Wir waren bei Lucius auf der Dachterrasse.
Die Männer tranken Wein.
Ich kniete auf dem Boden.
Im Moment hatte Nathan wieder eine dieser Phasen, in denen er zumindest in Anwesenheit seiner Domfreunde ziemlich die Daumenschrauben anzog. Seit meinem Fehltritt vor ein paar Wochen war er zumindest strenger als sonst. Es war schon später im Herbst und obwohl ich eine dicke Strumpfhose trug, fror ich.
Ich zitterte sogar ein bisschen.
"Sir?", fragte ich schließlich. Ich sollte ihn nicht unterbrechen, aber er hatte mich hinter sich, nah bei der Tür knien lassen und sah von der Terrasse aus auf die Stadt.
Er drehte sich zu mir um und fragte: "Was ist denn?" "Sir, ich friere.", sagte ich. "Das musst du aushalten. Das ist kein Grund mich zu unterbrechen."
Ich fand das ziemlich lieblos. Normalerweise zeichnete sich unsere Beziehung durch seine außerordentliche Fürsorge aus.
Eigentlich war ich nur seinetwegen immer schon warm angezogen.
Ich sagte also nichts.
Irgendwann erlaubte er mir, mich anders hinzusetzen, aber wir waren den ganzen Abend da.
Erst als meine Lippen blau waren, schickte er mich rein. Ich sollte in der Küche warten, bis er fertig war.
Ich bedankte mich nicht.
Ich hatte die vergangenen Stunden nichts gemacht außer zu frieren. Er hatte mich keines Blickes gewürdigt und mich behandelt, als wäre ich nichts wert und das vor einem Freund.
Normalerweise pries er mich immer vor seinen Freunden und verwöhnte mich.
Ich hasste es, wenn er so auf Distanz ging. Die Wut hatte sich von Minute zu Minute gesteigert. Was anfänglich Missfallen war, hatte sich in Zorn verwandelt.
Als er sich endlich verabschiedet hatte und mit mir zum Auto ging, wirkte er zufrieden.
"Was hast du denn?", fragte er, als er merkte, dass ich nur einsilbig antwortete.
"Nichts", sagte ich. Ich wollte jetzt nicht mit ihm reden und schon gar nicht streiten.
Er seufzte. "Wenn ich dich frage, was los ist, dann antwortest du. Hast du mich verstanden?" Er klang streng, aber er schrie nicht oder so.
"Ich fands nicht gut, wie du mich heute behandelt hast.", antwortete ich also. Ich merkte selbst, dass mein Unterton noch ziemlich angepisst war. Aber ich war ja auch tatsächlich ziemlich angepisst. Mir war die ganze Zeit ziemlich kalt gewesen. Ich hatte nicht mal was zu trinken gehabt. Und er hatte mich ignoriert.
Schweigend gingen wir zum Auto.
Er antwortete nicht einmal.
Wir fuhren nach Hause. Zuhause sagte Nathan zu mir, als wir gerade unsere Schuhe auszogen: "Du hältst dich trotz der strikteren Regeln manchmal nicht an sie. Ich rede nicht von den Morgenritualen. Die machst du wirklich gut. Aber du widersprichst mir manchmal grundlos. Ich bin für berechtigte Einwände offen, aber manchmal diskutierst du ohne Grund. Außerdem naschst du manchmal auf der Arbeit, ohne mich zu fragen. ich hab die Bonbonpapiere in deiner Hose gefunden. Wenn dich was stört, dann musst du es in angebrachter Weise vortragen. Wenn ich dich nicht genug schlickern lasse, dann musst du mich bitten, deine Zuckerzuvor zu erhöhen. Wenn du das Gefühl hast, Kritik nicht äußern zu können, dann musst du mich bitten, einen Raum zu schaffen, in dem du Kritik äußern kannst."
Wir gingen ins Wohnzimmer.
Er setzte sich und klopfte neben sich aufs Sofa.
"Und wenn du das nicht tust, dann gehe ich davon aus, dass es nicht mein Fehler ist und du dir nicht anders zu helfen weißt, sondern dass du mich provozierst. Und Strafen provozierst du nicht. Es gibt Beziehungen, bei denen gehören Strafen zum Spiel und zu Spaß dazu. Zu unserer nicht. Auf Provokation reagiere ich damit, dass ich dir deinen Platz zeige." Ich setzte mich endlich neben ihn. Wieso sah er nur so verboten heiß aus?
Ich verstand, wieso er mich heute so behandelt hatte, aber es war schon hart an der Grenze zu witzig gewesen.
"Mir gehts nicht so gut", sagte ich also, stand wieder auf. Ich wollte jetzt sauer sein. Ich wollte nicht gefühlsreguliert werden.
Alles was ich wollte war, dass er nie wieder so auf meine Gefühle keine Rücksicht nahm wie heute.
"ich möchte schlafen gehen."
Nathan legte den Kopf schief. "Hör auf gegen meine Regeln zu kämpfen", sagte er. "Du kannst nicht einfach trotzig ins Bett gehen, wenn du nicht einverstanden mit meinen Methoden bist.
"Doch kann ich", sagte ich. "Und du wirst mich gehen lassen. Schlaf ist ein Grundbedürfnis und ein Menschenrecht. Wenn eine medizinische Indikation besteht, dann muss ich mich nicht an deine Regeln halten."
Er zog beide Augenbrauen hoch.
Dann sagte er: "Du verhältst dich so, als würde ich dich mit Schlafentzug foltern. Foltere ich dich mit Schlafentzug?" Ich starrte ihn an. "nein.", sagte ich dann. "Foltere ich dich irgendwie anders?" Ich schüttelte den Kopf. "Wie kannst du mir dann mit einer Menschenrechtsverletzung kommen?", fragte er fassungslos.
"ich habe nur gesagt, dass es hypothetisch" "Lil, nein", unterbrach er mich. "ich möchte es nicht hören. Du gehst ins Badezimmer und dann meinetwegen ins Bett. So will ich keine Unterhaltung mit dir führen."
Ich nickte, drehte mich um und ging nach oben.
Wir versöhnten uns normalerweise immer vor dem Schlafengehen. Einen Tipp, den ich von meinen Großeltern bekommen hatte, die immer noch zusammen waren. Nach 60 gemeinsamen Jahren.
Aber als er ins Schlafzimmer kam, stellte ich mich schlafend.
Am nächsten Morgen wachte ich mit einem trockenen Hals und einer verstopften Nase auf. Mein Kopf schmerzte furchtbar und ich fühlte mich warm. Trotzdem ging ich artig zur rechten Zeit in Position.
Nath beachtete mich auch nicht mehr als sonst morgens.
Er schien noch zu schmollen, gab mir die üblichen Anweisungen, aber keinen Kuss, bevor er zur Arbeit ging.
Ich hasste es, wenn er wegen eines Streits kalt zu mir war. Ich brauchte seine zugewandte Art. Und ich kannte es wirklich nicht, dass er so war.
Normal hätte er bemerkt, dass ich erkältet war.
Über den Arbeitstag wurde meine Erkältung schlimmer und im 11 Uhr meeting hatte ich die ganze Zeit meinen Kopf in den Händen, um ihn abzustützen, da er mir so vorkam, als würde er so viel wiegen, wie eín mittelgroßer LKW.
Meine Chefin kam zu mir und berührte meine Stirn, sobald das Meeting um war, von dem ich natürlich nichts mitbekommen hatte.
"Lilly, Sie glühen ja!", sagte sie. Ich nickte, drehte mich weg und hustete. Alles fühlte sich an, als wäre es zehn mal so schwer.
"Man, gehen Sie lieber nach Hause.", sagte sie. "Hinterher stecken Sie noch jemanden an und so wie Sie aussehen, können Sie hier heute eh nichts mehr bewirken." Ich nickte träge. "Ihr Freund sollte Sie besser abholen kommen. Soll ich ihn für Sie anrufen?" Mittlerweile sah ich Sternchen. Ich nickte also wieder.
Sie ging und ich speicherte die angefangene Arbeit.
Ich war normalerweise trotz Krankheit recht produktiv, aber heute fühlte sich mein Kopf so verstopft an.
"Ihr Freund kommt. Warten Sie in der Eingangshalle auf ihn. Die blauen Sofas sind bequemer, als die in beige. Und kauen Sie Ingwer, das bewirkt Wunder!"
Ich fühlte mich, als wäre ich verschlagen worden, mein Kopf pochte und ich konnte nicht mehr klar sehen.
Nathan kam rein, als wäre ich überfahren worden, sah mich und hockte sich vor mich. Er trug einen Anzug, also wars heute wohl ein wichtiger Tag. "Wie gehts meiner Prinzessin?", fragte er mit weit aufgerissenen Augen.
"Gut", seufzte ich. Lehnte meine Stirn gegen seine Schulter und wäre fast eingeschlafen. Oder erstickt. "Soll ich dich tragen?", flüsterte er in mein Ohr. "Nee, geht schon", sagte ich tapfer und stand auf.
Ich ging an seiner Hand aus dem Gebäude.
Im Auto war ich ruhig. Ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte. Ich war müde und alles tat mir weh.
"Ich liebe dich", sagte er, als wir zuhause ankamen. "Das weißt du, oder?" Ich nickte. Er stieg aus, kam ums Auto herum. Kalte Luft umfing mich. Er hob mich hoch und trug mich tatsächlich ins Haus.
Oben angekommen setzte er mich ins Bett und zog mich aus. Dann holte er mir eine warme Schlafanzughose und einen seiner Pullis. Er tuffte die Decke um mich und ging nach unten, um mir Tee zu holen. Dann fragte er: "Möchtest du, dass ich dir was vorlese, möchtest du schlafen oder eine Serie schauen?" "Vorlesen bitte", schniefte ich.
"Wird gemacht", sagte er und ging zu meinem riesigen Bücherregal.
Er holte Sinn und Sinnlichkeit und kuschelte sich neben mich ins Bett. Ich lag in seinen Armen und er las mir mit seiner beruhigenden Stimme vor.
Irgendwann schlief ich ein und wachte erst davon auf, dass er sich aus meinen Armen wand um nach unten zu gehen.
Er kam wieder mit Hühnersuppe, Tee, Nasenspray und irgendwelchen Tabletten, die helfen sollen.
Abends ließ er mich entscheiden, welches Fast Food ich essen wollte.
Es war nur eine Erkältung, aber er umsorgte mich, als läge ich im Sterben.
Das war so unfassbar lieb von ihm.
"Ich liebe dich", murmelte ich, als mein Bauch voll war mit gebratenen Nudeln und im Hintergrund auf seinem MacBook Greys Anatomy lief.
Ich hatte unseren Streit vergessen.
Und er war wieder der Nathan, den ich kannte.
Das konnte mal vorkommen. Wir sind nur Menschen und wenn wir nicht immer zu hundert Prozent harmonieren ist das auch in Ordnung. Aber in den Momenten, in denen es drauf ankommt war er der Einzige, den ich um mich haben wollte.