Cornelius war dann doch nicht das Weichei, für das ich ihn anfänglich gehalten hatte. Er bellte einige Befehle, das hatte ich ihm eigentlich auch nicht zugetraut, und hernach gingen wir gemeinsam in seine Versuchsküche. Erfreulicherweise hatten einige konzerneigene Lakaien fehlende Einrichtungsgegenstände herbeigeschafft und falls notwendig, diese auch angeschlossen oder gar installiert.
So machte ich mich gemeinsam mit Cornelius ans Werk, das originale Rezept nach der originalen Plex zu backen. Ob dies tatsächlich notwendig war, sei dahin gestellt, aber ich wollte Cornelius unbedingt den vollen Umfang und Ausmaß des vortrefflichen Zaubers angedeihen lassen.
Na ja, er war schon ein wenig unleidlichen, ob der geballten jul-festlichen Performance, die durch sein Labor schwadronierte und den Geräuschpegel empfindlich anschwellen ließ, aber sein gequältes Gesicht wollte und konnte ich mir bei bestem Willen nicht entgehen lassen. Natürlich bemerkte er, dass ich mich durchaus köstlich auf seine Kosten amüsierte, aber da musste er durch und er nahm es wahrlich gelassen, von Humor wollte und konnte ich in diesem Moment nicht sprechen.
Als das erste Gebäck hergestellt war, konnten wir zur Verköstigung schreiten. So erklärte ich ihm, dass der Aufenthaltsbereich, in dem wir uns zuerst getroffen hatten, durchaus ein geeigneter Ort für das Experiment wäre. Ich musste ihm lediglich noch erklären, dass wir eine Zeit zur Rückkehr ausmachen sollten, damit wir mit Hilfe von altmodischem Riechsalz wieder in die Wirklichkeit zurückkämen, so eine selbsttätige Rückkehr nicht möglich wäre.
„Riechsalz?“ Er war sichtlich irritiert. „Muss das wirklich sein?“
„Gewiss, mein Lieber“, ich lächelte, „was früher schon wirkungsvoll war, verfehlt auch heute nicht seine Wirkung.“
Schnell kramte ich in meiner Tasche, bis ich das Objekt der Begierde gefunden hatte.
„Ich habe da mal was vorbereitet.“ Grinsend hielt ich eine Phiole mit widerlichem Riechsalz in die Höhe, die er trotz seiner Abscheu entgegennahm. Er instruierte seine Helfer oder waren es Adepten, dann konnten wir endlich auf den ersten Trip von wahrscheinlich vielen gehen. Seinem Gesichtsausdruck nach wurde ihm genau in diesem Moment diese Tatsache bewusst.
„Du bist verrückt“, sagte er noch zu mir, ehe er sich eines der Plätzchen in den Mund schob.
„Du wirst sehen, das hilft ungemein“, bestätigte ich ihm kauend, als ich mir ebenfalls ein Gebäck zu Gemüte führte.
Da ich bereits zweimal den Übergang gewagt hatte, war ich von den überbordenden Effekten nicht mehr ganz so beeindruckt und überwältigt. So stand ich gelassen in der Nähe des Lagerfeuers und wartete darauf, dass sich Cornelius langsam fing. Er war schon ein wenig blass um die Nase, keine Ahnung, ob es am Glitzer, der Musik, der Kakophonie oder an allem zusammen lag, das bliebe wohl sein Geheimnis. Als er einigermaßen wieder seine fünf Sinne besammen hatte, schaute er sich interessiert um.
„Sollte es nicht kälter sein?“ Fragte er schließlich. „Ich meine ja nur, wegen des Schnees und des Eises.“
„Wir sind quasi in einer Matrix“, erklärte ich ihm den Effekt, „versuche mal dein Interface zu öffnen.“
„Wie jetzt? Interface?“ Er schaute mich sichtlich irritiert an.
„Dies ist einem Computerspiel nachempfunden“, legte ich ihm dar, „stelle dir vor, dass du das Menü oder am besten dein Inventar aufrufst. Der Rest erklärt sich von selbst.“ Glaubte ich wirklich, dass er es verstünde? Ein Hermetiker in der Matrix? Nach anfänglichen Schwierigkeiten hatte er jedoch schnell den Bogen heraus.
„Die Zone ist recht groß, wir sollten ein Mount aussuchen“, riet ich ihm dann doch noch und stieg auf mein fliegendes Rentier. Ein wenig schmunzeln musste ich allerdings, als Cornelius einen goldenen Phoenix auswählte. Magier, sie sind so berechenbar.
„Im Nord-Osten ist die Bäckerei. Folge mir bitte.“
Schon hob ich ab und flog von dannen. Oder von hinnen? Ein Blick über die Schulter zeigte mir, dass mir Cornelius folgte. Geht doch. Ja, ich hatte hier meinen Spaß, auch wenn mir die Musik mal wieder gehörig auf den Zwirn ging.
https://www.youtube.com/watch?v=dsnfxnMdsME
Pfeilschnell flogen wir über die eisigen Inseln und hatten bald das kleine Eiland mit der Bäckerei erreicht. Natürlich waren wieder allerlei Abenteurer versammelt, die darauf warteten, dass neues Backwerk an sie verteilt würde. Etwas abseits der Heldengruppen landete ich und wartete auf Cornelius. Dieser drehte tatsächlich noch eine Runde, ehe er zu mir stieß, scheinbar hatte er gleichwohl Gefallen an unserem Abenteuer gefunden. Dabei war es noch gar kein Richtiges, aber das sagte ich ihm zu diesem Zeitpunkt nicht.
„Hier gibt es Nachschub für den Trip. Sobald man davon isst, kann man erst einmal nicht aufwachen. Na ja, eigentlich meine ich ausloggen.“
Cornelius nickte verstehend. Vermutlich wurde ihm gerade das gesamte Ausmaß der Modifizierungen, die wir vorzunehmen hätten, bewusst. Wenn ich ehrlich war, ich hätte nun nicht auf Anhieb sagen können, welche Zutat oder Zauberspruch die Verlängerung des Trips auslöste. Es war nur klar, dass wir diese Bäckerei entschärfen mussten. Vielleicht ließe sich das Gebäck in etwas gänzlich anderes umwandeln, vielleicht statt eines verzehrbaren Leckerlis eher ein Wurfgeschoss in der Art von Torte ins Gesicht oder etwas Vergleichbarem. Ich machte mir eine geistige Notiz, um Cornelius nach unserer Rückkehr diesen Vorschlag zu unterbreiten.
„Versuchen wir, aus eigener Kraft zurückzukehren“, schlug ich ihm vor.
„Benutze das Kommando: camp; das sollte die Simulation beenden.“
„Warum nicht einfach: exit?“ Wollte er wissen.
„Bei Exit wären wir noch in der Simulation, obwohl diese theoretisch geschlossen ist. Wir wollen doch sicher ausloggen?“ Erinnerte ich mich, wie es vormals bei den meisten Games war. Ein geordnetes Ausloggen war einem schnellen Exit immer vorzuziehen. Schnell war der Befehl im Interface gefunden und der Vorgang initialisiert. Zwanzig Sekunden, die uns nur noch von der Wirklichkeit trennten.
„Sanfte Grüße“, vernahm ich eine mir bekannte Stimme. Behände sprang ich auf, da erfahrungsgemäß das Ausloggen dadurch abgebrochen werden konnte. Eine mir wohlbekannte Gestalt kam winkend auf mich zu.
„Prosper“, rief ich ihn an, „hast du etwa wieder am Gebäck genascht?“
Verschämt schaute er zu Boden. Im Augenwinkel bemerkte ich, dass Cornelius aus der Simulation verschwand. Er wird halt auf mich warten müssen.
„Es schmeckt mir halt zu gut“, entschuldigte er das Unentschuldbare.
„Wie lange bist du schon hier?“ Fragte ich ihn vielleicht etwas zu streng, aber ich machte mir wirklich Sorgen um sein Wohlbefinden.
„Ich bin gerade erst angekommen“, er strahlte mich an, „und ich freue mich, dass du auch da bist. Ein neues Abenteuer?“
„Nein, keine Abenteuer“, stoppte ich seine Euphorie, „am besten loggst du dich aus und versprichst mir, keine Julplätzchen mehr zu schnabulieren.“
Sein Blick verriet mir, dass er von meinem Vorschlag überhaupt nicht angetan war. Aber er war wohl gerade wie jeder Süchtige, der Zugang zu seiner Droge hatte, auch wenn es nur Gebäck wäre.
„Bist du zuhause?“ Wollte ich dennoch von ihm wissen.
„Ich bin doch hier bei dir“, gab er mir die für ihn offensichtlichere Antwort. Oh, Mann, er war schon wieder voll drauf. Also musste ich ihn retten, mal wieder. Aber diesmal würde ich die Jungs von Saeder-Krupp darauf ansetzen. Ich musste nur noch Cornelius davon überzeugen, dass Prosper eine gute Unterstützung für unser Vorhaben wäre.
„Wir treffen uns draußen“, ermahnte ich ihn, ehe ich das Ausloggen erneut initialisierte. „Und iss hier keine der Plätzchen mehr.“
Zwanzig Sekunden später öffnete ich meine Augen und bemerkte, wie die Adepten wie aufgeschreckte Hühner umherrannten und versuchten, die Phiole mit dem Riechsalz zu öffnen. Cornelius saß mir gegenüber und gab sich alle Mühe, in der Realität anzukommen.
„Ich bin zu alt für diesen Scheiß“, schnaubte er wenig eloquent. „Wieso bist du eigentlich so spät und dennoch schon so fit?“
„Ich? Weißt du, wenn du das des öfteren machst, geht es mit der Zeit recht geschmeidigt“, beantwortete seine zweite Frage. „Ach übrigens, ich traf jemanden, der dort nicht sein sollte.“
Cornelius wirkte sichtlich erstaunt.
„Prosper tauchte auf, als ich gerade ausloggen wollte. Vermutlich konnte er dem Gebäck nicht widerstehen und ist wieder auf einen Trip. So wie ich ihn kenne alleine. Er wäre aber eine gute Unterstützung, wenn wir die modifizierten Gebäcke probierten und somit veränderten Simulationen besuchten.“
Vielleicht musste er für einen Moment überlegen oder es war seine Art, derartige Pausen einzulegen.
„Hast du die Adresse, wo wir ihn finden?“ Fragte er schließlich.
„Gewiss doch“, lächelnd gab ich ihm die Anschrift.
„Offenbach? Nicht dein Ernst.“
Darauf zuckte ich nur mit den Schultern. Ich konnte es doch auch nicht ändern. Cornelius führte daraufhin leise ein Gespräch, so dass ich nicht genau mitbekam, worum es sich handelte. Seiner Sorgenfalte zu urteilen, schickte er wohl ein Team zur Rettung Prospers und ja, auch zu seiner Verbringung nach Essen. Zweiteres würde ihm gewiss zu Beginn überhaupt nicht gefallen, da die Konzernfuzzis ihm bestimmt nicht meinen Namen als Verursacher all dessen nannten. Da musste er durch, so hielt sich mein Mitleid in Grenzen, da er vermutlich auch nicht allzu hart angefasst würde, so er sich nicht wehrte.
Fortsetzung folgt...