«Denkt daran, dass auch auf der Erde jederzeit Wunder möglich sind!»
Dies hat der Allerhöchste ihr immer wieder gesagt, wenn sie bekümmert vor IHM sass, weil gewisse Kleider einfach kaum mehr zu flicken gewesen waren. Sie hatte verstanden, dass es nicht nur an ihren Fähigkeiten lag, diese auszubessern, im Gegenteil. Jede Seele erhielt auf Erden unzählige Gelegenheiten, selber dazu beizutragen, dass schwarze Schnüre und Fäden sich auflösten. Die Erdenfee verwob dann das solchermassen veränderte Kleid so, dass es gewissermassen wieder tragbar war und nicht verrutschte.
Während sie so auf ihrer Bank im Park sass, begann die Erdenfee zu verstehen, wie schwierig das Leben für die Menschen war. In der Ferne hörte sie den Verkehr rauschen, sie erinnerte sich an die Passanten, die eilig an ihr vorbeigehastet waren, vor ihrem inneren Auge tauchte die Erinnerung an den Mann auf, der seinen Laden verkaufen wollte. Sie hatte natürlich sein Kleid gesehen und verstand, warum er so unfreundlich war.
Auch an den unbeabsichtigten Rempler dachte sie. Doch dieser entlockte ihr ein leises Lächeln.
«Nichts geschieht zufällig,» schmunzelte sie.
«Mama, schau! Diese Frau sieht aus wie ein Engel!»
Ein kleines Mädchen war vor vor ihr stehen geblieben und schaute sie aus grossen Augen wissend an.
Die Erdenfee lächelte.
«Wie heisst du denn?»
«Mia. Ich bin Mia.»
Das Mädchen strahlte.
Seine Mutter begrüsste die Erdenfee warmherzig.
«Sie habe ich hier noch nie gesehen. Wohnen Sie neu in der Gegend?
Ich bin übrigens Sally.»
Während sich die beiden Frauen herzlich die Hände schüttelten, überlegte die Erdenfee krampfhaft, mit welchem Namen sie sich vorstellen könnte. Weder Erdenfee noch Blumenfrau schienen ihr passend.
«Sol, ich heisse Sol.»
Erleichterung machte sich in ihr breit.
Von irgendwoher war dieser Name zu ihr gekommen. Ihr Erdenname.
Fröhlich plaudernd setzten sich Sally und Mia neben die Erdenfee. Bald schon drehten sich ihre Gespräche um Blumen, die Wolkenbilder, um die Linde, unter der sie gerade sassen. Und um Engel. Mia kam immer wieder darauf zurück.
«Wo wohnst du eigentlich, Sol?»
Darüber hatte die Erdenfee noch gar nicht nachgedacht.
So ein Erdenleben war definitiv etwas ziemlich Kompliziertes.
Sally bemerkte Sols Unsicherheit.
«Möchtest du heute Nacht bei uns schlafen? Die Sonne geht bald unter, wir sollten nach Hause. Und es ist nicht gut, die Nacht im Park zu verbringen.»
Begeistert stand die kleine Mia auf und zog die Erdenfee an der Hand mit sich.
«Komm, ich zeige dir mein Zimmer!»
Lachend folgten die beiden Frauen dem kleinen Wirbelwind.