Es war mitten in der Nacht als sie mich anrief. Ich hörte mein Handy nur zufällig. Wir mochten keine Handys im Schlafzimmer.
Und das war auch gut so.
Aber als ich mein Handy so gegen 3 hörte, konnte ich nicht anders und stand auf.
Ich tapste ins Wohnzimmer in dem mein Handy auf dem Couchtisch lag. Gut dass es Nathan entgangen war, dass ich es nicht richtig aufgeräumt hatte. Um meine Screentime so niedrig wie möglich zu halten, hatte ich es nur so lange sichtbar, wie ich es wirklich brauchte, wegen der Arbeit oder weil Nathan weg war und ich Erlaubnisse einholen musste. Wenn er da war, legten wir unsere Handys meistens in einer Schaublade. Das half, denn wenn sie aus dem Sichtfeld sind, dann spürt man auch den Drang nicht so, schnell mal die Nachrichten zu checken.
Ich ging dran, obwohl ich die Nummer nicht kannte.
Es schluchzte.
Irritiert runzelte ich die Stirn. Wer mochte das wohl sein?
"Ich bins", sagte es ziemlich erstickt.
"Ich habe mich im Badezimmr eingesperrt." Ich machte die Stehlampe neben mir mit einem Knips an. Dann fragte ich: "Mona?" "Ja", antwortete sie. "Wo bist du?", fragte ich. "Bei ihm zuhause." Sie verriet mir die Adresse. Zwischendrin hörte ich sie schwer atmen. Dann fragte sie: "Kannst du mich abholen kommen?" Ich war irritiert.
"Jetzt?", fragte ich dann. "Ja jetzt. Er will mir gewaltvoll ein Baby machen und ich will noch kein Baby und er lässt mich nur dann aus der sogenannten Zuchtbox, wenn ich Pipi muss." Ich hörte es laut Hämmern und einen Mann im Hintergrund schreien. "Und ich will nicht mehr", sagte sie. Ich hörte sie laut schnaufen, während ich nachdachte. Ich hatte sie tatsächlich ein paar Wochen nicht gesehen. "Ich habe sein Handy auf dem Weg ins Bad mitgehen lassen", erklärte sie dann. "Meins hat er mir weggenommen." Sie schluchzte unterdrückt. "Nur deine Nummer habe ich im Bad in meiner leeren Schampooflasche. Bitte hol mich ab."
"Ich bin auf dem Weg. In welchem Stock bist du?" "Im Zweiten." Ich seufzte. Dann sagte ich: "Da kannst du nicht aus dem Fenster. Richtig?" "Richtig", sagte sie. "ich nehme Nathan mit. Wir finden eine Lösung. Bleib im Badzimmer." "Ich kann nicht mehr lange, er wird die Tür aufbrechen. Er droht schon damit." "Versuch ihn hinzuhalten, sonst passiert dir noch was.", riet ich ihr, dann legte ich auf. Ich weckte Nathan. "Was ist los?", fragte er ganz verwirrt. "Bitte vertrau mir", sagte ich. Ich war es nicht gewohnt Entscheidungen zu treffen, aber ich hatte es doch versprochen. "Bitte komm mit mir mit. Ich erkläre es dir auf dem Weg."
Er zog sich an, ich war mir eine Sweatshirtjacke über und wir fuhren zu Mona nach Hause. Im Auto erklärte ich Nathan was los war.
"Welche Adresse genau?", fragte ich. Ich verriet es ihm und den Nachnamen, den mir Mona genannt hatte.
Nathan klingelte.
Es dauerte etwas. Er klingelte wieder.
Erst beim dritten Klingeln öffnete sich die Tür. Es war Arthur, Monas Dom. "Hey", sagte er, überrascht uns zu sehen. "Gibt es bei euch ein Problem?", fragte Nathan. "Nein, alles gut", sagte Arthur und wollte die Tür wieder schließen, aber Nathan hatte bereits einen Fuß in der Tür. "Dürfen wir mal reinkommen?", fragte er. Obwohl er kein Polizist war, hatte er Autorität. Das musste an seiner Größe liegen.
"Ja", sagte er, aber wir waren bereits drin. Nathan gab mir ein Zeichen und ich drängelte mich an Arthur vorbei ins Haus. Ich lief durchs Treppenhaus hoch in Arthurs Wohnung, während Nathan noch immer unten mit ihm war. Ich war schnell. Ich suchte das Bad, aber ich fand nur eine eingetretene Tür.
Ich fand schnell das Schlafzimmer, aber Mona war nicht dort.
Erst hinter der letzten Tür war ein Zimmer, in dem nichts war, außer ein Käfig, der sie so in Position hielt, dass Arthur sie von hinten schwängern konnte. "Oh Gott!", sagte ich und lief zu ihr. Sie schluchzte. "Seit wann bist du so?" Ich öffnete den Käfig und half ihr raus. Ihre Beine zitterten. Ihre Handgelenke waren blau und sie hatte ein angeschwollenes und blaues Auge. Er hatte ihr tatsächlich wehgetan. Ich stützte sie ab. Sie war vollkommen nackt und ich konnte all die Spuren an ihrem Körper seien. "Seit ein paar Tagen, vielleicht zwei Wochen oder dreien. ich weiß es nicht. Ich darf erst raus, wenn ich schwanger bin." Ihre Stimme war zittrig und dünn. Ich betrachtete ihre Schlüsselbeine. Das Zimmer war nur spärlich beleuchtet, schließlich war es mitten in der Nacht und nur das Licht vom Flur fiel durch die offene Tür, aber ich konnte erkennen, wie sehr es hervor stach. Ich hatte Angst hier mit ihr zu sein. Deswegen gab ich ihr schnell meine Jacke, rannte in den Raum, den ich als Schlafzimmer identifiziert hatte und suchte eine Hose, während sie sich Schuhe holen sollte. Ich fand eine Jogginghose, gab sie ihr, sie schlüpfte in die Schuhe. Wir fuhren mit dem Aufzug, weil sie so schwach war.
Ich sah sie nur an, so blass und krank und unglücklich. Unten war Arthur, der mit meinem Freund stritt. "Lass mich hoch zu meinem Mädchen! ich habe nichts gemacht!", brüllte Arthur gerade, als wir aus dem Aufzug kamen. Er erstarrte als er uns sah. Nathan warf mir die Schlüssel zu. "geh ins Auto, fahrt bis zu dem Ort, den ich dir auf der Hinfahrt gezeigt habe. Da ist es Videoüberwacht. Ich komme gleich nach. Arthur wird mir Monas Sachen bringen, nicht wahr? Sonst rufe ich auf der Stelle die Polizei." Arthurs Schultern hingen herab, als er Mona in meiner Jacke, mit meinem Arm um ihre Schultern sah, wie ich sie rausbrachte, dicht an ihm vorbei, zügig. Draußen brach Mona in Tränen aus. Ich brachte sie zum Auto. "ich habe seit Wochen nicht mehr richtig gegessen", gab sie zu, zitternd. "Nicht mal jeden Tag. Manchmal kriege ich was." Sie sah so verängstigt aus.
Mir selbst stiegen die Tränen in die Augen, ich konnte es kaum ertragen, sie so gebrochen und verletzt zu sehen. Ich gab ihr das Wasser, welches wir dabei hatten und Notfalloreos. Sie hatte stark abgenommen, aber war nicht am verhungern. Verhungernden darf man kein Essen geben, weil der Körper sich selbst verdaut und nicht weiß, wie er mit der Nahrung umgehen soll. Aber so lange war sie nicht dort gewesen.
Als wir standen, nah bei einer Straßenlaterne, sagte ich: "Ich sollte jetzt ein Video machen". Ich hatte mal gelesen, dass das ein wichtiger Beweis war, aber es noch wichtiger war, am nächsten Morgen zum Gerichtsmediziner zu fahren. Oder zumindest ins Krankenhaus. Ich holte mein Handy raus, meine Finger zitterten. Ich hielt die Kamera auf Mona und sagte schnell, wer ich bin und wer sie ist und welches Datum heute ist und wie viel Uhr und dass ich sie aus ihrer Wohnung mit Verletzungen und Unterzuckert abgeholt habe und dass ich dieses Video mache, falls sie zu verängstigt ist, zur Polizei oder ins Krankenhaus zu gehen, damit sie wenigstens ein Beweismittel hat, falls sie es sich anders überlegt. Dann legte ich das Handy weg und nahm sie fest in den Arm. Wir saßen vorne, der Schaltknüppel war im Weg, aber sie lehnte den Kopf auf meine Schulter und ich hielt sie einfach und wiegte sie leicht hin und her. Irgendwann sagte sie leise: "Ich dachte wirklich, ich würde ihn irgendwann lieben. Aber dann habe ich gesehen, wie Nathan dich anschaut, wenn du von Schreiben sprichst, oder von deinen anderen Obsessions. Seine Augen leuchten. Er interessiert sich für dich und will wirklich, dass es dir gut geht. Das ist Liebe. Wenn beide gleich viel geben wollen. Nicht, wenn einer will, dass der andere sich aufgibt."
Dann schwiegen wir wieder, während ich sie weiter hielt und ihrem Atem lauschte und wartete, dass sie etwas sagte.
Nathan kam und ich fuhr uns nach Hause. Er hatte eine große Sporttasche voller Kleidung. Keine Ahnung wie er das geschafft hatte.
"Heute bleibst du bei uns", versprach er. "Und morgen finden wir eine neue Bleibe für dich."
Zum Glück fiel Mona eine Freundin ein, die in einer WG wohnte, sie hatte zwar kein Zimmer frei, aber sie vermittelte Mona weiter an eine andere Freundin, in deren WG tatsächlich ein Zimmer frei war.
Mona meldete sich beim Vermieter und hatte ruckizucki einen Plan.
Sie sah aus, als wäre sie misshandelt worden und alles machte ihr Angst, aber sie weigerte sich, sich einweisen zu lassen.
Aber bei der Freundin fand sie erstmal einen sicheren Ort für die Anfangszeit.
Natürlich ist es bei den meisten Opfern häuslicher Gewalt nicht so leicht und es ist wichtig, sich an die Polizei zu wenden, die einem weiterhelfen kann.