Der Rollator schlingert hin und her,
Das Gehen fällt ihm sichtlich schwer.
Mit krummen Rücken rollt heran,
Ein gebrechlich alter Mann.
Mühsam schleppt sich das Fossil,
Der Kopf ergraut und stark senil,
In die Manege, durch den Staub,
Ist fast blind und beinah taub.
Er hört sie nicht, die laute Stille,
Nicht mal ein Zirpen einer Grille,
Dringt von den Zuschauertribünen,
Darauf kauern scheinbar Hünen.
Voller Spannung und Erregung,
Lauern sie ohne Bewegung,
Seiner zögerlichen Schritte,
Endlich steht er in der Mitte.
Wie ein Kugelhagel feuert,
Dem man Rhythmus beigesteuert,
Ein Trommelwirbel auf ihn nieder,
Erschüttert seine müden Glieder.
Scheinwerfer ziehen ihre Kreise
Um den armen alten Greise,
Bis der Strahl, das Rampenlicht,
In seinem Grauen Star sich bricht.
Täterätä, Parampampam,
Beobachter sprengen den Damm,
Von allen Rängen lärmt Applaus,
Dem Senioren gar zu Graus.
Bloßgestellt und eingefangen,
Muss um seine Würde bangen,
Beginnt er fürchterlich zu schwitzen,
Das Publikum reißt's von den Sitzen.
Diese kleine Showeinlage,
Ist erst der Anfang, keine Frage.
Unerhörte Ovationen,
In zweifelhaften Situationen.
Der Menge wird er vorgestellt,
Aus dem Lautsprecher es gellt:
"Begrüßen Sie den großen Heinz,
Hier im Zirkus Nummer Eins!"
"Heinz ist unser Jubilar,
Denn er wird heut neunzig Jahr!
Meine Herren, meine Damen,
Bei uns hat Alter einen Namen!"
"Nun sehet und staunet allesamt,
Wie sein Feuer neu entflammt!
Die Darbietung, darauf mein Wort,
Ist fesselnder als Mannschaftssport!"
Heinz derweil wird Angst und Bang,
Aus dem Off ertönt Gesang.
So laut, dass sogar er es hört,
Wird ihm in Sopran beschwört.
Aus dem Vorhang, bunt begleitet,
Eine junge Dame schreitet.
Und so edel, schön wie sie,
Hypnotisch ihre Melodie.
Hinter ihrem Abendkleid,
Hat sie Tänzer im Geleit,
Artisten, Clowns, Trapezgeschwister,
Ziehen jegliche Register.
Zauberer und Feuerspucker,
Messerwerfer, Schwertverschlucker,
Tigerzähmer und Athleten,
Und Schimpansen mit Trompeten.
Sie singt von Liebe, singt von Schmerz,
Nur Heinz hält dies für einen Scherz.
Erst, als der Refrain gesprochen,
Beginnt sein Herz gar schnell zu pochen.
Sie schreit ihn an, aus voller Kehle,
Brüllt förmlich in die alte Seele,
Bis er in die Knie geht
Und die Welt nicht mehr versteht:
"HEINZ, NUN KOMM DOCH AUF DIE BEINE,
DIE TANZEN DOCH NICHT VON ALLEINE!
HEINZ, DREH EINE PIROUETTE,
SEI DOCH KEINE SCHLAFTABLETTE!"
"HEINZ MEIN LIEBER, SCHWING DIE HÜFT,
NOCH IST NIEMAND HIER VERBLÜFFT!
HEINZ, MACH EINEN ÜBERSCHLAG,
ICH WEIß, WIE SEHR DU SOWAS MAGST!"
"HEINZ, PASS AUF, DEIN GLEICHGEWICHT,
SONST FLIEGST DU FURCHTBAR AUFS GESICHT!
HEINZ, SPRING DURCH DEN FEUERRING,
DAS BEKOMMST DU DOCH WOHL HIN!"
"HEINZ, JONGLIER MAL MIT MELONEN,
UND LASS DICH DABEI AUCH NOCH KLONEN!
HEINZ, STECK DEINEN KOPF RUHIG REIN,
IN DAS LÖWENMAUL HINEIN!"
"HEINZ, DREH NOCH 'NE PIROUETTE,
UND ZIEH EIN AUTO MIT 'NER KETTE!
HEINZ, DANN SCHLÄGST DU EINEN BOGEN,
UND KOMMST PLÖTZLICH ANGEFLOGEN!"
"HEINZ, FÜHR DEIN BEIN DIR IN DEN MUND,
DANACH SCHLACHTEST DU 'NEN HUND!
HEINZ, WOZU DAS GUT SEIN SOLL?
DIE LEUTE FINDEN'S NUNMAL TOLL!"
"HEINZ, JETZT KOMMT DER GROßE KNALL,
MIME EINEN SCHLAGANFALL!
HEINZ, NUN MUSST DU DICH VERBEUGEN,
DEINER KUNST SIND ALLE ZEUGEN!"
Als der Mann zusammenbricht,
Ein Feuerwerk in Höhe sticht.
Ein Häufchen Elend, ein Häufchen Not,
Liegt auf dem Boden, scheinbar tot?
Sekunden ist es grabesstill,
Ob er nicht mehr leben will?
Doch sein Auge scheint zu Zucken
Im Saal verklingt beruhigtes Schlucken.
Beifall klatscht es unverkrampft,
Mit den Füßen wird gestampft.
Es wird vor Glück und Freud geweint,
In Schaulust sind sie hier geeint.
Die Megafone heiß verkünden,
Niemand soll bereits verschwinden!
Für einen kleinen Obolus,
Ist ein Souvenir ein Muss!
Und so verlassen sie den Abend,
Sich noch lange daran labend,
Mit einem Foto von dem Heinz,
Aus dem Zirkus Nummer Eins.
Zuhause stellen sie's auf den Schrank
Und betrachten es mit Dank.
Ach wie lebenswert es ist,
Wenn man alt und uralt ist.