20.10.2019 von 18:00 bis 18:50
»Das könnt ihr vergessen.«
Josefine zerriss kurzerhand die notierten Ideen für unser diesjähriges Weihnachtsstück und ließ die Fetzen zu Boden rieseln. Sie holte wieder den dicken Ordner hervor, den sie tagein tagaus mit sich schleppte, seit sie zur Leiterin der Theater AG ernannt worden war.
Als sie ihn aufschlug, stöhnten wir einstimmig im Chor, denn niemand von uns hatte Lust auf die biblische Erzählung der Weihnachtsgeschichte. Wirklich jeder Verein in der Gegend brachte sie auf die Bühne, und da wir seit jeher die Letzten mit ihrer Darbietung waren, war das Maß entsprechend beim Publikum voll. Die gesamte AG sah, dass wir etwas anderes machen sollten. Alle, außer Josefine, die bereits Fotos von den Kostümen herumreichte.
»Moment mal, Josefine, haben wir das überhaupt miteinander abgesprochen oder gab es Treffen, von denen ich nichts weiß? Ich habe dem nie zugestimmt.«
»Das hat niemand Maurice«, murrte Morith neben mir mit einem wütenden Blick auf eine unschuldig dreinblickende Josefine, »das hat sie alles allein arrangiert. Mal wieder.«
Typisch für sie.
Meinen Ärger schluckte ich hinunter, doch das Foto mit dem Eselskostüm, in das sie mich stecken wollte, brachte das Fass fast zum Überlaufen. So sah sie mich also? Gut zu wissen.
»Du kannst nicht einfach bestimmen, was wir aufführen, ohne vorher mit uns zu reden. Außerdem ist die Weihnachtsgeschichte vollkommen überholt. Unsere Idee hast du dir nicht einmal angesehen, sonst wüsstest du nämlich, dass wir ...«
»Ich weiß von Natalie, dass es um einen schwarzen Engel gehen soll, der den Weg zurück ins Licht findet. Vollkommen daneben, aber kein Wunder, da du es dir zusammen mit deinem Moritzchen ausgedacht hast. Er sagt ja zu allem, was du sagst, ja und amen.«
Natalie zuckte sichtlich zusammen, bevor sie Schutz hinter einem Pappbaum suchte. Mit ihr würde ich mich später noch auseinandersetzen.
»Er ist nicht mein Moritz«, stellte ich, um Ruhe bemüht klar. Wie sehr mich die Gerüchte anwiderten, die um uns herum kursierten. Meine Hand legte ich sicherheitshalber auf Moritz Arm, denn der zitterte wie Espenlaub, nur nicht aus Angst. Er stand kurz davor, ihr die Abreibung zu verpassen, die sie ein Leben lang nicht vergaß.
»Was genau stört dich? Dass ich die Idee hatte oder der schwarze Engel?«
Ich tippte auf Ersteres, weil wir schon von Beginn an unsere Meinungsverschiedenheiten hatten.
»Wenn wir die normale, abgedroschene Weihnachtsgeschichte bringen, schläft das Publikum ein«, versuchte ich es zu erklären, »der Kindergarten führt die auf, einige von den gemeinnützigen Vereinen ebenso. Du weißt, dass wir dagegen keine Chance haben. Ich für meinen Teil nehme eine schlechte Kritik zu unserer neuen Idee in Kauf.«
Hauptsache ich musste keinen Text aufsagen, den meine Eltern mitaufsagen könnten, weil sie ihn bereits in ähnlicher Form gehört hatten.
»Und du würdest das gut finden, wenn wir mit deiner Idee floppen?«, erkundigte sich Josefine, die sich über mein Lachen wunderte.
»Nicht unbedingt, nein. Ich will nur nicht den gleichen Kram machen wie alle anderen. Das will hier keiner.«
Die stillen Mitglieder stimmten mir mit Nicken zu. Selbst Moritz hatte sich soweit beruhigt, dass er eine Kopie unserer Idee aus dem Rucksack holte und Josefine hinhielt.
»Ließ es doch erst mal, bevor du mit uns entscheidest.«
Obwohl sie die Nase rümpfte, gab sie sich geschlagen.
»Aber ihr müsst auch meine lesen.«
»Okay.«
Es wäre schön, wenn wir wenigstens einmal auf einen gemeinsamen Nenner kamen. Sonst mussten wir irgendwann darüber entscheiden, ob wir sie als Leiterin absetzen ...