Langsam wie eine Schnecke schlich Sandra ins Kinderzimmer, in dem ihr Sohn locker vom Hocker Musik hörte. Die Bässe dröhnten, dass ihr die Ohren klingelten und ihre Knie zitterten, dass sie annahm, den kurzen Weg vom Sofa zum Zimmer ihres Sohnes Henry nie zu schaffen.
„Kind“, knurrte sie, „geht das auch leiser?“
„Ach Mom“, erwiderte Sohnemann und stellte die Stereoanlage aus. Dann drehte er sich um und begann zu lachen. „Wie siehst du denn aus?“
„Mir geht´s gar nicht gut“, sagte Sandra. „Gestern Abend war ich noch voll im Partyfieber und heute, da hab ich butterweiche Beine. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter, dabei haben wir heute mit 33 Grad im Schatten eine Bullenhitze.“
Erneut lachte Henry. „Du wirst alt“, meinte er daraufhin.
„Von wegen alt“, echauffierte sich Sandra. „Es war doch ganz angenehm, zur Party zu gehen und zu feiern. Du tust das doch auch.“ Sie verzog das Gesicht. Kopfschmerzen versauten ihr den Vormittag, dass nicht mal starker Kaffee half. „Und du Hasenfuß hättest ruhig mitkommen können. Ein wenig junges Gemüse hätte uns nicht geschadet.“
„Ich feiere doch nicht mit euch Alten!“
„Von wegen Alte, wir haben es noch drauf“, erwiderte Sandra lachend, worauf sie sofort wieder schmerzgeplagt das Gesicht verzog. „Die Musik riss mich mit sich. Ich konnte gar nicht aufhören mit tanzen. Wenn nur der Tequila nicht gewesen wäre. Dabei war es nur ein einziger. Wie du weißt, trinke ich sonst keinen Alkohol. Was bin ich auch so dumm, mich von meiner Freundin verführen zu lassen. Sie weiß doch ganz genau, ich vertrag das Gesöff nicht. Oder der Schnaps war schlecht.“ Sandra versuchte noch Witze über ihren desolaten Zustand zu machen, was ihr aber nicht gelang.
„Komm, ich mach dir nochmal Kaffee“, bot Sohnemann an, der Mitleid mit seiner geplagten Mutter hatte. Er zog sie hinter sich her zur Küche. Dort betätigte er gekonnt die Kaffeemaschine und schon bald stand vor Sandra eine dampfende Tasse frisch gebrühter Kaffee. „Hier ist die Milch“, meinte ihr Sohn und stellte den Tetrapack vor ihr hin.
Sandra roch an der Tasse. Der Duft des frischen Kaffees belebte ihre Sinne, sie fühlte sich sofort ein wenig wohler. Sie schüttete die Sahne in das heiße Getränk. „So ein Mist“, schimpfte sie, „die Milch ist flockig!“
„Ist doch egal, der Kaffee ist nur zu heiß“, erwiderte Henry und schnüffelte am Tetrapack. „Die ist noch gut.“ Dann blickte er zu seiner Mutter, die wie ein Häufchen Unglück an Tisch saß und in ihre Tasse starrte. „Mom“, sagte er auf einmal. „Anstatt zur Party zu gehen und Tequila zu trinken, solltest du lieber bei deiner Handarbeit bleiben.“
„Du verflixter Lausebengel“, zeterte Sandra lachend und warf ihren Hausschuh dem flüchtenden Sohn hinterher. Natürlich traf sie wie immer nicht. Henry lugte feixend hinter der Tür hervor in die Küche. „Sag ich doch. Deine Handarbeit kannst du besser als feiern und Hauslatschen werfen. Du solltest mehr stricken.“ Damit verschwand er flugs wieder in seinem Zimmer, wo gleich darauf erneut die Bässe wummerten und Sandra das Leben schwer machten. Sie nahm sich lieber Ohropax, anstatt mit dem Jungspund zu schimpfen und ging zurück ins Bett um ihren Kater zu pflegen.
© Milly B. / 30.06.2022