Leise vor sich hinsummend strich Sol über die Wände ihres neuen Blumenladens. Der vorherige Besitzer hatte Wort gehalten, die Heizung reparieren und alles nach ihrem Wunsch streichen lassen. Das sanfte, helle Gelb erinnerte sie an ihre Heimat und die Menschen, die sich jetzt in ihrem Geschäft einfanden, fühlten sich sofort wohl. Die Blumen, welche ihr ihre Geschwister aus der andern Welt jede Nacht in grossen Mengen brachten, verströmten einen bezaubernden Duft.
In einer Ecke luden bequeme Stühle zum Verweilen ein und in der angrenzenden kleinen Küche konnte Sol Kaffee, Tee oder gar Kakao zubereiten. Sally hatte ihr alles genau erklärt und gezeigt. Manchmal brachten sie und Mia auch selbstgebackene Kekse vorbei, welche sie dann ihren Gästen anbot.
Sols Blumenladen war längst zu einem wichtigen Treffpunkt in der Stadt geworden. Hier trafen sich Nachbarn und Freundinnen oder es kamen, wie früher im Park, Menschen mit Kummer, um ihn sich vom Herzen zu reden.
Sol liebte dies Arbeit, spürte, dass sie genau am richtigen Ort war.
Sie war auch dankbar um den geschützten Raum, denn, wie der umsichtige Vorbesitzer ihr angekündigt hatte, war es nun herbstlich kalt geworden.
Sie war gerade dabei, kunstvoll einen Blumenstrauss zu binden, als die Ladentür aufgerissen wurde. Ein Junge stürzte herein, mit offener Jacke und schmutzigen Schuhen. Die Haare hingen ihm nass ins Gesicht. Sein Atem ging stossweise, seine Augen waren gerötet. Er hatte geweint.
Aufmerksam betrachtete Sol ihren jungen Kunden. Vereinzelte Schluchzer schüttelten seinen feingliedrigen Körper. Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn zu der Sitzecke. Erscchöpft liess sich der Junge in einen Sessel fallen und bedeckte dann sein Gesicht mit beiden Händen.
Still setzte Sol sich ihm gegenüber und wartete.
Lange sassen die beiden da. Endlich schien sich der junge Gast etwas beruhigt zu haben. Er schniefte und begann, in seiner Hose nach einem Taschentuch zu suchen. Sol drückte ihm eines in die Hand.
"Möchtest du einen heissen Kakao?"
Kurz blickte der Junge auf, nickte dann zustimmend.
Bald schon stellte ihm Sol eine Tasse dieses wunderbar beruhigenden Getränks auf den Beistelltisch. Mit beiden Händen umfasste er sie, begann dann, in kleinen Schlucken zu trinken.
"Möchtest du reden?" Ganz sanft hatte Sol diese Frage gestellt.
Vehement schüttelte der Junge den Kopf, blickte dabei unverwandt in seine Tasse.
Sie liess ihn gewähren.
Auf einmal, der Kakao schien ausgetrunken zu sein, stellte er die Tasse zurück auf das Tischchen.
Kurz betrachtete er Sol, rang mit sich.
"Darf ich wiederkommen?"
Sie nickte, lächelte aufmunternd.
"Jederzeit."
Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entfuhr ihm. Dann stand er entschlossen auf und ging.
Er hatte die Türe schon fast ganz wieder hinter sich geschlossen, als er sich noch einmal umdrehte.
"Danke für den Kakao!"
Dann fiel die Tür ins Schloss.