"Nath!", brüllte ich Richtung Badezimmer. "Was sind das denn für komische Anziehsachen!" Ich hatte geduscht und roch ganz sanft nach Rosen. Ich mochte das neue Duschgel, was er mir ausgesucht hatte.
Er strecke den Kopf aus dem Badezimmer und warf einen Blick auf die Bluse, die ich ihm hinhielt. "Ein keusches und konservatives Oberteil, was meiner Mutter sagen wird, wie artig und perfekt du bist." Ich kräuselte die Stirn. "ich sehe aus wie ein Püppchen wenn ich sie zusammen mit diesem Rock und dieser Strumpfhose anziehe, das weißt du, oder?" Er lachte. "Sei mein Püppchen, nur für heute und morgen. Komm schon, Prinzessin."
Ich hatte ohnehin keine Wahl.
Ich zog mich an und war überrascht, dass es eigentlich ganz niedlich aussah. Spießig ja, aber niedlich. Ich rang mir ein Lächeln für mein Spiegelbild ab.
Ich setzte mich aufrecht an den Tisch in der Küche und begann mich zu sammeln.
Im Kopf ging ich all die ordentlichen Fragen durch, die ich seiner Familie stellen konnte. Ein Abendessen mit meiner Schwiegermutter und am nächsten Morgen in die Messe war nicht unbedingt mein liebstes Programm an einem Adventssonntag.
"Können wir dann?", fragte Nathan mich. Er half mir in den langen, steifen Kamelhaarmantel. Ich verdrehte die Augen.
Er fuhr mich zu dem Lokal, in dem das Essen stattfinden würde. Wir stiegen aus dem Auto.
Schon auf dem Parkplatz trafen wir auf Nathans Bruder. Theodor und seine Frau Helen kamen zu uns rüber. Sie hatte den gleichen Mantel wie ich, nur in schwarz und von einer anderen Marke. Wir umarmten uns - mehr oder weniger herzlich. Aber auf jeden Fall bemüht herzlich. "Wieso sehe ich noch keinen Ring an deinem Finger?", lachte Helen, als sie meine Hände nahm und anschaute. "Nicht doch wegen der Schwiegermutter, hm?", fragte sie, wieder lachend. Ich warf Nathan einen Blick zu. "Solche konservativen Konzepte bedeuten uns einfach nichts", sagte er. Ich nickte. So ist es. Uns verband mehr als nur ein Versprechen.
"Ist Samuel schon da?" "Nein, er hatte heute viel in der Kanzlei zu tun", seufzte Theodor. "Aber er wird gleich kommen, so schnell er kann. Spätestens zum Brunch nach der Messe ist er da."
Nathan und sein Bruder lachten, Helen setzte etwas später ebenfalls mit ein.
Am Eingang wartete bereits meine Schwiegermutter und ihr Mann - Konstantin. Ich gab ihnen beiden die Hand. Ich wusste, dass Nathans Mutter mich nicht besonders mochte. Aber ich konnte es verstehen. Ich war eine hochgebildete Frau, ich wäre beinahe an der Uni geblieben, um zu unterrichten. Das mochte sie. Sie war selbst Jura-Professorin mit einer eigenen Kanzlei, ihr Mann Chefarzt der Chirurgie an einer renommierten Uniklinik. Theodor war nach seinem Vater gekommen, die anderen Söhne nach der Mutter.
Ich war weniger interessant.
Im Gegensatz zu Nathan und seinen Brüdern hatten meine Eltern keine berühmten Publikationen, keine Villa, keinen Ruf zu verlieren.
Meine Eltern waren Streitpausentänzerinnen, Ingrundundbodenkuschlerinnen und Liebende, mit den stärksten Gefühlen der Welt.
Das soll keine Wertung sein, aber ich fühlte mich umgeben von erfolgreichen Eisklötzen. Sie lachten, machten Witze, sahen einander selbstsicher in die Augen, berührten beiläufig Arme. Aber ich hatte noch nie von Nathan gehört, dass er seine Mutter lieb hatte. Als sie im Krankenhaus lag, hatte er sie nicht besucht.
Ich würde meine Mutter und meinen Stiiefvater und ja, sogar meinen Vater, zu jedem Zeitpunkt immer im Krankenhaus besuchen oder zu ihnen gehen, wann immer sie in Not waren.
Wir redeten. Irgendwann fragte Nathans Mutter: "Aber bevor ihr ein Kind bekommt, heiratet ihr schon, oder?" Er nickte. "Natürlich Mama, mach dir keine Sorgen. "Und dann bleibt Lilly ja auch zu Hause bei den Kindern, nicht wahr? Kinder brauchen ihre Mütter." "Selbstverständlich", sagte Nathan. "Wobei ich mich nicht daran erinnern kann, dass du zuhause gewesen wärst und gekocht und gebacken hättest." Seine Mutter zog die Augenbrauen hoch. "Rede nicht in diesem Ton mit deiner Mutter", tadelte Konstantin seinen Sohn. Er nickte seufzend.
"Helen, was macht denn euer Versuch schwanger zu werden?", fragte sie dann. Helen wirkte auf einmal verunsichert und griff nach der Hand ihres Mannes. Ich wusste gar nicht, dass sie es versuchten und ich wollte es auch gar nicht wissen. Sie lachte nur nervös und sagte: "Wir lassen nicht locker."
Gott, was war das nur für ein Krampf.
Nach dem Essen fuhren wir zu Nathans Eltern nach Hause.
"Und, was hast du fürs Familienbrunch morgen mitgebracht?", fragte mich Nathans Mutter, als sie mich beiseite nahm, damit ich ihr in der Küche mit dem Wein half. Für alle, außer für Helen, die ja theoretisch schwanger sein konnte und deswegen ja nichts trinken durfte.
"Ich habe Brezeln im Auto, juhu!", sagte ich, verunsichert, dass ich hätte was kochen sollen oder so. "Oh aber frisch schmecken die doch am Besten!" Was sagt man dazu?
"Und willst du wirklich nicht heiraten, Liebes?"; fragte sie mich. Ich fühlte mich unwohl so ganz alleine mit ihr. "Doch möchte ich", sagte ich. "Deine Eltern sind geschieden, oder? Es zeugt nicht gerade von einem guten Charakter wenn man bei den ersten Beziehungsproblemen aufgibt, nicht wahr? Und sowas ist ja leider erblich, nicht?"
Ich seufzte. Dann straffte ich den Rücken und sagte: "Ich wüsste aber auch nicht, wieso es von einem guten Charakter zeugen würde, über andere zu urteilen. Insbesondere wenn man doch gar nicht weiß, was wirklich bei den anderen los ist, nicht?" Dann nahm ich das Tablett mit den Weingläsern. Ich war stolz, dass ich alle bedienen konnte, ohne etwas zu verschütten. Dann setzte ich mich neben Nathan. Er legte einen Arm um mich: "Nanana", sagte Theodor und grinste fast ein bisschen anzüglich. "Nehmt euch in Zimmer. Körperkontakt zu anderen, tzzzz."
Nathan verdrehte die Augen und ließ den Arm um liegen. Sie begannen über Politik zu reden. Auch da waren sie sehr konservativ. Ich wusste es besser, aber ich wollte mich nicht einmischen, deswegen bewunderte ich nur die herrliche Deko.
Die Villa war durchaus eindrucksvoll.
Am nächsten Morgen ging es mit den Sticheleien weiter. Ich wünschte, Nathans Familie wäre nur ansatzweise so herzlich wie meine. Aber Samuels Auftauchen mit seiner Frau Maria und den zwei wunderschönen, kleinen Töchtern machte es noch schwieriger.
"So wirst du meine Enkel hoffentlich nicht behalten, wenn du dann schwanger bist", sagte Nathans Mutter zu mir, als wir sahen, wie Maria sie zurecht wies. Nicht mal eine Stunde später, raunte sie mir zu, dass sie ja hoffe, ich würde meinen Kindern nicht das durchgehen lasse, was Maria ihren Kindern durchgehen ließ. Daraufhin antwortete ich, ebenfalls leise: "In der Kindererziehung gibt es zwei Elternteile. Samuel hat schon drei Teller voll gegessen, während Maria nicht mal was vom Rührei abbekommen hat, weil sie mit den Kindern beschäftigt ist." Sie war sprachlos. Dann fragte sie: "Willst du Nathan etwa an seiner Karriere hindern und ihn zwingen, zuhause auch noch Verantwortung zu übernehmen?" Ich sah ihr eiskalt in die Augen und sagte: "Ja."
Ich war heilfroh als wir endlich wieder im Auto Richtung Heimat saßen. Ich konnte es keinen Augenblick länger in der Gegenwart seiner Mutter ertragen, ohne zu explodieren. "Hast du dich gut amüsiert?", fragte mich Nathan. "Klar", sagte ich. Aber ich war so unfassbar müde, dass ich dankbar war, dass er mich den Rest der Fahrt schlafen ließ, während im Hintergrund Weihnachtsmusik dudelte.