So freundlich Yanniks Stimme auch war, so unfreundlich wirkten die Gorillas an der Stelle, da ich meinen Oldtimer parken sollte. Hinter ihren dunklen Sonnenbrillen, die sie auch ohne Sonne trugen, konnte ich ihre Augen nicht erkennen, wahrscheinlich wollte ich das auch nicht. Schweigend riss mir einer die Tür zum Gebäude auf, damit ich ins Innere konnte. Erstaunlich leise schloss er sie wieder hinter mir. So viel Feingefühl hatte ich ihm gar nicht zugetraut, sondern viel mehr erwartet, dass er die Tür hinter mir ins Schloss warf. So konnte man sich irren.
Der lange Gang war recht unspektakulär und so spartanisch oder eben auch abgerockt hatte ich mir die Ausstattung der Firmengebäude von Saeder-Krupp nicht vorgestellt. Immerhin wies mir ein in den Fußboden eingelassenes Lichtsignal den Weg, dem ich vorbehaltlos folgte. Was sollte ich auch anderes tun? Nichtsdestotrotz war ich ja eingeladen, so schritt ich wohlgemut voran oder sollte ich doch sagen mit wenig Misstrauen. Ach, auch egal. Warum nicht mal ein Run für einen Konzern? So folgte ich dem Blinken auf dem Fußboden und noch öffneten sich alle Türen mit meiner ID-Karte. Es hatte schon etwas Feines. Schwermütig dachte ich daran, dass ich sie sicherlich wieder aushändigen müsste. Vielleicht könnte sie auch jemand vorher für mich kopieren und duplizieren oder sonst wie die Informationen für mich weiterhin nutzbar machen.
Weit im Inneren des Gebäudes wurde ich scheinbar erwartet.
„Tanuky?“ Sprach mich ein Mann mittleren Alters an, der für meinen Geschmack in seinem dunklen Anzug ein wenig zu gelackt aussah.
„Sanfte Grüße“, entgegnete ich ihm und lächelte, denn an seinem entgleisten Gesichtsausdruck, auch wenn dieser nur für den Bruchteil einer Sekunde aufblitze, war deutlich zu erkennen, dass ich für sein Dafürhalten falsch gekleidet wäre. Aber was sollte es auch, daran mussten sich die Konzernfuzzis gewöhnen.
„Hier entlang, bitte“, er wies in einen Gang, der nur spärlich erleuchtet war. Einladend sah er nicht aus, schien aber zum Arbeitsbereich der Hermetiker zu führen. Der Gang kam mir vor, als wenn er ewig geradeaus verliefe, oder wurde nur die Zeit gedehnt? Wie auch immer irgendwann tauchte eine große hölzerne Tür mit allerlei mystischen Verzierungen vor uns auf. Wie von selbst schwang sie auf und ich wurde ich einen großen Raum geführt, dessen Wände von hohen Regalen, die mit alten Büchern vollgestopft waren, gesäumt war. In der Mitte standen wuchtige Sitzmöbel unterschiedlicher Epochen, so dass mich die Einrichtung irgendwie an ein wohl bekanntes Zauberinternat erinnerte und ich glaubte, dass augenblicklich zauberstabschwingende Jugendliche um die Ecke gerannt kämen.
„Nehmen Sie bitte Platz. Es steht eine Erfrischung für Sie bereit“, er deutete auf den kleinen Tisch mit Tee und Gebäck. Dann war er verschwunden, leider minder dramatisch, denn das Auflösen in einem Logikwölkchen hätte mich vielleicht ein wenig beeindruckt. Aber so war er einfach nur langweilig. Hermetiker eben.
Derweil machte ich es mir in einem der voluminösen Ohrensessel, nachdem ich mir eine Tasse Tee eingegossen hatte, gemütlich. Von dem Gebäck nahm ich jedoch Abstand, da es mir zu sehr nach Julfest duftete und mich an den Trip ins Winter-Wunderland erinnerte. Mich wunderte es schon ein wenig, dass man mich hier allein warten ließ. Aber da ich meine Neugierde schon immer gut zügeln konnte, war es für mich nie ein Problem, selbst mit heiklen oder sensiblen Dingen oder Daten allein gelassen zu werden. Als ich Schritte hörte, blickte ich auf.
„Sanfte Grüße“, sprach mich ein älterer Herr in einem dunklen Anzug an, „ich bin Cornelius.“
„Sanfte Grüße auch dir.“ Ich lächelte, als ich seinen Gruß erwiderte.
„Kein Gebäck?“ Fragte er, als er einen Blick auf die Schale warf.
„Wenn sie nach einem gewissen Plex gebacken sind, verzichte ich dankend“, erwiderte ich. Er stutzte.
„Hattest du etwa sowohl das Rezept als auch das Gebäck probiert?“ Wollte er dann erstaunt wissen.
„Gewiss doch“, antwortete ich, als wenn es das Selbstverständlichste der Welt wäre.
„Du bist wirklich verrückt. Aber nur so können wir das Problem lösen.“
„Welches Problem?“ Nun war ich wirklich interessiert.
„Zum einen, wer den Zauber entwickelt hat und zum anderen, wie er modifiziert werden kann, dass die Ausübenden nicht geschädigt werden.“
„Du meinst also: Plätzchen backen bleibt und der Trip bekommt eine automatische Rückrufoption?“
„Genau“, er nickte, „daran dachte ich.“
„Was wäre meine Aufgabe bei der Angelegenheit?“ Schien mir eine berechtigte Frage zu sein, da die konzerneigenen Hermetiker gewiss über eine vortreffliche Ausbildung und über noch bessere Ausstattung verfügten. Da ich diesen Umstand direkt zur Sprache brachte, hatte ich wohl einen wunden Punkt getroffen. Cornelius fühlte sich auch nur ein wenig ertappt, als er sich zu demonstrativ räusperte.
„Das Modifizieren des Zaubers scheitert eindeutig daran, dass wir zu wenig Erfahrung mit der Backkunst haben.“ Er grinste schief, was wohl eher einer Entschuldigung gleichkam, denn einer Erklärung des Dilemmas.
„Und die konsultierten Konditoren oder Bäcker hatten leider keinerlei Ahnung von Hermetik oder auch nur einfachster Magie.“ Beschrieb er das Desaster des weiteren Vorgehens.
„Ich verstehe“, ein Lächeln malte sich auf meine Lippen.
„Es ist schon vertrackt bei derart interdisziplinärer Kunst, wenn diese sonst so gar nichts mit einander zu tun haben oder es eben auch nur so scheint.“
Herr je, was lernten diese Hermetiker aus ihren Büchern nur. Wussten sie denn nicht, dass es schon im Mittelalter üblich war, Gebildbrote zu backen, die die Gläubigen zu Gott und somit dem Heil näher bringen sollten. Na ja, damals konnte das eben noch jeder bessere Meister. Natürlich würde ich Cornelius nicht auch noch darauf aufmerksam machen, es reichte schon, was er derweil an Minderwertigkeitskomplexen schob, dass er jemanden wie mich, quasi von der Straße, um Rat und Tat anrufen musste.
„Wer kümmert sich um den Ersteller des Plexes?“ Wollte ich dann dennoch wissen.
„Oh, da sind wir dran“, war die wenig informative Antwort. Natürlich, warum sollte er auch ausgerechnet mir, einer dahergelaufenen Runnerin, brisante Konzerninterna erläutern.
„Gibt es schon Gebäck nach modifiziertem Gebäck?“ War mein nächstes Interesse. „Dann sollten wir es neben dem Originalgebäck probieren, damit wir die Veränderunge einordnen können.“
„Du meinst“, Cornelius war sichtlich unwohl, „wir müssten das Gebäck öfter probieren?“
Mein Lächeln wurde immer breiter. Was für ein armer Zauberer war er eigentlich, kam er etwa nie aus seiner Studierstube heraus und erlebte Abenteuer. Insgeheim bedauerte ich ihn.
„Selbstverständlich verköstigen wir das Gebäck und erfreuen uns auch vorher beim Zubereiten all der schönen Dinge, die der Zauber so mit sich bringt.“
Cornelius Augen weiteten sich immer mehr. Ihm war das Ausmaß seiner Beteiligung vermutlich vorher nicht bewusst gewesen. Er hatte wohl gedacht, dass der Austausch der einen oder anderen Ingredienz das Problem auf die Schnelle quasi im Vorbeigehen behoben hätte.
„Wo und wann beginnen wir?“ Riss ich ihn aus seinen Gedanken und schenkte ihm mein lieblichstes Lächeln, das ihn wider Erwarten nicht aufmunterte.
Fortsetzung folgt...