Prompt vom 05.04., nachgeschrieben am 06.04 von 20:45 bis 21:45
Llew genehmigte sich einen Schluck seines frisch aufgebrühten Tees, während er seinen Blick gemächlich über den Jungen gleiten ließ, der mit einem Paket im Arm im Türrahmen ausharrte. An Kyrre sah der blaue Jogginghosen unausgesprochen gut aus. Ein Gedanke, der dem Vampir missfiel. Er wünschte, er wüsste nicht, was unter der Kleidung darauf wartete, erkundet zu werden.
»Jack hat mich reingelassen. Sandra meinte, ich soll dir deine Bestellung zu schnell wie möglich vorbeibringen.«
Ein neuer Satz Dekosand und Teelichter, auf den er bereits sehnsüchtig gewartet hatte, um an seinem Projekt weiterzuarbeiten.
»Auf den Tisch bitte«, meinte Llew und stellte die Tasse ab, blieb aber vorsorglich an seinem Platz. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Kyrre, wie dieser einen zaghaften Schritt in Richtung Tisch tat und schließlich den gesamten Weg mit einem stoischen Gesichtsausdruck hinter sich brachte. Der Junge sah ebenfalls zu ihm hinüber, seine Finger über den Karton streichend. Als wartete er auf ein Zeichen, dass es der Vampir war, der die unbehagliche Situation auflockerte.
»Trägst du die Pakete immer in diesem Aufzug aus«, erkundigte sich Llew schließlich mit der Andeutung eines Lächelns, das sich vertiefte, weil Kyrre sich sichtlich entspannte.
»Nein, ich gehe gleich mit einem aus meinem Team laufen und da dein Haus auf dem Weg zum Park liegt, habe ich deine Bestellung mitgenommen. Erschien mir logischer, und außerdem wollte ich mit dir reden, falls du einen Moment Zeit hast.«
Er hatte die ganze Ewigkeit, wenn es sein musste, aber das galt nur für ihn. Seinem Gast bot er neben einem Platz auch Tee an, den Kyrre jedoch ablehnte.
»Schönes Haus. Die Andersons haben ihre Villa wohl an den Richtigen verkauft.«
»Danke für das Kompliment, aber sie würden sich wohl in ihren Gräbern drehen, wenn sie von meinen Plänen wüssten. Ich will es komplett entkernen. Mehr Fenster. Mehr Licht.«
Kyrre beäugte die gewaltige Wand mit dem Regal voller Gläser mit Dekosand und Teelichtern. Llew tat es ihm nach, ehe er sich an die Tischkante lehnte.
»Und mehr Platz für mein kleines Projekt. Dafür müssen einige Räume weichen.«
»Was ist das?«
Um eine neutrale Miene bemüht, schaute er dem Jungen direkt ins neugierige Gesicht. Den Ausdruck schwor er sich zu bewahren, als er antwortete.
»Erinnerungen an die Menschen, die mir einst nahe waren. Aufgrund meines Alters kommt da einiges zusammen. Ich werde deiner Schwester noch eine Weile als spleeniger Kunde erhalten bleiben.«
Wie erwartet wandelte sich der Ausdruck in Kyrres Blick von Neugierde zu Unbehaglichkeit. Er nahm es dem Jungen nicht übel, schließlich wusste der es nicht besser.
»Es ist in Ordnung«, versicherte er ihm daher.
»Okay.«
Unschlüssig standen sie sich gegenüber. Niemand wagte einen Schritt vorwärts, aber auch nicht rückwärts. Es war ein Stillstand, von dem Llew nichts hielt. Er strich sich seufzend durch seine Haare, darauf bedacht, keinen genervten Eindruck zu erwecken. Er wollte Kyrre nicht verschrecken.
»Verzeih mir mein Benehmen. Ich hätte nicht verschwinden und mich von dir fernhalten sollen. Ich wusste nur nicht, wie ich es am besten anstellen sollte.«
»Und das als Jahrhunderte alter Vampir?«
Kyrre zog ihn auf. Llew hob darauf eine Braue.
»Vorsicht, junger Mann. Du spielst mit dem Feuer, wenn du Witze über einen Vampir in seinem eigenen Heim machst. Wir können das durchaus persönlich nehmen.«
Zu seiner Überraschung grinste der Junge ihn frech an, bevor er einen Schritt zurücktrat und wieder ernst wurde.
»Scherz beiseite. Ich bin nicht sauer auf dich, Llew. Du bist gegangen, weil du es tun musstest. Es ist okay.«
Das war gut, aber er sollte zumindest den Versuch unternehmen, sich zu erklären. Stattdessen schwieg er, bis Kyrre sich verabschiede und ging. Lange sah er ihm nach, ehe er die Hand nach seiner Kaffeetasse ausstreckte, um seine trockene Kehle zu befeuchten.
Du hast solche Situationen schon mal besser gemeistert, ging ihm durch den Kopf und er seufzte schweren Herzens auf.