenen Nächte hatten bewiesen, dass sie sie ohne Einschränkung kontrollieren konnten. Nun war es fast soweit.
Rikkar trat einen Schritt zurück. „Ist diese Rüstung nicht furchtbar unbequem?“, setzte er nach. „Du solltest sie ausziehen. Hier drin brauchst du sie doch ohnehin nicht.“ Nebenbei schloss er die Tür des Raumschiffes wieder.
„Meine… Rüstung?“, fragte sie und blickte an sich hinab. Wieder runzelte sie die Stirn. Nein, sie begann augenblicklich ihren Kopf zu schütteln, versuchte diesen… komischen Zustand aus ihrem Kopf zu verbannen. „Nein!“, protestierte sie. Niemand hatte jemals von ihr verlangt, dass sie ihre Rüstung auszog. Nicht einmal Tirzah. „Was soll dieser Blödsinn?!“, fauchte sie nun. Ihre Rüstung schützte immerhin ihr Leben! Sie zog sie nur aus, wenn sie sich sicher fühlte und das tat sie nicht. Laryn drehte sich um und eilte nun zur Tür. Sie wollte hier weg, auf der Stelle! Wäre da nicht Kywar, der sich ihr in den Weg stellte und sie augenblicklich einfing. Sofort schlängelte sie sich aus dem Griff und schlug mit aller Kraft in seinen Magen. Aber er verzog nur ein wenig das Gesicht, bevor er zu lachen begann. Sie war zu schwach gewesen! Sofort setzte sie einen Tritt nach, doch den fing er gekonnt auf und verdrehte ihr Bein, bevor er sie von sich stieß. Laryn stolperte zurück und gegen Rikkar.
Dieser fing sie auf und hielt sie seinerseits fest. Zumindest so lange, bis er ihre rechte Armschiene gelöst hatte. Die schwachen Tritte ignorierte er. „Na also“, schnurrte er demonstrativ, als das Metall zu Boden fiel. „Es gibt keinen Grund, so zurückhaltend zu sein.“ Er schubste sie in Havliks Arme, der seinerseits danach trachtete ebenfalls ein Stück Rüstung zu rauben.
Es war beinahe ein wenig zu viel Gegenwehr für Rikkars Geschmack. Seine Hand fand den Regler und er intensivierte den Grad der Kontrolle noch etwas.
Es war, als würde ihre Energie vollständig schwinden, als hätte sie ihre Kraft aufgebraucht. Sie konnte sich nicht mehr wehren. „So ists richtig“, schnurrte Havlik und sie erschauderte vor Ekel.
„Lass mich los!“, keuchte sie angestrengt und versuchte sich irgendwie aus seinem Griff zu befreien. Es gelang ihr nicht. Ihre Kraft, die Schnelligkeit… es ging nicht mehr.
„So lange haben mein Bruder und ich auf unsere Rache gewartet...“ Ihre zweite Armschiene fiel zu Boden, was der Venturas gleich ausnutzte und über ihre weiche, samtene Haut fuhr.
„Lass mich los!“, forderte sie zischend.
„Ich werde dir schon noch zeigen, was wahre Stärke bedeutet", raunte er.
Angewidert besahen sich die Räte die Aufzeichnungen. Angwidert und fassungslos. Es war nicht nur die Tat an sich, sondern die Niederträchtigkeit derer. Es waren nicht nur irgendwelche Abtrünnigen, die sich hier so ehrlos verhielten, sondern ebenso zwei Jäger, die hoch in Rang und Ehre standen.
Selbst Rhutvak ließ es nicht kalt, wie Laryn versucht hatte, sich zu wehren, nur um sich dann einzugestehen, dass sie zu schwach gewesen war. Zu schwach, um sich selbst von dieser niederträchtigen, ehrlosen Vergewaltigung zu schützen. Sie schrie um Hilfe, etwas, dass sie wohl nur als letzte Instanz gesehen hatte. Nein, nicht nur das. Sie schrie um die Hilfe ihres Gefährten, der nicht einmal wusste, wo sie gewesen war oder hätte ahnen können, dass sie ihn brauchte.
~/*\~
Tirzahs Schritte waren nicht so fest, wie sie es sonst waren, als er zum Tempel ging. Sie waren müde und schwer. All die vergangenen, ewigen Tage hatte er gehofft, dass dieser Schmerz zumindest ein wenig nachlassen würde, doch das war nicht geschehen. Wie oft war er des Nachts schon aufgewacht und geglaubt, Laryn würde neben ihm liegen. Nur um wenige Augenblicke später mit der Tatsache konfrontiert zu werden, dass sie tot war. Fort. Für immer. Und nun musste er sich irgendwie mit diesem Verlust arrangieren. Und das tat er. Auf seine Weise.
Er wusch sich gründlich und reinigte seine Rüstung. Fast alle Waffen nahm er an sich. Rüstete sich, wie es seinem Rang zustand und verließ das Haus. Er würde den anderen Räten mitteilen, dass von nun an Rhutvak seinen Platz einnehmen würde. Wobei dieser noch gar nichts von dieser Ehre wusste. Es war Tirzah auch gleichgültig. Sein Freund würde ihn sicher nicht im Stich lassen. Und wenn dies geschehen war, würde er seine letzte Jagd antreten.
Das letzte Mal öffneten sich vor ihm die hohen Türen und er trat ein. Der Klang einer ihm wohl bekannten Stimme hatte ihn stocksteif stehen bleiben lassen. Das war... Laryn... Für einen Moment lang überkam Tirzah das Gefühl, als wäre sie noch am Leben, doch kaum eine Sekunde später setzte das Bewusstsein ein, dass dem nicht so war. Sie war in seinen Armen gestorben. Er war es gewesen, der ihr Leben beendet hatte. Außerdem, was sollte sie in der Ratshalle, wenn sie nicht vorher zu ihm gekommen war? Er unterdrückte ein Keuchen und nahm einen schmerzhaften Atemzug. Er hatte sich das bestimmt eingebildet. Er glaubte doch ohnehin die ganze Zeit, dass sie jederzeit um die Ecke biegen konnte.
Doch ihre Stimme drang weiter an sein Ohr. Und andere. Er folgte dem Gang weiter. Dieses Mal waren seine Schritte nicht schwer, sondern schnell. Laryn klang so... Was er vor dem Rat projiziert sah, ließ ihn ein weiteres Mal stocken. Laryn selbst sah er nicht, aber es war eindeutig ihre Stimme und dort war ein Teil ihrer Rüstung zu sehen. Die Perspektive war seltsam, beinahe so als ob...
In diesem Moment wurde ihm bewusst, was er sah. Es war ihre Perspektive! Er sah, was sie sah. Oder gesehen hatte! Er wusste nicht, wie das möglich war, doch das war vollkommen gleichgültig. Er hatte das Gesicht von Rikkar erkannt und Havlik, die über seine Laryn her fielen. Das genügte. Die anderen Namen würde er aus diesen beiden heraus prügeln. „Tirzah!“, erklang sein Name gequält und ein neuer fieser Stich fuhr ihm ins Herz.
Nicht mehr länger in der Lage sich zu kontrollieren brüllte Tirzah auf. Er fuhr herum und rannte den Gang zurück. Das würden sie bitter büßen.
Nicht nur Rhutvak zuckte bei dem plötzlichen bestialischen Brüllen zusammen. Er drehte sich um und erkannte gerade noch Tirzah, der aus der Ratshalle stürmte. Verflucht! Augenblicklich setzte er ihm nach. Er kannte ihn gut genug, dass er wusste, was ihm jetzt im Sinn stand. „Tirzah!“, rief er, aber er hörte nicht. Natürlich nicht. Würde er ebenso wenig. Also versuchte er ihn einzuholen. Doch anstatt ihn zu sich umzudrehen, rammte er ihn und beförderte ihn zu Boden. Gemeinsam kullerten sie die letzten Stufen des Tempels hinab, eher er ihn auf den Boden festhielt. „Beruhige dich!“, brüllte er ihm ins Gesicht.
Jemand rammte ihn. Sie stürzten. Doch nicht einmal das hätte Tirzah in diesem Moment aufgehalten. Rhutvak hielt ihn jedoch fest. „Lass mich los!“, brüllte er zurück. „Das werden sie büßen! Ich werde ihnen ihre Eier abreißen und ins Maul stopfen!“ Frustriert stellte er fest, dass er kräftemäßig unterlegen war. Doch die Ausbildung im Kampf war nicht ohne Grund so ausführlich. Tirzah brachte sein Bein zwischen sie und hebelte Rhutvak aus. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass er Laryn diesen Konter beigebracht hatte. Er ignorierte den Schmerz in seiner Brust und er hielt seinen Freund auch nicht fest, sondern stürmte weiter. Seine Gedanken einzig und allein von Rache beseelt.
Mittlerweile hatten sich schon neugierige Blicke auf sie gelegt, aber das interessierte Rhutvak nicht. Sein Freund war im Begriff etwas äußerst Törichtes zu machen und das konnte er nicht verantworten. „Komm zu dir!“ Im nächsten Moment beförderte er ihn aber schon in den Dreck. Knurrend richtete er sich wieder auf und sah gerade noch, wie die Räte ebenfalls aus dem Tempel angerannt kamen und sich gegenseitig wortlose Zeichen gaben. Rhutvak rannte wieder los und verpasste im Schwung Tirzah einen kräftigen Haken, hielt ihn aber sofort an seinen Oberarmen fest, damit er nicht umkippte. „Beruhige dich!“
Es war mehr als nur Wut, die Tirzah voran trieb. Er wollte Rache. Rache für Laryn. Der Schlag ließ ihn einen Moment taumeln, doch da hielt ihn Rhutvak schon wieder fest. „Lass mich los!“, knurrte er ihn an und wollte sich losreißen. Im selben Moment packte ihn jedoch jemand am anderen Arm. Und noch jemand. Er erkannte Kryz, Talin und Marooth, die anderen Räte, die ihn zurückhalten wollten. Gegen diese Übermacht kam er nicht an. Scheinbar geschlagen, hörte er auf sich zu wehren. „Das werden sie mir büßen!“, knurrte er rau. In diesem Moment spürte er das Zittern von Erschöpfung in sich aufsteigen und er ballte die Hände zu Fäusten, um es zu verbergen. Je mehr der plötzliche Adrenalinschub nachließ, desto heftiger wurde es. Doch wie hätte er auch nur einen Bissen hinunter kriegen können, wenn ihm die Trauer die Kehle zuschnürte?
Rhutvak legte seine Hand brüderlich in seinen Nacken. „Das werden sie“, versicherte er ihm, nein, versprach er ihm. „Aber zuerst…“ So konnte er nicht losziehen. Niemals. Vor allem sollte er sich auch bewusst sein, dass er die Unterstützung des Rates gut gebrauchen konnte, auch ihm bewusst war, dass Tirzah ohne diese ebenso losziehen würde. Sie alle hatten Laryn zu schnell verurteilt. Viel zu schnell. Wäre er doch nur hartnäckiger geblieben. Aber alleine ihr Geständnis – wie hätte er auch dagegen ankommen sollen? „… lass uns reden.“
Tirzah schloss die Augen und senkte den Kopf. Seine Kraft war so plötzlich verpufft, wie sie gekommen war. Von den Räten flankiert ließ er sich zurück in den Tempel führen. Doch was sollten sie schon reden? Es gab nichts mehr zu reden. Jetzt wusste er, warum Laryn an diesem Morgen so aufgelöst war. Was er nicht erfassen konnte war, weshalb sie sich nicht hatte erinnern können. Das mussten sie gewusst haben, sonst hätten diese ehrlosen Maden nie dieses Verbrechen begangen und sie danach laufen lassen. Und wie hatten sie sie überwältigen können? Wenn einer wusste, wie gut sie war, dann wohl er. Ihm wurde schlecht vor Zorn, als ihm bewusst wurde, dass es nicht Rikkar und Havlik allein gewesen sein konnten.
Rhutvak wartete, bis der ganze Rat Platz genommen hat, ebenso Tirzah. Schließlich begann er zu erklären, dass die Verantwortlichen Laryn schlicht benutzt hatten. Einfach durch die Kontrolle, die sie über sie hatten ausüben können. Eine Kontrolle, die eigentlich alle Venturas für vergangen gehalten hatten. Nur aus diesem Grund hatten sie wohl so lange gewartet. Hatten getestet und probiert. Bis sie sich sicher sein konnten.
Schweigend hörte Tirzah zu. Nicht ein Mal unterbrach er Rhutvak, obgleich er ihn schon anflehen wollte, zu schweigen, nur damit er nichts mehr davon hören musste. Doch er musste. Laryn musste Gerechtigkeit widerfahren und er wollte seine Rache haben. Raymonds Tod war damals, trotz seiner Eifersucht, gnädig ausgefallen. Diesen Gefallen würde er diesen Vieren nicht tun. Nicht nach all dem, was sie seiner Laryn angetan hatten.
Bereits am selben Abend wurden Rikkar von den Cobras, Rhazad von den Zamteh und die Brüder Kywar und Havlik von den Venturas in Ketten vor den Rat geführt. Keiner von ihnen wollte die Vorwürfe zugeben und taten, als wüssten sie von nichts. Als sie jedoch die Aufzeichnungen sahen, sahen sie ein, dass sie es nicht leugnen konnten. Rhazad versuchte zu argumentieren, dass Laryn ohnehin keine von ihnen gewesen war, doch der Rat wies diesen Einwand zurück. Zu einem kleinen Teil mochte ihre DNA menschlich gewesen sein, doch der größere Teil stammte von ihnen und ebenso hatte sie auch gelebt.
Die ganze Zeit über hatte Tirzah geschwiegen und dem Rat die Anhörung überlassen. Als sich Kryz jedoch erhob, um das Urteil zu sprechen, stand auch Tirzah auf. „Ich verlange Wiedergutmachung“, sagte er ruhig. Es gab ohnehin nur zwei Urteile, zwischen denen der Rat wählen würde. Exil oder Tod. Keines von beidem allein war ihm gut genug. Nicht nach all dem, was sie Laryn angetan hatten. Mit einem Nicken gestattete Kryz, dass er seinen Vorschlag vorbrachte.
„Sie sollen geächtet werden“, begann er. „Sie haben ohnehin gezeigt, dass sie keinerlei Ehre besitzen. Sollen sie über diese Welt stolpern, ohne jemanden, an den sie sich wenden können.“ Er ließ die Worte einen Moment sinken, bevor er hinzufügte. „Und ich werde sie jagen.“
Ende