04.09.2019 von 18:30 Uhr bis 19:15
Augen verdrehend riss ich das Quarantäneschild von meiner Zimmertür ab. Mein kleiner Bruder Marty war ja so ein Witzbold. Wer immer ihn auf diese Idee gebracht hatte, schmorte hoffentlich bald in der Hölle.
»Nicht witzig, Marty«, rief ich laut genug, damit er mich in seiner Bude, am anderen Ende des Stockwerks, auch hörte und lauschte einer Reaktion. Wenn er auch nur einen Mucks von sich gab, stopfte ich ihn in den Wäschekorb.
Als es ruhig blieb, verschwand ich in mein Zimmer und warf mich dort aufs Bett. Langsam fand ich das nicht mehr komisch, aber je öfter ich mich bei unseren Eltern beschwerte, stieß ich nur auf taube Ohren oder bekam zu hören, dass Marty noch ein Kind war.
Das wurde zur Standarderklärung, wann immer ich unter Martys Späßen zu leiden hatte. Paps gab sich wenigstens noch Mühe, peinlich berührt in seinem Kaffee herumzurühren, wenn das Thema mal wieder aufkam. Ma tat das nicht. Sie verteidigte ihren Jüngsten bis aufs Blut, weil ... Marty war ja nur ein kleiner unschuldiger Bube. Die hatten nun mal Flausen im Kopf.
Wieder einmal zog ich eine Grimasse, wenn ich an ihre Ausflüchte für das beschissene Benehmen meines Bruders dachte. Heute war es ein Quarantäneschild, ja recht harmlos, aber vor zwei Tagen waren es Rasierklingen in meinem Fahrradsattel!
Wieso begriff sie nicht, dass Marty zu weit ging? Musste erst was passieren, damit sie entsprechend reagierten?
Ich starrte seufzend an die Decke, wo der kleine Scheißer mir mit roter Farbe Pedofiler hingeschmiert hatte und fühlte wieder die gleiche Übelkeit wie damals als ich den Schriftzug entdeckte. Ich hätte ihm mit einem Duden den Arsch versohlen sollen, statt mir Pinsel und weiße Farbe zu greifen um den Scheiß zu übermalen.
Ich war kein Pädophiler, nur weil ich andere Jungen mochte. Weil ich den Paul auf unserer Veranda geküsst hatte. Paul, einer aus Martys Jahrgang, dem ich nur einen Gefallen hatte tun wollen.
Weißt du, ich würde schon gern wissen wie es ist, wenn man einen Jungen küsst.
Seine schüchternen Worte hatte niemand außer mir gehört. Ebenso meinen Vorschlag, ob er es mit mir probieren wollte. Ich wollte doch nur nett sein und es war nie mehr als ein Schmatzer auf die Lippen gewesen.
Alles ganz harmlos, aber Marty ... der hatte aus einer Mücke einen Elefanten machen müssen. Seitdem kämpfte ich mit ihm und seiner kleinen Bande aus weiteren dummen Scheißern. Irgendwie wurde ich damit schon fertig.
Vielleicht begriff Marty irgendwann mal, dass man mich nicht in Quarantäne stecken musste, weil ich nicht mit einer ansteckenden Krankheit herumlief. Dafür musste ich wohl erst an die Wurzel des Übels gelangen, aber ich hatte keine Ahnung, wer ihm so einen Blödsinn ins Ohr flüsterte.