Meine Tage plätscherten ohne nennenswerte Ereignisse dahin, doch beschlich mich das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei. Ihr kennt diesen Zustand nebst besagter Empfindung gewiss. Dann hatte ich es, es fiel mir quasi wie Schuppen von den Augen oder eben auch aus den Haaren, je nachdem was euch geläufiger ist. Mein Prinz fehlte. Keine E-Mail, kein Kommentar, kein Blogeintrag. Äußerst seltsam. So gänzlich tauchte er eigentlich nicht ab. Natürlich erschien nicht unbedingt täglich ein Blogbeitrag, aber dann erhielt ich immerhin eine E-Mail oder er verfasste einen Kommentar. Aber nun nichts. Nada. Niente. Das war doch reichlich absonderlich, so beschloss ich, der Sache nachzugehen.
Zuerst schrieb ich nochmals eine E-Mail, in der bangen Hoffnung, dass diese binnen kürzester Zeit beantwortet würde. Doch tat sich leider nichts. Da es schon spät war, gedachte ich schlafen zu gehen, um mich des Problems am nächsten Morgen ausgeruht annehmen zu können. Noch kurz vor dem Schlafen schickte ich einen Gedanken zu meinem Prinzen, dass vielleicht diese mentale Verbindung als Letztes weiterhin bestünde. Dann dämmerte ich in die Traumwelt hinüber.
Erschreckt fuhr ich aus dem Schlafe hoch. Was hatte mich nur geweckt? War es ein Rufen oder gar ein Flehen? War es im Traum oder doch in der Realität? So lauschte ich in die Dunkelheit, gleichwohl war dort nichts, was mich erschaudert haben könnte. Es waren lediglich die üblichen Geräusche der Nacht. Das leichte Rascheln im Unterholz, das Rufen der Käuzchen oder anderer Getiere der Nacht. So legte ich mich wieder hin, um weiter zu schlafen. Als ich erneut senkrecht auf meiner Bettstatt saß. Die bekannten Laute der Nacht waren alles andere als gängig, es sei denn, ich wäre in einem Abenteuer. Zaghaft tastete ich nach meinem Nachtlicht und fand es natürlich nicht. Wie sollte ich auch. In freier Natur gab es keinen Strom aus der Wand. Dann eben nicht, entschied ich und bettete mich erneut zur Ruhe. Was sollte mir denn schon geschehen?
Als mich die warmen Strahlen der Morgensonne sanft weckten, war ich auch nicht mehr erschrocken über meine ungewöhnliche Schlafstatt, denn ich war gewiss in einer Aventüre. Neben mir lag ein Bündel, in dem so etwas wie Frühstück fand. Bald darauf hatte ich meine spärlichen Habseligkeiten verpackt und war wieder auf Schusters Rappen unterwegs. Wohin eigentlich? Es zog mich mit unbestimmten Drang in eine gewisse Richtung, doch ich wusste nicht genau wohin? Da hörte ich es wieder, was mich bereits in der vergangenen Nacht geweckt hatte. Dieses Rufen und Flehen. Angestrengt konzentrierte ich mich darauf, um es zu identifizieren.
Endlich hatte ich es. Es war mein Prinz, der in höchster Not nach mir rief. Was konnte ihm nur geschehen sein, dass er eine solche Seelenpein litt. Doch dann schalt ich mich, hatte ich ihn nicht erst unlängst aus dem unsäglichen Winter-Wunderland errettet. Gewiss, er war wieder in seinem Hier und Jetzt angekommen, doch was war dann? Wenn er jemanden berichtete, er wäre in einem Jul-Albtraum gelandet, hielte man ihn für einen kranken Geist oder gar besessen von einem widerlichen Dämon. Ich wagte mir nicht auszumalen, welche der Möglichkeiten die Bessere wäre, denn beide schienen mir höchst unerfreulich, um nicht zu sagen unerquicklich.
In jedweder Zeit und Epoche war es nicht gut, ein solch unerklärliches Abenteuer erlebt zu haben. So deuchte mir seine Befreiung gar nicht mehr so erfreulich, da ich ihn mit seinem Umfeld allein gelassen hatte. Hatte ich ihn gar im Stich gelassen? So lauschte ich erneut auf sein Rufen und wanderte wohlgemut seiner abermaligen Rettung entgegen.
Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass ich meinem Prinzen zu Hilfe eilte, da es in der Literatur und in PC-Games immer um die Jungfrau in Nöten ging, oder eben auch „The Damsel in Distress“. Mit Freuden dachte ich an die Abende zurück, an denen wir in der Corporation die eine oder auch andere Mission bestritten hatten. Online waren wir alle Maulhelden, doch nun erlebte ich es live und in Farbe. Das glaubte mir gewiss auch niemand, aber immerhin könnte ich es in erbaulichen Geschichten verarbeiten, um damit meine stetig wachsende Fangemeinde zu erfreuen. Unlängst ermahnte mich eine liebe Freundin, doch endlich zu veröffentlichen. Jaja, dachte ich nur, eigentlich hatte sie recht und uneigentlich auch.
So schweiften meine Gedanken umher und ich kam buchstäblich von Höcksken aufs Stöcksken. Als ich dieses gewahr wurde, musste ich kichern, dass mich ein unbedarfter Beobachter gewiss für äußerst einfältig hielte. Aber was scherten mich solche Leute. Ein Gutes hatte das Abschweifen schon, so kam ich mühelos voran und gewiss bald an mein Ziel, wo dieses auch immer liegen mochte.
An einer Taverne mitten im Nichts legte ich zur Mittagsstunde eine Pause ein, um mich zu stärkern und mit weiteren Vorräten zu versorgen. Es war schon reichlich seltsam und auch einer philosophischen Betrachtung wert, an welch extrem abgelegenen Plätzen sich Wirtshäuser befanden, die dann auch immer von fahrendem Volk gut besucht waren. Aber das wäre gewiss Stoff für eine andere Geschichte. Somit machte ich mir gedanklich eine Notiz und hoffte inständig, dass ich es nicht doch noch so gut im Hirn ablegte, dass ich es nicht wieder fand. Ihr erinnert euch bestimmt an Dinge, die so gut weggelegt werden, dass sie erst einmal nicht wieder auftauchen. Aber das ist ebenso eine andere Geschichte.
Eingedenk des freundlichen Wetters machte ich mich auf den Weg, um die nächste Etappe heute auch noch zu schaffen. Gerne nahm ich das Angebot an, bei einem fahrenden Händler hinten auf dem Wagen zu sitzen. So sollte ich darauf Acht geben, dass sich Spitzbuben nicht an der Ladung zu schaffen machten. Auf diese Weise konnte ich auch noch die eine oder andere klingende Münze erringen, denn Abenteuer waren nichts für Habenichtse.
Gen Abend erreichten wir den Marktflecken, der das Ziel des Händlers war. Er zahlte mir meinen Lohn und auch die Übernachtung in der Taverne. Was war es angenehm, nach einem kräftigen Mahl mit Brot, Käse und Met in einem weichen Bett zu schlafen und zu träumen. Nun denn, in meine Träume schlichen sich wieder die Hilferufe meines Prinzen, er musste sich tatsächlich in arger Bedrängnis befinden.
Am nächsten Morgen erkundigte ich mich bei meinem Morgenmahl beiläufig bei den Wirtsleuten, ob es in der näheren Nachbarschaft einen Ort gäbe, wo man sich um verwirrte Gemüter kümmere. Sie bestätigten mir, dass eine solche Stätte existierte, aber ehrbare Maiden, wie ich eine wäre, sollten diese nicht aufsuchen. Dankend lächelte ich ob der hinreichenden Auskunft, wie sollte ich ihnen auch glaubhaft versichern, dass ich keine solche Maid wäre und dass ich außerdem grundsätzlich solche Orte aufsuchte, um Aventüre zu erleben.
Schon war ich wieder unterwegs, um mich geradewegs an jenen verruchten Platz zu begeben, den die Dorfbewohner furchtsam mieden. Auf der Straße begegnete ich keiner Sterbensseele, vermutlich weil es nur einen Weg hinein aber nicht wieder hinaus gab. Diese Tatsache versprach mir ein vortreffliches Abenteuer. Vielleicht aber auch nur ein schnelles Intermezzo, wenn ich es geschickt anstellte und das Glück auf meiner Seite wäre.
Dann hatte ich den Ort des Grauens, der unsäglichen Schrecken erreicht. Eine hohe Mauer umgab ein weites Areal einem Park nicht ungleich, in dem mehrere Gebäude standen. Es schien mir eine Art Sanatorium zu sein, wie sie früher nur den wohlhabenden Patienten als Linderung geboten wurden. Es wunderte mich schon ein wenig, dass derart viel Personal herumwuselte, das sich um die Patienten, oder waren es doch Insassen, kümmerte. Ich ließ meinen Blick schweifen, konnte jedoch meinen Prinzen nicht entdecken. So umrundete ich den Park im Schutz der Bäume, da ich von den Pflegern, na ja eigentlich Wachen, nicht entdeckt werden wollte. Wer konnte erahnen, wie sich mein Abenteuer dann gestaltete, wenn man mich hier arretierte.
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Als ich die Rückseite des Geländes erreichte, sah ich eine Person, die mir seltsam vertraut war, auf einer einsamen Bank sitzen. Sie schien in sich gekehrt oder auch nicht mächtig ihrer Sinne zu sein. Vorsichtig trat ich näher und wahrhaftig, es war mein Prinz. Sein Blick ging ins Leere, seine Gesichtszüge waren eher entgleist, denn entspannt, und es wäre nur eine Frage der Zeit, dass ihm der Sabber achtlos aus dem Munde triefte. Wie hatte es nur so weit kommen können?
Gewiss glaubte ein Quacksalber, ihm helfen zu können, in dem er ihm obskure Arznei angedeihen ließ, anstatt ihm zu zuhören, und ihm Glauben zu schenken. Mit einer Verordnung konnte der Irrenarzt ein hübsches Sümmchen verdienen, auch wenn er es nicht verdiente, Zuhören brachte ihm kein Geld. Welch ein perfides System. Wenn ich es recht betrachtete, schlimmer als der verdammte Zauber, der Prosper hierher gebracht hatte.
„Sanfte Grüße, mein Prinz“, sprach ich ihn leise an, um ihn nicht zu erschrecken. Er sah mich an, doch sein Blick schien durch mich hindurch zu gehen. So küsste ich ihn auf die Augen und alsbald war Erkennen darin. Tränen rannen über seine Wangen und dennoch lachte er.
„Tanuky, du bist es wirklich“, stammelte er, „du hast mich abermals gefunden.“
„Wir sollten uns sputen“, trieb ich ihn an, „um diesem verfluchten Ort zu entkommen.“
Mit festem Griff packte ich ihn und zerrte ihn eilig fort immer an der Mauer entlang. Auf meiner Suche hatte ich eine kleine Pforte entdeckt, die ich nun zur Flucht nutzen wollte. Kein Schloss noch Riegel wäre in der Lage mich aufzuhalten. Wenn kein Zauber half, dann gewiss eine angemessene Anwendung von roher Gewalt. Wie bereits erwähnt, war die Pforte kein wirkliches Hindernis einer Tanuky zu Tanabe angemessen.
Außerhalb der unsäglichen Mauern klärte sich der Blick Prospers immer mehr, so dass er seiner Umgebung und seines Zustandes gewahr wurde. Als seine Hand sein Schwert ergriff, erinnerte er sich an seine Stärke und schwang schon wieder große Reden. Warum waren nur Männer so?
„Ach du“, sprach ich unter Lachen, „du bist wahrlich stark mit dem Munde. Wenn ich dich nicht schon so viele Male gerettet hätte, wärest du nimmer mehr ein Prinz, mein Prinz.“ Und ich zwinkerte ihm schelmisch zu.
„Scheiße, du hast ja recht“, musste er dann bekennend zugeben.
Erstaunt blickte ich ihn an, dass er ein so wahres Wort derart gelassen aussprach. Wenn dem nicht so wäre, wäre er gewiss nicht mein Prinz. Na ja, nun käme wohl: Halb zog er sie, halb sank sie hin. Doch dies ist nicht so eine Geschichte, auch wenn dies im Bereich des Möglichen läge, soll dies hier nicht beschrieben werden.
Natürlich sei hier erwähnt, dass ich Prosper sicher zur bereits erwähnten Taverne brachte, wo wir ein vortreffliches Mahl zur Nacht genossen. Auch das gebuchte Zimmer genügte durchaus unseren Ansprüchen und war für jegliche Tätigkeiten ausgerüstet. Irgendwann schliefen wir in den Armen des anderen ermattet ein.
Als der Morgen kam, weckten mich die überaus vorsichtigen Nasenstüber meiner Schnurrmonster. So erwachte ich allein und hoffte, dass es Prosper wohl erginge.