Der Text wurde gemäß der Challenge in einer Stunde geschrieben
23:30 bis 00:30, am 04.08. und ist auch nicht in der Hand einer/eines Betaleser/in gewesen.
Er drehte den Schlüssel und öffnete die Tür.
Es gab keinen herzlichen Empfang seiner Frau Mutter oder überhaupt ein Anzeichen von Leben in diesem Haus, das von Außen immer noch in seiner ganz herrlichen Pracht erstrahlte. Die Zeit ging einfach an der schneeweißen Fassade vorüber, ohne sie mit Rissen oder Schmutz zu beflecken. Ihm schien, als wollte nichts und niemand dem Gebäude Schaden zufügen, weil im Inneren bereits genug gelitten wurde.
Er gab sich einen Ruck und überschritt die Schwelle. Er trat ein in eine ihm fremd gewordene Welt, an die er sich mit jeder weiteren Minute, die er sich in diesem Haus befand, wieder erinnerte.
Staub bedeckte die wenigen Möbelstücke, die noch an ihrem Platz standen. Kommoden mit geöffneten Schubladen, die in aller Hast geleert worden waren. Seine Fingerspitzen wagten nur eine kurze Berührung des dunklen Holzes, ehe er sie fortzog, als hätte er sich daran verbrannt.
Es war ihm nie gestattet gewesen, sie zu öffnen. Er brauchte stets die ausdrückliche Erlaubnis seiner Frau Mutter und die hatte sie ihm nie geschenkt. Wenn sie ihn einmal ansah, ihn als ihr Fleisch und Blut erkannte, gab es nur eine Reaktion ihrerseits in diesem von Gram gezeichneten Gesicht: Hass.
In wilder Raserei trieb sie ihn von Zimmer zu Zimmer. Ihr Geschrei hätte selbst die Toten wiedererweckt, dass er ihn jetzt noch als den Schrei einer Banshee bezeichnete. War er zu langsam oder unbedacht, erwischte sie ihn und es gab weder Betteln noch Flehen, um seiner Strafe zu entgehen.
Er erinnerte sich gut an all die Stunden, die er weder auf seinem Hintern sitzen noch auf dem Bauch liegen konnte. Er erinnerte sie ebenfalls an all die Stunden, die er in seinem Schrank damit verbracht hatte, Gott darum zu beten, dass sie für immer in ihren üblichen tranceähnlichen Zustand verfiel, in der ihr Sohn für sie gar nicht existierte. Dann war sie nämlich die Ruhe selbst. Die Frau, die sie sein sollte, wenn sie nicht von einem Incubus heimgesucht und verdorben worden wäre.
Eine Frau, die immer noch darauf wartete, von ihrem ganz persönlichen Prinzen erwählt zu werden. Der nie kam, weil alle wussten, was mit ihr geschehen war und sie und ihren Bastard mied wie die Pest.
Wenn der Tod sich ihrer nicht angenommen hätte, würde sie immer noch durch das Haus geistern. Letztendlich wollte sie ja doch einer für die Ewigkeit haben.
Er stieß ein leises Lachen aus, das nicht von Herzen kam. In Wirklichkeit bedauerte er die Frau, die ihn einst geboren hatte und nicht in der Lage gewesen war, seine Existenz zu akzeptieren. Liebe, das war ein Wort, dessen Bedeutung er weder verstand noch sich danach verzehrte. Alben, so hatte er später gelernt, interessierten sich nicht für Gefühle dieser Art. Allen voran sein alter Herr, dem es nur ums Vermehren ging. Ein bitterer Geschmack bildete sich in seinem Mund, wenn er an diesen Mann dachte und er schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen nicht an die Oberfläche zu holen. Es gab hier keinen Platz für sie.
Das hier war sein Rückzugsort, wenn er an seine Frau Mutter denken wollte, was nicht oft vorkam. Diese Tür blieb die meiste Zeit verschlossen, und das war gut so. Für ihn und sie, darum verließ er das Haus wieder schweren Herzens.
»Bis zum nächsten Jahr, Mutter.«