nachgeschrieben am 21.11.19 von 9:00 bis 10:00
»Ich möchte mit dir ausgehen.«
Zu diesem Zeitpunkt, als ich ihn ganz allein am Tresen einer Bar entdeckt hatte, wie er sich dort in Alkohol ertrank, sah ich meine Chance. Es war vielleicht zu früh, sich ihm anzunähern, weil er erst seit drei Wochen wieder unter den Singles wandelte. Wenn ich es jetzt nicht tat, versuchte es noch einer vor mir und ich durfte wieder zusehen, wie jemand das hatte, wovon ich nur träumen konnte. So lange er schon da saß, gab er jedem einen Korb. Mir erging es sicher nicht anders, aber ich versuchte es trotzdem.
»Ich möchte mit dir ausgehen«, wiederholte ich langsam, da Sion keine Reaktion zeigte und nur an seinem Drink nippte. Er sah weniger gepflegt aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Fettige Haare, verquollene rote Augen und die dunkelsten Ringe darunter, die ich je an einem Kerl gesehen hatte. Normalerweise achtete er penibel auf sein Aussehen, doch nicht heute und sicher auch nicht morgen. Die Trennung machte ihn fertig. Ich hatte von Anfang an geahnt, dass es kein gutes Ende mit ihm und Owen nahm. Sie passten nicht zusammen.
»Bestell die nächste Runde«, verlangte er nach einer Weile des stillen Wartens, dass ich mir wie ein Volltrottel vorkam, und ich wusste nicht, ob ich mich verhört hatte.
»Hast du nicht schon zu viel?«
Wie viel vertrug ein erwachsener Mann, bis er sich im Saufkoma wiederfand? Meiner Meinung nach war er dicht an der Schwelle zu diesem Zustand.
Ich setzte mich neben ihm und bedeutete dem Barkeeper, das mit den Drinks erst einmal sein zu lassen. Am Ende mussten wir noch den Rettungsdienst rufen.
Sion starrte weiterhin seinen Drink an, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich nahm ihm das Glas ab, was mir seine volle Aufmerksamkeit einbrachte. Samt eines leeren Blickes, als sah man in zwei schwarze Löcher. Er sah quasi durch mich hindurch ...
»Ich könnte ihn dafür verprügeln.«
Im Gegensatz zu Sion, der hier vor sich hin litt, ging es Owen ausgesprochen gut. Bei meinem letzten Besuch in seinem Pub hatte er gewirkt wie immer. Der größte Eisklotz der Stadt, dem es vollkommen egal war, wie es seinem Ex erging.
»Also das würde ich zu gern sehen«, sagte er mehr zu sich selbst, während er mich mit etwas Leben im Blick von Kopf bis Fuß musterte, »deine Chancen wären gleich null.«
»Ich hab einen Selbstverteidigungskurs besucht.«
Den ich bis zum Ende nicht durchgezogen hatte, aber die wichtigsten Kniffe konnte ich aus dem Schlaf heraus.
»Oh?« Bildete ich mir den leisen Hauch von Interesse nur ein oder neigte sich Sion wirklich etwas vor? Ich fühlte, wie meine Wangen heiß wurden, aber ich durfte jetzt auf keinen Fall klein beigeben.
»Würde ich es drauf anlegen, könnte ich ein oder zwei Minuten gegen Owen bestehen, bevor er mit mir den Boden aufwischt«, erklärte ich mit einem zaghaften Lächeln, denn Sions Mundwinkel zuckten ebenfalls. Er würde gleich kichern, und das meinetwegen.
»Interessant. Du kennst mich und ihn, aber mir ist dein Name leider entfallen.«
»Gawain. Wie der Name von einem Ritter Arthurs.«
Meine Mutter liebte die Sage, dass ich letztendlich froh war, nicht mit dem Namen Lancelots bestraft geworden zu sein. Gawain war schlimm genug.
Es wunderte mich nicht, dass Sion leise lachte und seinen Drink wieder an sich nahm. Ich war nur froh, dass er es tat, wenn auch auf meine Kosten.
»Wie romantisch. Der Ritter in weißer Rüstung kommt, um das arme betrunkene Prinzesschen zu retten.«
Das war etwas, was der alte Sion sagen würde. Einen Funken Hoffnung gab es also doch.
»Wenn die Prinzessin mich denn lässt.«
Er beäugte mich lange genug aus den Augenwinkeln, dass ich an Zuversicht gewann. Als sich ein richtiges Lächeln auf seinen Lippen zeigte und er sich zu mir beugte, kam ich nicht umhin, breit zu grinsen.
»Warum nicht.«
Man sollte sich nie einen Alb ins Leben holen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Sie saugten einen aus wie einen Vampir. Mein Leben drehte sich schnell nur noch um Sions Zufriedenheit statt um meine eigene. Ich vernachlässigte alles: meine Freunde, Familie und Arbeit.
Wenn ich in meinem Bett erwachte, war ich oftmals zu erschöpft zum Aufstehen, was mir irgendwann egal und Sion ganz recht war. Ich sah selten mal die Sonne oder überhaupt die Welt da draußen vor meinem Schlafzimmerfenster.
»Weißt du, an was du mich erinnerst?«
Wir lagen zusammen zwischen erkalteten Laken. Faulenzten wie immer. Dass Sion meine Worte registrierte, merkte ich nur an der Art, wie er das Gewicht von mir fort verlagerte. In letzter Zeit tat er das immer, wenn ich ein ernstes Gespräch führen wollte.
»An eine Sonnenfinsternis. Man ist ganz aufgeregt, eine mal wirklich mitzuerleben, aber man braucht diesen Schutz, sonst wird man geblendet. Die wenigen Sekunden, die die Welt verdunkeln ...«
»Recht sentimental heute, hm?«, unterbrach er mich und ich glaubte, seine sich verdrehenden Augen direkt vor mir zu sehen, »du weißt, was oder wie ich bin.«
Nachdem er mich aufgeklärt hatte, konnte ich die Tatsachen kaum ignorieren. Sion Baltairre war ein Alb, ja, und vertrieb sich die Nächte damit, junge Männer in ihren Träumen heimzusuchen. Seiner Meinung nach war das kein Betrügen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
»Ich will, dass du gehst.«
»Gawain ...«
»Bitte. Ich muss allein sein.«
Es tat gut, dass er ohne ein Wort ging.