Es war wieder einer dieser Tage, an denen alles, aber auch wirklich alles schief ging, was nur irgendwie schief gehen konnte. Als ich nach Hause kam, warf ich deshalb meine Tasche gefrustet in die Ecke und die verschwitze Kleidung gleich hinterher. Erst als mich das kalte Wasser der Dusche umspülte, beruhigte sich mein Geist. Irgendwann, es mag eine Stunde vergangen sein, lag ich in ein weiches Handtuch gewickelt auf meinem Bett. Eigentlich wollte ich nicht denken und uneigentlich auch nicht, dennoch jagten sich Gedankenfetzen, Erinnerungen und blitzende Ideen hinter meiner müden Stirn. Wie nannte es Christel meine Yogalehrerin noch so treffend, eine tobenden schwatzende Affenhorde. Wenn meine Gedanken nicht still schweigen wollten, konnte ich genau so gut etwas tun. Vielleicht zur Regattabahn fahren, überlegte ich, dort ein wenig am Wasser sitzen und einfach nur die Welt beobachten.
Flink hatte ich mir eine bequeme Hose und Hemd übergestreift, eine Trinkflasche vorbereitet und mein analoges Klimagerät, den Fächer, in eine Tasche gepackt. Mit meinem Hut bewehrt stieg ich auf mein Fahrrad, dass ich mich gen Regattabahn aufmachen konnte. An meiner Lieblingsbank stellte ich meinen Drahtesel ab und kettete ihn fest, denn falls ich in Meditation versinken sollte, wäre mein Rad quasi ein Mitnahmeartikel, was ich natürlich best möglich verhindern wollte.
Gerade als ich mich in der Betrachtung der Enten dahin träumen lassen wollte, bemerkte ich ein eigenartiges Stück Papier oder war es Pergament, das der Wind purzelbaumschlagend über den Weg trieb, ehe es von den Speichen des Vorderrades gestoppt wurde. So nahm ich die Gelegenheit am Schopfe und griff es an einer Ecke. Es war tatsächlich Pergament und mir seltsam vertraut. Als ich es drehte und wendete, bemerkte ich die feine geschwungenen Handschrift, die mir schon zweimal ein vortreffliches Abenteuer beschert hatte. So las ich die blasse Schrift.
Ich entbiete Euch meinen Gruß.
Möget Ihr für ein Abenteuer gerüstet sein.
Ich erwarte Euch.
Prinz P
Leider war die Unterschrift durch das Taumeln auf dem Wege unleserlich geworden. Wer mochte das nur sein? In Gedanken ging ich die mir bekannten Prinzen durch, aber ein „P“ war nicht darunter. Aber er lud mich ein, zum Abenteuer, hier, jetzt, wohl möglich sofort. Der Blick an mir herab verdeutlichte mir, dass ich für alles nur nicht für ein Abenteuer gerüstet wäre. Vielleicht hatte ich ja Glück und ein Übergang in die phantastische Welt fände erst heute Abend, wenn ich mich ausstaffiert hätte, statt. Derart beruhigt, genoss ich die Stille am Wasser in friedlicher Meditation.
Wie ich so saß, überlegte ich, ob mich nicht ein kühlendes Bad erfrischen könnte. Ohne Umschweife entledigte ich mich des störenden Textils und beglückwünschte mich dazu, meine Badesachen in weiser Voraussicht angezogen zu haben. Leichtfüßig wie eine Elfe hätte ich mich gerne zum Wasser begeben, aber hier war der Wunsch Vater oder auch Mutter des Gedankens. Zaghaft hielt ich erst eine Zehe ins Wasser, um die Temperatur zu prüfen. Na ja, es ging, es war nur unwesentlich kälter als meine sonst bevorzugte Badetemperatur. So dauerte es auch nicht lange, dass ich mich in einer Tiefe befand, die zum Schwimmen einlud. Zum Glück waren keine Kanuten oder gar Ruderer unterwegs, denen ich in die Quere hätten kommen können.
Ob ich vielleicht vom Seitenkanal auf die große Strecke schwimmen sollte? Doch schon am Übergang drehte ich wieder um, da mir das Wasser an der Olympiastrecke doch zu kalt vorkam. Als ich unter der Brücke schwamm, war es mir, als wenn mich etwas am Fuß streifte. Aber ich tat es als belanglos ab, da es gewiss einer der Fische war, die hier zuhauf sich tummelten. Nach einigen kräftigen Zügen war es wieder da, doch nun fester und vehementer. Unwillig trat ich danach und wünschte es sofort ungeschehen, denn nun hielt es mich fest, ja umklammerte mich förmlich mit festem Griffe. Je mehr ich versuchte zu entkommen, um so rigoroser ward die Umklammerung, die mich nun auch noch in die Tiefe zu zerren drohte. Schon war ich das erste Mal zur Gänze untergetaucht, als mich das schwarze Tier der Angst aus meiner Seele ansprang. Prustend tauchte ich auf und schnappte hektisch nach Luft, als sich erneut das Wasser über mir schloss. Sollte das gar das Ende sein, unbemerkt von den Rettungskräften, da hier an genau dieser Stelle das Schwimmen eigentlich und natürlich auch uneigentlich untersagt war. Oh nein, das konnte so nicht sein. Immerhin war ich in einem anderen Leben Tanuky zu Tanabe, Herrscherin der Hölle, Fürstin der Finsternis. Gerne hätte ich diese Gedanken gehabt, aber in Wirklichkeit klammerte ich mich an mein Leben und nichts anderes war mehr wichtig. Da war nichts von dem Film, der erneut an mir vorbei zog, da war nur das Sehnen nach Luft, weil die Lungen schmerzten und sich mit Wasser füllten, aber nach Luft lechzten.
Nur schemenhaft bemerkte ich kräftige Hände, die mich packten. Sie schienen die gierigen Pflanzen zu brechen, brachten mich an die Oberfläche. Starke Arme hoben mich ans Ufer und betteten mich ins hohe Gras. Meine Lungen waren unfähig, die rettenden Luft aufzunehmen, aber mit sicheren Griffen wurde meine Brust massiert, dass sich endlich das unsägliche Wasser im Schwalle aus meinem Munde ergoss und ich schließlich doch noch befreit atmen konnte. Oder waren es sanfte Lippen, die mir den rettenden Atem spendeten? Ermattet blieb ich schwer atmend liegen und schmiegte mich an den Körper neben mir, auf dass mir dessen Wärme ebenso zu Teil würde. Vielleicht war ich gar auch eingeschlafen, denn das nächste, was ich vernahm, war das gruselige Lachen von Trollen.
„Schnell werte Damen, wo sind Eure Kleider?“ Fragte mich eine angenehme Stimme.
„An meinem Drahtesel“, nuschelte ich schlaftrunken.
„Einen Esel sah ich nicht“, sprach er weiter, „erlaubt mir, Euch mit Kleidung auszuhelfen.“
Seien wir ehrlich, ich hörte ihm nicht wirklich zu und betrachtete meinen Retter auch nicht, denn noch steckte mir der Schrecken reichlich tief in den Gliedern. Selbst die Trolle empfand ich als normal und waren mir keinen besonderen Gedanken wert. Auch die seltsame Veränderung der Uferböschung registrierte ich nicht. Mit geschickten Handgriffen wurde mir eine Pumphose und hernach eine Tunika übergezogen. War das etwa feingewebtes Leinen? Aber auch diese Eingebung manifestierte sich nicht in meinem Hirn, warum auch, es schien mir nicht sonderlich wichtig. Mit Leichtigkeit hob er mich in den Sattel, ehe er selbst sein Ross bestieg, die Zügel aufnahm und er uns trabend von der grausigen Stätte fortbrachte.
Die besorgten Blicke, die er mir immer wieder zuwarf, bemerkte ich recht wohl. Manchmal glaubte ich, noch etwas anderes darin zu entdecken, aber das konnte nicht sein, wir kannten uns doch kaum. Oder war mir, mal wieder, nur etwas äußerst Wichtiges entfallen, etwas, das uns beide betraf. Hatte er mir etwa seinen Namen genannt? Oder kannten wir uns gar aus einer anderen Aventüre?
Langsam klärten sich die Wolken hinter meiner Stirn und ich nahm mich und meine Umgebung bewusster war. Scheinbar war ich während des Schwimmens unbemerkt in die andere Welt übergewechselt und ein Ritter in strahlender Rüstung hatte mich gerettet. Nun denn, mein Retter trug keine Rüstung, damit hätte er nimmer schwimmen können, aber immerhin hatte er Pferde dabei. Warum eigentlich, sonst war ich doch auch eher auf Schusters Rappen unterwegs? Es war alles höchst absonderlich, aber ein wohl feines Abenteuer, das einer Tanuky zu Tanabe durchaus angemessen war.
Als es dämmerte, erreichten wir einen Hof mit Gasthaus. Mein Begleiter bedeutete mir, dass er beabsichtigte hier zu rasten und die Nacht hier verbringen zu wollen. Beim Eintreten umfing uns ein lautes Stimmengewirr, welches von der Beliebtheit der Lokalität kündete. Nur spärlich war der Schankraum beleuchtet, so dass ich die Anwesenden nicht genau erkennen konnte. Zielsicher strebte mein Begleiter einen Tisch in einer Nische an, mit einer lässigen Bewegung schien er seine Wünsche zu äußern, denn noch ehe wir den Tisch erreichten, wurde dieser flink gesäubert und ein Licht darauf gestellt. Sich verbeugend verschwand der Knecht hinter dem Tresen, vermutlich um Krug und Becher zu holen. Eine Magd stellte Schlüsseln mit allerlei warmen und kalten Speisen zwischen uns. Nun bemerkte ich erst, wie hungrig ich war, und griff bei Käse, Brot und den köstlichen Beeren zu. Fleisch aß ich schon seit Jahren nicht mehr und es fehlte mir in keinster Weise.
Da sich meine Augen unterdessen an das diffuse Licht gewöhnt hatten, konnte ich nun auch die anderen Zecher erkennen. Es waren wilde Gestalten mit langen Zöpfen und wuchtigen Bärten. Sie schienen mir seltsam vertraut, obwohl ich hier gewiss noch nie eingekehrt war. Woher kannte ich sie nur? Manchmal drangen Wortfetzen an mein Ohr, die ich jedoch nicht genau zuordnen konnte, nur war es mir, als wenn viele Worte auf „-ix“ endeten. Dies kam mir reichlich seltsam vor, vor allem als zwei Neuankömmlinge eintraten, einer von ihnen war ein Hüne mit rotem Haar, der andere war eher schmächtig und blond. Kurz herrschte Schweigen, doch schon bald wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Als zwei Knechte eine riesige Platte mit einem gebratenen Wildschwein hereintrugen und vor die Neuankömmlinge platzierten, hatte ich eine Eingebung, wer diese zwei Helden sein könnten. Doch wie sollte das sein? Aber warum eigentlich nicht. Ich wechselte ja auch zwischen den Welten hin und her, warum also diesmal nicht ins alte Gallien. Insgeheim musste ich kichern, dass mich mein Begleiter fragend anblickte: „Was erheitert Euch so?“
„Ach, ich hatte nicht erwartet, diesen dort hier zu begegnen“, erwiderte ich und wies in ihre Richtung.
„Oh, Ihr kennt diese Helden etwa auch?“ Er war erstaunt.
„Waren es spannende Erlebnisse?“ Wollte er dann wissen.
„Nein, nicht so“, erklärte ich mich, „ich hörte von ihren Abenteuern in den Liedern der Barden.“
Er nickte verstehend. Wir plauderten noch eine Weile, als mir doch von der Anstrengung des Tages immer wieder die Augen zufielen.
„Ihr solltet Euch zur Ruhe begeben“, seine Stimme war sanft und fürsorglich.
So ließ ich mich in eines der Gästezimmer geleiten und bei den Vorbereitungen für das Nachtlager helfen. Als ich mich lang ausgestreckt hatte, kuschelte sich ein warmer Körper an mich und eine weiche Decke wurde über uns gezogen. Ehe ich gänzlich einschlummerte, wurde mir ein Kuss in den Nacken gehaucht. Doch schon war ich in meine Träume geglitten.
Als ich erwachte, war es noch dunkel um mich herum. Träge drehte ich mich auf den Rücken. Oh, ich war allein. Ob mein Retter schon aufgestanden war? Dann vernahm ich ein Schaben und Kratzen, das mir sehr vertraut vorkam. Als dann hub ein weinerliches Klagen und Maunzen an, wie es nur meine Kätzchen des Morgens taten, wenn sie vor vollen Näpfen hungers starben. Mit wenig Elan und noch weniger Eleganz rollte ich mich aus dem Bett, setzte die Füße auf und hangelte suchend nach meinen Pantoffeln. Ein wenig wunderte ich mich schon, wie ich nach Hause gekommen war. So hoffte ich inständig, dass sich mein Drahtesel auch wieder im Stall, na ja eigentlich im Keller, eingefunden hatte.