Gary lag noch immer bewusstlos im Krankenbett und Lan der neben dem Bett auf einem Stuhl saß, zockte etwas. Laut seinem Vater hielten sie ihn im künstlichen Koma, damit er keine ›Qualen‹ erlitt, wenn die zwei magischen Wesen in seinem Innern um die Vorherrschaft kämpften.
Jeden Tag, seit Gary wieder zurückkam, besuchte er ihn und nun rieb er sich die Stirn. »Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich auf zwei Vollpfosten gleichzeitig aufpassen muss!«, murrte er und schloss seine Augen.
»Welche zwei Vollpfosten!«, fragte Niallan, der ins Zimmer kam um einen Blick auf Gary zu werfen.
»Shay und Gary!«, murrte Lan weiter und Niallan kicherte etwas.
»Wie wahr! Aber beide sind nicht in Gefahr. Lorcc hat soeben das Blut von dem Werwolf, der Gary gebissen hat gebracht und das älteste Familienmitglied von ihm ist auch bereits unterwegs. Soweit läuft es gut und hoffen wir, dass es so bleibt.«
»Warum sollte es nicht gut laufen? Bei mir hat´s doch auch funktioniert!«
»Hmm, schon, aber die Willms waren komplett aus dem Häuschchen als sie erfahren haben, dass Gary von einem Werwolf gebissen wurde und der Phönix und der Wolf um die Vorherrschaft kämpfen! Sie haben sogar den Tod des Werwolfs gefordert und das Gary vom Werwolf befreit werden soll, weil sonst der Clan des Feuervogels in eine Krise fällt, weil Gary nun nicht mehr ›reinrassig‹ ist. Sie diskutieren sogar darüber, ein Mädchen zwangs zu schwängern, damit sie den nächsten Vogel gebärt, und Gary sollte dann getötet werden ... «
»Haben die alle einen Vogel an der Waffel!«, rief Lan aus und schüttelte den Kopf.
»Einen Vogel ... da hast du in jeder Beziehung recht! Nun heute ist Vollmond und der Zeremoniar ist auch schon angekommen!«, sagte Niallan und blickte Lan an. »Ich denke, du solltest nach Hause gehen. Wir haben alles im Griff!« Nun zwinkerte er ihm zu und lächelte leicht. »Geh schon, sonst wird noch dein Kuchen schlecht, weil du ihn nicht anschneidest!«
»Hä!«, fragte Lan, der kurz auf der Leitung stand, doch dann fiel ihm es ein. »Ahhh ... Ja ... Mama wird nicht glücklich sein, wenn die Hauptperson an ihrem wichtigsten Tag Krankenschwester spielt!«
»Sieht so aus! Alles gute zum Geburtstag Lan.«
»Danke!« Niallan nickte nur.
»Und jetzt hau ab!«
Lan schloss die Tür und atmete tief ein. Sicherlich hatte er sein Geburtstag nicht vergessen. Er wollte ihn nur nicht feiern, weil die Person, die er sich am meisten wünschte, dass sie da wäre, im ›ewigen Schlaf‹ lag.
Kurz darauf kam Lan daheim an. Es war ja nicht weit, wenn Gary im Schlosskrankenhaus lag und Lan im Schloss wohnte.
»Bin wieder da!«, rief er und Miriam lächelte ihn an.
»Schön!«, sagte sie nur und widmete sich wieder, den Vorbereitungen. Was Lan auffiel, es war nicht viel, was sie herrichtete. Nicht so wie sonst, weil fast die ganze Siedlung an irgendeinem Fest immer teilnahm und seine Mutter immer mittendrin war. Beziehungsweise sie immer alles organisiert hatte und so verlief Lans Geburtstag eher im kleinen familiären Kreis. Bis auf einem kurzen Moment, kurz nach Sonnenuntergang.
Es klopfte an der Tür, Ralf stand vom Tisch auf, machte die Tür auf und der Vampirkönig kam herein. Als er Lan erblickte, lächelte er und trat auf ihn zu.
»Lan ... ich wünsche dir alles Gute zu deinem Geburtstag und wünsche dir, dass alles was du dir wünscht, auch in Erfüllung geht!«, gratulierte er und reichte ihm die Hand. In der anderen Hand hielt er einen Briefumschlag. »Hier ist eine kleine Aufmerksamkeit!«, sagte er und überreichte ihm den Umschlag.
»Was ist das?«, fragte Lan.
»Ein kleines Geburtstagsgeschenk!«, sagte er. »So ich muss wieder los. Die Arbeit ruft! Feier noch schön. Auf wiedersehen!«, sagte er und schon war er durch die Tür verschwunden.
Lan öffnete den Umschlag und las die paar Zeilen. Es stand nicht viel drinnen, nur die typischen Glückwünsche zum Geburtstag und das die Wohnungseinrichtung, die Lan an den König abbezahlen musste, nun beglichen war.
»Tja so viel dazu ... auf eigenen Füßen stehen!«, grinste Beverly. »Da hat dir der König aber wirklich die Rechnung vermiest!«
Lan atmete verdrossen ein. Es stimmte, dass er die Einrichtung an dem König abbezahlen wollte, aber so, wie es aussah, er dies nicht mehr musste.
Nun seien wir mal ehrlich, auch wenn Lan, mehr oder weniger bei niemanden gerne Schulden hatte und auf seinen eigenen Füßen stehen möchte, so war er doch nicht abgeneigt und setzte sich grinsend an den Tisch.
»Ach dein Glück, will ich auch mal haben!«, jauchzte Beverly.
»Was denn ... dein Gefährte ist der Vize-Hauptmann der Bruderschaft, also wie viel Glück willst du denn noch haben?«
»Das sagt der, der so wie so das meiste Glück hat ...«
***
Ein paar Minuten vor Vollmond. Gary, der inmitten des Pentagramms im Krankenbett lag, war noch immer bewusstlos.
»Also ich weiß nicht, ob es funktioniert! In der Regel sind die Hilfesuchende immer wach!«, warf der Zeremoniar ein. »Aber er wird im Koma gehalten. Wie bitteschön, soll ich eine Fusion zustande bringen, wenn er nicht bei Bewusstsein ist? Und vor allem, wo ist das Medium? Wer fungiert als Medium?«
»Ich!«, sagte Lorcc und trat vor. Der Zeremoniar nickte und atmete tief ein.
»Nun gut ... der älteste von den Feuervögeln stellt sich bitte an die Südseite. Werner stellte sich hin und der Zeremoniar hob die Augenbraue.
»Sie sind ein Mensch und kein Feuervogel ... ohne einen Feuervogel funktioniert die Session nicht!«, schimpfte er.
»Bis vor ein paar Tagen war Gary auch ein normaler Mensch. Mr. Zeremonienmeister. Ich habe Ihnen die Unterlagen zukommen lassen und Sie haben mir bestätigt, dass alles in Ordnung sei!«, sagte nun der König, der langsam die Geduld verlor und der Zeremoniar zuckte zusammen. Er hätte nie gedacht, dass der König höchst persönlich mit daran teilnahm. »Die Zeremonie muss in wenigen Minuten stattfinden, sonst wird Gary wohl oder übel nicht überleben. Bringen Sie den Werwolf mit dem Feuervogel in Einklang! Sofort!«
»Ja eure Majestät!«, sagte er nur und machte sich wieder an die Arbeit.
»Der älteste aus dem Werwolfrudel, der den Jungen gebissen hat, stellt sich an die Westseite und das Medium an die Ostseite.« Er selbst stellte sich an die Nordseite und fing mit dem Ritual an.
Lorcc hatte in den letzten Tagen alle Hände voll zu tun, um herauszufinden, wer der Vater, der Großvater oder der älteste aus dem Rudel des Werwolfes war, der Gary gebissen hatte. Sicherlich hätte er den Werwolf fragen können, der in seinem Gewahrsam war, aber das Risiko, was daraus folgen konnte, wollte er nicht. Zumal der Werwolf selbst nur ein Gebissener war und er wohl oder übel, durch seine Handlung, durch sein eigenes Rudel, von welches er verstoßen wurde, getötet werden würde. Deshalb musste Lorcc seine Beziehungen spielen lassen und hier und da eine Notlüge erfinden. Lorcc wusste nicht warum, aber er hatte auf eine gewisse Art einen Narren an diesen noch relativen jungen Werwolf gefressen.
Allerdings schuldete er dem alten Alpha vom anderen Rudels nun einen Gefallen.
Ein paar Sekunden bis Vollmond. Jeder Werwolf spürte die Macht, die in ihnen aufstieg, und waren schon versucht, sich darin zu laben, als plötzlich der alte Werwolfalpha auf die Knie flog. Der Zeremoniar hielt im Ritual inne und dachte: »Es war das falsche Werwolfblut. Der Ritus nimmt sich das richtige Blut.« Doch dann sah er, wie Lorcc zu zittern anfing. »Dem Himmel sei dank, dass der Richtige an Ort und Stelle ist!« Und er machte mit der Zeremonie weiter. Ungeachtet durch die Schmerzen, der brutalen Blutentnahme, die der alte Alpha spürte. Der Zorn eines Fehlschlages, durch den König zu erfahren, wog bei dem Zeremoniar schwerer.
Nicht nur der alte Alpha war auf die Knie gezwungen worden, Lorcc ebenfalls. Er als Medium bekam die komplette Macht des Vollmondes zu spüren. Auch sein Blut kochte und wurde ihm gewaltsam entnommen und zu Gary geführt. Der einzige, der noch stand, war Werner Willms. Er war der älteste direkte Nachkomme aus dem Clan des Feuervogels, dessen Blut das Ritual nicht einforderte, da sein Blut bereits vorab dem Zeremoniar überreicht wurde.
Auch wenn Lorcc es nicht wollte, so hatte das Ritual sein Blut, Gary als ein Teil seines Rudels akzeptiert. Gary war nun ein Teil von Lorccs Rudel und nicht von dem alten Alpha.
Der Vollmond zog vorbei und das Ritual war beendet. Der Werwolf im Innern von Gary hatte sich mit dem Phönix geeinigt. Beziehungsweise der Feuervogel hatte Lorccs Blut verlangt und der Werwolf war damit einverstanden. Warum auch nicht. Lorccs Blut war bei Weitem mächtiger und der Tausch wurde vollzogen.
Gary war nun ein Mischling aus einem Feuervogel und einem ›königlichen‹ Werwolf. Aber davon wusste niemand etwas. Nicht einmal Lorcc selbst.
Der alte Alpha richtete sich wieder auf und knurrte Lorcc, der sich ebenfalls wieder aufrichtete.
»Was soll das? Mich meiner Position zu berauben! Mir mein Blut zu entnehmen ohne meines Einverständnisses. Ich werde dich töten!« Lorcc zuckte zusammen und blickte den alten Mann fest in die Augen.
Es flackerte ein Kampf um die Machtposition auf und Lorcc hatte bei Weitem noch nicht die Stärke des alten Alphas.
»Ein Deal ist ein Deal! Du kannst mich nicht für etwas verantwortlich machen, wovon ich nichts gewusst habe. Also halt still Alter Mann! Das hier war ein Ritual der Magie der magischen Wesen und du und ich, haben darüber keine Ahnung!«, knurrte er zurück und richtete sich nun vollständig auf und bevor der alte Alpha was erwidern konnte: »Schau lieber darauf, dass du dein Rudel unter Kontrolle hältst und ficke nicht nur Weiber, um potenzielle Nachkommen zu zeugen! Halte auch ein Auge auf diejenigen die du vertrieben hast. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, alter Mann!«, knurrte er weiter und eine Welle von Macht strömte aus Lorcc heraus.
Die Kraft des Vollmonds wütete noch in ihm und der alte Alpha erkannte, dass Lorcc, obwohl er jünger und schwächer, als er war, seine komplette Stärke noch nicht erreicht hatte, dennoch bei Weitem stärker war. Lorcc Arnviðr war ein geborener Werwolfalpha. Nein der König der Werwölfe ... aber das wusste niemand, nur der alte Alpha.
Laut, der Geschichte und den Überlieferungen gab es bei den Werwölfen niemals einen König. Es gab immer nur Alphas, die über ihr eigenes Rudel herrschten. Doch der alte Alpha wusste es besser und unmerklich lächelte er, als er sich von Lorcc abwandte und die Zeremonienhalle verließ.
»Es scheint, dass die Zeit naht. Die Zeit der Neuerung!«, dachte der alte Alpha.