Zu Hause angekommen, halfen Dylan und Tyler Jaden in seine Wohnung. Dylan war froh, dass der Aufzug direkt von der Tiefgarage ins Penthouse führte und vor allem, dass sie niemand sah. Der Anblick seines blutigen Alphas hätte bestimmt zu einigen Fragen geführt, die niemand von ihnen hätte beantworten wollen.
Dylan lotste sie direkt ins Badezimmer, wo er Jaden aus seinen Klamotten half und ihn auf die niedrige Marmorbank in der großen Duschkabine setzte. Jaden ächzte, als einige der immer noch klaffenden Wunden dabei wieder anfingen zu bluten.
„Ich bleib heute Nacht im Gästezimmer, falls irgendwas ist“, sagte Tyler. „Soll ich irgendwas zu Essen bestellen?“
Dylan überlegte kurz. „Am Kühlschrank hängt die Nummer von nem 24/7-Asia-Restaurant. Dragon-irgendwas. Sag denen einfach, sie sollen die übliche Bestellung von Dylan liefern, plus das, was du haben willst. Geld ist in der Schublade rechts neben dem Kühlschrank.“
„Alles klar“, antwortete Tyler und verschwand aus dem Bad.
Dylan sah zu Jaden, der mit geschlossenen Augen auf der Bank saß und den Rücken vorsichtig an die Fliesen hinter sich gelehnt hatte. Schnell zog sich Dylan aus und ging zu ihm in die Dusche.
„Wie fühlst du dich?“, fragte Dylan leise, während er das Wasser anmachte.
Jaden grinste, ohne die Augen zu öffnen. „Als wär ich von nem Wolf zerfleischt worden.“
„Scherzkeks“, knurrte Dylan wütend.
„Sorry!“ Jaden öffnete ein Auge. „Müde, hungrig und mir tut alles weh. Aber ich bin froh, dass soweit eigentlich alles noch gut ausgegangen ist. Auch wenn ich mich ärgere, dass ich ihn am Leben gelassen hab.“ Er knurrte.
„Du bist eben ein besserer Wolf als er“, sagte Dylan.
Jaden seufzte. „Ich traue ihm trotzdem nicht über den Weg.“
Dylan stellte den Wasserstrahl so ein, dass er Jaden überall erreichte, aber nicht im Gesicht traf. Gequält ächzte Jaden auf, als das Wasser in seine Wunden lief.
„Dann sind wir schon zwei. Ich wüsste gerne mal, was er vorhatte.“
„Das wüsste ich auch gerne. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass er nicht vorhatte, mich am Leben zu lassen“, murrte Jaden.
Sanft wusch Dylan Jaden das Blut vom Körper. „Sorry“, murmelte er. „Du meinst, um unseren Gefährtenbund zu brechen?“
Jaden nickte bedrückt. „Der einzige Weg, den Bund zu brechen ist der Tod. Wenn er dich haben will, wird er nicht drum herum kommen mich umzubringen.“
„Das heißt aber trotzdem nicht, dass er dich umbringen kann oder mich bekommt!“, sagte Dylan wütend.
Liebevoll sah Jaden ihn an. „Das weiß ich auch. Und ich habe nicht vor, mich umbringen zu lassen. Ich würde dich dann doch gerne noch ziemlich lange für mich behalten.“ Er griff Dylans Handgelenk und zog ihn sanft zu sich.
Unsicher sah Dylan ihn an. „Ich will dir nicht wehtun.“
„Die einzige Art wie du mir wehtun kannst, ist, wenn du mich nicht mehr willst. Und das gute Gefühl, wenn du dich an mich drückst, überwiegt den Schmerz bei Weitem.“ Jaden lächelte und rutschte auf der Bank ein Stück weiter nach hinten.
Dylan nickte und kniete sich dann mit den Beinen rechts und links von Jadens Oberschenkeln hin. Er achtete sehr darauf, sich nicht auf Jaden zu setzen oder mit den Unterschenkeln zu viel Druck auf ihn auszuüben.
Zufrieden legte Jaden Dylan die Hand um den Nacken und küsste ihn.
Seufzend ließ Dylan sich gegen Jaden sinken und gab sich ihm hin. Er genoss die sanften, aber gleichzeitig intensiven Küsse und erwiderte sie hingebungsvoll. Am liebsten wäre er in Jaden hineingekrochen.
Nach einigen Minuten drückte Jaden ihn ein wenig von sich weg und sah ihn liebevoll an. „Ich würde alles für dich tun, Dylan! Und ich kann dir versprechen, dass ich alles dran setze, dass du Gregory nicht in die Hände fällst! Ich liebe dich viel zu sehr!“
Dylans Augen wurden feucht und er schluckte schwer. „Ich liebe dich auch!“ Er schmiegte sich an Jaden und drückte sein Gesicht an dessen Hals. Alleine der Gedanke, dass Jaden etwas passieren könnte, ließ Dylans Magen Achterbahn fahren. Aber der vertraute Geruch und die Wärme von Jaden halfen ihm, sich wieder zu beruhigen.
Sanft legte Jaden seine Arme um Dylans Rücken und streichelte ihn. „Ich pass auf dich auf, kleiner Wolf“, murmelte er immer wieder ins Dylans Ohr.
„Und auf dich auch! Du bist meins! Kein doofer Gregory bekommt dich!“, sagte Dylan energisch.
Jaden drehte Dylans Kopf zu sich und lächelte ihn an. „Gregory bekommt weder dich noch mich. Okay?“
„Versprochen?“, fragte Dylan unsicher und kaute auf seiner Unterlippe.
„Ich verspreche dir, dass ich alles dransetze“, antwortete Jaden ernst.
Das war nicht das, was Dylan hören wollte, aber er wusste, dass Jaden ihm nicht mehr versprechen konnte, ohne eventuell zu lügen. Und das wollte er auch nicht. Es musste also reichen.
Dylan atmete tief durch und schob die unangenehmen Gedanken weit von sich weg. Er hatte einen verletzten Alpha vor sich und seine Aufgabe, sich um ihn zu kümmern, in den letzten Minuten sträflich vernachlässigt. Jaden war verletzt und hatte es verdient, gepflegt zu werden! Dylans Sorgen würden ihm schon nicht weglaufen. Draußen passte Tyler auf sie auf. Die Wohnung war eine Festung. Sie waren hier sicher! Und jetzt würde er seinen Lieblingsalpha so sehr pflegen, bis es diesem zu viel wurde!
Schnaubend richtete sich Dylan auf und sah Jaden entschlossen an. „Genug gejammert. Jetzt versuchst du, dich zu entspannen, und lässt mich machen!“ Er grinste Jaden an.
Amüsiert hob Jaden die Augenbrauen und nickte dann. „Wie mein kleiner Wolf befiehlt!“
Dylan gab ihm noch einen Kuss und stand dann auf. Mit der Handbrause machte er Jadens Haare nass und griff dann nach der Seife. Vorsichtig massierte er sie in Jadens völlig verdreckte Haare und achtete penibel darauf, dass Jaden nichts davon in die Augen bekam.
Jaden ächzte, als die Seife ihren Weg in seine Wunden fand, saß aber still.
Wie gerne hätte Dylan es Jaden erspart, aber sie wussten beide, wie wichtig es war, dass die Wunden gereinigt wurden. Wölfe waren zwar nicht sehr infektanfällig, wenn aber Wolfsspeichel in einer offenen Wunde zurückblieb, stieg die Wahrscheinlichkeit einer Infektion enorm an. Wasser und Seife waren dabei nicht die angenehmste und beste Variante, aber bei Wölfen aufgrund der Einfachheit und der Häufigkeit ihrer Verletzungen weit verbreitet. Grade Alphas und Betas kannten die Methode seit ihrer Kindheit, da sie auch beim Spielen eher ruppig miteinander umgingen.
Obwohl sie beide schwiegen, war die Stille nicht unangenehm. Liebevoll und sehr gründlich wusch Dylan Jaden, der sich immer wieder an ihn drückte oder sich einen Kuss stahl. Dylan spürte, wie sich auch der letzte Rest seiner Anspannung langsam auflöste. Nachdem er mit Jaden fertig war, wusch er sich selbst schnell.
Erleichtert atmete Jaden auf, als Dylan das Wasser ausstellte. „So sehr ich es liebe, wenn du mich wäschst, aber das war Folter!“, quengelte er.
„Ich weiß.“ Dylan seufzte. „Und wir sind leider noch nicht fertig.“
Jaden stöhnte. „Muss das sein?“
„Wenn du in annehmbarer Zeit heilen willst, dann ja!“ Dylan zog sich einen Bademantel an und nahm eines der fusselfreien Handtücher, die im Regal lagen, um Jaden vorsichtig abzutrocknen.
Unwillig brummend ergab Jaden sich seinem Schicksal.
Dann begann der schwierigere Teil. Dylan war beeindruckt, wie ruhig Jaden sitzen blieb, obwohl er starke Schmerzen haben musste. Dylan desinfizierte seine Wunden, klebte die Kleineren, nähte die Größeren und verband alles.
Es tat ihm in der Seele weh, seinen Gefährten so leiden zu sehen, aber Dylan tat sein Bestes, um es für Jaden so angenehm wie möglich zu gestalten.
Als Dylan nach fast zwei Stunden endlich fertig war, ging grade die Sonne auf und er war völlig erschöpft. Auch Jaden hielt seine Augen nur noch mit Mühe offen.
„Ich weiß, dass du am liebsten nur noch schlafen willst, aber du musst was essen“, sagte Dylan und streichelte sanft über Jadens Wange.
„Kann das nicht warten? Ich bin so müde“, murrte Jaden verschlafen.
„Ich bin auch müde, aber wenn du heilen willst, brauchst du Energie. Also musst du essen.“ Dylan seufzte.
Jaden knurrte unwillig.
Dylan ging zur Badezimmertür und streckte den Kopf in den Flur. „Tyler! Ich brauch mal deine Hilfe!“
Es dauerte nur wenige Sekunden, dann stand Tyler im Badezimmer. „Alles okay?“
„Ja. Kannst du mir helfen, ihn zum Sessel im Wohnzimmer zu bringen? Er muss dringend was essen.“
Tyler nickte. „Natürlich. Magst du schon mal vorgehen und das Essen warm machen? Ich bringe Jaden.“
Lächelnd sah Dylan Tyler an. „Danke.“ So schnell ihn seine müden Füße trugen, eilte er in die Küche. Aus den verschiedenen Behältern löffelte er das Essen auf zwei Teller und machte sie in der Mikrowelle warm.
Derweil hatte Tyler Jaden auf den Sessel geholfen und den Laptop-Beistelltisch so hingeschoben, dass Dylan den Teller darauf abstellen konnte.
„Brauchst du Hilfe oder schaffst du das alleine?“, fragte Tyler schmunzelnd.
Jaden bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick und spießte ein Stück Fleisch auf die Gabel.
„Schon gut!“ Tyler schauderte.
Amüsiert beobachtete Dylan die beiden und widmete sich dann seinem Teller. Tyler ging ebenfalls in die Küche und machte sich etwas zu Essen warm. Als er mit seinem Teller zurück ins Wohnzimmer kam, setzte er sich neben Dylan aufs Sofa.
„Dafür, dass er so müde ist, inhaliert er das Zeug aber trotzdem fast“, murmelte Tyler.
Dylan grinste, als Jaden knurrte. „Ich hab halt Hunger!“
„Und das ist gut so! Du brauchst deine Kraft.“ Dylan lächelte.
Demonstrativ steckte Jaden sich eine Frühlingsrolle in den Mund und kaute.
„Wenn du noch mehr haben willst, sag Bescheid. Ich hol dir was“, sagte Dylan.
Tyler sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Du bleibst mal schön da sitzen und isst! Wenn hier einer aufsteht, bin ich das. Ihr gehört beide ins Bett.“
„Aber ...“, setzte Dylan zum Protest an.
„Nichts aber! Ihr seht beide aus, als würdet ihr jede Sekunde umfallen und einschlafen. Wenn ihr was haben wollt, dann sagt es. Außer, um ins Bett zu gehen, steht ihr beide heute nicht mehr auf!“ Tyler sah streng zwischen den beiden hin und her.
Jaden nickte und aß weiter. Schnaubend widmete Dylan sich ebenfalls seinem Essen.
Tyler stand zweimal auf, um Nachschlag für Jaden zu holen. Dann half er Jaden ins Bad und danach ins Bett.
Dylan trottete müde hinterher. Er fühlte sich wie ein Zombie in einem schlechten B-Movie. Als Tyler die Schlafzimmertür beim Herausgehen hinter sich zuzog, kuschelte Dylan sich unter der Decke vorsichtig an Jadens Seite.
„Gute-Nacht-Kuss?“, nuschelte Jaden.
Lächelnd beugte Dylan sich über ihn und küsste ihn sanft. „Ich liebe dich“, flüsterte er.
„Ichdichauch“, murmelte Jaden, legte seinen Arm um Dylan und zog ihn an sich heran. „Kuscheln!“
Dylan kam Jadens Bitte nach und legte seinen Kopf vorsichtig auf Jadens Brust ab, die den Kampf zum Glück relativ unbeschadet überstanden hatte. Er hoffte, dass Jaden schnell wieder fit wurde und dass es das letzte Mal gewesen war, dass sie Gregory gesehen hatten.