Zwischen den beiden einst so verfeindeten Musen war eine Verhältnis enger Vertrautheit entstanden. Hatten sich die beiden in den Jahrhunderten zuvor stets nur bekämpft und nur selten oder gar nicht miteinander geredet, so hatten sie es sich nun zur Angewohnheit gemacht, sich jede Nacht, wenn das Tagewerk getan war, in den hängenden Gärten zu treffen um gemeinsam in die Sterne zu schauen.
So erzählten sie sich oft nächtelang gegenseitig Geschichten, redeten über die Welt, rätselten über so manche Eigenart der Sterblichen, und doch konnten sie auch nächtelang einfach nur schweigend nebeneinander liegen und in den Himmel blicken.
"Magst du die Sterne auch so wie ich?", fragte Modesty eines Nachts, in der Himmel besonders klar war. "Sie sind wie tausend funkelnde Augen, die von oben auf uns aufpassen und uns leiten."
Decadence grinste. "Eher wie tausend Augen, die voller Missgunst auf uns herabblicken, stets überwachend, stets verachtend. Und voller Neid."
Modesty lachte. "Bei dir ist immer alles so düster. Die Welt ist nicht nur schlecht, weißt du?"
Decadence antwortete nicht.
"Woraus glaubst du sind sie gemacht?", bohrte Modesty nach. "Glaubst du deine Göttin hat sie geschaffen oder meine? Wie weit sie wohl weg sind? Ob sie leben?"
"Ich weiß es nicht", antwortete Decadence, etwas trübsinnig. "Vermutlich deine. Meine macht die Dinge ja lieber kaputt."
"Ja, da magst du recht haben."
"Du Modesty?"
"Ja?"
Decadence deutete nach oben. "Siehst du diese drei Sterne, die beinahe eine Linie bilden?"
Modesty wurde neugierig. "Was ist mit denen?"
Decadence schloss die Augen und lächelte. "Wenn die in einer Reihe stehen, dann werde ich etwas ganz Wunderschönes zerstören."
Modesty musste lachen. "Danke für die Vorwarnung, Deca. Da werde ich wohl gut aufpassen müssen."
Decadence lachte mit ihr, doch ihren Geist hatte sie fest auf das Ziel gerichtet, dessen glühend heller Glanz sich mit dem Licht des vollen Mondes vermischte.
Wunderschöne Modesty... Die Verkörperung von Reinheit und Unschuld selbst, sollte bald, wenn die Sterne richtig standen, zu Decas glorreichsten Eroberung werden.