Da die zwei einzigen Ärzte die das Schloss hatten, auf dem Weg zu den Anden waren, um Gary zu beaufsichtigen, rieb sich der König die Augen. Was konnte er tun? Er wusste es nicht. Aber Tatsache war, das Shay sich im ›ewigen Schlaf‹ befand und nicht einmal er wusste, wie er ihn daraus wecken konnte. Es war eine Sache ihn darein zu zwingen, aber eine andere, wenn er es von selbst tat. Der König hatte diesmal keinen Zugang zu ihm und nur das Schicksal wusste, wann er wieder aufwachte.
»Das ist ein ziemlich schlechter Zeitpunkt, den du gewählt hast, Shay! Und die Einzigen, die dich daraus eventuell wecken können, sind gerade unterwegs!«, dachte er und sah, wie einige Bedienstete einen Glassarg in Lans Wohnung brachten.
»Stellt es dahin!«, befahl er und kontrollierte den Sarg, ob die Funktionalität in Ordnung war. »Gut! Bettet ihn darein!«
»Wie lange wird er jetzt schlafen?«, fragte Lan, der sich beruhigt hatte und der König blickte den Jungen an.
»Schwer zu sagen. Tage, Wochen, Jahre, Jahrhunderte. Keiner weiß es, wie lange ein Vampir braucht, um sich vollständig zu erholen, oder wie lange der Eintritt in den nächsten Altersabschnitt dauert!« Lan nickte nur und beobachtete, wie Shay in den Sarg gebettet wurde. Danach wurde er verschlossen und ihm blieb nichts mehr anderes übrig, als seinen Gefährten durch das Glas zu betrachten. Nicht einmal berühren durfte er ihn, so wurde es ihm erklärt, denn wenn er den Sarg öffnete, konnte es sein, dass sich der Körper mumifizierte oder sogar zerfiel. Der Sarg verhinderte dies und hielt nur die notwendige Versorgung aufrecht. »Keine Sorge, in ein paar Tagen, wird sich dein Vater darum kümmern und schauen, ob er ihn aufwecken kann!«
»Warum lassen wir ihn nicht schlafen, wenn der ›ewige Schlaf‹ so wichtig ist?«, fragte Lan.
»Weil es ein ziemlich schlechter Zeitpunkt ist und wir ihn brauchen ...«
»Wegen der Invasion?«, fragte Lan weiter und kurzzeitig zuckten die Lider des Königs.
»Du weißt es also?«, fragte er zurück und Lan nickte.
»Ja, ich habe es selbst gesehen!«, antwortete er und der König erinnerte sich.
»Stimmt! Und Ja, genau wegen der Invasion!«
»Nun, ich habe Shay in der Vision nicht gesehen ...«, sagte Lan darauf. »Eigentlich habe ich keinen von euch Vampiren gesehen!«, das dachte er nur und ihm wurde angst.
Der König ignorierte die Aussage, denn sie konnte vieles bedeuten. Shay könnte wo anders gewesen sein, oder was der König nicht hoffte, sich immer noch im Schlaf befinden.
***
So vergingen die Tage und was Lan komisch fand, sein Vampir regte sich nicht und als er seinen Vater danach fragte, der wieder daheim war, überlegte kurz.
»Nun, der ›ewige Schlaf‹ eines Vampirs ist nichts Schlimmes, eigentlich fördert der Schlaf die Gesundheit. Shay ist ja in deiner Nähe, nur das er halt nicht wach ist. Dein Vampir wird wohl die Nähe spüren und wohl auch wissen, dass er sich im Schlaf befindet. Deshalb wird es wohl so sein!«, erklärte Ralf, der sich ein Dosenbier aufgemacht hatte und trank.
»Und kannst du ihn aufwecken?«, fragte Lan und Ralf blickte seinen Sohn fragend an. »Weil der König etwas gesagt hat, von wegen und aufwecken, wenn du wieder da bist«, sprach er schnell weiter und Ralf verzog kurz seine Lippen.
»Nun, das könnte ich schon, aber bringt es für Shay was, wenn er geweckt wird? Das glaube ich nicht! Ein Vampir braucht seinen ›ewigen Schlaf‹ und diesen ... ich sage jetzt mal so ... diesen Herstellungsprozess, sollte man nicht unbedingt, nicht wenn es sein muss, unterbrechen! Außerdem so wie seine Aura aussieht, ist er gerade dabei in den nächsten Altersabschnitt einzutreten, ... nein nicht ganz, den Abschnitt hatte er schon vor einiger Zeit überschritten, aber die Bändigungsringe haben dies wohl verhindert und jetzt ... na ja, die Natur geht ihren Weg, aber du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen. In der Regel verweilt ein Vampir nicht all zu lange im Schlaf, wenn er in den nächsten Altersabschnitt eintritt. Ich denke, dass er so drei bis sechs Monate schlafen wird!«
»Okay!«, sagte Lan, aber dies war wohl eher für sich selbst gemeint. Denn er wollte, wenn der Abschlussball stattfand, mit Shay hingehen, was wohl jetzt hinfällig wurde ... »Okay«, wiederholte er in seinen Gedanken. »Ich mache meinen Abschluss ... lass den blöden Ball sausen und gehe nach den Ferien auf die AMN. – Ich hoffe, dass du bis dahin wieder wach bist, denn das wird wirr werden, dich in diesem Sarg in mein Zimmer zu stellen, tu mir das nicht an ...« Lan schüttelte diese Gedanken ab und schon waren sie bei Gary. »Ich hoffe, ihm gehts gut!«
***
In etwa zur gleichen Zeit in der Siedlung.
»So noch einmal. Warum hast du in meinem Revier gejagt? Du solltest es doch wissen, was es bedeutet!«
Lorcc unterzog gerade den Werwolf, der Gary gebissen hatte einem Verhör, doch dieser lächelte nur und zuckte mit der Schulter. Daraufhin lächelte Lorcc und drehte sich von ihm weg.
»Nun denn!«, meinte Lorcc nur und verließ das Zimmer. Kurz darauf hörte man schmerzhafte Schreie und Lorcc kam nach einer halben Stunde wieder zurück. »Oh wie ich sehe, ist dir jetzt nicht mehr zum Lachen!«, sagte er und lächelte den Werwolf grausam an. »Also fangen wir von vorne an. Ich frage dich die gleiche Frage, wie zuvor, genau dreimal. Wenn du immer noch der Meinung bist, dich weiter so zu geben, dann können wir die Prozedur immer und immer wiederholen.« Der Werwolf funkelte Lorcc böse an und grinste wieder. »Schön, sieht so aus, als wären wir einer Meinung!«, sagte Lorcc, wohl wissend, dass der Werwolf nach dieser Folter immer noch nicht seinen Mund aufmachen würde. »Also ... warum hast du in meinem Revier gejagt, obwohl du weißt, was dir passieren könnte?«, fragte Lorcc und wie vorher gewarnt, genau dreimal. Und danach verließ er das Zimmer. Wieder hallten Schreie aus dem Zimmer und Lorcc kam genau nach einer halben Stunde wieder zurück. Das wiederholte sich ein paar Mal, bis der Werwolf etwas bemerkte. Nach jeder Folter, die er durchmachen musste, spürte er, wie seine angeborene Heilfähigkeit immer schwächer wurde und Lorcc kam wieder zurück.
»Was machst du mit mir?«, fragte er und Lorcc grinste ihn an.
»Oh er ist gewillt zu reden ... aber hier stelle ich die Fragen!«, sagte Lorcc und hielt kurz inne. »Aber inzwischen solltest du meine Frage kennen. Antworte!«
»Ein Scheiß werde ich!«, zischte der Werwolf und spuckte Blut vor Lorccs Füße. Lorcc zuckte nur leicht gelangweilt die Schulter und er fing an, die gleiche Frage zu stellen, und das Prozedere ging wieder los.
Irgendwann brach der Werwolf doch ein und flehte nur noch, dass es aufhören sollte.
»Du brauchst nur meine Fragen zu beantworten, mehr will ich nicht!«, sagte Lorcc und der Werwolf beantwortete die Frage und Lorcc war sichtlich überrascht, nein wohl eher ziemlich belustigt. »Das ist nicht dein Ernst?«, fragte Lorcc und prustete los. »Du willst in meinem Revier ein eigenes Rudel aufbauen und mich davonjagen? Ist das wirklich dein Ernst?« Lorcc hielt sich sein Bauch und beruhigte sich aber sogleich wieder. »Gut, Scherz beiseite. Zur nächsten Frage und denk daran, dass sich das Ganze wiederholen wird und ich habe sehr viel Zeit. Wie viele Menschen hast du bereits verwandelt?« Da der Werwolf bereits eingebrochen war, senkte er seinen Blick und antwortete.
»Inzwischen 54. Mit dem Jungen auf dem Fahrrad 55.«
»So!« Lorcc hob überrascht seine Augenbraue. Er hätte mit drei oder maximal 5 Leuten gerechnet, aber mit so vielen nicht. »Und wenn dein Plan funktioniert hätte, mich aus meinem Revier zu verjagen. Was wäre dein nächster Schritt gewesen? Diese Aktion wäre nicht unbemerkt geblieben, schon gar nicht, weil das hier Vampirland ist.« Der Werwolf antwortete nicht darauf, sondern biss sich auf die Lippen. »Nee ... oder ... sag mir nicht, du wolltest den Vampirkönig angreifen?«, fragte Lorcc und lag wohl goldrichtig.
»Und was wäre, wenn? Hä?«, zischte der Werwolf und wieder lachte Lorcc auf. Nicht nur er, sondern seine Männer ebenfalls und stellten den Werwolf als vollkommenen Idioten hin. »Nun, nicht nur, dass du bereits bei mir gescheitert bist, aber wenn du es vielleicht in deinen kühnsten Träumen schaffen würdest, so wärst du bereits bei der Stadtgrenze definitiv gescheitert.«
»Nicht wenn ich eine Armee ...«
»Eine ARMEE ... Holla meine Waldfee, jetzt haut der Gute aber auf. Nicht einmal mit einer Armee von tausend Mann, was sag ich da 10 000 nein eine Million Männer, wirst du den König von seinem Thron stürzen können!«
»Als ob!«
»Jetzt mein Kleiner. Ich kläre dich mal auf. Erstens bist du bereits bei mir gescheitert und für mich war es gar nicht schwer, dich zu finden, und mal so nebenbei, deine Jungs, werden auch bald hier eintreffen. Vielleicht ist es dir entgangen, aber jedes Rudel besitzt einen individuellen Geruch und zweitens ... auch wenn du mit eine Million Mann das Schloss angreifen würdest, würdest du dennoch hochkantig scheitern!«, erklärte Lorcc und der Werwolf blickte ihn trotzig an.
»Sicher. Der Blutsauger von einem König ist ja so ein Überwesen, ein Gott. Meine Güte, selbst du ziehst vor ihm den Schwanz ein!«, zischte der Werwolf herablassend und wieder lachte Lorcc auf.
»Von wegen, mein Kleiner. Ich, wenn das Schloss stürzen wollte, brauche dazu keine zehn Mann!« Der Werwolf blickte Lorcc herausfordernd und mit Argwohn an. »Du glaubst mir nicht, nun das ist es auch, warum du scheitern wirst. Dir mangelt es erheblich an Erfahrung und nicht nur das. Du besitzt keine Kampffertigkeit, keine Stärke und vor allem keine Magie. Du verlässt dich viel zu sehr auf deinen Werwolfinstinkt und selbst der ist noch nicht einmal vollkommen ausgeprägt. Mit anderen Worten du bist ... ein Jungwolf!«
»Wer hat denn gesagt, dass ich es jetzt tun würde. Ich weiß selbst, dass ich dazu noch nicht stark genug bin!«
»Und du wirst es auch nie werden. Zwischen dir und dem Vampirkönig liegen Welten. Man könnte sogar sagen Universen! Gibs auf Kleiner, wenn dir dein Leben lieb ist!«, sagte Lorcc und war im Begriff wieder das Zimmer zu verlassen.
»Was passiert jetzt mit mir und mit meiner Familie?«, fragte der Werwolf und Lorcc drehte sich zu ihm um.
»Nichts! Was soll schon passieren? Sehe dieses Gespräch als eine Warnung an!«, sagte Lorcc und zwinkerte ihm zu. »Ach und von Gary lässt du die Finger. Er ist tabu. Verstanden?«
»Wer ist Gary?«
»Der Junge auf dem Fahrrad!«
»Aber er gehört zu meinem Rudel! Ich habe ihn gebissen!«
»Sicher hast du das, aber wenn du dich mit den Vampiren anlegen willst, mach weiter. Ich halte dich nicht auf! Aber du hättest es bereits spüren müssen, dass Gary nicht zu deinem Rudel gehört, trotz dass du ihn gebissen hast. Die Verbindung zwischen dir und ihm ist nicht zustande gekommen, oder sehe ich da was falsch? Vielleicht hast du es nicht registriert, aber er ist ein magisches Wesen und magische Wesen in einen Werwolf zu verwandeln, ist eine 50:50 Chance. Nun dass hätte vielleicht funktioniert, wenn du seine Einwilligung gehabt hättest, aber so ... machs gut kleiner Werwolf und pass gut auf deine Familie auf.« So wurde der Werwolf verdattert zurückgelassen und er schelte sich selbst einen Narren. Die ganzen Stunden der Folter hätte er sich sparen können, wenn er gleich, auf die für ihn sinnlosen Fragen geantwortet hätte. Aber was hätte er tun sollen, seine Angst jeden Moment von dem Alpha getötet zu werden überwog. Außerdem stieg ein bitterer Geschmack in seinem Mund auf, weil er, einen für die Gesellschaft ›unwichtigen‹ Menschen gebissen hatte, der sich, wie es sich herausstellte, doch eine Nummer zu groß für ihn war. Hätte er diesen Jungen nicht bebissen, wer weiß, ob der Alpha jemals hinter seinen Plan gekommen wäre? Seine ganzen Jahre der Vorarbeit, waren in nur einer Sekunde zunichtegemacht worden.
Nun mal davon abgesehen ... Gary war ein normaler Mensch und kein magisches Wesen, als der Werwolf ihn beobachtet hatte, aber im gleichen Moment, als seine Zähne sich durch das Fleisch bohrten, wurde Gary zum Phönix. Mit anderen Worten, der Werwolf hatte die Arschkarte gezogen.
»Hast du es?«, fragte Lorcc einer seiner Männer und dieser nickte.
»500 ml. reicht es?«, fragte er zurück, hielt eine Konserve hoch und Lorcc nahm sie entgegen.
»Bestimmt! Beobachtet den Kleinen noch etwas!«, befahl Lorcc, als er die Blutkonserve mit dem Blut des Werwolfs vor seinen Augen hielt und der andere nickte nur. Ihm war es egal, was sein Alpha mit dem Werwolf noch vor hatte, aber komisch fand er es trotzdem. Lorcc machte nie Anstalten einen ›Feind‹ oder ›potenziellen‹ Rivalen entkommen zu lassen und der Werwolf war ein potenzieller Rivale. Er könnte, wenn er stärker wurde, Lorcc vom ›Thron‹ stürzen. So war seine Einschätzung.