nachgeschrieben am 02.12.19 von 08:30 bis 09:30
»Oliver und ich lassen uns scheiden.«
Was ich an meiner zukünftigen Exfrau besonders mochte, war ihr Gefühl für den perfekten Zeitpunkt, ein ruhiges Familientreffen zu ruinieren. Natasha saß ganz entspannt in ihrem Lieblingssessel, von dem sie schon unsere Verlobung und Hochzeit verkündet hatte und sah nicht im Geringsten gestresst oder rührselig aus. Sie schaute mich lediglich für einen Moment an, um sich zu vergewissern, wie es mir mit diesem Paukenschlag ging. Ihre Familie sah das gewiss anders, die ihren soeben servierten Glühwein über den Teppich versprühten. Das gäbe noch ein Nachspiel.
Ich nippte an meiner Tasse und genoss den ersten Schluck in voll Zügen, während Natashas Vater mich mit seinen Blicken zu Asche verbrennen versuchte. Er sollte mich vielleicht besser in den Kamin schubsen.
»Hat er dich betrogen, Mädchen? Dieser ...«
»Nein«, unterbrach ich in seiner bevorstehenden Hasstirade und so leid es mir in diesem Moment um Natasha tat, lenkte ich die Aufmerksamkeit auf sie, »sie hat mir die Hörner aufgesetzt. Mit Johann, meinem Chauffeur.«
Verübeln konnte ich es ihr nicht. Meine Mutter hatte ihm bereits zu Füßen gelegen, als Johann frisch eingestellt worden war. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meine halbe weibliche Verwandtschaft auf seine Liste an Verehrerinnen setzen.
Ich trug es Natasha auch nicht nach, weil es zu einem Großteil meine eigene Schuld war, dass sie die Nähe eines anderen Mannes suchte. In dieser Hinsicht war ich die schlechteste Partie, aber sie wusste das von Anfang an. Jetzt wurde ihr nur mehr bewusst, was das eigentlich bedeutete.
Sie zuckte mit keiner Wimper, als ihre Eltern sie nun im neuen Licht der ehebrecherischen Schlampe sahen. Eine, die es nicht einmal für nötig gehalten hatte, sich einen höher gestellten Liebhaber zu suchen.
»Du hättest nicht von seinen Vorzügen schwärmen sollen. Ich wurde neugierig.«
So konnte man das natürlich auch ausdrücken. Meine Mundwinkel zuckten, dass ich schnell einen neuen Schluck vom Glühwein nahm. Er hinterließ einen ähnlich grausigen Nachgeschmack wie die stillen Verwünschungen im Kopfe ihres Vaters.
»Nun ja, ich weise darauf hin, dass sich jeder in dieser Ehe der Konsequenzen einer Verbindung bewusst war.«
Ihr Vater zuckte als Erster zusammen, dann wich sämtliches Blut aus dem Gesicht ihrer Mutter. Noch ein paar Sticheleien mehr, bis einer von ihnen einer Ohnmacht nahe war. Wie sehr ich mir wünschte, die beiden leiden zu lassen, aber ich hatte Natasha ein Versprechen gegeben. Ich würde mich nicht aus der Reserve locken lassen, egal wie sehr der alte Herr mich auch provozierte.
Jahrhunderte hatte ich Menschen wie ihn um mich herum erdulden müssen, da kam ich mit diesem Exemplar hier schon zurecht. Eigentlich zürnte ich ihm nur, weil er mich vor drei Jahren zu dieser Heirat gedrängt hatte. Wenn ich besser aufgepasst ...
Seufzend stellte ich die Tasse auf den Kaminsims, bevor mich die Erinnerung an damals überrannte. Manchmal war mir, als stünde er direkt neben mir. Ich konnte seine Wärme fühlen und ihn auf meiner Zunge schmecken, dass mir fast das Wasser im Mund zusammenlief. Unter gesenkten Lidern beobachtete ich ihn, wie er am anderen Ende des Raumes an der Wand ausharrte und meinen Blick ebenso ungerührt wie seine Schwester begegnete. Ich wusste, warum ich Natasha mochte. Weil sie ihm auf gewisse Art ähnelte, dass es beinahe für den Rest ihres Lebens ausgereicht hätte. Es gab nur einen einzigen Haken, der sich körperliches Verlangen nannte, an der Sache. Sie verzehrte sich nach jemandem, der ich nicht sein konnte und ich starb innerlich jedes Mal, wenn wir das Bett miteinander teilten. Natasha gelang es, eine Menge Hürden zu überwinden, doch letztendlich war sie nicht ihr Bruder André.
Einen Sterblichen anzuhimmeln war normal, wenn man ewig auf Erden währte. Sich in einen zu verlieben dagegen glich einem Seiltanz ohne Sicherheitsnetz. Wir gaben nahezu alles, was wir besaßen und noch mehr. Würden die Sterne oder den Mond vom Himmel holen, wenn das Liebste danach verlangte. Zu spät bemerkte man, dass man nicht nach dem Mond griff, sondern geradezu in die Sonne flog und jämmerlich in den Flammen verbrannte.