Als ich meinen Briefkasten öffnete, bemerkte ich sofort, dass etwas anders war als sonst. Zwischen den normalen Briefen und Postwurfsendungen befand sich eine eigenartige Rolle. Interessiert griff ich danach. Name und Anschrift identifizierten mich eindeutig als Empfängerin. Die Briefmarke war inländisch und der Poststempel vom Vortage. Die Ortskennung ließ sich leider nicht entziffern. Schade. Voller Vorfreude ging ich wieder hinein, um mich meiner Korrespondenz zu widmen. Werbung sortierte ich sofort aus. Ab ins Altpapier damit. Rechnungen kamen auf einen gesonderten Stapel. Wie nannte es meine Mitbewohnerin noch, die kommen in die Tombola. Bei der Vorstellung musste ich still lachen.
Zuletzt die besondere Postsendung. Sie war nicht ganz leicht zu öffnen, doch dann war es geschafft. Nun hielt ich ein gerolltes Papier, wie es schien aus edlem Bütten, in Händen. Die Nachricht war in einer feinen Schreibschrift verfasst. Durch die unregelmäßige Schriftführung erkannte ich, dass es keine Drucksache, sondern von Hand geschrieben war. Oh, da machte sich jemand aber viel Mühe.
Sehr geehrte Frau zu Tanabe
wir gratulieren Euch zum Gewinn unseres Preisausschreibens.
Euch erwartet ein denkwürdiger Abend voller Überraschungsessen.
Wie versprochen, sind Gastgeber und der Ort des Geschehens noch geheim und werden erst im Laufe des Abends offenbart.
Wir bitten um angemessene Kleidung.
Ihr werdet am 01.04.2020 um 17.00 Uhr standesgemäß abgeholt.
Dieses Ereignis wird für Euch unvergessen werden.
Preisausschreiben? Ich machte schon seit ewigen Zeiten nicht mehr bei so etwas mit. Und doch sollte ich gewonnen haben. Dem stand schon die verwendete Sprache im Widerspruch. Es wurde schon ewig nicht mehr geeucht. Auch die Mühe, die sich der Schreiber beim Verfassen der Nachricht gemacht hatte, sprach eigentlich für redliche Absichten. Oder war gerade das die Masche von Betrügern? Oder hatte jemand für mich an diesem Preisausschreiben teilgenommen, weil der ausgelobte Preis meinen Vorlieben entsprach? In Gedanken ging ich meinen Freundes- und Bekanntenkreis durch. War es vielleicht auch ganz anders und jemand erlaubte sich auf meine Kosten einen Scherz? Wem traute ich zu, dass er sich eine solche Posse erdachte. Es sollte immerhin am 1. April stattfinden. Das konnte dann nur ein übler Witz eine hochgradige Verlade sein. Aber was, wenn es wahr wäre? Bis dahin war ja noch etwas Zeit und es ließe sich gewiss herausfinden, ob die Veranstaltung tatsächlich real war. Also schob ich meine Zweifel erst einmal beiseite.
Auch die nächsten Tage brachten mir keine Gewissheit über das Wesen der Veranstaltung. Vorsichtige Versuche, bei meinen Freunden etwas in Erfahrung zu bringen, blieben leider erfolglos. So kam der 1. April immer näher und mich erfasste eine Vorfreude. Auch machte ich mir langsam Gedanken, was ich denn nun anziehen sollte. Prüfend stand ich vor meinen geöffneten Kleiderschrank. Ganz untypisch für mein Geschlecht, habe ich keinen schrankvoll nichts anzuziehen. Meine Garderobe ist doch recht übersichtlich. Da das Wetter trotz der Jahreszeit schon recht mild war, entschied ich mich für einen meiner Saris. Davon habe ich einige und es ist schon ein elegantes Kleidungsstück. So griff ich nach dem bordeauxfarbenen Sari aus schwerer Seide, die mit Goldfäden durchwirkt war. Dazu passend den Pettycoat und das Sholi. So wäre ich gewiss angemessen gekleidet. Dann wählte ich noch passenden Schmuck aus. Zum Sari durfte es schon etwas üppiger sein. So legte ich auch diverse Fußkettchen mit Schellen dazu. Ja, auch klingeln durfte es. Zum Schluss stellte ich noch die Pantöffelchen raus. Nein, keine Hausschuhe. Als Frau von Welt habe ich passendes Schuhwerk zur orientalischen Kleidung.
Am 1. April gönnte ich mir ein ausgiebiges Verwöhnprogramm mit herrlich duftenden Essenzen und Ölen. Dann legte ich meine Kleidung und den Schmuck an. Zum Abschluss unterstrich ich meine Schönheit. Kajal, etwas Lidschatten und Lippenstift. Dann war ich bereit für den unvergesslichen Abend.
Punkt 17 Uhr schellte es an der Tür. Als ich öffnete, stand ein junger Mann in schwarzem Anzug vor mir. Seine Kappe klemmte unter dem linken Arm.
„Guten Tag Frau zu Tanabe. Euer Wagen steht bereit.“
Ein „Eure Kutsche steht bereit, Mylady!“ wäre auch passend gewesen.
Er führte mich nach draußen, wo direkt vor der Haustür eine schwarze Limousine stand. Sie war nicht wirklich geparkt, sondern blockierte gänzlich die Fahrspur. So kam es, dass die anderen Verkehrsteilnehmer laut hupten, zeterten und mit den Fäusten drohten. Da erinnerte ich mich, Straßenverkehr ist Krieg.
Seelenruhig wurde mir die Tür geöffnet und behutsam hinter mir geschlossen. Ohne Eile ging er um den Wagen herum, setzte die Mütze auf den Kopf und sich hinter das Steuer. Dann startete er den Wagen und er löste den verursachten Stau durch sein Anfahren auf. Langsam verstummte auch das Hupkonzert hinter uns. Ich musste verrückt sein, zu einem fremden Mann ins Auto zu steigen. Wurde ich nicht schon damals von meiner Mutter darauf hingewiesen, dass man dies nicht tat? Aber halt, eigentlich bin ich zu einen der Leute geworden, vor denen sie mich immer gewarnt hatte. Also was sollte das Ganze. Bange machen gilt nicht. Oder wie sagte ich immer: No Risc, no Fun.
Sicher steuerte mein Chauffeur die Limousine durch den Feierabendverkehr der Stadt. In einem kurzen Moment hatte ich das Gefühl, als wenn ich mit einem fliegenden Teppich unterwegs wäre. Doch das war ein Wunsch aus einem Märchen, das gab es leider nicht im wirklichen Leben. Oder doch?
Noch während ich diesen Gedanken nachhing, wurde die Limousine auf die Autobahn gelenkt. Oh, es ist scheinbar weiter weg oder etwas außerhalb gelegen? Der Motor schnurrte wie ein Kätzchen, als er beschleunigte. Das Fahrzeug lag ruhig auf der Straße, keine Bodenwellen, keine Unebenheiten waren zu spüren. Das wunderte mich, denn ich kannte die Autobahnen gut. Irgendwann musste ich eingeschlummert sein, denn als ich erwachte, stand die Sonne schon tief. Wie viel Zeit wohl vergangen war?
Noch ganz in Gedanken bog der Wagen in eine Allee, die von alten Bäumen gesäumt war, ein. Nach kurzer Zeit weitete sich die Allee zu einem großen Platz und die Limousine hielt am Fuße einer großen Treppe. Dort stand bereits eine livrierte Gestalt, die mir formvollendet die Wagentür öffnete und mir helfend eine Hand reichte. Dann wurde ich die Treppe hinauf ins Innere des Schlosses geleitet. Staunend folgte ich, als sich die Türen zum Ballsaal öffnete. Der Zeremonienmeister begrüßte mich mit einer huldvollen Verbeugung. Dann stampfte er zweimal mit seinem Stab auf und verkündete mit lauter Stimme: „Frau Tanuky zu Tanabe. Herrscherin der Hölle, Fürstin der Finsternis.“
Mein Lächeln gefror, als er meine Titel, die ich mir im Live-Rollenspiel erworben hatte, für alle Gäste ausrief. Wie zu erwarten erstarben die Gespräche und die Augen aller Anwesenden waren auf mich gerichtet. Doch schnell hatte ich mich gefangen, dann bin ich eben mein Larp-Charakter. Leichtfüßig, wie es mir nur eben möglich war, hüpfte ich die Treppe hinab. Nun hatte ich die Möglichkeit, die Anwesenden näher zu betrachten. Elfen, Zwerge und Tierwesen waren hier versammelt. Was war das hier für eine Veranstaltung?
Dann hörte ich wieder das Stampfen des Zeremonienmeisters: „Herr Allibastor von Azul.“
Erstaunt wandte ich mich um. Tatsächlich stand dort oben ein hochgewachsener Mann mit dem Kopf eines Löwen mit wallender Mähne. Unsere Blicke trafen sich und er lächelte. Ich vermutete es jedenfalls: Wie sieht schon ein lächelnder Löwe aus? Er kam auf mich zu, hob mich mit Leichtigkeit hoch und drückte mich fest an sich.
„Tanuky, meine Lieblingsfüchsin. Wie ich sehe, geht es dir wieder gut. Wie war dein Abenteuer in der Hölle?“
Lieblingsfüchsin? Hölle? Abenteuer? Das ging mir gerade ein wenig zu schnell. Wo hatte ich etwas verpasst und nicht mitbekommen.
„Alles gut.“ Ich kramte in meiner Erinnerung, wie war ich noch mal zu meinen Titel gekommen? „Ach du weißt doch. Dämonen in Flaschen sperren? Ich habe immer eine Kollektion bei mir.“ Sagte ich das gerade wirklich? Wie selbstverständlich kamen die Worte aus meinem Mund, der sich zu einem breiten Grinsen verzog oder was ich als Fuchs eben für ein Grinsen hielt. Warum war ich eigentlich ein Tierwesen? Aber dann verschwendete ich keinen Gedanken mehr daran.
„Nichts anderes habe ich von dir erwartet.“ Er blickte voller Stolz auf mich. Nun ja, er hatte mir ja auch den einen oder anderen Zauber gezeigt und auch gewidmet. Ich liebe seine Zauberrolle für die Teleportation, denn damit konnte ich die gelackten Adepten der Magierakademien wunderbar vorführen und foppen.
„Nuknuk!“ Eine dunkle Stimme dröhnte durch den Saal.
Ich erschrak zu tiefst. Seit Jahren war ich nicht mehr so genannt worden. Dann hatte ich ihn entdeckt. Der Herr Vier Winde strebte auf mich zu und schob Personen, die in seinem Weg standen, mit festen Knüffen beiseite. Als er vor mir stand, wusste er nicht so recht, ob er mich umarmen oder doch einen Kniefall machen sollte. Also beugte er seine Knie, um mich besser umarmen zu können, denn er überragte mich immerhin um Haupteslänge.
„Sanfte Grüße auch dir“, ächzte ich, da mir die Luft wegblieb.
„Haha, sanfte Grüße, wie ich das vermisst habe. Hier war die letzten Jahre gar nichts sanft...“ Er lachte, dass sein großer Bauch auf und ab wogte.
Wenn diese Zwei hier waren, wer war dann noch zu diesem Feste geladen? Suchend schaute ich mich um. Und tatsächlich sah ich Ta-Hi, die sich angeregt mit Loreena Redthorne unterhielt. Etwas entfernt stand eine Gruppe Zwerge, waren da nicht Warahan Goylragan mit Aiden Schwarzwasser und den Gesandten aus Ankoragan?
Dann entstand ein dröhnender Aufruhr. Polternd stiegen die Mitglieder des Sternenfeuers die Treppe herunter. Oh je. Manieren hatte diese nie besessen, da nutzte es auch nichts, dass sich der Herr Geschichte sehr erhaben und eloquent gab. Seine Mitstreiter waren ein pöbelndes Desaster. Aber irgendwie auch niedlich. So konnten sie immerhin noch als schlechtes Beispiel dienen.
Scheinbar waren nun alle Gäste eingetroffen, denn wir wurden zu Tisch gebeten. Und es wurden wahrlich köstliche Speisen aufgetragen. Dazu kredenzte man uns goldenen Met. Minnesänger unterhielten uns mit schaurig schönen Gesängen. Zum Schluss kam eine Gruppe Gaukler, die uns mit allerlei Späßen und Kunststücken das Mahl versüßten.
„Wenn du willst, dass dir die Schau gestohlen wird“, sprach der Anführer der Gaukler und machte eine bedeutende Pause, „dann hole ein Kind oder ein lustiges Tier auf die Bühne, so du eine Assistenz benötigst.“ Er blickte über die Gästeschar.
„Gottlob sind keine Kinderlein anwesend.“ Er schien beruhigt und wollte seine Darbietung gerade fortsetzen, als der Herr Vier Winde mich Richtung Bühne schob.
„Aber ein lustiges Tier!“ Rief er aus.
Da die übrigen Gäste meine Freiwilligkeit zur Hilfe mit tosenden Applaus versahen, kam der Gaukler nicht umhin, mich als Assistentin zu akzeptieren.
So begann er mit seinem Kompagnon Keulen zu jonglieren, um sie dann an mir vorbei hin- und herzu werfen.
„Werte Dame, Eure Ohren...“ Doch er wurde von mir unterbrochen.
„Solche Ohren habe ich von Natur aus. Wirf halt daran vorbei.“ Ich grinste und wackelte todesmutig mit dem Kopf. Ein Raunen ging durch die Menge, ob der Gefährlichkeit des Kunststückes.
„Werte Damen, wollt Ihr Euch bitte wenden?“
Ich zuckte mit den Schultern, wenn er meinte, dass es besser sei. Nun denn, meine Ohren störten nicht mehr die Bahn der Kegel, doch nun waren meine weiblichen Attribute ein wenig im Wege. Medaillons liegen quasi auf, wenn ihr mich versteht. Er bemerkte seinen Irrtum, was das Publikum wieder mit einem Lacher honorierte.
„Ach ja, die Sache mit dem lustigen Tier...“ Ich konnte mich vor Lachen kaum halten und die Kegel flogen zischend an mir vorbei.
„Nun wollen wir ein gar gefährliches Spektakel aufführen“, kommentierte der Gaukler sein Tun. Noch gefährlicher als Kegel vor dem Kopf, dachte ich. Er gab mir ein langes Messer.
„Wir werden nun versuchen, dieses vortreffliche Messer der Dame aus den Lippen zu katapultieren. Und denkt daran, werte Dame, wenn Ihr das Messer zwischen die Zähne nehmt, fliegen diese wohlmöglich mit davon, so der Kegel das Messer träfe.“
Sollte das eine Mahnung sein. Also spitzte ich meine Lippen und ließ das Messer von mir weg ragen. Wie gesagt, ich habe reichlich Holz vor der Hütte, um im Bilde zu bleiben. Hatte ich Angst? Eher weniger, vielmehr taten mir die Gaukler leid, dass ihr Kunststück vermutlich an meinen körperlichen Begebenheiten scheiterte. Die Kegel flogen. Trommelwirbel sorgten für Spannung. Die Kegel flogen immer näher an mein Gesicht heran. Dann traf einer der Kegel auf das Messer und dieses wurde mit einer derartigen Wucht fortgerissen, dass ich von nun an daran glaubte, dass die Zähne tatsächlich mitgeflogen wären. Ein infernales Handgeklapper hub an und das Volk erhob sich von seinen Afterdellen, so jedenfalls beschrieb der Gaukler das Geschehen mit seinen blumigen Worten.
Huldvoll verbeugte ich mich vor den Gästen und nahm wieder meinen Platz ein. Es war ein zu großer Spaß gewesen. Welche Kurzweil könnte nun noch folgen? Während fleißige Lakaien benutztes Geschirr und Besteck abräumten, spielten Musikanten zum Tanze auf.
Wir tanzten Tuordion und Schiarazula, Chapelloise und Ungareschka, La Maitre de Maison und Pavane. Zum Glück war Herr Allibastor von jeher ein guter Tänzen und auch mit starken Armen versehen, denn ich liebe es, Pavane zu tanzen. Aber vermutlich sorgte er durch den einen oder anderen Zauber dafür, dass ich federleicht wie eine zarte Fee durch die Lüfte wirbelte. Aber gleich wie er es anstellte, wir genossen den ausgelassenen Tanz bis weit nach Mitternacht.
Langsam breitete sich Mündigkeit in mir aus, als ich mit einem Glase Met auf einem Stuhl saß. Ob mich die Limousine wieder nach Hause brachte? Kaum hatte sich dieser Gedanke manifestiert, als mein Chauffeur neben mir auftauchte.
„Wenn Ihr wünscht, fahre ich Euch Heim.“
Oh ja. Nach Hause war eine gute Idee. Huldvoll winkte ich den mir bekannten Gästen zum Abschied. Der eine oder andere umarmte mich und wünschte mir eine gute Reise. Gute Reise? Wie auch immer. Kurze Zeit später sank ich in die weichen Polster der Rückbank und als der Motor startete, schlummerte ich selig ein. Als wir die Autobahn verließen, erwachte ich wieder, dies war seit ehedem der Fall. Dann hielt die Limousine vor meine Haustür. Die Wagentür wurde mir geöffnete und ein Arm zur Unterstützung gereicht. Darauf geleitete mich der junge Fahrer bis zur Wohnungstür und wünschte mir eine angenehme Nachtruhe.
Als ich mich im Bad bettfein machte, schaute ich in den Spiegel und vergewisserte mich, dass ich nun kein Fuchs mehr war. Aber es war doch schön gewesen, wieder Tanuky zu Tanabe sein, wenn auch nur für einen Abend.