Morgensonne scheint bedacht
Auf des Waldes grüne Pracht,
Lässt die Vögel artig singen,
Bringt das Leben zum Erklingen.
Mitten im Forst, in aller Ruh,
Wacht ein Kloster auf im Nu.
Brüder und Schwestern eilen geschwind,
Damit ihr Tagewerk gelingt.
Nur im großen Kräutergarten,
So als könnte er etwas nicht erwarten,
Steht Bruder Gabriel ganz allein
Und blickt in das weite Geäst hinein.
Seine sechzehn Jahre Lebenszeit,
Machten ihn nicht sehr gescheit.
Dies bekam er oft zu hören,
Die Älteren sich gern empören.
„Läute nicht zu schnell die Glocken!"
„Schneide endlich deine langen Locken!"
„Höre auf mit deinen Kindereien!"
„Mit dir hat man nur Scherereien!“
Solche und noch andere Sätze
Bilden täglich ihre Hetze,
Drum hegt der Junge ein Versprechen;
Irgendwann, da wird er sich rächen!
Wie Gabriel nun steht und starrt,
Bruder David von hinten naht.
Packt ihn, an der Schulter grob,
Bringt alles mit, aber nur kein Lob.
„Gabriel, du Höllensohn!
Planst du deine Freizeit schon?!
Wurde dir der Kopf genommen?!
Der Unterricht hat längst begonnen!“
Von allen, die ihn ließen leiden,
Wollte er diesen am meisten meiden.
Und so geht er, ohne ein Wort,
Zu dem ihm verhassten Ort.
Schweigen herrscht im Klassenzimmer,
Da ist nur das klägliche Lehrergewimmer,
Denn auch den mag Gabriel nicht,
Sonnt sich zu sehr in Gottes Licht.
Erst die Schüler, die da hocken,
Naive Gesichter, die sehr dazu locken,
Sie unerbittlich lange zu würgen,
Bis für den Teufel sie sich verbürgen!
Er gibt sich jäh mit dem Gedanken zufrieden,
Setzt sich nach ganz hinten, entschieden,
Greift nach Feder, Tinte und Papier,
Zeichnet Pentagramme, in krankhafter Gier.
„Bruder Gabriel, ich kann es nicht glauben!
Wo hast du gesteckt, darf ich mir die Frage erlauben?
Schaue her zu mir!
Ich rede gerade mit dir!“
Der Junge verdreht die Augen gestört,
Tut so als habe er nichts gehört.
Der Lehrer jedoch, er gibt nicht nach,
Gabriel steht auf, ganz brav.
„Bruder Alois, Herr Lehrer, es tut mir so leid;
Gott hielt einen anderen Weg bereit.
Fahren Sie fort, bitte,
Die Stunde ist schon in der Mitte!“
Er nimmt wieder Platz, ist voller Groll,
Sein Gemüt wird gar böse und toll.
Noch hält die Fassade, für die Narren um ihn,
Er muss nicht einmal eine Braue verziehen.
Vorne wird nun wieder gelehrt,
Der Bruder ist dabei sehr geehrt;
Er hält ein Buch, schwarz wie der Tod,
Der Titel lautet: „Das ewige Lot“.
„Wie eben bereits angesprochen,
Ist der Hexer daran zerbrochen.
Lasst euch das ein Gebot sein,
Geht nie auf das Beschwören von Engeln ein!“
Die Feder kratzt und kleckst gemein,
Als des Lehrers Worte dringen ein,
Hinein durch Gabriels Ohren,
So, wie völlig betörende Sporen.
Sein Körper zuckt zusammen kurz,
Das Tintenfass erfährt den Sturz.
Die dunkle Lache, groß und gut,
Befleckt die Hände so wie Blut.
Eine davon schnellt sogleich nach oben,
Als wolle sie zum Eid geloben.
Sie zeigt den Eifer und die Erregung,
Den Kontrast zu der Umgebung.
Bruder Alois schaut, recht verdutzt,
Wer da die Gunst der Stunde nutzt.
Das Farbenchaos auf der Bank
Macht ihn zornig, viel mehr krank.
„Gabriel, wie siehst du aus?
Willst du nicht zuhören, dann gehe jetzt raus!
Moment, ist es etwa wahr!?
Du hast eine Frage? Wunderbar!“
Der Junge nickt, voller Elan,
Kann kaum verstecken seinen Wahn;
Mit diabolischem Funkeln in den Pupillen
Will er sein Verlangen stillen.
„Hast du von Engeln gesprochen, Lehrer?
Ein Weg sie herbeizurufen, ist es ein schwerer!?
Die mächtigsten Wesen nach dem Herrn,
Wie kann ich sie beschwören!“
Alois greift das Buch mit Kraft,
Der Junge ihm großes Unbehagen schafft.
Die heilige Macht scheint er zu begehren,
Auch möge sie großes Unheil bescheren.
„Gabriel, sei gewarnt,
Deine Absicht ist enttarnt!
Du verlässt uns nun
Und reflektierst dein Tun!“
Der Stuhl, er kippt,
Das Haar, es wippt,
Das Herz, es klopft,
Der Tisch, er tropft.
Abendsonne scheint bedacht,
Auf des Waldes grüne Pracht,
Lässt die Münder artig singen,
Bringt den Hunger zum Erklingen.
Einer jedoch denkt nicht ans Essen,
Will sich mit dem Himmel messen.
Flugs bricht er ein in Lehrers Kammer,
Das Glas der Vitrine erfährt gar den Hammer.
Gekräuselte Lippen im Dämmerlicht,
Mit Irre im Kopfe zum Buche er spricht.
Es flüstert leis das Ritual;
Alle Mahnungen, ihm egal.
So stürmt Gabriel also drauf los,
Mit hastigen Schritten, für ihn viel zu groß,
Gelangt zum Friedhof, dem schlafenden Fort,
Stört die Totenruh sofort.
Stampft über Gräber, ohne Acht,
Die Seelen werden aufgebracht.
Ein Fleck glatter Erde, so steht es geschrieben,
Hat er zu schnell aufgetrieben.
Wie flink er nun rührt,
Ob er es spürt?
Er tanzt so schön, wie eine Marionette,
Gehalten, geführt an eiserner Kette.
Gabriel zieht Kreis um Kreis,
Taumelt, torkelt, wie ein Greis.
Zieht die Linien in den Schmutz,
Bildet Runen zu seinem Schutz.
Die erste Vorstellung vollbracht,
Eine kleine Verbeugung ist angedacht.
Heißer Schweiß benetzt die Stirn;
Der Junge ist willig, der Junge ist firm.
Er tritt in die Mitte, für jetzt und gleich;
Was ist arm und was ist reich?
Er gellt die Beschwörung wie brodelndes Gift,
In seinem Griff, das Buch, wie die heilige Schrift.
„Oh Mächte, an die ich glaube,
Die ihr mich formtet nur aus Staube,
Vernehmt meinen Wunsch, erfüllt ihn mir,
Aufrichtig, wie ich vor euch stehe hier!"
„Ihr gabt mir das Feuer, welches mein Wesen wärmt,
Ihr gabt mir das Wasser, welches durch meine Adern schwärmt,
Ihr gabt mir die Luft, die meine Lunge nährt,
Ihr gabt mir die Erde, auf der mein Leben währt!"
„Mein Dasein, ich will es nicht missen!
Es soll so sein, lasst es mich wissen!
Der Himmel muss mich verführen,
Das Licht mein Herz berühren!"
„Schickt mir ein Stück nur,
Ein Teil eures Segens pur;
Ich weiß um den großen Preis,
Ihn zu zahlen, bin ich heiß!"
Er schreit dies hinaus,
Wie Getos und Gebraus,
Zückt den scharfen, kalten Stahl;
Der rote Saft, der Preis, die Qual.
Vollbracht die Tat, die Schande, ja!
Der Junge dem Zerbersten nah,
Blickt bettelnd zu den Sternen rauf;
Die Stille legt ihr Siegel drauf.
„Gabriel! Wie kannst du es wagen?!
Wie können deine Schultern das nur tragen?!
Diese Sünde, diese Blasphemie!
Man sollte dich exekutieren allhie!"
Gabriel fährt um voll Pein,
Realität, die holt ihn ein.
Bruder Davids scharfes Auge wacht,
Was er da so teuflisch macht.
Es währt nicht lang,
Es hält nicht an,
Wut entflammt,
So unerkannt.
„Schiebst die Last dem Falschen zu,
Schuld allein, dass bist nur du!
Wie ein Baum den Trieb, wollt'st mich verbergen,
Langsam völlig mich verderben!"
Davids Kopf wird puterrot,
Den Jungen sähe er gern tot.
Ein Exempel muss er statuieren,
Auch sollte es das Kind blamieren.
Er tritt heran, an Gabriel ganz nah,
Legt ihm seine Fäuste dar.
Packt am Handgelenk ihn fest,
Drückt stark zu, gibt so den Rest.
Dieser reißt sich los, mit Gewalt,
Brüllt sehr laut, sodass es schallt,
Fegt den Meister von den Beinen;
Tränen rollen, er scheint zu weinen.
„Nein Bruder, diesmal nicht!
Heut bin ich es, der dich bricht!
Ich, der dich erzittern lässt,
Ich, der deine Seele stresst!"
Geister flüstern leise auf,
Der Junge hält das Messer drauf.
Seine Unschuld hat er nun verschenkt,
Sich selber in den Tod gelenkt.
Erschütterung erfüllt die Welt,
Die Waffe aus den Händen fällt.
Ein Mahlstrom tut sich auf ganz oben,
Ein Engel kommt hinab geflogen.
Winde halten ein,
Laute werden klein.
Das Hier und Jetzt gibt sich geleert,
Das Rinnen wird der Zeit verwehrt.
Gabriels Werk hält all dem stand,
Das Heilige ist jäh gebannt.
Augen hell wie Höllenglut,
Erfrieren ihm den Wagemut.
Kraftvolle Schultern ziert das Haar,
Das glänzt wie Silber, wunderbar.
Nach unten gerichtet das edle Schwert,
Beide Hände zum Griff gekehrt.
Seine Stimme ertönt, so tief, so rein,
Dröhnt von überall her ein.
Dringt in den Kopf, dringt in das Mark,
Alles bebt, so ist sie stark.
„Gabriel, so heißt du noch?
Ein Engelname ist es doch.
War er dir denn nie zu wider?
Immer warst du falsch und nieder!"
„Wie der Teufel in dir lacht,
Eingehüllt in Ordenstracht,
Fehlgeleitet, Hass zerfressen;
Von der Gier nach Macht besessen!"
Gabriel ist tief gerührt,
Die Anklage nur wenig schürt.
Das lichte Antlitz bringt ihn zum Staunen,
Kein Wort spricht er mehr, nur sinnloses Raunen.
Auch David rührt sich nicht vom Fleck,
Liegt danieder, liegt weiter im Dreck.
Blässe ist ihm anheim gefallen,
Fäuste kann er nicht mehr ballen.
„In den Bannkreis du mich siegelst,
Hinter Zaubern mich verriegelst,
Willst nicht mein Geheimnis kennen?
Komm, ich werde es dir nennen!"
Endlich, das Ziel, zum Greifen nah;
Direkt vor ihm, direkt da!
Nur ein paar Meter muss er gehen;
Nichts mehr sehen, nichts verstehen.
Über den Wall, über die Schwelle,
Hin zur klärenden allheiligen Stelle.
David rafft sich eilig auf,
Zu spät, der Junge blickt bereits hinauf.
„Ich flehe dich an Gabriel,
Tritt aus dem Kreis, schnell!
Der Engel will dich nicht belohnen,
Er wird dein Leben nicht verschonen!"
Gabriel nicht fassbar mehr,
David nimmt sein Kreuz jetzt her,
Deutet auf die Himmelsmacht,
Psalmodiert mit aller Kraft.
Der Engel lacht gar fürchterlich,
Die Gebete helfen nicht!
Ein Schlenker seinerseits genügt,
Das Kruzifix zu ihm hin fliegt.
„Du bist lästig und ein Narr,
Ich bin heilig, ist dir das klar?
Das Stück Holz hier nützt dir kaum!
Weckt dich dies aus deinem Traum?"
Das Kreuz schwebt ruhig, entzündet sich,
Verlodert gar und baldiglich,
Nicht mal Asche bleibt von über,
David senkt die Arme wieder.
„Und störe jetzt nicht weiter,
Vom Geiste du Befreiter!
Der Junge kriegt nun seinen Sold,
So, wie du es hast gewollt!"
Goldene Punkte treffen grüne,
Hinab schaut der geflügelte Hüne.
Die Verse, die nun vorgetragen,
Musste er so oft schon sagen.
„Sei gegrüßt, zu Strafender,
Bald für immer Schlafender,
Ich bin Gottes Klinge scharf,
Gladiel, erfreut, dass ich dich tilgen darf."
So erhebt er die Klinge im Mondenschein,
Stößt sie dem Mönch tief ins Herz hinein.
Licht durchbohrt ihn, ganz und gleich,
Leben spritzt heraus wie Laich.
„Nun, wie fühlt es sich an, wenn der Himmel in die Brust einfährt?
Wenn er seine Tür aufsperrt?
Hast du es dir so vorgestellt?
Ich hoffe, dass es dir gefällt."
Und so zieht er raus das Schwert, das sich bewährt,
Gabriel fällt, ganz unbeschwert,
Nach hinten weg ins eigene Blut;
Rot färbt das weiße Haar die Flut.
Der Engel fühlt kein bisschen Glück,
Steigt wieder auf, blickt nicht zurück.
David trägt Gabriel zum Kloster rauf,
Schließt seine Lider, noch im Lauf.