18.09.2019/19.09.2019 von 23:40 bis 00:40
Da stand allen Ernstes ein weißes Pony im Garten seiner Eltern.
Die mit Abstand dümmste Idee, die Julien jemals in die Tat umgesetzt hatte. Dagegen stank sogar die Nummer mit dem Clownskostüm ab, die sein Ex-nicht-Ex für einen Schwarm abgezogen hatte.
»Dir ist schon klar, dass ich die Polizei rufen könnte?«
Nach drei Monaten Funkstille zwischen ihnen ging er davon aus, dass Julien sich nie wieder blicken ließ und bereits einem neuen Lover das Bett wärmte. Er wusste nicht, was er hiervon halten sollte. Ein Pony. Und ein Kostüm mit einem Krönchen, das hoffentlich keinen Prinzen darstellte, weil er sonst an Juliens Verstand zweifeln müsste. In dem Aufzug hier aufzukreuzen ...
Er holte tief Luft und rieb sich über die Augen, in der Hoffnung, dass er in einem Albtraum gefangen war. Leider stand das Pony immer noch da, und erfreute sich an einer Mahlzeit in Form von Mutters Lieblingsblumen. Julien kletterte vom Rücken seines Reittiers, blieb aber daneben mit gesenktem Kopf stehen.
»Ich weiß, dass es eine überaus dumme Nummer ist.«
Er gab ein leises Schnauben von sich.
»Wer steht nicht auf einen mitternächtlichen Ponyritt in den Garten der Eltern seines Exlovers?«
Glücklicherweise hielten sich seine Eltern auf eine Art zweite Flitterwochen auf, sodass er das Haus für sich allein hatte. Die Einsamkeit hatte er gebraucht, um sich ein paar Dinge klarer zu werden. Auch im Hinblick auf Julien, der den Anstand besaß, um Entschuldigung zu bitten.
»Was soll das«, fragte er ihn, bevor der noch auf die jämmerliche Idee kam, ihn mit einem Sonett oder irgendwas Auswendiggelerntes aus Romeo und Julia daherzukommen. Dass der Junge so was brachte, war sicher wie das Amen in der Kirche.
»Ich wollte, also ...«
Julien zuckte mit den Achseln.
»Eigentlich wollte ich nur reden, aber dann sah ich dieses Pony bei einem deiner Nachbarn und ... nun, ich hatte die Verkleidung eh schon an, da ...«
»Da dachtest du, du könntest noch einen Diebstahl begehen, um als vollkommen durchgeknallt dazu stehen? Ist dir gelungen.«
Er wollte Julien am liebsten schütteln und auch in die Arme nehmen, aber sie waren hier nicht in einem Liebesromane, wo der Held als – ihm fiel es wie Schuppen von den Augen.
»Du gibst mir hier nicht den Prinzen auf einem weißen Ross. Nein, das tust du nicht.«
Das war eine dieser abgedrehten Fantasien, über die sie einmal im Suff gewitzelt hatten und er zu seinem jetzigen Leidwesen gestanden hatte, dass er vielleicht auf seinen Prinzen wartete, der auf einem Schimmel dahergeritten kam. Der ihm die Liebe zeigte, und all das aufwartete, was er im nüchternen Zustand verabscheute. Dass sich Julien das gemerkt hatte, fasste er genauso wenig wie das Ganze hier.
Sein Ex-nicht-Ex biss sich auf die Unterlippe und übte sich in Schweigen. Nach all der Zeit, die sie sich kannten, wusste Julien ihn immer noch zu überraschen. Ihm entwich ein kurzes Auflachen, weil er bisher dachte, er könnte ihn lesen wie ein Buch.
»Normale Menschen rufen an, du Blödmann.«
»Du hättest vielleicht aufgelegt. Du wolltest mich nicht sehen, also reden bestimmt auch nicht. Und ja, ich weiß, dass ich hiermit vollkommen bei dir unten durch bin, aber ... ich wollte es wenigstens versuchen, damit ich später nicht bereue, es nicht getan zu haben.«
Genau wie die Sache mit den Blumen, nur, dass Julien sich mehr mit seinen Pflänzchen auseinandersetzte als mit den Folgen seines Theaters.
»Wir bringen jetzt diesen Gaul dahin zurück, wohin er gehört und dann schwörst du mir, dass wir nie wieder ein Wort darüber verlieren. Danach brauch ich eine Zigarette.«
Julien horchte merklich auf, wagte sogar eine klitzekleine Andeutung eines Lächelns.
»Heißt das, wir reden?«
»Bei einem Espresso, ja. Das wird eine lange Nacht. Jetzt gib mir die Zügel.«
Bereitwillig reichte Julien sie ihm und er schaute das Pony mit erhobenen Brauen an, ehe er sich wieder an seinen einstigen Freund wandte.
»Warum eigentlich ein Pony? Es gibt hier richtige Pferde.«
Julien wich seinem Blick aus, bevor er schnurstracks aufs Gartentor zuhielt.
»Ja, aber auf die komm ich halt nicht rauf. Lach nur!«
Das tat er.
»Du weißt schon, dass der Prinz auf das Reittier gehört für seinen mitternächtlichen Ritt zu seiner Liebsten?«
Mehr als eine herausgestreckte Zunge kam nicht als Reaktion, aber Julien wartete auf ihn, als er das Pony aus dem Garten auf die Straße führte. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, wagte der es nur selten, seinen neugierigen Blick zu erwidern.
»Du hast mir gefehlt, Jul.«
Trotz, oder vielleicht wegen dieser abgedrehten Nummer, wurde ihm bewusst, dass sein Leben ohne Julien recht öde verlief. Er hatte sich in den letzten Wochen nur in seiner Wohnung vergraben. Keine Kinobesuche, bei denen Julien öfter mal das Popcorn auf zutiefst witzige Art und Weise beim Lachen auch aus der Nase kam, wenn dieser zu viel lachte. Kein gemeinsames Kochen, nur um sich letztendlich für Pizza oder asiatisch zu entscheiden und dann zusammen auf der Couch zu liegen. Die ganze Zeit hatte er die leere Seite seines Bettes angestarrt.
Er war sich immer noch im Klaren darüber, dass er nicht der Typ für Beziehungen war. Vielleicht ging eine mit Julien auch in die Brüche, aber auf einen Versuch wollte er es ankommen lassen.
Da sein Freund keinen Ton von sich gab, sah er ihn über den Kopf des Pferdes hinweg an, nur um diesen den Tränen nahe schniefen zu sehen.
»Sorry. Ich gebe einen jämmerlichen Prinzen ab, aber ich bin grad überglücklich.«
Er war noch nicht ganz dazu in der Lage, immerhin mussten sie ein gestohlenes Pferd zu dessen Heim zurückbringen. Um zwei Uhr könnte er sich aber vorstellen, zufriedener mit sich und der Welt zu sein. Wenn Julien ihm eine vernünftige Erklärung für seine Ideen gab, doch, selbst wenn nicht ...
Seufzend blickte er zum Halbmond hinauf. Diese Seite an Julien hatte er irgendwie ja immer gemocht.