Ich bin Clarissa und seit langer Zeit Single. Das muss sich unbedingt ändern. Ich fühle mich einsam, vor allen Dingen an langen Abenden. Ich hatte zwar meine Freundinnen, mit denen ich viel Zeit verbringe. Aber ein Mann ist schon etwas anderes, als ständig nur mit Freudinnen herumzuhängen. Ich brauche etwas fürs Herz, Liebe und einen Mann. So ergriff ich die Initiative, um endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Eigentlich fürchte ich mich davor, einen Mann, den ich im Internet kennenlernte, zu treffen. Aber es musste sein. Meine Freundinnen meinen, ich wäre zu naiv und würde jedem zu schnell trauen. Das wäre gefährlich. Und trotzdem will ich es versuchen. Ich nehme mir vor, vorsichtig zu sein und auf die Ratschläge meiner Freundinnen zu hören.
Auf das erste Date mit Anthony freute ich mich schon lange. Ich hatte ihn in einem Chatroom kennengelernt. Frau musste sich irgendwie behelfen, wenn sie nicht jede Woche die Möglichkeit hatte, auszugehen. Mein Terminkalender war zu voll dafür. Ein Termin jagte den anderen und mein Chef auf der Arbeit legte Wert darauf, dass ich als seine persönliche Assistentin jeden einzelnen davon wahrnahm. In einer Werbeagentur geht es eben hoch her, wenn man am Markt Bestand haben will, war dazu seine Aussage.
Anfangs schrieben Anthony und ich nur so hin und her. Belanglose Dinge waren die Themen, die mir nach und nach ein wenig langweilig wurden. Das Geplänkel nervte mich sogar. Ich wollte mehr. Also machte ich einfach Nägel mit Köpfen und schlug vor, uns doch einfach mal persönlich kennenzulernen. Eigentlich kein Problem, wenn man in derselben Stadt wohnt. Gesagt, getan. Heute war es soweit. In zwei Stunden sollte ich den Schwarm meiner Träume treffen. Ich wusste, letzteres sollte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Immerhin kannten wir uns noch nicht persönlich.
„Hallo Anthony“, rief ich durch die kleine Kneipe, die wir uns als ersten Treffpunkt auserkoren hatten. Ich hatte ihn sofort erkannt. Er war ein Traum von einem Mann. Ich geriet sogleich ins Schwärmen. Mein Herz klopfte vor Aufregung wie wild in meiner Brust. Doch dann besann ich mich und erinnerte mich an die warnenden Worte meiner Freundinnen.
Mit weit ausladenden Schritten strebte der Mann meinem Tisch zu. Galant küsste er mir die Hand. Ich kam mir vor wie im Film.
„Setz dich doch“, bot ich ihm an und musterte ihn heimlich. Gelassen nahm er mir gegenüber Platz und orderte sich einen Drink. Nachdem seine Bestellung vor ihm stand, schaute er mich interessiert an. Ich kam mir schon vor wie auf einem Basar, auf dem Frauen zum Verkauf angeboten wurden. Meinen Unmut darüber ließ ich mir jedoch nicht anmerken. Außerdem kam mir Anthony etwas eigenartig vor. Benahm sich so ein Mann, der eine Frau zum ersten Mal datete? Mein Instinkt sagte mir plötzlich, auf der Hut zu sein. Ich wusste nicht, warum das so war, vielleicht waren auch meine Freundinnen mit ihren Unkenrufen daran schuld. So beschloss ich, ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
„Schön, dass du da bist“, sülzte ich, um meine anfängliche Nervosität zu verscheuchen.
Lässig lehnte sich Anthony zurück und griente mich an. „Einer schönen Frau kann ein Mann doch keinen Wunsch abschlagen.“
Woher er vorher wusste, wie ich aussah, entzog sich hier leider meiner Kenntnis. Ein Profilfoto hatte ich in diesem Chatraum nicht und von mir geschickt hatte ich ihm auch keines. War das bereits ein Anzeichen dafür, dass Anthony mit gezinkten Karten spielte? Ich überlegte, wie ich weiter verfahren sollte.
„Süßholz raspeln musst du aber nicht“, wehrte ich lächelnd ab. Solche Komplimente von Männern war ich nicht gewohnt, doch zugeben wollte ich dies auf keinen Fall. Es war mir sogar ein wenig peinlich, solchen Höflichkeiten ausgesetzt zu sein. „Aber sag mal, kennst du dich hier in der Gegend aus?“, fragte ich interessehalber. Ich wusste, er lebte am anderen Ende der Stadt und kam sehr selten hierher.
„Ach, ich habe Freunde hier, gleich in einer der Nebenstraßen. Daher war es kein Problem, diese kleine Kneipe zu finden. Überdies war ich schon einmal hier. Es ist zwar etwas länger her, aber ich vergesse so schnell nichts.“ Er zeigte ein strahlendes Blendamed-Lächeln, wohl um mich zu bezirzen. Doch so leicht ließ ich mich nicht beeindrucken. Dazu gehörte weitaus mehr als ein Lächeln.
„Das hast du mir noch gar nicht erzählt“, tat ich interessiert. „In welcher Straße wohnen deine Freunde denn? Weißt du, ich bin hier aufwachsen und kenne so gut wie jeden in den umliegenden Straßen.“ Ich musste unbedingt herausfinden, ob er die Wahrheit sagte. Wenn er hier in der Gegend Freunde hatte, dann musste er sich hier auskennen.
Anthony schien es ein wenig mulmig zu werden, meine innere Eingebung gab mir eindeutige Signale. „Das ist die Wendlandstraße“, sagte er dann.
„Ach, die kenne ich gar nicht“, erwiderte ich, erstaunt tuend. „Wendlandstraße? Ich wüsste nicht, dass es die hier geben soll.“ Ich überlegte noch einmal, kam aber zu keinem ersichtlichen Ergebnis. Meine Signale standen sofort auf Rot. Ein erster Hinweis auf eine Lüge?
„Vielleicht habe ich mich auch vertan“, warf er ein. „Kann sein, dass ich die mit der Wielandstraße verwechselt habe. In der Wendlandstraße wohnen nämlich noch andere Freunde von mir. Ich dachte, die wäre hier.“ Er redete sich in eine Sackgasse und ich genoss es sichtlich, ihn auffahren zu lassen.
„Die Wielandstraße gibt es hier auch nicht“, sagte ich. Nun war ich mir sicher, er belog mich nach Strich und Faden. Warum nur tat er das? „Kann es sein, dass du dich hier gar nicht auskennst. In der Stadt gibt es weder eine Wendland- noch eine Wielandstraße.“
„Wie komme ich denn dazu, dich zu belügen?“ Ich bemerkte, am liebsten wäre er wutentbrannt aufgesprungen.
„Weißt du, ich merke sofort, wenn mich jemand anlügen will“, entgegnete ich ganz ruhig. Dabei blitzte ich ihn mit funkelnden Augen an.
„Nein, nein, ich lüge nicht“, wehrte er ab. „Du kannst mir glauben, meine Freunde wohnen wirklich hier in der Nähe und ich auch in dieser Stadt.“ Die Lügen kamen ihm über die Lippen, ohne dass er rot wurde. Daher wollte ich ihm noch ein wenig mehr in die Irre führen. Es konnte nicht sein, dass mir jemand solch einen Bären aufband.
Ich stellte Anthony noch einige Fragen, die die Stadt betrafen. Alle beantwortete er falsch. Für mich ein Indiz, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
„Ich bin traurig“, sagte ich nach einer Weile. „Schade, dass du mich anlügst und dann auch noch behauptest, du sprichst die Wahrheit. Solche Menschen kann ich nämlich gar nicht leiden. Warum tust du das?“ Ganz sicher war ich mir zwar noch immer nicht, dass er mich belog oder auch nur teilweise belog. Daher wollte ich Anthony noch ein wenig herauslocken. Ich musste unbedingt Gewissheit haben.
„Erinnerst du dich an unser Stadtteilfest letztes Jahr?“, fragte ich ihn, um vom Thema abzulenken. Ein wenig Smalltalk könnte nicht schaden. Ich wusste aber, im letzten Jahr gab es kein Stadtteilfest. Damit würde ich endgültig Gewissheit haben, ob er mich belog oder nicht. „Das war echt der Renner. Die Band, die am Samstagabend gespielt hat, die war echt super.“ Ich tat so, als würde ich überlegen. „Wie hieß die nur?“ Ich legte eine kurze Pause ein. „Mir will es einfach nicht einfallen“, sagte ich dann traurig. „Eine Schande, den Namen dieser guten Band zu vergessen.“
Auch Anthony tat als würde er überlegen. „Ach, mir fällt es ein“, sagte er nach einer Weile. „Das waren doch die Millivanillis. Eigentlich eine No-Name-Band, aber gut.“
Jetzt hatte ich ihn. Die Band hieß keinesfalls so. „Weißt du was! Verarschen kannst du dich selber“, motzte ich aufgebracht.
„Wie meinst du das?“, fragte er, unwissend tuend.
„Du warst gar nicht auf dem Stadtfest letztes Jahr!“, platzte mir nun endgültig der Kragen.
„Aber…“, begann er zu stottern, ganz bleich um die Nase.
„Letztes Jahr gab es hier kein Stadtfest. Also können die Millivanillis auch nicht gespielt haben. Du lügst mich nach Strich und Faden an. Das ist mir zuwider. Das auch noch beim ersten Date. Ich bin arg enttäuscht von dir.“
Anthony wurde noch bleicher. Wusste er nun, dass er aufgeflogen war?
„Weißt du, was ich glaube?“
„Was denn?“, kam anstatt einer Antwort eine Gegenfrage.
„Du wohnst weder hier in der Stadt, noch hast du hier Freunde. Du bist nur auf Dummfang, um wieder einmal eine blöde Alte abzuschleppen, die sich dann von dir auf Strich und Faden veräppeln lässt. Hast du irgendwann genug von mir, werde ich weggeworfen wie einen alten Lumpen.“
„Das ist doch…“, Anthony wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Ich konnte gut seine Wut erkennen, die er krampfhaft zu unterdrücken versuchte. Er sprang auf, dass sein Stuhl beinahe umstürzte. „Du blödes Weib“, schimpfte Anthony mit mir. Er riss seine Geldbörse aus der Hosentasche und nahm einen kleinen Schein heraus. „Hier, für meine Zeche. Ich will mir nicht nachsagen lassen, ich nähme harmlose Frauen aus.“ Er warf mir den Geldschein auf den Tisch. „Auf Nimmerwiedersehen“, zischte er mich an, drehte sich um und verschwand durch die Tür nach draußen.
„Getroffene Hunde bellen und beißen“, dachte ich mir und schaute hinaus. Ich sah gerade noch, wie er in einen alten rostigen Wagen mit Berliner Kennzeichen stieg und mit quietschenden Reifen davonbrauste. Ich war mir ganz sicher, das Autokennzeichen von Heldrungen begann nicht mit B – und Anthony war garantiert auch nicht sein richtiger Name.
Wieder zu Hause musste ich mir erst einmal ein Glas Wein einschenken. Ich musste herunterkommen und meine Aufregung über diesen peinlichen Reinfall überwinden. Wie konnte Anthony nur so skrupellos sein?
Später am Abend schrieb ich Anthony eine Nachricht und fragte nach dem Grund seines Tuns. Ich wartete bis in die Nacht, doch keine Antwort kam. Obwohl ich seine Handynummer hatte, wagte ich es nicht, ihn anzurufen. Ich war zu aufgebracht, um mit ihm zu sprechen. Ihm meine Fragen zu schreiben, fand ich leichter.
Erst ein paar Tage später kam eine Antwort über die Partnerbörse. Er betitelte mich darin als dumme Pute und mit noch schlimmeren Worten, die ich nicht einmal in den Mund nehmen würde. Ihm wäre danach gewesen, mal wieder ein dummes Weib zu veräppeln, das er, wenn er genug von ihr hatte, wieder fallen gelassen hätte. Aber er gab zu, wirklich nicht in meiner Stadt zu wohnen. Für ihn wäre die Angelegenheit mit mir nun aber abgeschlossen und ich solle bleiben, wo der Pfeffer wächst.
Als ich die Worte las, hätte ich am liebsten laut geheult. Nur gut, dass ich auf meine Freundinnen gehört habe. Sonst wäre ich auf Anthony hereingefallen, wie ein naives kleines Mädchen, was ich im gewissen Maße auch war. Dass sein Name wirklich Anthony ist, wagte ich nun ebenfalls zu bezweifeln. Das interessierte mich nun wirklich nicht mehr. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Irgendwann werde ich bestimmt jemanden finden, der mir wohlgesonnen ist und mit mir sein Leben verbringen will.
© Milly B. / 02.03.2021