08.01.20 von 19:00 bis 19:50
Ich öffnete mit Sicherheit nicht diese Tür, weil ich wusste, wer mir dort auflauerte und ich nicht erpicht auf ein Wiedersehen war. Sein Reizhusten brachte mich vierundzwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit zu einer ähnlich schlichten Holztür, die ich nicht zu öffnen wagte.
Dein Vater ist ein Scharlatan, hatte mir Mutter immer wieder bei einem Glas Wein gesagt. Sie nannte es auch eine Geschichtsstunde, wenn sie mich in die Küche rief. Jeden Sonntag, wenn andere in die Kirche gingen, bekam ich meine eigene kleine Predigt. Nie wie mein Vater werden und es besser machen, als der mittellose Versager, der sie mit einem Baby hatte sitzen lassen. Ein anständiger Mann tat so etwas nicht. Er war für seine Familie da.
Mein Vater gehörte nicht dazu, weil er lieber in der Welt herumkutschierte. Zusammen mit seiner anderen Familie nahm er Unschuldige aus wie eine Weihnachtsgans.
Das Schaustellerleben war alles andere als leicht, aber das begriff ich erst viel später.
Er stand nach all den Jahren vor der Tür, weil er etwas brauchte. Hatte vermutlich herausgefunden, dass Mutter verstorben war und ich jetzt ein leichtes Opfer für ihn darstellte. Sie hätte an meiner Stelle längst die Polizei gerufen. So weit wollte ich nicht gehen.
»Geh wieder. Ich werde diese Tür nicht öffnen, egal, um was du mich bittest.«
Vater hatte Mutter auf so viele Arten betrogen, dass ich mir sicher war, er würde das Gleiche mit mir tun. Er konnte gar nicht anders.
»Wie du willst.«
Nachdem seine Schritte im Treppenhaus verklangen, starrte ich weiterhin die Tür vor mir an und war enttäuschter als je zuvor. Er hatte nicht einmal versucht, mich davon zu überzeugen, dass er ein guter Mann war. Sich möglicherweise geändert und mit dem Betrügen aufgehört hatte.
Je länger ich darüber nachdachte, kam ich zu dem Entschluss, dass er für mich ein richtiger Scharlatan gewesen wäre, wenn er Interesse an mir geheuchelt hätte.