Dylan war trotz des kurzen Weges zum Gemeindehaus froh, wieder ins Warme zu kommen. „Mir wurde mal gesagt, dass Kalifornien warm wäre“, murrte er nicht ganz ernst gemeint.
Jaden lachte. „Willkommen in Nordkalifornien, wir haben hier noch Jahreszeiten!“
„Ich dachte, du bist aus Wisconsin? Dagegen ist das doch hier fast Badewetter?“, scherzte River.
Dylan schniefte. „Ja, wenn ich so viel Muskelmasse wie du hätte, vielleicht. Aber schau mich an! Aber ich bin ein armer verfrorener Omega und kein riesiger Beta!“
Amüsiert legte River ihm den Arm um die Schultern. „Soll ich dich wärmen?“
Jaden knurrte.
Dylan tätschelte River die Seite und ließ sich dann in Jadens Arme ziehen. Er kuschelte sich an ihn. „Sei nicht so fies zu deinem Bruder!“, sagte er leise.
„Genau! Sei mal lieb zu mir!“ River setzte seinen besten Dackelblick auf.
Lachend betraten sie den großen Speisesaal und Dylan staunte. Innerhalb von zwei Tagen hatte sich der Raum komplett gewandelt und war nun festlich geschmückt.
„Wow“, murmelte Dylan und konnte sich gar nicht sattsehen.
Jaden trat hinter ihn und Dylan lehnte sich an seine Brust.
„Das sieht toll aus.“ Dylan sah sich fasziniert um.
Auf den Tischen standen Kerzen zwischen Kürbissen unterschiedlichster Art. Die Girlanden an den Wänden und auf den Tischen waren aus bunten Blättern, Kastanien, Zweigen und getrockneten Blumen und Früchten gemacht. Dazwischen lagen und hingen winzige Lichterketten.
„Und? Gefällt es dir?“, fragte Eve.
„Ich glaube, ich hab außer Jaden noch nie so was Schönes gesehen“, antwortete Dylan geistesabwesend.
Jaden drückte Dylan zufrieden brummend an sich und küsste ihm die Schläfe.
Eve und Mia lachten. „Die zwei sind zu niedlich, oder?“, fragte Mia.
Die Antwort bekam Dylan nicht mit. Jaden führte ihn weiter in den Saal hinein und in Richtung ihres Tisches.
„Komm. Setz dich erst mal, dann brauch ich mir keine Sorgen machen, dass du mir umfallen oder irgendwo gegen laufen könntest.“ Jaden grinste.
Dylan ließ sich von Jaden auf den Stuhl bugsieren und sah sich weiter um. „Bin ich der Einzige, der völlig fasziniert ist?“, fragte er verwirrt.
Jaden sah ihn liebevoll an. „Der Rest ist die Deko schon gewöhnt. Hier sieht es jedes Jahr so aus. Unsere Festtagsgruppe nimmt seine Arbeit sehr ernst.“
„Jedes Jahr?“, fragte Dylan verwundert. „Aber das muss doch verdammt teuer sein.“
„Es geht. Die meisten Sachen haben wir ja da. Klar, die erste Anschaffung war etwas teuer. Aber es lohnt sich trotzdem. Und auch wenn nicht alle so fasziniert sind wie du, wir genießen es dennoch, wenn es festlich geschmückt ist. Und hin und wieder tut es allen gut, etwas Außergewöhnliches zu genießen.“ Jaden nahm Dylans Hand und küsste sie.
„Wir hatten nie so was“, sagte Dylan leise. „Wenn dann hab ich nur mit meiner Mom alleine was gemacht. Eine Ente oder eine Gans, falls wir eine fangen konnten, ein paar Beilagen, Kerzen und Sachen, die wir draußen gefunden haben.“ Dylan schluckte.
Jaden zog Dylan auf seinen Schoß und er vergrub sein Gesicht an Jadens Hals.
„Ich hoffe, dass es meiner Mom gut geht“, flüsterte Dylan.
„Wir versuchen, sie da raus zu holen“, sagte Jaden leise. Seine Arme schlossen sich um Dylans Rücken und er streichelte ihn sanft. „Und deine Mom ist eine Beta, sie schafft das!“
Dylan schniefte und nickte dann. „Okay.“ Dankbar nahm er das Taschentuch entgegen, das Jaden ihm hinhielt. Er bemühte sich, sich unauffällig das Gesicht und dann Jadens Hals abzuwischen. „Ich hab dich nass gemacht“, murmelte Dylan verlegen.
Jaden lachte leise. „Du darfst das.“ Er streichelte über Dylans Wange und küsste ihn dann. „Versuch, den Abend trotzdem zu genießen, okay? Wir feiern für deine Mom mit.“
„Okay.“ Dylan lehnte seine Stirn an Jadens. „Ich versuch’s.“
Jaden drückte ihn an sich und gemeinsam sahen sie dabei zu, wie sich der Saal immer mehr füllte.
Ein paar der Wölfe hatte Dylan bereits kennengelernt. Alle waren offen und freundlich gewesen. Einige winkten fröhlich, als sie ihn und Jaden entdeckten.
Liam, Mia, River und die Kinder kamen langsam zu ihrem Tisch, wobei sie immer wieder stehen blieben, um sich zu unterhalten. Als sie endlich ankamen und sich setzten, atmete Mia erst mal erleichtert auf. „Puh, jetzt entspannt essen, Badewanne und dann ins Bett.“
„Klingt nach einem guten Plan“, antwortete Liam und küsste Mia liebevoll.
Verlegen wendete Dylan den Blick ab, um den beiden ihren Moment zu lassen.
Irgendwo klingelte ein Glöckchen und im Saal wurde es still. Dylan drehte sich in Richtung des Geräusches und entdeckte, dass Landon und Eve auf einer kleinen Bühne standen. Vor Landon stand ein Mikrofon.
„Einen wunderschönen guten Abend liebes Trinity-Rudel“, sagte Landon und wurde mit freudigen Rufen ebenfalls begrüßt. Er lachte herzhaft und sah freudig auf sein Rudel. „Wir wollen heute gemeinsam Thanksgiving feiern. Für einige von euch ist es das erste Thanksgiving hier, für manche sogar das erste Thanksgiving dieser Art.“ Er lächelte. „Für diejenigen, die nicht wissen, was sie erwartet: Wir wollen gemeinsam dankbar sein. Dankbar für die Menschen, die uns wichtig sind. Dankbar für die Erlebnisse, die uns geprägt haben. Dankbar für die schönen Momente. Dankbar für unsere Gemeinschaft.“ Er sah sich um. „Ich weiß, dass einige hier ihre Liebsten vermissen. Liebste, die heute nicht hier bei uns sein können. Ich möchte dennoch, dass wir an sie denken. Und wenn sie schon nicht in Person bei uns sind, dann zumindest in unseren Gedanken.“
Dylan drückte sich fester an Jaden. Er vermisste seine Mom so sehr. Aber er war sich sicher, dass sie wollte, dass er diesen Tag genoss.
„Und bevor ihr mich gleich auffresst, weil ihr Hunger habt: Das Buffet ist eröffnet!“, sagte Landon und breitete die Arme aus.
Einige standen auf und die Menge schob sich in Richtung der aufgebauten Tische. Dylan sah sich neugierig um. Alle sahen glücklich aus, scherzten und lachten miteinander. Einige erzählten wild gestikulierend etwas. Eine Beta führte zwei hochschwangere Omegas zum Buffet und stapelte alles auf die Teller auf dem Tablett, worauf die Omegas zeigten.
Fragend sah Dylan zu Jaden. „Wo sind die Alphas der beiden?“
Jaden verzog das Gesicht. „Die beiden haben hier um Asyl gebeten. Sie kommen aus einem der für Omegas gefährlichen Rudel.“
„Oh.“ Dylan verzog das Gesicht.
Sanft strich Jaden ihm über den Rücken. „Wir nehmen hier häufiger Omegas oder andere Wölfe in Not auf. Die meisten bleiben nur, bis sie sich erholt haben und siedeln dann in ein anderes Rudel weit weg um, damit sie sich wieder freier bewegen können. Ein paar wenige bleiben aber dauerhaft.“
„Das geht?“ Dylan sah ihn verwundert an.
„Ja, das geht. Auch wenn es für viele in der Situation extrem schwer ist zu flüchten. Aber wenn sie es schaffen und Asyl oder Aufnahme im Rudel beantragen und dieses gewährt wird, hat das alte Rudel keinen Anspruch mehr auf sie.“ Mia lächelte ihn an.
„Und vergiss nicht, dass besonders brutale Rudel teilweise auch durch das Konzil aufgelöst und die übrig gebliebenen Mitglieder verteilt werden“, ergänzte River.
Liam stand auf. „Und das ist auch gut so!“ Er wandte sich an River und Jaden. „Kommt ihr mit Essen holen? Dann brauchen sich Dylan, Mia und die Kinder nicht durch die Menge wühlen.“
Jaden nickte und tätschelte Dylan dann den Oberschenkel. „Na dann lass mich mal raus. Willst du was Bestimmtes?“
Dylan küsste Jaden und setzte sich dann auf seinen eigenen Stuhl. „Bring mir einfach was mit.“
Lächelnd küsste Jaden ihn und zwinkerte ihm zu. „Gute Antwort.“
„Nur keine Alpha-Portion bitte!“ Dylan wurde rot.
„Keine Sorge. Und falls es doch zu viel ist, du hast drei schwarze Löcher mit am Tisch, die dir gerne aushelfen.“ Jaden grinste und ging mit seinen beiden Brüdern zum Buffet.
Celine nutze die Gelegenheit und kletterte auf Dylans Schoß. „Onkel Dylan? Spielst du mit uns?“ Sie grinste und lehnte sich an seine Schulter.
Fragend sah Dylan zu Mia. Sie deutete mit den Lippen ein lautloses „Morgen“ an.
„Wenn du magst, können du, Toby und ich morgen spielen. Was spielt ihr denn gerne?“ Dylan legte ihr den Arm um den Rücken, damit sie nicht runterfallen konnte.
„Ich mag puzzeln und malen und raufen. Und vorlesen!“, antwortete Celine.
Tobi sah ihn an. „Können wir puzzeln und vorlesen, Onkel Dylan?“
„Natürlich. Wir können ein wenig puzzeln und dann bauen wir uns eine Kissenburg und ich lese euch was vor.“ Dylan grinste als die Augen der beiden Kinder begeistert aufleuchteten.
„Yeah!“, riefen sie beide aufgeregt.
Jaden, Liam und River kamen mit vollgestapelten Tabletts zum Tisch zurück. Sie stellten sie ab und verteilten die Teller. Celine setzte sich zurück auf ihren eigenen Stuhl.
Dylan staunte nicht schlecht, als Jaden ihm seinen Teller hinstellte. Darauf war ein Berg Truthahn, ein Steak, ein paar Kartoffeln, geschmorter Kürbis, grüne Bohnen und Cranberry-Soße. Dazu gab Jaden ihm noch eine kleine Schale Salat und eine Tasse Apfelpunsch. Auch die anderen bekamen den heißen Apfelpunsch. Liam ging nochmals los und kam mit einer Karaffe Wasser zurück, die er auf dem Tisch abstellte.
Eve und Landon kamen auch endlich am Tisch an und setzten sich mit ihren Tellern und Tassen dazu. Sie reichten sich reihum die Hände.
Landon lächelte in die Runde. „Ich bin dankbar dafür, dass meine Familie heute hier ist und dass wir ein neues Mitglied haben.“
„Ich bin dankbar dafür, dass es meiner Familie gut geht“, fügte Eve hinzu.
„Ich bin dankbar, dass ich zwei tolle Kinder, eine wundervolle Gefährtin, zwei wahnsinnige Brüder und die besten Eltern der Welt habe.“ Liam lächelte seine Frau und Kinder an.
River grummelte. „Das wollte ich sagen! Egal. Ich bin auch dankbar für meine tolle Familie!“
„Ich bin dankbar für meine Kinder, meinen liebenden Gefährten und dessen wunderbare Familie, die mich aufgenommen hat, als wäre ich schon immer eine der ihren gewesen.“ Mia strahlte.
„Ich bin dankbar für das Essen!“, sagte Tobi und sah ungeduldig auf seinen Teller.
„Ich bin dankbar für den Pumpkin Pie!“, fügte Celine hinzu.
Die Erwachsenen grinsten.
„Ich bin dankbar für meine Familie und dass ich meinen perfekten Gefährten gefunden habe.“ Jaden lächelte Dylan an.
Dylans Wangen brannten. „Ich bin dankbar für Jaden, der meine Träume von einem Gefährten weit übertroffen hat. Und dass ihr mir zeigt, wie wunderbar Rudel sein können. Ich bin dankbar, euch meine Familie nennen zu können.“ Seine Stimmer brach und eine Träne lief seine Wange hinunter.
Jaden legte ihm den Arm und küsste ihm die Schläfe. „Deine Mom bekommen wir auch noch her.“
„Ich arbeite dran, Dylan. Hab noch ein wenig Geduld.“ Landon lächelte ihn traurig an.
Dylan nickte tapfer. „Dankeschön!“
„Nicht dafür! Für meine Familie mache ich fast alles.“ Landons Lächeln wurde liebevoll. „Und du gehörst zu meiner Familie!“
Sprachlos nickte Dylan erneut. Die Liebe, die ihm die Familie entgegenbrachte, überforderte ihn. So was kannte er von seiner Mom, die ihm trotz seines Omegastatus so viel ermöglicht hatte. Aber das als Teil einer Familie zu erleben war noch mal etwas völlig anderes.
„Können wir jetzt essen?“, fragte Celine ungeduldig.
Sie brach damit ein die Spannung am Tisch und alle lachten los.
„Natürlich können wir essen, Sweety“, sagte Landon und grinste seine Enkelin an.
„Yay!“, rief Celine. Sie schnappte sich ihre Gabel, spießte ein Stück klein geschnittenen Truthahn auf und steckte es sich freudig in den Mund.
Dylan war erleichtert, dass er sich ein wenig hinter seinem Essen verstecken konnte. Bedächtig probierte er alles, was Jaden ihm auf den Teller gepackt hatte, und genoss die reichhaltigen Aromen. Das Essen war absolut köstlich.
Die anderen unterhielten sich währenddessen angeregt. Hin und wieder beantwortete Dylan eine Frage, wenn er angesprochen wurde, ansonsten konzentrierte er sich völlig auf sein Essen.
Als Dylan nach seiner Punsch-Tasse griff und feststellte, dass sie leer war, nahm Jaden sie ihm aus der Hand und ging sie auffüllen. Als er wieder zurückkam, stellte Jaden Dylan die Tasse hin und küsste ihn, bevor er sich setzte.
Das gute und reichhaltige Essen und der warme Punsch machten Dylan schläfrig. Nach dem Essen lehnte er sich an Jaden und lehnte seinen Kopf an dessen Schulter. Jaden drückte ihm einen Kuss auf die Haare und legte ihm den Arm um den Rücken.
„Entspann dich, kleiner Wolf“, murmelte Jaden.
Dylan nickte. Mit halb geschlossenen Augen beobachtete er die Familie, die Wölfe um sie herum und die Kinder, die teilweise in ihrer menschlichen, teilweise in ihrer wölfischen Form zwischen den Tischen herumflitzten.
Inmitten seiner Familie fühlte er sich warm und geborgen. Es kam ihm ein wenig vor, als hätte Jaden ihn in ein perfektes rosa Wattewölkchen gesteckt mit dem er nun herumschwebte. Er grinste bei dem Gedanken.
Irgendwann kletterte Celine auf seinen und Jadens Schoß, streckte sich auf den beiden aus und machte die Augen zu. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie eingeschlafen war.
Dylan hielt sie fest, damit sie nicht herunterfallen konnte, und freute sich über das Vertrauen der kleinen Wölfin.
„Wollen wir auch bald ins Bett?“, fragte Jaden eine Weile später leise.
„Hmhm“, antwortete Dylan. „Das klingt gut.“
„Na dann komm.“ Jaden nickte Liam zu, der Celine hochhob und sie in den Arm nehm. Schläfrig legte sie ihren Kopf an Liams Hals.
Dylan und Jaden verabschiedeten sich mit Umarmungen vom Rest der Familie und schlenderte dann zum Haus zurück.