Zuhause vermisste ich Nathan jeden Tag.
Zu wissen, dass er weit weg war und mich auch vermisste, machte es nur schlimmer.
"Verflucht ich gebe dir nicht die Bankunterlagen und alles." "Nathan, die musst du mir nicht geben, ich weiß, wo der Ordner in deinem Arbeitszimmer steht. Ich habe alles unter Kontrolle."
Nathan verschränkte die Arme vor der Brust.
Er machte tolle Fortschritte in der Reha, aber er hatte noch immer Belastungsschmerzen in den Beinen.
"Du bist meine Sub", sagte er. Zum Glück waren wir alleine hier im Garten und er saß im Rollstuhl vor mir auf der Bank.
Zum Glück hörte uns niemand.
"Ich bestimme und ich mache die Regeln. Du brauchst dich um nichts zu kümmern."
"Eben doch, Nathan. Wir brauchen die Unterlagen für die Krankenkasse und doch, ich muss Rechnungen bezahlen."
"Bring mir alles mit. Ich regle das. Du kannst das doch gar nicht."
"Ziemlich heftige Worte für jemanden, der nicht einmal alleine aufstehen kann", sagte ich. Nathan riss die Augen auf.
"Hör zu. Ich weiß, dass das alles hart für dich ist. Aber lass mich dir helfen. Und wenn es nun mal so ist, dass ich mich zuhause um alles kümmere."
An diesem Abend rief ich Mona an und fragte sie, ob wir uns treffen könnten. Zum Glück kam sie vorbei. "Wir haben uns irgendwie gestritten", gab ich zu. Ich hasste Streit. Besonders mit Nathan.
"So schlimm, dass du keine Zukunft mehr siehst?", fragte sie. Sie trug einen ausgesprochen hübschen, aber zugleich auch tief ausgeschnittenen Pullover.
"Nein, ich würde mich niemals von Nathan trennen wollen!", sagte ich. "ich liebe ihn seit soooo vielen Jahren. Ohne ihn wäre mein Leben doof." "Aber was ist dann das Problem?", fragte Mona. Mittlerweile fühlte sie sich wie eine Vertraute an.
"Seit dem Unfall haben wir keine tpe Beziehung mehr. Einfach weil er es nicht kann im Moment. Er denkt, dass das härteste daran ist, dass ich mich um unsere Rechnungen und unsere Versicherung kümmern muss. Aber das stimmt nicht. Das härteste daran ist, dass ich abends nach Hause komme und es so leise ist, dass meine Ohren Geräusche machen, damit ich mich nicht so alleine fühle. Ich höre meinen eigenen Herzschlag. Ich dachte, das gibt es nur in Filmen. Und am Anfang war ich ernsthaft orientierungslos. Ich wusste nicht, was ich machen soll, was ich essen soll, was ich anziehen soll. Ich war wirklich aufgeschmissen. Aber ihm gehts noch schlechter und er vermisst mich und unser altes Leben und er ist erschöpft. Und naja. Ich habe Angst, dass er mich nicht mehr liebt."
Mona nahm mich fest in den Arm. Sie war warm und weich und alles, was ich in dem Moment dringend brauchte. Als sie sich von mir löste, sagte sie: "Weißt du noch, wie es war, als er ich liebe dich zum ersten mal gesagt hat?", fragte sie.
Ich musste lächeln und gleichzeitig stiegen schon beim Gedanken daran Tränen in meine Augen. Mir wurde ganz warm und gleichzeitig auch melancholisch. "Ja. Ich habe nicht sofort gesagt, dass ich ihn auch liebe." Ich musste schmunzeln. "Also. Es war der letzte Abend vor meinem Auslandssemester. Wir haben nicht einmal zusammen gewohnt." Ich musste mir meine Augen kurz trocken wischen, aber dann war ich wieder gefasst. "Ich lag in meinem Bett. Und er auch. Mein ganzes Zimmer war leer geräumt und ich hatte sogar schon einmal durchgewischt. Meine Eltern hatten meine Kisten schon abgeholt und sie in meinem alten Kinderzimmer untergestellt. Ich hatte nur noch eine kleine Tasche da, mit allem, was ich brauchte. Er war bei mir und hielt mich in seinen Armen. Ich fühlte mich furchtbar. In mir toste ein Sturm und ich dachte, ich könnte ihn nie wieder beruhigen. Niemals wieder." Mona lächelte mich an, als wäre das schon romantisch. Es war nicht romantisch. "Ich war distanziert und kalt und aufgeregt und ich hatte schreckliche Angst. Alles war ja neu. Und dann war da Nathan, der mich in seinen Armen hielt und das mit mir zusammen aushielt. Und ich fragte ihn, wieso er das ertrüge, er könnte doch gehen, woraufhin er antwortete, dass er mich liebe." "Awwww", unterbrach mich Mona. "Und was hast du dann geantwortet?" Ich verbarg mein Gesicht zwischen meinen Händen, aus Scham. "Ich habe gesagt, dass er das nicht tut. Und dann habe ich geschwiegen und er auch und irgendwann hat er gesagt, dass er da seit Monaten drüber nachdenkt und sich sicher ist, dass er mich liebt." Ich schluckte, bevor ich weiter redete: "Also habe ich still dagelegen, ihn fest an mich gedrückt. Und nur weil ich es nicht erwidert habe, heißt es nicht, dass ich es nicht gefühlt habe. Ich wusste, dass ich ihn liebe. So viel habe ich noch nie für jemanden empfunden. Aber ich habe mich nicht getraut, sowas großes vor unserer größten Distanz, die wir je zwischen uns hatten, zu sagen. Und vorher war es so viel ds, dass ich nicht wusste, ob er mich romantisch lieben würde. Immer wenn wir kuschelten, dachte ich, es wäre einfach nur Aftercare. In dem Moment bin ich ganz ruhig geworden und habe gespürt, wie sich seine Brust hob und senkte und ich konnte seinen Herzschlag hören, der einzige Herzschlag, den ich hören möchte, ohne dass es gruselig ist." Mona war gerührt. "Und wann hast du ihm gesagt, dass du ihn auch liebst?" "Als er mich im Ausland besuchen kam. Wir haben Händchen gehalten und all das Zeug. Schmetterlingeoverload." Sie lachte. Dann sagte sie: "Er fühlt sich gerade nicht liebenswert, weil er so anders ist, als damals, als er der Starke war. Sag es ihm wieder und wieder. Sag ihm, dass du ihn liebst und bewunderst und er nicht schwächer ist, nur weil du auch ein bisschen Verantwortung hast. Das wird ihm guttun und dir auch."
Die Reha verlief auch in den kommenden Wochen ausgesprochen hervorragend.
Das Wetter wurde immer besser und frühlingshafter und auch Nathans Laune wurde besser und besser. Was nicht nur für seine Heilung, sondern auch für unsere Beziehung von Vorteil war.
Ich hatte mich auch wenn ich mehr als nur einmal geweint hatte, inzwischen in all unseren Papierkram eingelesen und angefangen ihn zu verstehen und auch schon gründlich bearbeitet.
Ich war mehr als nur stolz auf all das, was ich bisher geschafft hatte. Und ich fühlte mich gestärkter denn je.
Auch stritten wir uns nicht mehr.
Nathan arbeitete gut mit und ich erledigte meinen Teil.
Als Nathan entlassen wurde, konnte er schon wieder gut gehen. Er hatte noch Krücken für lange Strecken, aber er war den Rollstuhl endlich los.