Anderthalb Stunden später standen sie gemeinsam mit Mason und Rob, die sie auf dem Weg eingesammelt hatten, neben ihren Autos in der Nähe der Adresse. Sie hatten auf einem Hinterhof in der Parallelstraße geparkt. Um sie herum waren Lager- und Fabrikhallen. Zum Glück war es bereits stockdunkel.
Mason, Rob und Tyler waren bereits in ihrer Wolfsform und sahen Ryan gespannt an.
Dylan war sich nicht sicher, ob er Mensch oder Wolf sein wollte. Aber Ryan nahm ihm die Entscheidung ab. „Magst du dich auch wandeln? In Wolfsform ist der Beruhigungseffekt ein wenig stärker.“ Ryan lächelte. „Ich bleibe bei dir und passe auf dich auf, während die anderen Bree holen.“
„Okay“, sagte Dylan leise.
Jaden zog ihn an sich und küsste ihn leidenschaftlich. „Pass auf dich auf, kleiner Wolf. Ich brauche dich!“
Dylan nickte. „Du auch! Ich brauche dich auch!“ Dylan drückte sein Gesicht an Jadens Hals. „Ich liebe dich!“
„Ich liebe dich auch, kleiner Wolf.“ Jaden lächelte und küsste ihn sanft. Dann drehte er sich zu Ryan. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, unterbrach Ryan ihn.
„Ich passe mit meinem Leben auf ihn auf. Keine Sorge“, sagte Ryan.
Jaden nickte und verschwand dann mit den drei Wölfen und Vincent, der plötzlich ein Sturmgewehr in der Hand hielt, zwischen den Gebäuden.
„Woher hat er ... ?“, fragte Dylan verwirrt.
„Es wäre blöd nur mit Krallen und Zähnen aufzutauchen, falls sie Waffen haben. Meinst du nicht?“, fragte Ryan.
„Ja schon, aber ...“ Dylan seufzte. „Später.“
Ryan zwinkerte. „Na dann los, schmeißen wir uns auch mal in den Pelz. Magst du dich im Auto wandeln?“
Dylan nickte und kletterte dankbar auf den Rücksitz, als Ryan ihm die Tür aufhielt und direkt hinter ihm wieder schloss. Draußen war es ihm eindeutig zu kalt. Schnell entkleidete und verwandelte er sich. Er stupste mit der Nase gegen das Fenster.
Ryan machte ihm die Tür auf und warf seine Kleidung auf den Rücksitz. Dann verschloss er das Auto, versteckte den Schlüssel in einem kleinen Fach im Radkasten und verwandelte sich ebenfalls.
Vorsichtig näherte Ryan sich Dylan und beschnupperte ihn. Dylan schnupperte zurück und rieb dann schwanzwedelnd seinen Kopf an Ryans Schulter. Ryan wedelte leicht zurück und stupste Dylan an. Mit einem Kopfrucken bedeutete Ryan Dylan ihm zu folgen.
Vorsichtig schlichen sie sich zwischen den dunklen Lagerhallen und verkümmerten Sträuchern zu den anderen. Sie mussten aufpassen. Nicht nur sie hatten scharfe Sinne, sondern auch die Betas, die Gregory garantiert um sich geschart hatte.
Der Geruch von Blut ließ Dylan erstarren. Ryan stupste ihn mit der Nase an und schlich weiter. Dylan folgte ihm zögerlich. Was hatte er sich nur dabei gedacht, unbedingt mitkommen zu wollen? Er drückte seine Schulter an Ryans Flanke, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Als sie weitergingen, wurde der Geruch nach Blut stärker. Zwischen den Büschen konnte Dylan einen grauen Wolf erkennen. Er lag komisch verdreht da, die Zunge hing aus dem offenen Maul und sein Fell war im Halsbereich nass. Das Gras um ihn herum glänzte dunkel. Dylan war froh, dass er den Geruch nicht erkannte.
Dylan drückte seine Nase in Ryans Fell. Er war zwar nicht Jaden, aber Ryan roch dennoch nach Familie, Rudel und Sicherheit. Und er roch tausend Mal besser als das Blut.
Ryan blieb stehen und drehte den Kopf, um Dylan anzusehen. Er streckte den Hals und leckte Dylan einmal über das Ohr. Es fühlte sich tröstlich an und Dylan drückte sich fester an ihn. Gemeinsam gingen sie weiter.
An einer halb offenen Tür blieben sie stehen und Ryan spähte hinein. Als er ein wenig Platz machte, drückte sich Dylan neben ihn und sah ebenfalls nach drinnen. Er konnte Gregorys Stimme ausmachen, aber nicht genau verstehen, was er sagte. Er schien sich jedoch in gedämpften Ton mit irgendwem zu streiten.
Plötzlich hörte Dylan Brianna gequält aufschreien.
„Dylan! Ich weiß, dass du da bist! Und ich weiß, dass du deine Freunde mitgebracht hast!“ Gregory lachte gehässig. „Ja, Infrarot-Kameras sind schon was Tolles!“
Panisch sah Dylan zu Ryan, der gespannt nach drinnen sah, sich aber nicht rührte. Vermutlich plante er etwas.
„Schon traurig, für wie blöd du mich hältst!“, fuhr Gregory fort. „Aber ich habe dir ja gesagt, was passiert, wenn du sie mitbringst!“
Es folgte ein Klatschen und Brianna wimmerte.
Dylan versuchte, sich an Ryan vorbei zu drücken, um zu Brianna zu kommen, aber dieser versperrte ihm den Weg. Dylan knurrte ihn an, aber Ryan schüttelte nur den Kopf und blieb, wo er war.
Von drinnen kam nun lautes Knurren.
„Ach wie süß“, ätzte Gregory. „Hast du deine kleinen Plüschfreunde mitgebracht? Nur traurig, dass das weder dir noch deiner kleinen Freundin helfen wird!“
Ryan grollte leise, bewegte sich aber nicht.
„Ein paar schnöde Betas sollen mir gefährlich werden?“, rief Gregory amüsiert. „Netter Gedanke, aber dumm, dass ich auch welche habe!“
Gleichzeitig erklang ein lautes Knurren hinter Dylan und Ryan. Dylan sah erschreckt nach hinten und sah zwei Betas mit gefletschten Zähnen auf sie zugehen.
Blitzschnell drehte sich Ryan um und schob sich zwischen Dylan und die beiden Betas.
„Jetzt, da alle da sind, kann die Party ja beginnen!“, rief Gregory und lachte wie irre.
Dylan und Ryan ließen sich von den beiden Wölfen ins Innere der Fabrikhalle drängen. Drinnen trafen sie auch auf die anderen. Nur Vincent und Jaden fehlten. Brianna saß an einen Stuhl gebunden an der Wand neben Gregory, den sie wütend anfunkelte.
Verunsichert drückte Dylan sich an Ryan, der ihn aufmunternd anstupste, dabei aber die beiden Betas im Auge behielt.
Tyler, Rob und Mason wurden von vier anderen Wölfen bewacht. Aufgrund ihrer Statur nahm Dylan an, dass es ebenfalls Betas waren.
Einige Sekunden später spazierte Jaden in die Halle, als wäre er auf einem Spaziergang. Zwei weitere von Gregorys Wölfen folgten ihm knurrend. Von Vincent fehlte weiterhin jede Spur. Dylan hoffte, dass ihm nichts passiert war.
Gregory rieb sich begeistert die Hände. „Hach. Dann können wir den Tag ja grandios ausklingen lassen! Und wenn ihr blutend auf dem Boden liegt, werde ich meinem Omega mal zeigen, was ihn erwartet.“
Kühl hob Jaden eine Augenbraue. „Wer sagt, dass wir es sind, die blutend auf dem Boden liegen?“
Gereizt knurrte Gregory. „Hast du dich mal umgeschaut? Wenn du zählen könntest, wüsstest du, dass ihr in der Unterzahl seid!“
Jaden lächelte arrogant. „Zahlen sagen gar nichts. Aber wenn du unbedingt darauf bestehst, zu sterben.“ Er grinste böse. „Trau dich!“
Dylan bemühte sich, ruhig zu bleiben und dieses Gefühl auch auf seine Rudelmitglieder zu übertragen. Ryans tröstliche Präsenz neben ihm half ihm dabei sehr.
„Viel Spaß beim Sterben!“, sagte Gregory abschätzig und begann, sich auszuziehen. Auch Jaden befreite sich von seiner Kleidung.
Kurz darauf standen sich die beiden Alphas mit gesträubtem Fell gegenüber und knurrten sich an.
Statt sich jedoch herauszuhalten, wie es sich gehörte, griffen die Gregorys Betas plötzlich Jadens an.
Ryan drängte Dylan zu Brianna und hielt nebenbei die beiden Betas, die sie hineingebracht hatten, zurück. Bei Brianna angekommen, beeilte Dylan sich, die Kabelbinder um Briannas Handgelenke durchzubeißen. Sie glitt vom Stuhl und setzte sich neben ihn auf den Boden. Dylan drückte sich an sie und konzentrierte sich dann wieder auf seine Aufgabe, auch wenn es ihm angesichts des Chaos um ihn herum schwerfiel.
Wie Jaden gesagt hatte, wurde Ryan zum Hurrikan Stufe fünf. Obwohl die zwei Betas zu zweit auf ihn losgingen, hatten sie keine Chance. Unerbittlich wich Ryan ihren Attacken aus und ging sie dafür umso heftiger selbst an. Es dauerte nicht mal zwei Minuten, da lag der Erste mit starrem Blick auf dem Boden. Der Zweite überlebte seinen Kumpanen um nicht einmal anderthalb Minuten.
Tyler, Mason und Rob hatten es geschafft, sich zwischen die fünf anderen Betas und Jaden zu stellen. Sie hatten Mühe, die Angriffe abzuwehren, und Dylan war erleichtert, als Ryan ihnen zu Hilfe eilte.
Jaden hingegen schien mit Gregory zu spielen. Während Gregory keuchend immer wieder auf ihn zuschoss und versuchte, ihn zu beißen, wich Jaden leichtfüßig aus. Und nach den Blutflecken auf Gregorys Fell zu urteilen, erwischte Jaden Gregory deutlich häufiger als dieser ihn.
Während Ryan zusammen mit Tyler, Mason und Rob die fünf Betas bezwangen, schien Jaden nun auch genug zu haben.
Gregory stolperte, als er erneut versuchte, nach Jaden zu schnappen. Jaden nutzte die Gelegenheit, um auf ihn zuzuspringen und sein Maul um Gregorys Hals zu schließen. Sein grollendes Knurren brach ab, als Jadens Zähne sich in das empfindliche Fleisch bohrten, und wurde zu einem rasselnden Röcheln, als Jaden von ihm abließ. Blut und Speichel tropften von Jadens Lefzen und mischten sich mit dem Blut auf dem Boden.
Tiefe Traurigkeit überkam Dylan und er drückte seine Stirn an Briannas Wange. So viel Gewalt und Tod. Und wegen was? Verletztem Stolz? Wahnsinn? Brianna legte den Arm um ihn und kraulte ihm die Ohren. Gemeinsam beobachteten sie Jaden und die Betas, die schwer atmend inmitten des Gemetzels standen und die Köpfe hängen ließen.
Dylan leckte Brianna über die Wange und bahnte sich dann seinen Weg zu Jaden. Er versuchte, nicht in das Blut auf dem Boden oder auf einen der Wölfe zu treten, aber dies gestaltete sich schwierig. Mit rot gefärbten Pfoten kam er neben Jaden zu stehen, und drückte seine Nase an dessen Hals.
Jaden seufzte schwer und rieb seine Schläfe an Dylans.
Wie gerne würde Dylan nun mit ihm reden. So blieb ihm nur, seine Liebe über ihr Gefährtenband zu Jaden zu senden.
Langsam trottete Jaden, mit Dylan im Schlepptau, zu seiner Kleidung, die zum Glück von den Kampfspuren verschont geblieben war. Er nahm seine Menschengestalt an und spuckte dann angewidert aus. „Bah!“ Er rieb sich mit dem Arm über den Mund, aber alles, was er damit erreichte, war das Blut in seinem Gesicht weiter zu verschmieren. Jaden nahm sein T-Shirt und wischte sich damit übers Gesicht.
Dylan musterte Jaden kritisch. Aber im Gegensatz zum letzten Kampf sah er deutlich besser aus. Hier und da hatte er einige blaue Flecken und kleine Bisswunden, aber nichts Ernstes.
Auch die Betas nahmen ihre Menschengestalt an. Hinter ihnen raschelte es und sie drehten sich blitzschnell in Richtung des Geräusches.
Es war Vincent, der eine Tasche mit sich trug, die er Ryan reichte und sich dann aufmerksam umsah. Er selbst hatte mehrere Kratzer und Wunden an den Armen, die aber bereits nicht mehr bluteten, und seine Jeans hatte dunkle Flecken.
Ryan verteilte derweil Handtücher und das Wasser aus der Tasche, die Vincent mitgebracht hatte, an die anderen. Sie wischten sich damit das Gesicht und ihre Arme sauber, bevor sie sich die schwarzen Hoodies und Cargohosen überzogen, die ebenfalls in der Tasche gewesen waren. Vincent hatte sogar an dunkle Sneakers gedacht.
Dylan lehnte sich wieder an Jadens Bein, nachdem dieser sich seine Jeans angezogen hatte.
Jaden streichelte ihm sanft über den Kopf und kraulte ihm die Ohren. „Alles gut, kleiner Wolf“, sagte er leise. „Wir sind bald hier weg.“
Erleichtert sah Dylan zu ihm auf und leckte dann Jadens Hand.
Tyler hatte derweil Brianna in einen der Hoodies gesteckt und sie auf den Arm genommen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und kuschelte sich an ihren Bruder. Dylan und Jaden folgten ihnen zusammen mit Ryan. Mason, Rob und Vincent blieben zurück. Sie würden sich um die Aufräumarbeiten kümmern.
Auf den Weg zu den Autos begegneten sie zum Glück niemandem. Dort angekommen, nahm Dylan auf dem Rücksitz seine Menschengestalt wieder an und schlüpfte in seine Kleidung.
Die Rückfahrt verbrachten sie schweigend.
Dylan saß auf Jadens Schoß und hatte sich an ihn gekuschelt, Brianna auf Tylers.
Ohne zu fragen, steuerte Ryan direkt Jadens Wohnung an. Dylan war froh. So hatten sie ihr Rudel zusammen.
Nachdem alle geduscht hatten, trafen sie sich in Wolfsgestalt im Wohnzimmer wieder. Auf dem großen Sofa kuschelten sie sich aneinander.
Als Mason, Rob und Vincent einige Stunden später ebenfalls zurückkamen, gingen sie duschen und legten sich danach ebenfalls aufs Sofa.
Dylan war froh, dass niemanden etwas Ernsthaftes passiert war. Natürlich hatten sie alle ihre Blessuren davongetragen. Manche sichtbar, manche unsichtbar. Aber die Nähe zu den anderen und die damit verbundene Geborgenheit ließen ihn, fest an Jaden gekuschelt, dennoch schlafen.
Um alles andere würden sie sich später Gedanken machen.