Das eintönige Einerlei meines üblichen Tagewerks rief in mir eine andere Müdigkeit und Ermattung hervor, als es meine anstrengenden Abenteuer taten. Es machte so leer im Innern, ganz anders waren die Abenteuer, die selbst unaufgeregt spannend waren. Es war einfach dieser gewisse Kick, der sich bot, der mich spüren ließ, dass es da mehr gab, als täglich ins Geschäft zu gehen. Die Abenteuer fraßen die Seele nicht auf, nein, sie nährten sie. Nun, die Teilnehmer und Schüler waren gewiss liebenswert, wenn auch oft reichlich verpeilt, aber sie forderten mehr, als ihnen bewusst war. Vermutlich ahnten sie es auch nicht. Für mich waren sie wie Lemminge oder Zombies, die in die Richtung liefen, in die alle rannten oder wohin sie geschubst wurden. In schwachen Momenten ertappte ich mich dabei, sie um diese Einstellung zu beneiden. Aber dann war ich wieder froh darum, nicht so zu sein. Das Kind in meinem Innern wollte spielen und ich wollte es auch.
Nach getaner Arbeit saß ich in unserem Sommerwohnzimmer und schaute vor mir ins Leere. Gedankenverloren puschelte ich einen meiner Kater, vermutlich war es Stan, da dieser über ein äußerst weiches Fell verfügte. Das Vibrieren meiner Uhr zeigte mir die Ankunft einer Nachricht an. Träge griff ich nach meinem Handy und schaute nach, wer mich beim Nichtstun störte. So entsperrte ich das Display und starrte auf eine kryptische Nachricht, die ohne mein Zutun aufpöppte. Eine wirre Zeichenfolge grinste mich an. Ja ne, is klar. Hatte ich mir doch einen dieser fiesen Handyviren eingefangen. Mit dem Wischen eines Fingers versuchte ich, eine Reaktion zu provozieren. Doch nichts tat sich. Mist aber auch. Dann probierte ich eben einen Neustart, dann erledigten sich solche Probleme meist von selbst. Gesagt, getan. Das bange Warten auf den Neustart war schon nervig. Noch eben Pin eingeben, Muster zeichnen. Alles schien wieder in Ordnung zu sein. Geräuschvoll atmete ich durch.
„Is was?“, fragte meine Mitbewohnerin, die unvermittelt neben mir stand.
„Nein“, beruhigte ich sie, „ich dachte nur, mein Handy hätte sich etwas eingefangen. Aber nach einem Neustart geht es wieder.“
„Ich mache das immer regelmäßig“, belehrte sie mich. „Solltest du übrigens auch.“ Sie schaute mich mahnend an.
„Habe ich doch eben erst...“ Erwiderte ich grinsend.
„Welche Geschichte kam heute eigentlich?“ Wollte sie dann von mir wissen. Kurz musste ich überlegen, ehe ich antwortete.
„Bier und Pistolen, sollte heute dran sein“, gab ich ihr dann zur Antwort. Sie lächelte wissend. Ja, das war schon eine witzige Sache gewesen, damals in Frankis Bar. Solche Anekdoten schreibt nun mal nur das wahre Leben. Aber auch wenn das Leben die Ideen bringt, so müssen sie doch irgendwie zu Papier oder auch in den PC gehackt werden. Also verabschiedete ich mich, um Richtung PC zu wanken, um neue Anekdoten, wie sie nur das Leben schreibt, aus der Erinnerung über den Umweg Hand zu verschriftlichen. Schnell war die Peripherie gebootet und einer literarischen Ausschmückung stand nichts mehr im Wege. Als ich mein Handy griffbereit neben den Laptop legte, begann dieser zu piepen. Der Bildschirm wurde erst dunkel und dann blau. Oh nein, dachte ich, the blue screen of doom. Schon wollte ich den Stecker ziehen, als ein Symbol erschien. Das war nun sehr absonderlich. Es war mir seltsam vertraut. Doch hatte ich es schon gefühlt eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Noch während ich in meinem Gedächtnis kramte, erschienen Worte auf dem Bildschirm.
„Klopf, klopf.“
Was sollte das denn? Versuchte jemand meinen Laptop zu übernehmen?
„Klopf, klopf... Ist da wer?“
Erstaunt blickte ich auf diese Konversation, wenn man es so nennen konnte.
„Klopf, klopf... Tanuky?“
Jetzt wurde es seltsam. Sollte ich versuchen zu antworten. So begann ich zu tippen.
„Sanfte Grüße.“
„Endlich, was brauchst du so lange?“
Ups, durch meinen üblichen Gruß, der eigentlich ansonsten ziemlich unüblich war, wurde ich also eindeutig identifiziert. Scheinbar wurde ich von irgendwem erwartet.
„Ja?“ Fragte ich nur. Mal sehen, was noch so kam.
„Verarsch mich nicht. Wo bleibst du?“
Das war nun aber sehr merkwürdig. Noch ehe ich eine abfällige Antwort meinerseits tippen konnte, erschien die weitere Konversation.
„Bewege deinen Arsch zum Sternkaufhaus.“
Sternkaufhaus? Nie davon gehört, was sollte das denn sein und vor allem wo? Oder besser wann? Meine Uhr vibrierte und mein Handy biepte. Ah, eine Nachricht. Es waren GPS-Koordinaten, ok, dann werde ich statt einer Adresse mal eine Zahlenkolonne bei Yannik eingeben. Yannik ist mein Navi, falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte.
Wenn ich nun Koordinaten per Handy geschickt bekam und in ein mir bis dato unbekanntes Kaufhaus gelotst wurde, könnte es vielleicht ein Lauf in die Schatten sein. Herrje, was sollte ich nur angemessenes anziehen? Welche Ausrüstung sollte ich einpacken, da ich nicht wirklich darauf eingerichtet war, denn ShadowRun-Runden fanden damals nur als Pen & Paper Abenteuer statt. Aber live? Es hatte natürlich seinen Reiz, so zur Gänze in die Schatten abzutauchen. So schaute ich etwas verzweifelt in meinen Kleiderschrank, merkte ich seine Übersichtlichkeit an, und überlegte fieberhaft, welche Kleidungsstücke ich auswählen sollte. Meine Wahl fiel auf schwarze Klamotten und die derben Schnürstiefel. Natürlich griff ich nach meinem schwarzen Filzhut. Gut behütet würde ich alles überstehen. Einer Eingebung folgend nahm ich die lederne Fuchsmaske, die mir gewiss gute Dienste leisten würden. Dann überprüfte ich den Ladestatus sowohl des Handys als auch des Tablets und verstaute beide in einem kleinen Rucksack. Bei Waffen musste ich passen, denn ich hatte schlichtweg keine. War eigentlich auch besser so, denn Feuerwaffen waren mir in keiner Zeit geheuer und außerdem machten sie für mein Dafürhalten viel zu viel Krach, das war einfach nicht mein Stil.
Meine Mitbewohnerin stand plötzlich in der Tür und beobachtete interessiert meine Vorbereitungen. Natürlich bemerkte sie den Unterschied zu meiner sonst üblichen Ausrüstung für eine Aventüre.
„Was wird das, wenn es fertig wird?“ Fragte sie mit unverhohlenem Interesse.
„Das wird vermutlich ein Shadow Run“, erklärte ich ihr meinen Aufzug.
„Ah ja“, es klang nicht wirklich überzeugt.
„Frage einfach Tante Google“, riet ich ihr und griff meine Autoschlüssel.
„Warte nicht mit dem Essen auf mich“, sagte ich noch zu ihr und zog im Gehen die Tür hinter mir zu.
Als ich im Auto saß, programmierte ich Yannik mit der Zahlenkolonne. Oh, in die alte Heimat ginge es also. So startete ich den Motor und ließ mich von meinem Navi führen. War ja klar, erst mal auf die Autobahn, wir Ruhris lieben unsere Autobahnen, deshalb haben wir auch so viele davon. Vermutlich machte ich auch eine Kreuzfahrt, denn auch von Autobahnkreuzen haben wir derer mehrere und das in relativer Nähe zueinander, aber das wäre gewiss eine andere Geschichte.
Natürlich war der Verkehr zähfließend, aber immerhin war ein Fortkommen schneller als innerorts. Der aufkommende Nebel irritierte mich zwar, da er für diese Jahreszeit mehr als untypisch war, aber das war nun mal so. Oder war wieder irgendwo ein Großbrand oder gar ein Chemieunfall, der diese Wolken verursachte. Ich tippte auf das zweite, da mein Radio auch nur noch ein müdes Röcheln von sich gab, als es die Sendefrequenz verloren hatte. Genervt drückte ich auf die anderen Programmplätze an dem Gerät, als plötzlich dröhnende Bässe erklangen. Zwar konnte ich das Lied nicht identifizieren, aber es war genau mein Ding. Langsam kam der Verkehr wieder in Bewegung, auch wenn der Umgangston etwas ruppiger zu werden schien. Aber auch das war eben so, hielten Amerikaner nicht unsere Autobahnen sogar für eine Art Kriegsgebiet?
Aber da kam auch schon die Ausfahrt, die ich nicht nehmen sollte, natürlich ignorierte ich Yannik, der mir mit Nachdruck zu verstehen gab, nicht diesen Weg zu nehmen. Ok, dann bleibe ich doch noch auf der Autobahn. Über das neue Feature wunderte ich mich aber dennoch. Wann hatte er dieses Update gezogen? Ach egal. Als ich dann endlich die Autobahn verließ, staunte ich schon über die heruntergekommenen Häuser. Was war hier nur passiert. Ok, es war schon einige Jahre her, dass ich hier gelebt hatte, und es deutete sich damals bereits an, dass dieser Stadtteil zum sozialen Brennpunkt würde, aber der Abstieg schien sich rasant beschleunigt zu haben. Na ja, Bange machen gilt nicht.
Kurz darauf lotste mich Yannik ins Parkhaus des Sternkaufhauses. Es hatte tatsächlich den Grundriss eines Sterns, der dem Gebäude den überaus treffenden Namen gab. Wann wurde es wohl aus dem Boden gestampft? Doch eine Antwort erübrigte sich, als ein bulliger Typ, anscheinend ein Ork, aus seinem Familienpanzer stieg. Nein, es war kein SUV, den ich sonst liebevoll derart titulierte, es war ein Panzer. Nun ja, eher so ein gepanzertes Fahrzeug, aber dennoch nicht minder beeindruckend. An welcher Stelle hatte ich etwas Wesentliches verpasst? War ich etwa irgendwo in ein Abenteuer, na ja, eigentlich einen Run abgebogen, ohne es genau zu bemerken? Das Schellen meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Eine unterdrückte Nummer.
„Ja?“, sprach ich gedehnt in das Gerät.
„Verdammt, wo bleibst du?“ Raunzte mich eine tiefe Stimme an.
„Ich habe gerade geparkt“, entschuldigte ich mich.
„Du bist doch nicht etwa mit deinem Wagen da?“ Die Stimme hatte irgendetwas zwischen Schrecken und fassungslosem Staunen, vielleicht lag auch Hysterie darin. Man konnte förmlich das Rollen der Augen in der Aussprache ausmachen.
„Egal. Können wir nicht mehr ändern.“ Die Stimme wurde wieder fordernd. „Dann beweg endlich deinen Arsch zu uns. Wir sind bei Ropet.“
Noch ehe ich antworten konnte, wurde das Gespräch beendet. Ok. Ropet, was das auch immer sein mochte oder eben wo auch immer. Ich griff zum Tablet und tatsächlich hatte ich hier Verbindung zum Internet, das WLAN der Mall strahlte herrlich weit ab. Warum ich direkt verbunden war, hinterfragte ich an dieser Stelle nicht. Manchmal war das eben so. Also machte ich mich auf den Weg.
Am Eingang zur Mall standen mürrisch dreinblickende Uniformierte irgendeines privaten Sicherheitsdienstes. Kötter war es eindeutig nicht. Der Scanner tat keinen Mucks, als ich hindurchtrat. Es war wohl ein gutes Zeichen, denn andere, bei denen das Gerät gepfiffen hatte, wurden akribisch gefilzt. Im Nachhinein war ich froh darüber. Schnell hatte ich mich orientiert und beglückwünschte mich dafür, dass ich unbewusst oder auch aus Zufall, auf der nämlichen Etage geparkt hatte, auf der auch Ropet war.
Ropet entpuppte sich als Geschäft für allen möglichen technischen Schnickschnack und Spielereien. Eine Drohne begrüßte mich bereits am Eingang und fragte mich dienstbeflissen nach meinen Wünschen. Wie wimmelt man eine Drohne ab? Sie ignorierte meinen genervten Gesichtsausdruck und plapperte munter weiter, in dem sie die neusten Angebote anpries, an denen ich keinerlei Interesse hatte. So strafte ich sie mit Missachtung und hoffte, dass sie letztendlich aufgab, was sie dann auch endlich tat. Im Ladengeschäft herrschte reges Treiben und nicht wenige Kunden wurden eben von solch lästigen Drohnen vollgesülzt. Ich überlegte, ob dies nun besser sei, als die berühmten Red-Shirts eines namhaften Technik-Stores, die immer dann verschwanden, wenn man denn eine Beratung wünschte. Irgendwo musste doch meine Verabredung stecken, wer auch immer das sein mochte. Während ich mich unauffällig suchend umblickte, sauste wieder eine dieser unsäglichen Drohnen auf mich zu. Gequält seufzte ich und verdrehte die Augen.
„Sanfte Grüße“, sprach sie mich an. „Bitte folgen Sie mir.“
Verdutzt blickte ich ihr nach, als sie wieder kehrtmacht und davon flog. Aber die Begrüßung schien mir wie ein Zeichen, also ging ich hinter her. Zielstrebig sauste sie an Regalen vorbei auf eine Tür mit der Aufschrift „Zutritt nur für Personal“ zu. Als ich dort ankam, öffnete sie sich, also hatte ich wohl Zutritt. Nachdem die Tür sich hinter mir geschlossen hatte, wurde es still. Die Schreibtische vor mir waren nicht mehr besetzt und die Drohne bewegte sich summend nach links. Es war so ein herrlich unaufdringliches Geräusch.
Unvermittelt wurde die Tür eines Büros aufgerissen. Ein wahrer Hüne stand bedrohlich im Türrahmen, den er spielend zur Gänze ausfüllte.
„Sie ist da.“ Mit diesen Worten packte er mich, zog mich ins Büro und drücke mich mit Leichtigkeit in einen Sessel.
Fortsetzung folgt...