[Autorinnenhinweis: Bitte nicht wundern: Die beiden Passagen aus Salghiáras POV sind Rückblenden. Der Handlungsstrang der Magier holt aber nun zur eigentlichen Geschichte (Szenen um Galéon und die Wijdlant-Gang) auf. Ich hatte den "Prolog" so eingestreut, um eine "Exposition-Textwüste" zu umgehen.]
Während Yalomiro auf dem Weg nach Wijdlant war, um mit der teirandanja zu reden, hatte ich mir von Advon Irísolor erklären lassen, was es mit einem vasposár eigentlich auf sich hatte. Nach dem Vorfall mit dem Brettspiel hatte ich den Verdacht, dass ich vielleicht bisher nicht wirklich begriffen hatte, welches Gewicht das anstehende große Fest in weiterem Maßstab haben mochte. Wie sich herausstellte, hatte ich ein in Teilen viel zu einfaches Bild von diesen Veranstaltungen, ganz einfach, weil ich sie, ohne zu hinterfragen, mit Ritterturnieren verglich, wie ich sie aus meiner alten Welt und romantisierten Darstellungen kannte Aber ein vasposár war viel mehr als ein Reiterwettkampf, an dessen Ende der Sieger die Prinzessin heiratete. Eben wie in einem Kitschroman.
„Ein vasposár“, referierte Advon, der wahrscheinlich jeden Roman und jedes Geschichtsbuch gelesen hatte, die zu diesem Thema geschrieben worden waren, „ist einerseits dazu da, dass sich Edelleute und Damen, die noch keinen hýardor haben, einander begegnen können. Ein Fest, bei dem so viele Edle zusammenkommen, ist eine hervorragende Gelegenheit, besonders, wenn es um die Erbin eines teirandon geht. Da kommen die Zuschauer und Teilnehmer aus allen Ecken des Weltenspiels zusammen.Von einer jungen teiranda erwählt zu werden, ist natürlich eine schöne Aussicht auf mehr Land und Macht. Aber auf einem vasposár sind natürlich auch viele andere hochedle Damen anwesend.“
„Also begegnen sich dabei auch Leute, die einander sonst vielleicht nie über den Weg gelaufen wären.“
„Genau so ist es. Es ist gut, wenn die Familien untereinander über das ganze Weltenspiel miteinander verwandt und verpaart sind. Niemand fängt gern Streit mit jemand anderem an, der zur Familie gehört.“
„Aber es heißt nicht, dass Manjév den Sieger wählen muss?“
„Nein. Es ist natürlich klug, wenn sie ihre Wahl bis dahin geheim halten würde, sollte sie ihrem hýardor bereits begegnet sein. Niemand wird mit seinem Kampfgeschick zwangsläufig ihr Herz gewinnen. Aber natürlich erhöht es ihre Möglichkeiten, beim Fest möglichst vielen jungen Männern zu begegnen.“
„Trotzdem erscheint es mir unverhältnismäßig großer Aufwand zu sein“, wandte ich ein. „Allein, was es kosten mag, das Fest auszurichten …“
„Nein, unverhältnismäßig ist es nicht“, widersprach Advon. „Dass eine Dame einen hýardor wählt, ist ja nur ein Teil des Ganzen. Das Turnier selbst ist das eigentlich wichtige, für alle teirandon.“
„Ja“, schaltete Dýamirée sich ein, die sich eine Zeit lang und zu Yalomiros Befremden für die Romane vom Smaragdritter begeistert hatte. Die hatte sie bei Elosál Irísolor ausgeliehen. „Es finden ja auch Turniere statt, ganz ohne dass eine Dame der Anlass ist. Manjév sagt, es ist Pflicht einer teiranda, ihre Ritter zu den Turnieren auszuschicken.“
Nun wurde ich hellhörig. „Diese Turniere scheinen den Rittern wirklich wichtig zu sein, nicht wahr?“
„Die Turniere sind der wichtigste Dienst der Ritter. Schließlich gab es dank der Turniere seit den Chaoskriegen keinen Krieg mehr.“
„Wie bitte?“
„Meisterin, wie Ihr wisst, haben die Chaoskriege Unmengen an Menschenleben gefordert. Bis zu diesem Zeitpunkt waren nicht nur Magier und Monster, sondern auch teiranday am Geschehen beteiligt. Sie schickten Menschen in den Kampf, und alles endete in furchtbaren Gemetzeln, entvölkerte ganze Landstriche. Als die letzte Schlacht der Chaoskriege geschlagen war und die Überlebenden das sinnlose Grauen erkannten, riefen die überlebenden teiranday eine große Zusammenkunft aus. Tagelang wurde diskutiert, was zu tun sei, um einen solchen Wahnsinn künftig zu vermeiden, ohne dabei das Gesicht und die Stärke des eigenen teirandon aufzugeben. Ich habe unzählige Bücher darüber gelesen und mit meiner Mutter darüber gesprochen.“
Und dann versuchte Advon, mir allen Ernstes weiszumachen, dass die damaligen, von den Chaoskriegen traumatisierten Mächtigen einen geradezu genialen Einfall hatten.
Das war der Moment, in dem ich begriff, dass ein yarl mehr war als ein Adliger, der seine Heimatburg verwaltete, am Hof seiner teiranday anwesend zu sein hatte und aus traditionellen Gründen in zeremoniellem Rüstzeug herumlaufen musste.
Jeder yarl, den ich kennengelernt hatte, Alsgör Emberbey, Waýreth Althopian, Daap Grootplen, Andriér Altabete und natürlich Jóndere Moréaval – diese Männer waren die Armee ihrer Herrinnen und Herren. Die Turniere, auf die sie geschickt wurden, waren Simulationen, kontrollierte Szenarien, in denen sie einander und für ihre jeweiligen teirandon Stärke und Kampfgeschick vor den Augen der Öffentlichkeit darboten. Turniere waren feierliche Wettkämpfe – und ritualisierte Warnungen.
„Aber“, fragte ich, „wenn denn nun ein teirand aus irgendeinem Grund einen echten Krieg führen wollte, was dann?“
„Dann würden seine yarlay und die des Gegners sich bis zum Tod bekämpfen.“
„Das ist doch nicht fair!“
„Es ist immer noch besser, als unzählige Kämpfer zu opfern.“
„Und daran halten sich alle?“
„Nun ja“, gab Advon zu, „bisher gab es keine weiteren großen Kriege seit dem großen Beschluss. Es scheint zu funktionieren. Zumindest, solange es um die Belange von teirandon geht, und solange die Edlen sich noch an alte Schwüre gebunden fühlen. Kleinere Konflikte dämmt es natürlich nicht ein. Im Großen und Ganzen scheint es für die ujoray eine gute Lösung zu sein, die den Mächten gefällig ist.“
„Es sind Menschen“, setzte Dýamirée hinzu. „Sie müssen miteinander auskommen.“
Unwillkürlich musste ich an all die schwarzen Ritterfiguren auf dem Spielbrett denken. Einförmig. Eine Masse. Unter einem Banner, wie eine Armee. Und zwei lautere, die die teiranda beschützten – oder auf den Tod um sie kämpften. Beides eine Vorstellung, die mich verstörte, Soweit durfte es nicht kommen.
Hoffentlich würde Yalomiro beruhigende Nachrichten aus Wijdlant bringen.
***
Im Stall war es noch ruhig und duftete nach Stroh und Tier. Ein Dutzend Pferde hatte hier seinen Platz und eines davon war lebhaft, stand an einer Heuraufe und fraß gierig. Wahrscheinlich handelte es sich um das Tier, mit dem Venghiár so unerwartet schnell zur Burg zurückgekehrt war. Jemand hatte es in den Stall gebracht und abgesattelt, sich aber nicht die Mühe gemacht, ihm den Schweiß abzureiben.
Raýneta deutete auf ein anderes Ross, das nahebei in einem abgetrennten Gatter stand. „Der Graue da“, sagte sie leise. „Der gehört meinem Vater. Nimm den. Er ist brav.“
„Ich sollte mich eigentlich hüten, hier unter diesen Umständen ein Pferd zu stehlen.“
„Du stiehlst ihn nicht. Wir bringen ihn yarl Althopian zurück. Vater braucht ihn doch nicht mehr, nicht wahr?“
Galéon griff nach dem Zaumzeug, das am Standplatz des großen Hengstes hing. Er fragte sich, wann der Greis wohl das letzte Mal im Sattel eines solchen Streitrosses gesessen hatte. Das Pferd musterte ihn mit dunkeln, sanften Augen.
„Nein, Vögelchen, du hast recht. Dein Vater braucht hinter den Träumen niemanden mehr, der ihn trägt.“
„Dann trägt er uns beide. Ein eigenes Pferdchen habe ich nicht. Nicht mehr.“
Das sagte sie so betrübt, dass Galéon stutzte. Doch das war sicher eine Geschichte für später.
Er dankte den Mächten dafür, dass er im Laufe seines Lebens durchaus ab und zu in die Verlegenheit gekommen war, ein Pferd oder Maultier satteln zu müssen. Somit wusste er im Groben, was er zu tun hatte, es gelang ihm aber nicht so schnell, wie es ihm lieb gewesen war. Und dass sich draußen auf dem Hof etwas tat, dass sich dort Menschen einfanden und aufgeregt waren, das entging Galéon nicht.
„Warum hat Venghiár meinen Vater getötet?“, fragte Raýneta nachdenklich, während sie zusah, wie er sich mit Riemen und Schnallen abmühte. Wider Erwarten war der große graue Hengst brav, wenn er sich auch zu wundern schien, dass jemand Fremdes im Dunklen ausreiten wollte.
„Ich weiß nicht, warum er … das gemacht hat.“
„Er will mich auch töten, nicht wahr?“, fragte sie, immer noch in betäubten Tonfall, noch ohne zu begreifen, was eigentlich gerade vor sich ging. Es kostete Kraft, zugleich zu handeln und ihren Geist ruhig zu halten.
„Ich beschütze dich“, versprach der báchorkor. Das musste für den Moment reichen.
Und dann drang von draußen das erste Stimmengewirr zu ihnen, offenbar von der anderen Seite des Hofes. Und dann folgte der Tumult.
Galéon hob Raýneta hoch und setzte sie in den Sattel des Grauen. Das Gesicht des Kindes war ausdruckslos. Das Kuscheltier hielt es fest umklammert. Er selbst kletterte unbeholfen empor, wobei das tänzelnde Pferd und das Gepäck es ihm nicht leicht machte. Er nahm seinen Beutel vor die Brust und legte den Arm um sie.
„Kannst du reiten?“, fragte er.
„Nicht gut. Aber es geht.“
„Egal. Sobald jemand die Tür aufmacht, musst du los. Wir müssen so schnell wie möglich auf den Hof und zum Tor, verstehst du?“
„Das Tor ist geschlossen“, gab sie zu bedenken.
„Sie werden es für dich öffnen. Schließich bist du die yarlaranda.“
„Versprichst du, dass du mich zu meinem Bruder bringst?“
„Wir sind schon auf dem Weg zu ihm.“
Sie nickte. Er griff an das zweite Bündel über seinem Rücken und zog das Schwert. Es beschämte ihn und fühlte sich falsch an. Aber im Dunkel des Stalls und der Nacht mochte es ausreichen. Mochte Noktáma ihm ihren Schutz gewähren.
Raýneta zuckte. Ihre Augen weiteten sich. „Wo hast du das her?“
Er setzte ihr die Klinge vor den Hals, wohl bedacht, sie nicht damit zu berühren. „Was immer passiert, Raýneta Emberbey – behalte die Hände am Zügel. Hab keine Angst. Und glaub kein Wort von dem, was ich zu anderen Menschen rede. Widersprich weder mir noch ihnen. Ich erzähle ihnen nur eine Geschichte, damit sie uns gehen lassen, verstehst du? Vertraust du mir?“
Sie nickte betäubt.
„Du bist ein tapferes Kind, Raýneta Emberbey. Dein Vater wäre stolz, dich so zu sehen. Und jetzt los.“
Und schon riss jemand die Stalltür auf, tat einen erschrockenen Aufschrei und wich zurück.
„Hier!“, hörte Galéon den Knecht rufen. „Hier ist er!“
Der Graue trottete los. Raýneta zitterte wie ein Blättchen im Wind. Der entsetzte Diener an der Tür trat beiseite, als das große Pferd auf ihn zuhielt.
„Bei den Mächten! Er hat die yarlaranda!“
„Er hat ein Schwert!“
„Bleibt zurück“, rief Galéon, während mehr Leute, vom Rufen angelockt, auf ihn zuhielten. „Kommt nicht zu nahe!“
„Mörder!“, brüllte jemand. „Feiger Verbrecher!“
„Gebt mir freies Geleit! Dann passiert dem Kind nichts!“
„Mistkerl! Hast du unseren Herrn getötet?“
„Ich habe ihn hinter die Träume gebracht.“
„Da gibt er es frech zu!“, empörte sich einer.
„Raýneta!“, schrillte die opayra. „Bei den Mächten, das Kind …“
„Lass uns raus“, rief Raýneta ängstlich. „Macht, was der Mann will! Macht einfach das Tor auf und lasst uns raus!“
„Herrin! Habt keine Angst! Wir retten euch!“
„Ja“, erwiderte sie verstört. „Aber lasst uns erst raus …“
Das große Streitross bahnte sich einen Weg an den Menschen vorbei, als pflügte es durch losen Schnee. Es waren vorerst nur zehn, fünfzehn Personen auf dem Hof, denn die, die in den Gebäuden auf der Suche waren, hatten von den Vorgängen am Stall noch nichts mitbekommen. Aber die ersten erschienen, durch das Geschrei aufmerksam geworden, an den Fenstern und wurden Zeuge der bizarren Flucht.
Es wäre ein Kinderspiel für die Schutzbefohlenen auf Emberbey gewesen, den schmächtigen Mann aus dem Sattel zu holen, daran bestand kein Zweifel. Aber sie alle liebten ihre kindliche Herrin, und so sah keiner unter ihnen keine Möglichkeit, ihn zu überwältigen. Wie schnell konnte eine scharfe Schwertklinge den zarten Hals eines Kindes durchtrennen?
Das Burgvolk von Emberbey konnte nichts unternehmen, nicht eingreifen. Aber nichts hinderte die aufgebrachten Menschen daran, den báchorkor zu beschimpfen und zu verfluchen. Galéon seufzte. Wie viel einfacher wäre es doch gewesen, wäre das Kind gleich leise mit ihm zum Tor gegangen. Andererseits – wer konnte ahnen, wozu ihm dieses Pferd nutzen würde – und das Wissen darum, dass Venghiár Emberbey ein seltsames Spiel begonnen hatte? Das war etwas, das nicht vorgesehen gewesen war. Ein Fehler im Weltenspiel.
„Lasst uns heraus“, sagte Raýneta mit dünner Stimme zu den Wächtern, als sie nahe genug am Tor waren. Die Männer reckten ihnen ihre Spieße entgegen, wild entschlossen wohl, ihren Posten zu verteidigen, ihre Pflicht zu erfüllen.
„Gehorcht Eurer Herrin“, schloss Galéon sich an. „Ich habe kein Interesse daran, noch mehr Blut zu vergießen, aber wenn ihr mir keine Wahl lasst, dann sei es so.“
„Lump!“, keifte die opayra. „Ungetüm! Mörder! Pfui und Schande über dich!“
„Öffnet“, beharrte er ungerührt. „Jeder hier wird einander bezeugen, dass ich euch keine Wahl gelassen habe. Auch vor eurem gestrengen Herrn. Eurem neuem Herrn.“
„In wessen Auftrag bist hier?“, fragte einer, der offenbar ein Stück weiter dachte als all jene, die von Hass und Hilflosigkeit überwältigt waren. „In wessen Sold stehst du, báchorkor?“
„Ja“, stimmte jemand anders zu. „Wer hat dich geschickt? Wer wollte unseren Herrn gerade jetzt tot sehen?“
„Das“, sagte Galéon, „ist tatsächlich eine Frage, die ihr alle euch selbst stellen solltet! Und nun öffnet das Tor!“
„Lasst uns raus“, stimmte Raýneta zu. „Mein Vater hätte es so gewünscht!“
„Aber Herrin …“
„Bitte“, wisperte sie. „Bitte, so macht doch nur schnell …“
„Herr Venghiár hat angeordnet, das Tor geschlossen zu lassen!“, widersprach der Torwächter aus Rodekliv störrisch.
Das schien in Raýneta etwas auszulösen. Sie richtete sich auf und hob das Kinn. „Venghiár ist mein Weitvetter!“, rief sie. „Ich bin die Herrin auf Emberbey! Gehorcht mir!“
Die Umstehenden wechselten bestürzte Blicke miteinander. Jene im Gebäude, die noch zu weit weg waren, um mitgehört zu haben, schimpfen und fluchten, und es kamen nun noch Weitere aus dem Haus gelaufen.
„Wenn ihr mich nicht noch weiter aufhaltet“, sagte Galéon, „dann versichere ich euch, dass dem Kind kein Haar gekrümmt wird. Anderenfalls ist es für mich und mein Leben gleich, und ich werde Eure junge Herrin mit hinter die Träume nehmen! “
Einen, zwei Atemzüge lang zögerten sie noch. Dann fasste sich der eine Torwächter, der ältere von beiden, der seit vielen Sommern im Dienst von Herrn Alsgör gestanden hatte, ein Herz. Er schob den schweren Riegel hoch und schob einen Torflügel auf.
„Danke“, murmelte Raýneta ihm zu. „Tausend Dank. Ich werde es euch vergelten. Mein Bruder wird es euch vergelten.“
Sie spornte den Hengst an. Aber kaum hatte der den Torbogen durchquert, zischte etwas durch die Luft. Galéon spürte einen heftigen Schlag im Rücken, der ihm die Luft nahm. Hinter ihm verschwamm der Tumult der erschrockenen Menge, als das Tor, wie von unsichtbaren Kräften bewegt, zugeschlagen wurde.
***
Als Yalomiro vor sechs Tagen von jenseits des Montazíel zurückgekehrt war, schien er keine Neuigkeiten mitzubringen, die uns bei der Enträtselung des Spieles weitergeholfen hätte. Wir hatten ihm die Ruhe gelassen, sich nach dem anstrengenden Flug zu erholen. Früher, als Dýamirée noch klein gewesen war, hätte ihm die Strecke zwischen dem Etaímalon und Wijdlant, im Flug als Rabe, keine größeren Probleme bereitet. Nun bat er uns, ihn zunächst eine Weile einfach zu Atem kommen zu lassen.
Dýamirée und ich hatten nicht darüber reden müssen, aber uns wurde erneut schmerzlich klar, wie viel Kraft er gelassen hatte. Allein, dass er geflogen war, statt durch die Schatten zu laufen, verriet uns, wie sehr er mit seiner Energie haushalten musste. Ich überlegte, ob es ganz einfach das Alter war, ob Yalomiro körperlich kürzer treten musste, oder ob es der Kampf gegen Ovidáol Etaímalar gewesen war, im Chaos, damals, vor zehn Jahren, der ihn zu viel gekostet hatte und nun vorzeitig schwächte.
Ich hatte später versucht, als wir allein beieinander waren, ihm von meiner maghiscal abzugeben. Aber es hatte nicht viel genutzt. Es war, als versuche man, Wasser in trockenen Sand zu gießen, wo es gleich versickerte. Das machte mich traurig. Zugleich versuchte ich, mich davon zu überzeugen, dass alles seine Ordnung hatte. Warum sollten Magier nicht älter und schwächer werden, wie unkundige Menschen auch? Merkte ich es nicht an mir selber, wie mir manche Dinge schwerer fielen als früher? Wie mein Rücken schmerzte, wenn ich mich nach etwas bückte, dass ich schneller außer Atem kam?
Manjév von Wijdlant und Spagor, hatte Yalomiro uns erklärt, als er sich ausgeruht hatte, zeige zu seiner großen Beunruhigung wohl tatsächlich weiterhin keine Anstalten, sich für Merrit Althopian entscheiden zu wollen.
„Vielleicht ist er ihr aus irgendeinem Grund einfach unsympathisch“, hatte ich arglos vermutet. „Manchmal ist das eben so, dass man keine Zuneigung zu jemandem verspürt, so nett der auch sein mag.“
„Nein“, hatte Yalomiro gesagt, „das ist es nicht. Ihr Herz ist zugleich voller Zuneigung für und Widerwillen gegen den jungen Mann. Es muss eine andere Bewandtnis damit haben, weshalb sie vor ihm so zurückschreckt – und sichtlich darunter leidet.“
Und er berichtete von Osse Emberbey, der das wichtige Amt antreten sollte – und von dessen Weitvetter, der aus irgendeinem Grund ein ganz andersartiges Unbehagen in Manjév schürte. Um alle die fremden teirandanjoray und yarlandoray, die ihr ihre Aufwartung machen würden, schien die junge Frau sich dagegen wenig bis gar keine Gedanken zu machen.
„Mir wäre wohler,“ sagte Yalomiro schließlich, „wenn jemand ein waches Auge auf das halten könnte, was sich auf diesem vasposár abspielt, noch bevor es ernst wird.“
Advon fühlte sich angesprochen. „Erlaubt mir bitte, dass ich mich mit meinen Eltern berate, Meister.“
„Sicher. Solange du dich danach unverzüglich auf den Weg machst.“
Ich schaute überrascht zu ihm hin. Konnte Yalomiro Advon allen Ernstes Anweisungen geben?
„Ich bin mir sicher, dass meine Eltern ganz ähnliche Dinge denken werden, wenn wir ihnen von der Sache berichten. Von Eurer Vision und dem Zusammentreffen mit Manjév.“
„Wir?“
„Ich begleite Advon nach Aurópéa! Ich will auch mit Meisterin Elosál und Meister Cýelú reden.“ Dýamirée ließ keinen Zweifel daran, dass es für sie beschlossene Sache war, Advon nicht von der Seite zu weichen.
Yalomiro seufzte lautlos. Dass es sinnlos war, Dýamirée zurückzuhalten, war ihm klar.
„Du weißt, wie vorsichtig du sein musst, mein kleiner Stern“, mahnte er. „Du bist kein Kind mehr.“
„Ja, ich weiß. Ich werde meinen Schleier nur abnehmen, wenn ich mit den anderen Mädchen allein bin.“
„Wenn du nicht sicher sein kannst, wer dich sieht“, sagte er eindringlich, „bleibst du in Tiergestalt. Wirst du das beherzigen, Dýamirée?“
„Papa, ich …“
„Kann ich dir vertrauen?“
Sie schaute bestürzt. Dass er so streng zu ihr redete, kam nicht oft vor.
„Natürlich, Papa.“
„Du bist mir dafür verantwortlich, das kein Unheil geschieht, Abendkind. Mögen die Mächte verhüten, dass neben dem, was sich unter den Menschen anbahnt, noch irgendjemand, missgeschicklich oder bewusst, Magie hineinbringt.“
„Sicher, Meister Yalomiro. Nie würde ich zulassen, dass Dýamirée in Gefahr gerät!“
„Dann gelobe mir, dass ihr beide auch keinen Unfug treibt!“
Die beiden nickten. Sie versuchten, so zu wirken, als wüssten sie nicht einmal, was Unfug ist.
„Dann geht nur, ihr beiden. Die Pforte wird sich bald öffnen.“
„Ich suche Farbenspiel.“ Advon verneigte sich und beeilte sich, aus Yalomiros Blick zu kommen.
„Ich packe schnell etwas zusammen“, entschuldigte Dýamirée sich und eilte gut gelaunt fort ins Haus.
Ich blieb allein mit Yalomiro auf der Bank vor der Tür zurück und überlegte, wie ich es ihm am tröstlichsten sagen konnte.
„Sie machen ja doch, was sie wollen. Sie sind keine Kinder mehr.“
„Genau das ist es, was mich so betrübt. Mit den Kindern war es ... einfacher.“
„Advon würde nie zulassen, dass Dýamirée in Gefahr gerät. Er ist für sein Alter so besonnen und umsichtig.“
„Dýamirées schierer Anblick könnte ujoray ins Verderben stürzen.“
„Sie werden sich in Acht nehmen.“
„Advon Irísolor ist ein Kind!“
„Nein. Er ist längst erwachsen, Yalomiro. Die beiden sind weitab von Kindereien.“
„Es ist viel zu früh!“
„Dýamirée braucht kein vasposár. Ich könnte mir niemand Besseren für sie vorstellen als ihn. Willst du nicht, dass sie das hat, was auch uns wiederfahren ist?“
Er nickte nach einer Weile. Dann wandte er sich mir zu und neigte seine Stirn gegen meine.