Sakura wäre am liebsten weiter gerannt, immer und immer weiter. Sie musste sich zwingen, in den Trab zu fallen, anzuhalten, bevor sie das Ende des Platzes erreichte.
Dann stand sie in der Sonne, ihr Herz raste, ihr Atem flatterte. Sie war voller Energie, die sich keinen Ausweg bahnen konnte.
Amelie auf ihrem Rücken atmete ebenfalls flatternd. Sakura sah zurück, wo Rocket heran gesprungen kam. Er parierte brav durch, schweißgebadet, und warf Sakura einen vernichtenden Blick zu.
„Du hast ihn erschreckt!“, rief Viktoria, sprang aus dem Sattel und ließ ihr Pferd einfach stehen. Sie kam auf Amelie zu, Sakura drehte sich um.
„Du hast Rocket erschreckt, beim letzten Sprung! Du wolltest nicht, dass ich gewinne!“
Viktoria blieb vor Sakura stehen. „Du und dieses bissige Mistvieh – ihr habt betrogen!“
„Ich wollte wirklich nicht, dass ihr gewinnt“, sagte Amelie. Ihre Stimme war fast so ruhig wie Kyles. Sakura war überrascht. Sie spürte, wie Amelie sich aufrichtete. Und dann spürte sie noch etwas: Einen winzigen Impuls des Fußes, vielleicht nur Einbildung. Trotzdem machte Sakura zwei Schritte nach vorn und schnaubte auf die wütende Viktoria herab.
„Aber wir haben dich mit fairen Mitteln geschlagen“, führte Amelie ihre Worte weiter aus. „Ich bin die bessere Reiterin, Viktoria. Das musst du erkennen.“
Viktoria wurde blass. Sogar Sakura, die von den Gesichtsfarben der Menschen nur wenig verstand, wusste, dass das kein gutes Zeichen war.
„Komm da runter!“, zischte Viktoria gefährlich. „Komm da runter und dann regeln wir das, du … du …“
Sie sprach nicht zu Ende, sie zitterte. Aber nicht vor Angst.
Amelie antwortete nicht. Sakuras Reiterin konnte nicht absteigen, nicht, solange das Metallding weit weg war. Sakura wusste das. Und Amelie wusste es. Viktorias wütende Rede hatte Amelie nur einmal mehr an ihre Schwäche erinnert.
Sakura würde gerne etwas tun, um ihre Reiterin zu schützen. Sie wollte Viktoria beißen, bis diese verstand, dass Amelies Beine kaputt waren. Hilflos und wütend sah die Stute Amelies Rivalin an. Wie gerne sie ihr in diesem Moment weh getan hätte!
„Das könnte sich als schwierig erweisen“, sagte Amelie.
Amelie sagte das ruhig, mit einem Unterton, als würde sie einen Witz erzählen, ganz freundlich und fröhlich.
Sakura war erstaunt. Amelie war nicht beleidigt, nicht verunsichert?
Ein kurzer Ruck am Zügel und Sakura wandte sich zur Seite, ohne Viktoria jedoch aus den Augen zu lassen. Viktorias Blick fiel auf Amelies festgebundene Beine, auf den erhöhten Sattelrahmen, auf die Stützen.
Sakura konnte aus nächster Nähe betrachten, wie sich ein neuer Ausdruck auf Viktorias Gesicht schob. Eine Art Entsetzen, Erstaunen. Sakura hatte einen solchen Ausdruck nie zuvor gesehen.
„Du … du bist …“, auch hier sprach Viktoria nicht weiter.
Amelie beugte sich herab und tätschelte Sakuras weißen Hals. Die Stute schnaubte und trottete dann fort von Viktoria. Amelie sagte kein Wort mehr.
Erst später, als der Lärm der Menschenmenge wieder zu ihr hindurch drang, als die Aufregung in Müdigkeit umschlug, verstand Sakura, dass sie auf dem dritten Platz waren, dass Viktoria jetzt gewonnen hatte. Es gab ziemlich viel Wirbel, während Sakura nur wissen wollte, woher diese neue Ungerechtigkeit kam, warum sie nach dem Sieg doch verloren hatten.
Sie bekam etwas in die Mähne geflochten, aber Rocket und Viktoria bekamen mehr. Warum, wollte Sakura fragen.
Langsam verstreute sich die Menge. Sakura konnte auf eine kleine Wiese traben und grasen, während Amelie in ihrem Sattel wartete.
Da kam Viktoria zu ihnen. Sie führte Rocket hinter sich.
„Warum hast du das getan?“, fragte sie Amelie.
„Was meinst du?“, fragte Amelie zurück.
„Warum hast du sie gelobt? Deine Stute? Du hättest gewonnen, stattdessen hast du die Strafpunkte in Kauf genommen. Wusstest du das nicht? Ich … ich habe ihnen gesagt, dass du die Goldmedaille verdient hättest, aber sie haben nur gemeint, Regeln sind Regeln …“
„Viktoria“, unterbrach Amelie den Redefluss. „Ich wusste, dass man sein Pferd nicht loben darf. Und das finde ich falsch. Sakura hat ihre Sache gut gemacht, also lobe ich sie, Regeln hin oder her. Außerdem“, und hier machte Amelie eine kurze Pause, „außerdem ging es mir nie darum, zu gewinnen. Es ging mir um etwas anderes, und das habe ich erreicht.“