Vor sich hin grummelnd stand Sina vor einem Haufen mit Kostümen. Sie hatte keine Ahnung, was sie zum diesjährigen Faschingsball ihres Vereins anziehen sollte. Dabei war ihre Auswahl an geeigneten Stücken recht groß. Seit vielen Jahren warf sie die Kostüme nicht mehr weg, sondern bewahrte sie akribisch aneinander aufgereiht in ihrem Kleiderschrank auf. Die meisten passten ihr noch, dass sie nie ein Problem hatte, ohne auffälliges Outfit zum Fasching gehen zu müssen. Diesmal jedoch wollte sie sich ein neues kaufen, doch sie fand keines, das ihr zusagte. Ihr fiel das Teufelchen-Kostüm ein, das sie vor ein einigen Jahren getragen und damit den Sieg des schönsten und erotischsten Outfits errungen hatte.
„Mein Gott“, schimpfte sie, „das kann doch nicht wahr sein. Wo ist dieses verdammte Ding nur!“ Aufgeregt kramte sie in dem wild durcheinandergebrachten Haufen, doch das gesuchte Kleidungsstück war einfach nicht aufzufinden. Angestrengt dachte sie nach. „Wo könnte es sonst sein?“ Da fiel es Sina wieder ein, sie lieh es im letzten Jahr ihrer besten Freundin Mary. So vergesslich wie sie war, musste sie es noch haben. Sina griff zum Telefon und rief Mary an.
„Hey, Mary“, begann sie, als der Hörer abgenommen wurde. „Sag mal, hast du da Teufelchen-Kostüm noch, das ich dir einmal ausgeliehen habe? Du weißt doch, heute ist die Faschingsveranstaltung meines Vereins.“ Sie ließ ihre Freundin nicht einmal zu Wort kommen. Wie ein Wasserfall redete und redete sie.
Als Sina endlich eine Sprechpause machte, gelang es Mary, zu antworten.
„Hm, lass mich mal überlegen. Ich glaube, Antonia hat es.“
„Wie kommt Antonia dazu?“, fragte Sina erstaunt nach. Sie mochte Antonia gar nicht. Dass gerade sie ihr geliebtes Kostüm haben sollte, gefiel ihr keinesfalls.
„Ach, entschuldige, ich vergaß, dir Bescheid zu sagen, dass ich es weiterverliehen habe“, entschuldigte sich Mary reuevoll. „Antonia sah es bei mir, als sie mich letztens besuchte. Sie wollte selbst auch noch auf einen Ball und hatte kein passendes Kostüm.“
„Wie ich Antonia kenne, gab sie es nie zurück“, knurrte Sina böse.
„Stimmt“, entgegnete Mary. „Entschuldige, ich hätte es dir sagen müssen.“
„Das hilft mir jetzt auch nicht weiter“, motzte Sina und legte einfach auf. Wütend schaute sie auf den vor ihr liegenden Kleiderhaufen. „Mir vergeht gleich die Lust, dieses Jahr zum Faschingsball zu gehen“, knurrte sie. Sie ließ sich aufs Bett fallen, starrte zur Decke und überlegte. Nach einiger Zeit schaute sie auf die Uhr. Bis zum Beginn des Faschingsballs war noch genügend Zeit, zu Antonia zu fahren und das Kostüm zu holen.
Sina sprang auf und zog sich an. Dann verließ sie die Wohnung, um zu ihrem Auto zu gehen, mit dem sie zu Antonia fahren wollte. Doch ihr PKW wollte und wollte nicht anspringen.
„Es ist heute wie verhext“, schimpfte Sina. „Erst ist mein Kostüm weg, dann von Mary verliehen und nun springt diese Mistkarre nicht an.“ Als sie auf ihre Armbanduhr blickte, erkannte sie, den Pannendienst zu holen, würde zu viel Zeit vergeuden. Sina stieg aus ihrem Auto und ging zur nächsten Haltestelle. Der Fahrplan sagte ihr, der nächste Bus würde in ein paar Minuten eintreffen. So wartete Sina ungeduldig auf dessen Ankunft.
Endlich kam der Bus. Als sie einstieg, war dieser schon überfüllt mit laut plaudernden Fahrgästen. Der Busfahrer entschuldigte sich, dass sie keinen Sitzplatz mehr ergattern konnte. Sina biss in den sauren Apfel und zwängte sich in die Massen. Zu ihrem Unmut waren die meisten der Fahrgäste bunt gekleidet, viele trugen Faschingskostüme, was sie wiederrum an ihr eigenes erinnerte.
Nach für Sina unendlich langer Fahrt kam ihr Bus an der Haltestelle an, an der sie aussteigen musste. Bis zu Antonias Wohnung waren es von dort nur wenige Gehminuten. Die ganze Stadt schien heute auf den Beinen zu sein. Viele Passanten waren wohl schon auf dem Weg zu ihren Faschingsveranstaltungen. Sina konnte dem noch nicht viel abgewinnen. Grimmig ging sie den Gehweg entlang, wo sie bereits mehrmals von leicht angetrunkenen Menschen beinahe umgeworfen wurde.
„Pass doch auf“, fuhr sie einen jungen Mann an, der ihr eben über den Weg gelaufen und sie angerempelt hatte. Sie rieb sich ihren schmerzenden Arm und hoffte, es bildet sich kein blauer Fleck.
Als Sina an ihrem Ziel angekommen war, schaute sie auf die Klingelschilder und suchte nach Antonias Namen. Sina war noch nie bei Antonia gewesen und wusste nicht, in welchem Stockwerk sie wohnte. Zu ihrem Unglück war das ganz oben. Gerade als Sina klingeln wollte, ging die Haustür auf und eine ebenfalls verkleidete Frau mit einer Maske vor dem Gesicht trat aus dem Haus. Schnell schlüpfte Sina ins Haus, ohne auf die Frau zu achten. Hastig stieg sie die vielen Treppen bis ins oberste Stockwerk hinauf. Sina war gut durchtrainiert, dass es ihr keine Mühe machte, die Stufen hochzugehen. Sie kam nicht einmal außer Atem.
Vor Antonias Wohnungstür hielt Sina an. Sie verschnaufte kurz, ehe sie die Klingel betätigte. Da sich in der Wohnung nichts rührte, klingelte Sina noch einmal. Wieder kam keinerlei Reaktion. Auch nach mehrmaligen Klingeln, öffnete Antonia nicht die Tür.
Sina legte ein Ohr an das Türblatt und horchte. Drinnen war alles still.
„Vielleicht schläft sie“, dachte Sina und begann gegen die Tür zu klopfen. Doch auch da keinerlei Reaktion. Allerdings würde die Wohnungstür gegenüber geöffnet und eine alte Dame schaute heraus.
„Wollen sie zu Antonia?“, wurde Sina gefragt.
„Denken sie, ich hämmere hier umsonst beinahe die Tür ein!“, antwortete Sina schroff. Sie wendete sich ab, ohne weiter auf die Frau zu achten.
„Da können sie ewig klopfen. Dort wohnt niemand mehr“, berichtete die Frau, die inzwischen herangetreten war und an ihrem Ärmel zupfte.
Sina drehte sich um und schaute die Frau fassungslos an.
„Wie, wohnt hier nicht mehr?“
„Weggezogen“, kam als Antwort.
„Wohin?“
„Weiß ich nicht“, wurde ihr gesagt.
„So ein Mist“, schimpfte Sina lauthals. „Mein Tag ist versaut. Wehe Mary, wenn ich dich kriege. Du bist Schuld, dass ich heute kein Kostüm habe. Wie konntest du nur einer mir verhassten Person mein Eigentum geben.“
„Beruhigen sie sich doch“, versuchte die alte Frau zu schlichten.
„Lassen sie mich in Ruhe“, entgegnete Sina schroff. „Versaut ist versaut! Basta!“
© Sandy Reneé / Februar 2014