Da war er wieder. Wie sollte es auch anders sein.
Ein langweilig beschissener Abend, an welchem so gar nichts passieren würde, stand auf der Tagesordnung. Seit gefühlt unzählbaren Tagen klatschte dieser mittlerweile nerviger Sturm fette Regentropfen gegen die Fenster. Das ewige Getrommel verhagelte einen so richtig die Laune. Nicht einmal Musik konnte man genießen, weil im Hintergrund immer wieder dieser unmusikalisch trommelnde Bass störte.
Schlimmer als das war jedoch das wiederholt versaute Treffen mit Freunden. Wenn das Wetter es zuließ, trafen sie sich und erkundeten meist gegen Abend das umliegende Land. Tagsüber war es ihnen zu langweilig und sah fast überall gleich aus. Sobald die Sonne unterging, schien alles hingegen in einem gänzlich anderen Licht.
Langsam nervte es gewaltig. Seit sechs Wochen trafen sich ihre Eltern, mit ausgerechnet denen, derer Zöglinge Kathrin abhing. Musste das wirklich sein? Gab es nicht genügend andere, mit denen sie hätten sich anfreunden können?
Hoffentlich kam Miras Pa' nicht auf die blöde Idee, ihnen den Keller zu zeigen. Ihre Mutter verstarb vor drei Jahren und seither verhielt sich ihr Pa' eine Klette. Egal was Mira vorhatte, er versuchte sich immer wieder aufzudrängen und nun das. Warum mussten sie sich ausgerechnet immer dort, bei Mira Zuhause treffen? Es machte keinen Spaß, wenn sie wussten, dass auf Armeslänge ihre Eltern zugegen waren.
Lächerlich, wie damals im Kindergarten, wo sich die gelangweilten Muttis zu Kaffee und Kuchen aneinanderrotteten.
»Schatz, wir fahren los. Dein Essen steht auf dem Herd.« Ihre Mutter trat in ihr Zimmer und hob die Hand. Wie so oft in letzter Zeit versuchte sie sie näher in den Kreis der Familie zu ziehen und suchte ständig Nähe. Warum zum Teufel müssen Eltern einen immer antatschen? Ja verflucht, sie war Lieb so wie Pa' auch aber Echtmal, Kathrin war doch kein kleines Kind mehr. Sie wollte wie alle anderen in ihrem Alter gleichfalls, nur ihre Freiheiten ausloten oder allein genießen. »Ist auch wirklich alles in Ordnung? Sollen wir nicht ...«
»Mom«, Kathrins Stimme klang genervt und so schnappte sie zweimal nach Luft, bevor sie weitersprach. »Nein, ihr sollt nicht daheimbleiben.« Sie begann mit der linken abwertend zu wedeln. »Geht und vergnügt euch wie Groupies. Ich ziehe mir irgendeinen beschissenen Film rein und werde mich mit Cola und Chips vollstopfen.«
Sie spürte, wie ihre Mutter verharrte und sie traurig ansah. Sie hatte es gewiss nicht verdient aber scheiße noch eins, an irgendjemanden musste sie jawohl ihren Frust abladen. »Ihr seid noch immer da. Geht endlich und lasst mich in Ruhe.«
»Schatz.«
»Boa, Mom, nein. Ich pfeife mir keinen Horror rein, echt. Hab' mir extra zwei Pornos und ne Familienpackung Tempos besorgt.« Sie wollte es nicht, konnte sich aber die Gesichtszüge ihrer Mutter nicht entgehen lassen und drehte sich mit krauser Stirn zu ihr herum. Ausgerechnet Jona hatte ihr zu solch einer Selbstbefriedigungsgeschichte geraten. Ob das intelligent war oder nicht, würde sich gleich zeigen. »Jetzt beruhigt? Kann ich dann endlich anfangen, an mir rumzuspielen?«
Sie stand einfach nur da und sah sie an. Kein Anzeichen von Wut oder ... ach was auch immer. »Was machen wir falsch, Kathrin?«
Nun hatte sie sie. Na herrlich, wie eh und je, vermochte sie es mit primitivsten Gesten und Worten ihre Barrieren einzureißen. Ihre bis eben noch trotzige Haltung brach und Kathrin sackte wie ein nasser Sack zusammen. Mit hängenden Schultern saß sie da und zog die Lippen kraus. »Es ist nicht das, was ihr falsch macht, Mom. Es ist nur ... ich will wieder nachhause.«
»Ach Schatz.« Nun setzte sie sich neben ihr und strich ihr über den Rücken. »Pa' hat dieses Haus gekauft und es ist jetzt unser neues Zuhause. Was ist so schrecklich daran?«
Lange sah sie ihrer Mutter ins Gesicht, als sie die Nase rümpfte. »Alles, Mom. Diese Gegend ist einfach furchtbar. Ich vermisse die Berge, den Wald, die Felder, Opas Hof ... meine Kumpels.«
»Aber Schatz, du hast doch neue Freunde gefunden. Mira und Jona.«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Sollen wir ...«
»Nein, Mom. Versprich mir bitte, nicht zu lange fortzubleiben, ja?«
»Ist ...«
»Alles in Ordnung, ja. Ich stelle keinen Blödsinn an und Sex mit mir selber werde ich auch nicht haben, versprochen.«
Ihre Mutter konnte mit ihrem Lächeln Stein zum Schmelzen bringen, hatte ihr Pa' immer betont und nun schenkte sie ihrer Tochter so eines. Sie zwinkerte ihr zu. »Darüber mache ich mir die wenigsten Gedanken, Liebes. Ich könnte es eh nicht ändern. Es gibt Leute, denen macht es sogar Spaß.«
Als sie aufstand, zurücksah und mit der linken Hand am Türrahmen strich sah Kathrin ihr tatsächlich mit einem aufmunternden Lächeln hinterher. Sie musste einfach grienen und den Kopf schütteln.
»Geh nicht zu spät ins Bett, Schatz. Wir werden heute nicht so langte fortbleiben.«
Kathrin nickte und tat das, was sie seit drei Tagen tat. Sie beobachtete die alte Weide, unweit ihres Hauses.
Sie wohnten in einem schicken neuen Einfamilienhaus - ein Bungalow. Ein Garten zum Wald hin zwar aber nichts dergleichen kam ihrem früherem Heim auch nur ansatzweise nahe.
Ihr Vater arbeitete als Architekt bei einer Immobilienfirma, die großflächiges Areal aufkauften, um dort ein Vorzeigedörflein zu errichten. Bisweilen standen bereits einundzwanzig Häuser, zudem ein Kindergarten. Mit dem Bus fuhren die Kinder etwas mehr als dreißig Minuten bis zur nächstgelegenen Schule.
Alles in allem, war ihr neues Zuhause, das Nest, schon ein schicker Hinkucker aber Kathrin gefiel es überhaupt nicht. Sie war mehr das Landei. Vermisste das Gehöft ihres Opas, welches nunmehr zum Verkauf stand.
Klar, wie ihre Mom bereits richtig erkannte, hatte sie schnell Anschluss gefunden, Mira und Jona kennen gelernt, die glücklicherweise ähnlich tickten wie sie selbst. Immer dann, wenn Zeit und Wetter es zuließen, streiften sie durch die Gegend und erkundeten das Umland.
Der lichte Wald hatte es den Dreien angetan und so stießen sie schon bald auf alte Findlinge, die eigenartig geschliffen dalagen oder auch standen. Jona, ganz der Archäologe glaubte zu wissen, wozu diese wohl einst herhielten. Großspurig hatte er deren Lage und Beschaffenheit begutachtet und bei jedem Zweiten gemeint, es würde sich zweifelsfrei um Opfersteine gar Altäre handeln.
Was ein Quatsch. »Als wenn irgendjemand alle paar Meter solch Steine aufstellen würde«, hatte Mira lauthals lachend zu verstehen gegeben und ihn einen Spinner genannt.
Jona mochte Mira und so war es nicht verwunderlich, dass er ihr schlicht die Zunge heraussteckte, anstatt sie zu schelten. Kathrin hatte Bilder im Kopf, die sie immer dann versuchte durch bunte Hundewelpen zu verdrängen. Ihr lief es eisig den Nacken hinab, wenn sie sich die Zwei mit dem Waschlappen im Hals des anderen vorstellte.
Wie auch immer, so mancher Stein sah echt merkwürdig aus, so als habe tatsächlich jemand absichtlich dort Kerben, Rinnen und Mulden eingearbeitet. Mit ein wenig Fantasie konnte man diverse Färbungen durchaus als geronnenes Blut erachten. Wie viel davon musste jedoch daran herabgeronnen sein, um dauerhafte Spuren zu hinterlassen?
Nicht weit von ihrem Haus entfernt, in einer Senke, vermutlich früher als Bewässerung gedacht, befand sich ebenfalls solch ein ungewöhnliches Gebilde.
Die dort gebetteten Steine erinnerten eher an einen Brunnen oder Ablauf, als dass sie natürlich dorthin gekommen wären. Nachdem die Drei mit Bürste und Besen und Wasser den Deckstein säuberten, förderten sie feinste Linien zu Tage. Vermutlich haben diese seit vielen Jahrzehnten kein Tageslicht gesehen. Im Schein der untergehenden Sonne, sponnen sie sich sogar zurecht, dass diese eigenartig schimmerten. Mira hatte die beiden anderen darauf aufmerksam gemacht und so seltsam es sich anhören mag ... mit ausreichend gut Will, war etwas dran.
Die drei Freunde nahmen sich vor, ihr neues Zuhause mehr unter die Lupe zu nehmen und beschlossen nach Einheimischen und einschlägigen Berichterstattungen Ausschau zu halten. Wäre doch wohl gelacht, gäbe es nicht irgendwo jemanden, der Land und Geschichte kannte.