»Okay, also geht es Gary gut?«, fragte Lan nach, weil er starb fast vor Neugierde und Sorge und konnte die Pause kaum noch abwarten.
»Soweit ja. Im Moment ist er stabil, sagt Ralf. Wir bereiten jetzt alles für den Flug zum Tempel vor ... und dann werde ich wohl für zwei Tage, bis Garys Phönix vollständig erwacht ist, unterwegs sein. Sofern keine Komplikationen wegen dem Biss auftreten«, sagte Shay.
»Wo ist der Tempel?«
»Versteckt irgendwo in den Anden.«
»In den Anden? Wo ist das?«
»Südamerika!«
»Aha ...!«
»Sag mir nicht, du weißt nicht, wo Südamerika ist?«
»Doch ... hmm nicht wirklich. Mensch ich habs nicht so mit Erdkunde!«
»Vielleicht sagt dir Peru etwas. Auf diesem Kontinent, da sind die Anden, die längste Gebirgskette der Welt. Google einfach mal, dann weißt es! Tipp einfach Cordillera Occidental - Peru ein. Dort befindet sich auch irgendwo in der Gebirgskette der Tempel.«
»Ich weiß, wo Peru liegt, aber da brauchst du doch länger als zwei Tage?«, sagte Lan und Shay musste sich ein Kichern unterdrücken. Er wusste nicht, das Peru in Südamerika lag, aber er wusste ungefähr, wie lange man unterwegs war.
»Wir fliegen mit dem Privatjet vom König. Im Normalfall fliegt man bis zu 16 Stunden, aber mit dem Privatjet, holen wir etwas Zeit rein.«
»Nun ja. Ich bin zwar kein Rechengenie, aber selbst ich weiß, dass du wohl länger als 2 Tage unterwegs bist. Und wir wissen immer noch nicht, wie lange ich ohne dich sein kann und du hast ein Maximum von 4 Tagen, bevor du in den Wahnsinn fällst. Und wird das nicht etwas knapp?«
Shay rieb sich die Augen, da musste er seinem jungen Gefährten recht geben, denn daran hatte er in keiner Weise daran gedacht.
»Da muss ich dir recht geben. Ich überlege mir was. Im Notfall muss ich hierbleiben. Das werden sie auch ohne mich schaffen.«
»Nun ja. Ich kann ja auch mitgehen ...«
»Das kannst du gleich vergessen. Du hast Schule!«
»Pfff ...!«
»Nix Pfff! Schule geht vor!«, sagte Shay und schon klingelte die Glocke, dass die Pause vorbei war. »Bis später!« Und Shay legte auf.
»Der Jet steht bereit. Wir können also sofort los!«, sagte Niallan, der wieder Garys Vitalfunktionen überprüfte.
»Ich muss passen!«, sagte Shay und schaute Lorcc eindringlich an, danach lächelte er etwas süffisant. »Vielleicht kann er fliegen ...«, dachte Shay.
»WAS?«, fragte Lorcc laut und sein Gesichtsausdruck, zeigte Widerwillen.
»Sag mir nicht, dass du unser Gespräch nicht mitgehört hast! Du mit deinen Köterohren ...«
»Vergiss es, und zwar so schnell, wie es dir eingefallen ist! Unser Deal besagte nur, dass ich den Bengel finde und außerdem muss ich mich noch auf die Suche von dem Werwolf machen. Ich bin raus!«
»Den Werwolf kannst du danach auch noch suchen ...«
»Ha ...! Und wie stellst du dir das vor? Noch sind die Spuren frisch ... vergiss es einfach und such dir jemanden anderes ... oder sei nicht so ein Nerd und nimm dein Gefährte einfach mit. Die paar Tage Fehlzeit macht er bestimmt wieder wett!«, sagte Lorcc und verschwand aus dem Krankenzimmer.
Shay rieb sich die Stirn und schüttelte den Kopf. Auch wenn er es wollte, so konnte er Lan nicht von der Schule fernhalten. Das ging nicht. Außerdem standen seine Abschlussprüfungen bevor und ... er hatte in ein paar Tagen seinen Geburtstag. Dieser Geburtstag fiel direkt auf den Vollmond.
»Ist ja echt wieder einmal typisch, dass alles auf einem Tag fällt. Nun, dann muss ich wohl hierbleiben«, dachte Shay und wandte sich zu Niallan um, der wieder die Vitalfunktionen von Gary überprüfte und nur darauf wartete, bis es losging.
»Niallan«, sprach Shay ihn an und er blickte ihn an.
»Hmm!«, gab er zur Antwort.
»So leid es mir tut, ich werde nicht mitgehen. Der Werwolf scheint bis zum Vollmond mehr oder weniger ruhe zu geben. Das Wichtigste ist erst einmal, dass mit dem Phönix und ich denke, das wirst du mit der Familie Willms und den Clan Feuervögeln gut alleine bewerkstelligen können, da brauchst du mich nicht! Ich bleibe hier und schaue, dass ich den Zeremoniar herbeordern kann.«
»War mir klar, Gary ist in guten Händen. Also ich bin dann mal weg!«, sagte Niallan, löste die Bremse vom Krankenbett, auf dem Gary lag, und ging aus dem Krankenzimmer.
»Das wird ja langsam mal Zeit!«, sagte Ralf, der auf dem Helikopterparklatz hinter dem Schloss, auf Gary und die Willms gewartet hatte.
Ein paar Sanitäter hievten mit geübten Händen Gary auf eine Trage und verfrachteten ihn in den Helikopter, der die Truppe zum königlichen Flughafen bringen sollte.
Keine halbe Stunde später waren die Willms, Niallan, und Ralf auf dem Weg zu den Anden.
***
Shay der zurück in seiner Wohnung war, setzt sich auf die Couch und rieb sich die Augen. Auch wenn er tagelang wachbleiben konnte, so spürte er trotzdem, dass er müde war und die Müdigkeit wurde, seitdem er von den Ringen befreit wurde von Mal zu Mal stärker.
Nicht in dem Sinne Müde, sondern in dem anderen Sinne Müde. Ausgelaugt, ausgebrannt und am Ende.
Er konnte es nur daraus schließen, dass es für ihn bereits soweit war, sich in den ewigen Schlaf zu begeben, nur hatte er es durch die Bändigungsringe nicht registriert. Shay konnte es nicht mitbekommen, weil die Ringe seinen natürlichen Lebensverlauf behindert hatten.
»Wie gesagt, alle guten Dinge sind drei ... aber wie immer gilt das für mich nicht. Vollmond, Lans Geburtstag und mein ewiger Schlaf. Hach ... hätte mich der König nicht in den Schlaf gezwungen, sondern mir das überlassen, so würde ich jetzt nicht so dastehen. Ich stehe an der Schwelle des Ur-alt ... nein ich habe diese Stufe schon lange überschritten. Die Ringe haben dies nur verzögert ... Ich brauche den Schlaf, um wieder zu Kräften zu kommen.«
Kaum gedacht, so war er eingeschlafen.
***
In der zweiten Pause rief Lan seinen Gefährten an, aber er ging nicht ran. Noch ein paar Mal versuchte er es, aber nichts. Verdrossen steckte er sein Handy wieder weg und starrte in den Himmel.
»Na, er wird viel zu tun haben!«, dachte er und es klingelte zum Unterricht.
Da es nur noch zwei Schulstunden bis zum Unterrichtsende war, verging die Zeit grottenlangsam und endlich klingelte es zum Schulschluss.
Lan packte seine Sachen zusammen und ging, aber ohne sich noch einmal umzudrehen und auf Garys Platz zu blicken, der heute leer blieb. Kurz atmete er tief ein und wandte sich schließlich ab. Auch wenn Gary einem auf die Nerven gehen konnte, so war er doch sein bester Freund.
Vor dem Schultor wartete bereits das Auto, das ihm heimfuhr und er stieg ein. Die Fahrt verlief wie immer gleich, denn die Chauffeure kannten ihn und viele freuten sich auf ihn. Lan war ein ›Gast‹ oder eine Person, bei dem sie sich nicht zurückhalten mussten. Er nahm es nicht übel und er lachte auch, wenn aus Versehen etwas über die Lippen kam, was nicht gerade ›höflich‹ für solche ›ehrbaren Ohren‹ war. Und gerade war es wieder. Lan lachte, bis sein Bauch wehtat und fragte, nachdem er sich wieder beruhigt hatte: »Ähm, wer ist diese Baronstochter, die aussieht, als ob sie gekaut, runtergeschluckt und wieder rausgekotzt wurde?« Der Fahrer blickte in den Rückspiegel und grunzte kurz.
»Zum Neujahrsfest veranstaltet der König immer einen Ball. Zu ehren aller. Auch sind da die Tore für jeden offen ...«
»Ja davon habe ich auch schon mal gehört!«, sagte Lan, weil Gary immer da hingehen wollte, aber seine Eltern nie wollten, und Lans Eltern ebenfalls keine Lust darauf hatten, obwohl jeder auf den ›Ball‹ ... okay ein Ball war das nicht, das war eher eine öffentliche Veranstaltung, gehen konnte.
»Ja, und jedes Jahr kommt eben diese Baronstochter ... sie ist eine Mischung aus einem Troll und einem Zwerg ...«, erklärte der Fahrer.
»Ja und ihre Eltern versuchen auch wirklich jedes Jahr, ihre Tochter mit irgendjemanden zu verkuppeln. Sie haben sogar schon eine Anfrage an dem König geschickt, dass er sich um potenzielle Ehemänner umschauen möge, aber keiner scheint gewillt zu sein, nicht einmal bei einem Troll oder einem Zwerg, konnte die Baronstochter das Herz erweichen ...«, sagte der Beifahrer.
»Schaut sie wirklich so hässlich aus?«, fragte Lan, weil das konnte er sich gar nicht vorstellen. Sicher gab es Menschen, die für die eigene Vorstellung als ›nicht schön‹ angesehen wurden, aber sie als hässlich zu bezeichnen, war für Lan doch etwas zu viel. Er fand, dass kein Lebewesen hässlich war. Jeder war auf seine eigene individuelle Art schön.
Die beiden nickten: »Oh ja!«
Die Fahrt sowie die Unterhaltung lief noch etwas und schon waren sie am Schloss angelangt. Lan stieg aus und sein erster Weg war zu seinen Eltern. Er wusste, dass sie arbeiteten und so blickte er nur auf den Herd und in den Kühlschrank, ob etwas zum Essen da war. Er wurde fündig und wärmte sich sein Mittagessen auf.
Mit dem Essen bewaffnet ging er in sein Zimmer und schaltete erst einmal das Licht ein, denn es war stockdunkel. Sofort sah er Shay auf der Couch liegen und schon schmunzelte er. Wie immer war sein Gefährte die Vollkommenheit in Person. Er stellte sein Essen ab und befreite sich von seinem Rucksack, dann ging er zur Couch, aber die erhoffte Reaktion, die Shay meist hatte, kam nicht. Kein Zucken seiner geschlossenen Lider. Kein leichtes Schmunzeln oder sonst etwas und Lan stellte sich darauf ein, gleich unter seinem Gefährte zu liegen, weil Shay konnte sich sehr gut verstellen. Langsam beugte er sich zu ihm runter und drückte seine Lippen sanft auf seinen Mund.
Keine Reaktion.
»Komisch!«, dachte er, als er Shay betrachtete. »Sonst packt er mich doch immer und bettet mich unter sich ...«
Shay lag ruhig auf der Couch und erst jetzt bemerkte Lan, dass Shay gar nicht mehr atmete. »WAS? SHAY!« Er schrie los und er wusste nicht, wie oft er seinen Namen schrie und ihn rüttelte, aber er wachte nicht auf. »NEIN! NEIN! NEIN! TU MIR DAS NICHT AN!«
Von dem verzweifelten Schrei, was aus dem Wohnflügel der Talfons kam, wurde Ian aufmerksam. Da er schon seit geraumer Zeit, auch wegen Beverly, das Ritual vollzogen hatte, und außerdem seit letzten Tag, sämtliche Jalousien im Schloss heruntergelassen wurden, teleportierte er sich zu dem Lärm und sah die Szene.
Er benötigte nur einen kurzen Blick um herauszufinden, dass mit Shay eigentlich alles in Ordnung war, versuchte er Lan zu beruhigen und kontaktierte den König.
»Was soll mit ihm in Ordnung sein, er atmet nicht einmal ...«
»Herr Lan ... Euer Gefährte befindet sich im ›ewigen Schlaf‹. Da gibt es keinen Grund zur Sorge!«