Tsarem, die Hauptstadt Callingers, der erste Brabirt des Segments Retoldut
Der Soldat führte Schedmasal zurück zur königlichen Halle, die von außen nicht anders als ein etwas größeres Wohnhaus aussah. Es war jener Ort, an dem die Beratungen stattfanden, in welcher der König Gäste empfing, und nicht sein Wohnort.
Schedmasal bemühte sich, seine Verärgerung über diese Unterbrechung der Zeremonie seiner Tochter nicht offen zu zeigen, denn wusste er, wie viel von dem Gespräch, das ihm nun bevorstand, abhing. Schon jetzt verspürte er jenes unangenehme Flattern in seinem Inneren, das er immer hatte, wenn er auf eine Konfrontation zusteuerte, von der er wusste, dass sie für ihn nachteilhaft beginnen würde.
Dennoch folgte er dem Soldaten vor die Halle, wo zwei weitere seiner Männer wachten. Sie waren spätgeborene Söhne oder entfernte Verwandte von Stammesfürsten, deren Väter sich erhofften, so Einfluss auf ihn zu nehmen – und wertvolle Informationen zu sammeln.
»Er wartet«, erklärte der Jüngere der beiden auf Schedmasals fragenden Blick.
Der König nickte, dann trat er ein, die Schritte selbstsicher, den Kopf erhoben, den Rücken durchgestreckt.
Der Mann, der ihn zu sich gerufen hatte wie einen kleinen Jungen, saß an der Mitte des Tisches. Zwei von Schedmasals Dienerinnen hatten ihn bewirtet, doch schien er weder den Met, den sie ihm gebracht hatten, noch Brot und Fleisch angerührt zu haben. Immerhin war zwischen der Beratung und diesem Gespräch aufgeräumt wurden und das Verbrennen von Kräutern überdeckte den Gestank des mittlerweile entfernten Erbrochenen.
Als Schedmasal eintrat, hob er nur langsam den Kopf.
»König Schedmasal«, begrüßte er ihn, ohne ihm auch nur im Geringsten irgendein anderes Zeichen der Ehrerbietung zu zeigen. Aber dies war er von ihm gewohnt. Man hätte ihm seine Haltung auch angesehen, wäre er Schedmasal ein Fremder gewesen. Er trug jenes arrogante, überhebliche Gesicht zur Schau, mit dem jegliche Mitglieder oder Gesandten der Volksversammlung sich schmückten, sobald sie in Schedmasals Gegenwart traten. Nun, vielleicht war eben die Volksversammlung die Probe, welche die Götter ihm auferlegt hatten, um sich als würdiger König zu beweisen. Sie plagten ihn wahrlich genug. Dieser Mann war nicht viel älter als Schedmasal, in Stahl und Fell gekleidet und der Bruder eines Stammesfürsten, weshalb er ihn nicht verärgern sollte.
»Wie kann ich Euch behilflich sein?«, begrüßte Schedmasal ihn freundlich, obgleich der Zorn in ihm wütete. Dies war der Tag seiner Tochter und nun musste ausgerechnet einer der wenigen Personen antanzen, die sogar das Recht und die Macht hatten, ihm diesen Moment zu rauben. Es war die Volksversammlung, auf der Schedmasals Position als König beruhte. Sie hatten ihm zum König gewählt.
»Die Volksversammlung schickt mich«, sprach der Bote das Offensichtliche aus. Nun nippte er doch an dem Horn Met, wenn auch sicherlich nicht aufgrund von Durst. »Sie schickt mich, um mit Euch über den diesjährigen Etat an Soldaten zu sprechen.« Er schenkte ihm ein Lächeln.
Schedmasal erschien es wie ein böser Hohn, dass ein Bote ausgerechnet jetzt auftauchen musste, nachdem er sich erst kurze Zeit zuvor mit seinen Ratgebern über diese Problematik unterhalten hatte.
Dieser Mann war arrogant und unerträglich – und er war sich seiner Macht sehr wohl bewusst. Die Volksversammlung hatte Schedmasal in seine Position eingesetzt und sie hatte auch die Macht, ihm seine Position wieder zu nehmen, sollte ihnen seine Regentschaft nicht gefallen. Momentan tat sie das nicht.
»Alle Strategien, die wir ausgearbeitet haben, alle Berechnungen, ja alle Spähberichte deuten darauf hin, dass wir die Usurpatorin dieses Segmentjahr besiegen werden«, verteidigte er sich.
»Das habt ihr im letzten Frühling auch behauptet, wie in dem davor und dem davor. Ihr habt es schon ein paar Mal erwähnt, wenn ich es mir so überlege.« Nun nahm sich der Bote tatsächlich die Frechheit heraus, sein Stück Brot in die dicke fette Soße auf seinem Teller zu tunken und zu essen. Doch Schedmasal war kein Mann, der andere im Zorn erschlug. Es gab nur eine einzige Person, bei der er dies tun würde und dies war mit Sicherheit nicht ein Mann, der für die Stammesfürsten eine Figur in ihrem Spiel der Macht war.
»Und in keinem Frühling waren wir dem Sieg so nah wie jetzt«, präzisierte der König. Es störte ihn, dass er stand, während sein Gast saß, doch jetzt war es zu spät, um dies zu ändern.
»Die Volksversammlung hat das Gefühl, dass Ihr reichlich viele Männer in einem Krieg verpulvert, der mittlerweile nur ein Privatkrieg zwischen Euch und Eurer Schwester ist.« Brotkrümel tanzten in dem krausen Haar seines Bartes.
Im Klartext bedeutete dies, dass die Volksversammlung ihm keine weiteren Soldaten mehr unterstellen wollte. Dies war ein eindeutiger Nachteil an der callingischen Königsherrschaft: Bis auf seinen eigenen Stamm, als dessen Anführer er ebenfalls galt, befehligte er nur Truppen, welche die Volksversammlung ihm auch gewährte. Somit blieb Schedmasal nur seine Hausmacht und diese würden sicherlich kaum genügen. Würde ihm die Volksversammlung die Truppen entziehen, so trüge dies weitreichende Konsequenzen. Doch Schedmasal kämpfte seit neun Segmentjahren in diesem Krieg, lange Belagerungen hatten seine Geduld gestählt und blutige Kämpfe in Schluchten und nahe rauschender Flüsse seinen Mut.
»Sie ist eine Feindin, die unsere Einheit und den Thron bedroht«, entgegnete er scheinbar gelassen, »somit ist dies von Bedeutung für das gesamte Reich. Auch von der Volksversammlung wird sie dabei gewiss nicht haltmachen, sollte sie dieser begegnen. Meine Schwester hielt noch nie besonders viel von Diplomatie.«
Der Bote legte sein Brot auf den Teller, legte die Hände aneinander und räusperte sich.
»Jeder einzelne Stammesfürst gewährleistete großzügig Geld und die Leben von Soldaten, Männern seines eigenen Blutes! Doch nun – nach neun Segmentjahren – fragen sich die Stammesfürsten, ob es sich weiterhin lohnt, Gold und Blut zu investieren«, wiederholte er jene Argumente, mit denen ihm die Volksversammlung jedes Segmentjahr erneut entgegentrat, einzig die Zahl der Segmentjahre änderte sich.
»Die Stammesfürsten wollen sicherlich nicht, dass Schedela in ihren Gebieten wütet. Sie muss gestoppt werden, das wissen sie, ich und das ganze Land. Wenn sie nun aber glauben, dass jemand anderes besser geeignet ist, um dieser Gefahr zu begegnen, dann sollen sie mir dies sagen.«
Mit dieser offenen Konfrontation schien der Bote nicht gerechnet zu haben, denn stockte er kurz, bevor er weitersprach und war in der Folge weitaus kühler. »Um eben dies zu erklären«, erklärte er barsch, »befehlen Sie Euch zu sich.« Die Stammesfürsten baten nicht, sie befahlen. Nicht bei jedem König, nein, aber bei jenen, die schwach waren. Und Schedmasal war ein schwacher König, das wusste er selbst, auch wenn niemand in seiner Umgebung ihn darauf anzusprechen wagte.
»Ich werde nach meiner Reise zum Fest Taffis Dufvir bei der Volksversammlung ankommen«, versprach er, denn war es als Stammesfürst seine Pflicht, zu dem Ursprung seines Stammes zu reisen und die Festlichkeiten zu eröffnen. »Dann können wir dieser Angelegenheit von höchster Wichtigkeit die benötigte Zeit zuwenden.«
»Nein«, erwiderte der Mann knapp, »die Volksversammlung erwartet Euch in einem Segment« Wiederum lächelte sein Mund, nicht jedoch seine Augen.
Dieser Mann war eindeutig kein Freund des Königs.
Schedmasal schluckte den Fluch, der ihm auf den Lippen gelegen hatte, herunter. Das Lächeln des Mannes war hinterhältig, wusste er doch um die Problematik, die sich damit für den König ergab. Er konnte nicht gleichzeitig bei der Volksversammlung und dem Fest Taffis Dufvir sein. Bis zum Sitz der Volksversammlung im Westen des Landes brauchte er alleine drei Denias, es war unmöglich, rechtzeitig zu den Feierlichkeiten seinen Stamm zu erreichen. Völlig egal, wo er nicht erschien, mächtige Leute würden beleidigt sein und ihm ihre Unterstützung fortan verwehren, was seiner Herrschaft nur von Nachteil sein konnte.
»Ihr werdet meine Antwort bald erhalten«, antwortete Schedmasal, »meine Dienerinnen werden sich in der Zeit um all eure Wünsche bemühen.« Er neigte kurz den Kopf, dann wandte er sich ab und verließ die Halle.
»Ihr seid mir für sein Wohl verantwortlich«, rief er den beiden Wachen zu, nachdem er schon zwischen ihnen hindurch geschritten war.
»Natürlich, Herr.« Die beiden Männer wirkten etwas zu langsam und er bildete sich ein, leises Flüstern hinter sich zu hören und fragte sich, wie viel sie von dem Gespräch vernommen hatten. Sicherlich würden sich die Neuigkeiten schon bald in der ganzen Siedlung herumsprechen und nicht weniger rasch im gesamten Land.
Kurz fragte er sich, ob er zu der Zeremonie zurückkehren sollte, entschied sich jedoch angesichts der Tatsache, dass diese sicherlich schon am Ende angelangt war, dagegen. Es gab nur eine einzige Person, die er jetzt sprechen wollte und seine Tochter würde dies wissen und es hoffentlich auch verstehen.
Die Bohlenwege waren fast verwaist, viele waren zu der Zeremonie gegangen, doch die wenigen, die ihm entgegenkamen, starrten ihn dafür umso verwundeter an.
Schedmasal grüßte sie freundlich und herrschaftlich, war jedoch umso erleichterter, als er ein größeres, unscheinbares Haus erreichte, das wie viele Häuser aus Bohlen errichtet und mit einem Walmdach ausgestattet war. Der schräge Türsturz in der Mitte der Längsseite schützte vor dem Regen, der die Halbinsel häufig heimsuchte. Auch hier standen zwei Wachen, sie zählten zu Schedmasals treusten Männern.
»Luvetsirh sagt, dass es ihr besser geht, Herr«, merkte der Linke an, auch wenn die ganze Siedlung wusste, dass Königin Malkat zum Sterben verdammt war und das schon bald. Sie mochte sich dem Tod widersetzen, so wie sie zeit ihres Lebens gekämpft hatte, doch war der Tod ein mächtiger und geduldiger Gegner und die Königin geschwächt.
»Danke«, meinte er und trat durch die Tür, die dieser ihm öffnete.
Luvetsirh, die Dienerin und Pflegerin seiner Ehefrau, trat ihm entgegen. Sie war eine Panti, seit acht Segmentjahren diente sie an Schedmasals Hof und hatte sich im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin kaum in politische Angelegenheiten des Königshofes eingemischt. Sie war eine liebevolle, sanftmütige Frau, welche nicht nur die Krankheit Malkats zu lindern vermochte, sondern auch ihre düsteren Gedanken vertrieb.
»Sie ist wach.« Luvetsirh lächelte und wischte sich die feuchten Finger an ihrer Schürze ab. »Ich glaube, sie weiß, dass Schirewel zurückgekehrt ist.«
»Natürlich weiß sie dies.« Nun konnte auch Schedmasal nicht anders, als zu lächeln. Das untrügliche Gefühl seiner Frau hatte sie auch auf dem Sterbebett nicht verlassen.
Sie neigte den Kopf und wich zur Seite, damit er an ihr vorbei und zu dem Bett der Kranken treten konnte. Die Hütte war einfach eingerichtet, doch Schedmasal hatte Gefallen an ihr gefunden. Links und Rechts lagen zwei Schlafzimmer, in den Vorräumen nächtigten die wenigen Diener, welche die Nacht nicht in ihrem eigenen Heim verbrachten. Der große Hauptraum in der Mitte diente als Wohn- und Esszimmer, die beide seitlichen Räume waren Schlafzimmer. Ebenfalls gab es noch zwei Vorratsräume.
Schedmasal schritt zu dem linken Schlafzimmer. Dort, unter Fellen begraben lag seine Gemahlin in ihrem Bett. Schon immer war sie eine zierliche und kleine Person gewesen, doch ließ die Krankheit ihren Körper noch ausgemergelter wirken. Ihr Haar, das er so sehr liebte, war zu großen Teilen ausgefallen und ihre Haut von dem verzehrenden Feuer in ihrem Inneren ausgetrocknet.
Als er eintrat, öffnete sie die Augen und schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Er bewunderte dies. Trotz ihres Leides hatte sie nicht ihren Kampfgeist verloren.
»Hat sie ihren Namen erhalten?« Natürlich. Malkat fragte nicht, ob ihre Tochter die Probe bestanden oder wohlbehalten zurückgekehrt war, weil sie dies längst wusste – andernfalls hätte man sie bereits benachrichtigt.
Der König schob ihre Decken ein Stück weit beiseite, damit er sich auf das Bett setzen konnte. Das Holz knarzte laut. Ihre schmale Hand langte nach der seinen und ihre Hitze vereinigte sich mit seiner von draußen hereingetragenen Kühle.
»Wir werden es bald wissen«, antwortete er ruhig, auch wenn er genauso wie sie das Ergebnis kaum erwarten konnte. Denn hatte Schirewel im Gegensatz zu ihrer Probe keinerlei Einfluss auf das, was geschehen würde. Es war allein der Panti, der aus den Zeichen der Götter ihren Willen für die junge Anwärterin des Stammes las und allein er war es, der ihr den Götternamen verleihen konnte. Erst der Erhalt dessen ließ sie ein vollwertiges Mitglied des Stammes werden, denn durfte nur, wer einen Götternamen trug, auch vor der Volksversammlung sprechen und damit Entscheidungen mittragen.
»Warst du nicht dabei?« Sie hatte die Augen wieder geschlossen, doch er wusste, dass sie ihm aufmerksam lauschte.
Schedmasal zögerte nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. »Ich wurde gestört«, erklärte er, »ein Bote der Volksversammlung verlangte nach mir.« Er berichtete offen von dem Gespräch, bei ihr, das wusste er nach neunzehn Segmentjahren der Ehe, waren seine Geheimnisse und Gedanken sicher.
»Ich wette, dass die Idee von Netinod kommt.« Schedmasal schnaubte. »Es sähe ihm ähnlich.«
Einzig der sanfte Druck gegen seine Hand machte offenbar, dass Malkat nicht eingeschlafen war. Doch sie ließ ihn reden.
»In der Volksversammlung schwingt er große Reden über die Kosten dieses Krieges und hinter meinem Rücken unterstützt er Schedela mit Truppen und Gold. Er weiß, dass er unangreifbar ist, will ich nicht die gesamte Versammlung gegen mich aufbringen. Aber wie soll ich Schedela seiner Meinung nach besiegen? Ich glaube, dass die Volksversammlung mich nur deshalb unterstützt, weil sie dadurch ihre eigene Macht ausbauen können. Es …« Der König stockte, als er merkte, wie er sich in Rage geredet hatte.
»Ich … ich wollte dich nicht damit belasten«, entschuldigte er sich, auch wenn sie beide wussten, dass er es immer wieder tun würde, weil sie die einzige Person war, mit der er völlig frei reden konnte.
»Und was kannst du dagegen tun?« Seine Frau lächelte sanft. Schedmasals Zorn fiel in sich zusammen. Sie hatte die Eigenschaft, seine Angriffstaktik mit einem Satz, der die Essenz der Problematik erfasste, ins Leere laufen zu lassen. Schließlich hatte sie recht, seine Wut bewirkte nichts als das Verschwenden von wertvoller Zeit.
Dieses Mal war er es, der schwieg, nachdenklich, zögernd. Dann ließ er sie an seinen Gedanken teilhaben: »Wenn ich nicht zur Volksversammlung reise, riskiere ich, die Unterstützung für den Feldzug und meine Krone zu verlieren. Tauche ich nicht bei der Stammesversammlung auf, kann ich aus dem Stamm ausgeschlossen werden und mache mir mächtige Feinde. Und ich kann nicht an beiden Orten zugleich sein.«
»Du wirst zu einem einen Vertreter entsenden müssen«, sprach sie das Offensichtliche aus.
Dies war wieder einer jener Momente, in denen Schedmasal der unausweichliche Verlust seiner Frau mehr denn je schmerzte. Wäre sie gesund, so hätte er sie zu seinem Stamm entsandt und wäre selbst zur Volksversammlung geritten. Doch Schwerkranke waren eine der Gruppen, die von der Pflicht zur Versammlung an Taffis Dufvir ausgenommen waren.
Er nahm seine zweite Hand, legte sie auf Malkats, sodass ihre schmale Linke von seinen beiden Pranken umfangen wurde. Sie war so erhitzt, ihre Haut glühte unter seinen Fingern und er sah, wie sehr sie das Gespräch anstrengte.
Besorgt musterte er seine geliebte Gemahlin. Das dunkelblonde Haar klebte ihr verschwitzt am Schädel, ihre Atemzüge waren schnell und hastig.
»Ich werde die Panti rufen.«
Er wollte sich erheben, um Luvetsirh zu holen, doch Malkat griff mit erstaunlicher Kraft nach seinem Arm und hielt ihn zurück.
»Nein, das Reich ist wichtiger.«
Das Reich ist wichtiger. Dieser Satz hallte in seinen Gedanken nach und hielt ihn zurück. Trotz des Leides seiner Frau war dies sein Schwur.
»Hör mir zu«, sie sprach eindringlich, den Kopf hatte sie leicht von dem Kissen, das die Dienerinnen ihr gegeben hatte, gehoben, sodass sie ihn besser ansehen konnte. »Du hast diesen Thron von deinem Vater geerbt. Nun musst du ihn halten.«
Ihn halten. Es umfasste so vieles. Nur wie sollte Schedmasal einen Staat beherrschen, dessen einzelne Glieder – die Stammesfürsten – mehr Unabhängigkeit und Souveränität forderten und alles taten, um ihm Steine in den Weg zu legen?
Dann bemerkte er das verschmitzte Lächeln auf dem Gesicht seiner Frau.
Entgegen seiner eigenen Gefühle konnte er nicht anders, als dieses Lächeln zu entgegnen. Sanft drückte er ihre Hand.
»Also«, fragte er, »was soll ich tun?«
»Deine Tochter. Schicke sie als deine Vertreterin zum Stamm, sie ist alt genug.«
Es war nicht die Befürchtung, dass seine Tochter dieser Aufgabe nicht gewachsen sein könnte, die Schedmasal zögern ließ. Nein, nur die Angst vor den möglichen politischen Konsequenzen.
»Damit würde ich sie als designierte Nachfolgerin präsentieren«, gab er zu bedenken, auch wenn ihr Vorschlag politisch klug war. Seine Tochter würde als Vertretung eher akzeptiert werden als jeder andere. Zugleich würde Schirewel politische Erfahrung sammeln können. Und dennoch … Sie war eine Tochter.
»Sie ist deine Nachfolgerin«, wisperte Malkat kraftlos, »ich werde dir keine weiteren Kinder mehr schenken.«
Dies entsprach der traurigen Realität, eine Wahrheit, die Schedmasals Herrschaft auf noch wackligere Füße stellte als die misslungenen Feldzüge. Schedmasal hatte keinen Erben und weil es in seinem Volk nur erlaubt war, einmal zu heiraten, würde er auch keine legitimen Nachfolger mehr erhalten. Mehrere Kinder hatte Masal ihm geboren, doch nur Schirewel hatte die ersten Segmentjahre überlebt – sie und ihr älterer Zwillingsbruder Joresch. Geblieben war alleine die Tochter, mit der sein Geschlecht aussterben würde. Und ob die Volksversammlung sie als seine Nachfolgerin auch akzeptieren würde, war völlig unvorhersehbar.
Schließlich nickte Schedmasal. »Wenn sie ihren Götternamen erhalten hat, werde ich sie schicken«, versprach er seiner Ehefrau, weil er wusste, dass dies die einzige Möglichkeit war. Seine Frau mit ihrem klugen politischen Instinkt hatte dies erkannt.
»Danke«, wisperte er und drehte den Kopf zu seiner Frau. Sie hatte die Augen wieder geschlossen und ihre Brust hob sich unter den Fellen regelmäßig im Takt ihrer Atemzüge. Malkat, die Königin Callingers, war eingeschlafen. Und Schedmasal war sich nicht sicher, ob sie je wieder erwachen würde.
Und erst jetzt, am Sterbebett seiner Frau, gestand er es sich die Schwäche des Weinens zu.