Mit sich hadernd stand Caro vor ihrem riesigen Kleiderschrank, in dem ein Wohnzimmer Platz gefunden hätte. Angestrengt überlegte sie, was sie ins Büro anziehen sollte. Heute war ihr erster Tag im neuen Job. Zu diesem Anlass wollte sie nicht zu aufreizend auftauchen. Erst schauen, wie die Kollegen so drauf waren. Später konnte sie immer noch ihren Lieblingsbürodress anziehen.
Oder sollte sie es doch wagen? Caro nahm das enge Kleid vom Bügel und hielt es sich vor den Körper. Nachdenklich begutachtete sie sich im Spiegel. Der Rock endete sehr weit über dem Knie. Fast könnte man meinen, es wäre ein etwas zu breit geratener Gürtel. Das Oberteil hatten einen sehr gewagten Ausschnitt. Etliche ihrer männlichen Kollegen an ihrer vorhergehenden Arbeitsstelle hatten ihr hechelnd nachgeschaut, wenn sie das Kleid im Büro trug. Doch das war vorbei. Heute begann für sie ein neues Leben in einer anderen Stadt und einem anderen Job.
„Nein“, dachte sich Caro. „Ich gehe lieber erst einmal auf Erkundung. Am ersten Tag gleich auffallen, kommt selten gut an.“ Widerstrebend entschied sie sich für das hochgeschlossene, fast züchtig geschnittene Kostüm.
Als Caro eine Stunde später im Büro ankam, saß bereits ein Kollege an seinem Schreibtisch und las seine Mails. Er sah auf, als sie das Großraumbüro betrat.
„Ich bin die Neue“, stellte sie sich vor.
„Ach, die Caro“, erwiderte der Kollege. „Ich habe dich bereits erwartet. Ich bin Max und die ersten Tage für dich verantwortlich. Ich zeige dir deinen Schreibtisch und dann erwartet uns auch schon der große Boss Luis.“ Max grinste sie unverfroren an.
Caro ignorierte das Grienen. Sie kannte das von vielen Männern, die etwas von ihr wollten. Oft fühlte sie sich wie eine Puppe, die von einem zum anderen gereicht wurde. Manchmal aber machte sie sich einen Spaß aus dem Spiel und ließ die Typen, wenn die sich am Ziel fühlten, auflaufen. Wie sie bei Max vorgehen würde, musste sie sich noch überlegen. Anschleichen, Sondieren, Zugreifen oder Fallenlassen, waren die Möglichkeiten.
Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge. Caro hatte alle Hände voll zu tun und kaum Gelegenheit, Max zu beobachten. Doch ab und an ertappte sie ihn, wie er sie unverfroren anstarrte. Hatte sie ihn ertappt, tat er so, als wäre nichts gewesen und wandte sich seiner Arbeit zu.
Lächelnd fand sie dafür Zeit, den Kollegen, den sie überaus attraktiv fand, genauer zu betrachten. So übel, wie sie anfangs angenommen hatte, war Max nicht. Er war zuvorkommend, half ihr sofort, wenn sie nicht weiterkam, rückte in der Kantine ihren Stuhl zurecht. Man begann schon über sie zu tuscheln, dass sich da etwas mit der Neuen anbahnte. Doch dem war nicht so.
Eines Tages erreichte Caro eine Mail. „Wichtige Besprechung heute Abend 19 Uhr, Treffpunkt Parkhaus. Kleiderordnung: kleines Schwarzes. Erscheinen ist Pflicht“, stand in dem Schreiben. Keine Unterschrift, keine Signatur verriet, wer der Absender war. Doch aufgrund der Endung der Mailadresse nahm Caro an, dass es sich um einen Mitarbeiter der Firma handelte.
Was der wohl von ihr wollte? Bei kleinem Schwarzen wusste sie, was verlangt wurde. Nur verstand sie nicht, warum sie nicht persönlich zu diesem Treffen eingeladen wurde. Was sie noch verwirrender fand, sie hatte bisher nie bemerkt, dass jemand an ihr interessiert war. Stets hatten sich alle korrekt verhalten, sie behandelt wie jeden anderen Kollegen auch. Und nun das! Wichtige Besprechung war so kurzfristig auch recht eigenartig.
Der Tag zog sich in die Länge wie ein Gummiband. Caro konnte es kaum bis zum Feierabend aushalten. Dementsprechend unkonzentriert erledigte sie ihre Aufgaben und demzufolge unzufrieden war ihr Chef mit dem Ergebnis ihrer Arbeit.
„Caro, was ist heute mit ihnen los? So kenne ich sie gar nicht“, wurde sie gerügt. Sie zuckte nur mit den Schultern und wusste keine Antwort. „Morgen erwarte ich mehr Aufmerksamkeit von ihnen“, kündigte Luis an.
„Kommt nicht wieder vor“, murmelte Caro beschämt und verabschiedete sich in den ungewissen Feierabend. Sie war froh, endlich das Büro verlassen zu können.
Zu Hause nahm sie in aller Ruhe ein entspannendes Bad. So aufgeregt wie sie war, konnte sie keinesfalls zu ihrem Date erscheinen. Während sie sich im heißen Wasser aalte, trank sie zur Beruhigung ein Glas Sekt. Der Alkohol zeigte die gewünschte Wirkung. Wenig später stand sie, wie sonst am Morgen, vor ihrem riesigen Kleiderschrank und überlegte, welches von ihren kleinen Schwarzen sie anziehen sollte. Sie hatte mehrere zur Auswahl, aus Spitze, fast durchsichtig, aus Samt, Seide, Leinen, schlicht, aufgepeppt mit Pailletten. Zu guter Letzt entschied sie sich für das aus fast durchsichtiger Spitze. Nur die Bereiche um den Busen und die Hüften waren mit Seide unterlegt. Der Rest ließ blanke Haut durchblitzen. Mit sich zufrieden schaute sich Caro nach dem Ankleiden im Spiegel an. Da der Grund der Einladung nicht genannt wurde, musste das gewagte Spitzen-Schwarze richtig sein. Wenn nicht, wäre das ihr Pech und sie würde sich wieder bis auf ihre Knochen blamieren.
Caro fuhr mit dem Taxi zum Parkhaus der Firma. In einem der Büros brannte noch Licht. Es musste um diese vorgerückte Stunde wohl noch jemand arbeiten. Ungeduldig lief sie vor dem Lift auf und ab. Die Absätze ihrer Stilettos klickten auf dem Asphalt und hallten durch das Parkhaus. Die Zeit verging, Caro wurde ungeduldig, als zum verabredeten Zeitpunkt niemand erschien. Eben wollte sie hinausgehen und ein Taxi rufen. Da hörte sie, wie jemand nach ihr rief. Sie drehte sich um und blickte direkt in die Augen von Max.
„Was machst du hier?“, fragte sie.
Max setzte wieder sein verschmitztes Grinsen auf. „Wir sind verabredet“, antwortete er.
„Mit dir? Da täuschst du dich. Ich erwarte Luis, nicht dich“, erwiderte Caro.
„Nein, mich“, sagte Max und grinste noch mehr.
Fragend schaute Caro ihn an. Nun verstand sie gar nichts mehr. Warum tauchte Max hier auf und nicht Luis?
„Ich bin der Firmeninhaber. Luis ist nur Geschäftsführer“, löste Max das Rätsel um die eigenartige und wahrlich geheimnisvolle Einladung auf.
„Du?!“ Caro war baff.
„Ja, ich“, erwiderte Max und reichte ihr seine Hand. „Gehen wir?“, fragte er. „Ich habe uns einen Tisch im besten Sushi-Restaurant der Stadt reserviert. Du magst doch Sushi?“
© Sandy Reneé / 13.03.2018