Cherew vernahm Tariaks Aufjaulen. Mitten im Satz brach er ab und griff besorgt nach der Gedankenverbindung zu seinem Hund. Die Panik seines treuen Begleiters sorgte ihn. Er spürte wie das Tier nach seinem Geist suchte und sich schutzsuchend an ihm rieb. Cherew sandte einige beruhigende Gedanken aus, um seinem Hund die Angst zu nehmen, während er zugleich bemerkte, dass die andere Gedankenverbindung gelöst worden war. Ob die Illusion noch bestand, wusste er nicht, da Schedelas Mann keine Gedankenverbindung benötigt hatte. Cherew war darüber froh gewesen. Die ständige Gedankenverbindung zu ihm bestand bereits seit Jahren und es hatte ihn viel Überredungskunst gekostet, um Tariak zu der zweiten Gedankenverbindung zu überreden. Er hatte sein Unwohlsein gespürt, als Erinnerungen, die nicht die des Hundes waren, in seinen Geist geströmt und dem Eindringling entgegengehalten worden waren.
Einen Teil seines Geistes fokussierte er weiterhin auf den Hund, um ihn mit seiner Anwesenheit zu beruhigen, während er sich mit dem Rest wieder auf das hier und jetzt konzentrierte.
„Was ist passiert?“, hörte er Sinamet hinter sich fragen.
Cherew wandte sich zu ihr um. Mondlicht fiel durchs Fenster hinein und beleuchtete ihr blasses, unscheinbares Gesicht, das sich wieder einmal vor Schmerz verzerrte, als sie sich zu stark bewegte. Er war stolz auf sie. Nicht viele Frauen und Männer würden diese Schmerzen so klaglos ertragen. Die Flüche, die sie jetzt zunehmend verwendete, waren für ihn eine willkommene Überraschung, weil sie ihn früher dafür gescholten hatte. Und dennoch war die Sorge um sie, die Verletzungen, Sorgen darüber, dass die Wunden sich entzünden würden, dass sie nie wieder würde laufen können, dass sie sterben würde. Eine Sorge, die ihm früher nie bewusst gewesen war, ihn jetzt jedoch nicht mehr verließ. Wohin war die frühere Leichtigkeit und Unbeschwertheit verschwunden?
„Ich weiß es nicht“, entgegnete er, „Schedela hat die Gedankenverbindung zu Tariak gelöst, aber ich weiß nicht warum.“ Sie stemmte die Hände gegen das Kissen und richtete sich auf.
„Nein, nein, nein!“ Er eilte zu ihr, umfasste die Handgelenke und drückte sie sanft wieder auf das Bett. „Du bleibst liegen.“
„Cherew!“ Sinamet drehte sich auf die Seite, sodass sie ihn besser ansehen konnte. „Ich kann nicht hier warten. Ich kann es einfach nicht.“
Der Soldat setzte sich auf die Bettkante und sah zu ihr herab. Mittlerweile trug sie ein dünnes Hemd, das nur sachte auf den Wunden auflag und nicht zu sehr schmerzte. Ihr schmaler Körper zeichnete sich weiterhin darunter ab. Am Rücken zeigten sich rote Flecken.
„Du bewegst dich nicht von der Stelle“, befahl er ihr, „Schedmasal und Schedela sind erwachsen. Sie können auf sich selbst aufpassen.“
Ein leises Schnauben ertönte. „Das konnten sie noch nie.“
„Es ist nicht deine Aufgabe“, spezifizierte er sich und strich ihr sanft über das Haar. Mit den Jahren war es ergraut, doch die krausen Locken waren noch dieselben.
„Es ist keine Aufgabe, Cherew.“ Sie hob die Hand, ergriff seine und nahm sie aus ihren Haaren.
„Zu Beginn war es eine Aufgabe, doch mittlerweile sind sie ein Teil meines Lebens.“
„Ein Teil.“ Er sah auf seine Hand, die nun auf der Decke lag, die er ihr untergelegt hatte.
Mit einem Seufzen legte er sie auf sein Bein. „Ich glaube, ich sollte aufhören, dir vorschreiben zu wollen, was du tun sollst. Es war schon damals falsch und ich sollte jetzt nicht wieder damit anfangen. Ich…“ Er hielt inne. Früher waren ihm die Worte so leicht über die Zunge gekommen, doch jetzt fand er sie nur schwer. Vielleicht weil er jetzt das erste Mal das Gefühl hatte, Sinamet wirklich wahrzunehmen. Zuvor war sie zwar mehr als die anderen Mädchen gewesen, mit denen er sich getroffen hatte, aber er hatte sie als eine Person gesehen, die sie nicht war.
„Du bist erwachsen geworden, Cherew“, erkannte sie und sah ihn erstaunt an.
Erwachsen? War das das Wort? Er wusste es nicht, verstand es schon lange nicht mehr.
„Mit zweiundsechzig Jahren sollte ich das wohl sein“, entgegnete er lächelnd.
„Nein. Ich meine nicht dem Gesetz nach. Du bist auch mit dem Geist erwachsen geworden.“ Sie sah ihn an, doch das auf eine andere Art als zuvor. Es schien, als ob auch ihre Wahrnehmung ihm gegenüber sich gewandelt hatte. Oder bildete er sich das nur ein?
Schweigen. Eine neue Art der Wahrnehmung mochte es sein, aber nun wusste er nicht mehr wirklich, wie er ihr gegenüber reagieren sollte.
„Die Lichtung ist nicht weit“, erklärte er, „Ich könnte dich hintragen.“
„Mich hintragen, du…“ Der Rest ihres Satzes ging in einem Hustenanfall unter. Auffordernd streckte sie ihm den rechten Arm entgegen.
„Deine Verrücktheit hat sich eindeutig nicht geändert“, stellte sie fest.
Cherew lächelte.
Er liebte sie.