Ich war den ganzen Tag gelaufen. Meine Füße brannten und ich spürte jede Unebenheit des Bodens durch die dünnen Sohlen meiner Sandalen. Die Pflastersteine, noch feucht vom Regen, schimmerten im Mondenschein. Mein weißes Fell war noch nass. Es war so schwer, dass ich meinen Schwanz mit den Händen tragen musste. Ich war zu schwach, um ihn hochzuhalten. Meine weißen Haare klebten an meinem Nacken und die Wassertropfen rollten meinen Rücken hinunter. Der blaue Stoff meines Kleides lag klamm auf meiner Haut, es war sehr mitgenommen von den Strapazen der letzten Tage. Die Straße war verlassen, die Geschäfte zu den Seiten hatten geschlossen. Nur das Licht der Schaufenster drang auf die Straße. Verzweifelt blickte ich mich um, die Straße war verlassen und es waren keine Menschen zusehen oder zu hören. Die Stadt schlief und ich schleppte mich weiter durch den Schatten. Ich war zu erschöpft, um weiter zulaufen und erlaubte mir, durchzuatmen.
Der Geruch des Regens mischte sich mit den Düften von Essen, die schwach zu mir herüberwehte. Mein Magen zog sich schmerzhaft vor Hunger zusammen. Ich brauchte dringend etwas zu Essen. Also folgte ich, zitternd vor Kälte, dem leckeren Duft von Gewürzen und Thunfisch. Die Geruchsquelle stellte sich als kleines Ristorante heraus. Die rot-weiße Markise vor den großen grünen Fenstern war eingerollt und dadurch kaum zu sehen. Umso näher ich dem Gebäude kam, desto stärker wurde ein unangenehmer Geruch. Ich konnte nicht genau sagen, was es war. Vorsichtig ging ich näher und atmete tief ein, um mir sicher zu sein, was so schlimm roch. Der beißende Gestank von Müll und verrottetem Fleisch stieg mir plötzlich in die Nase. Angewidert verzog ich das Gesicht. Mein Magen knurrte, ich erinnerte mich nicht mehr, wann ich das letzte Mal etwas zu Essen bekommen hatte. Ich beschloss, auf den Gestank zuzugehen. In einer Nische vor dem Restaurant stand der Ursprung des stechenden Müllgeruchs. Ein riesiger schwarzer Müllcontainer. Schleppend schritt ich darauf zu und mit letzter Kraft stemmte ich den schweren Metalldeckel hoch. Der Gestank von Essensresten und gammeligem Gemüse traf mich wie ein Schlag in den Magen und ließ mich würgen. Hoffnungsvoll blickte ich hinein. Aber, dort würde ich nichts Essbares finden. Rattengift lag zwischen den Resten schon aufgeweicht vom Regen. Die blauen Tütchen kannte ich sehr genau. Tränen liefen meine Wangen hinunter. Weinend und völlig entkräftet, ließ ich mich hinter dem Container sinken. Ich rieb mir die Arme, versuchte, mich ein bisschen zu wärmen. In der Gasse standen noch mehr Mülltonnen an den roten Backsteinwänden. Müllsäcke stapelten sich um sie herum. Doch ich hatte einfach keine Kraft mehr, sie zu durchsuchen. Auch hinter mir war nur eine feste Wand. Ich umschlang meine nackten Beine und legte meinen Schwanz um sie. Er tropfte und bot kein bisschen Wärme. Kauerte mich zusammen. Müde legte ich meinen Kopf auf die Knie. Zum Glück regnete es nicht mehr und selbst wenn ich war sowieso schon komplett durchnässt. Langsam dämmerte ich ein und hoffte, dass niemand mich hier finden würde. Dass man mich für einen Haufen Altkleider hielt.
Ein Licht, das in meinen Augen schien, weckte mich. Das Licht brannte in meinen Augen und machte mich fast blind. Ich blinzelte und versuchte, mich an die Helligkeit zu gewöhnen. Das Licht sah aus wie zwei große Augen. Erstarrte vor Angst blieb ich sitzen. Eine Autotür knallte und riss mich aus meiner Starre. Ich fuhr vor Schreck zusammen und kauerte mich noch mehr zusammen. Mein Puls beschleunigte sich und meine Haare und Fell stellten sich auf. „Sie haben mich gefunden“, dachte ich und stand auf, doch ich konnte mich nicht auf den Beinen halten und sank kraftlos wieder zu Boden. Haltsuchend griff ich um mich und stieß dabei gegen eine Mülltonne, die laut scheppernd umfiel. Flaschen und Müll verteilten sich auf dem Boden. „Bitte kommt nicht hierher“, dachte ich und kauerte mich zwischen den Müllsäcken zusammen. Weglaufen war mir nicht mehr möglich, der Ausweg nach vorne war mir durch das Auto versperrt und meine Beine konnten mein Gewicht nicht mehr tragen. Ich hörte Schritte und der widerliche Gestank von Speiseresten und Chlor mischte sich mit einem irritierenden Duft. Die Männer, welche mich suchten, rochen eher nach billigen After Shave als nach diesem holzigsüßen und würzigen Geruch. Schritte kamen auf mich zu und ich kroch soweit wie möglich zurück, bis mein Rücken gegen die kalte, feuchte Mauer prallte. Die Schritte waren lang und kräftig. Es war kein Geklapper von Damenschuhen zuhören, sondern das Quietschen von Gummi. Der Körper trat in Licht und der Schatten einer Person traf auf mich. Ich schaute ängstlich auf die Silhouette, sie war männlich und mein Puls wurde schneller. Es war vorbei, ich saß in der Falle. Mit letzter Kraft versuchte ich aufzustehen, den aufgeben wollte ich nicht. Krallte mich in die Fugen und stemmte mich hoch. Ängstlich zitternd hob ich die Arme. Kampflos wollte ich mich nicht ergeben. Der Mann kam näher und so langsam erkannte ich friedvolle Gesichtszüge und einen feinen Anzug. Aber das sagte nichts über ihn aus. In meinen Gedanken waren Männer gefährliche Wesen.
Er blieb plötzlich stehen, mehr als eine Armlänge entfernt und musterte mich sowie ich ihn. Selbst wenn ich ihn mit meinen Fäusten treffen könnte, wäre mein Schlag sicher viel zu schwach, um etwas auszurichten.
Er öffnete seinen Mund und sprach mit ruhiger Stimme: „Keine Angst“, seine Hände zeigten eine offene Haltung, als wollte er damit weniger bedrohlich aussehen. Ich atmete tief ein. Er roch nicht nach Leder und Gewalt, sondern nur holzig und süß. Ich ließ meine Arme sinken und schwankte. Dies war keiner der Männer, die mich suchten. Er überbrückte die Distanz zwischen uns mit nur einem großen Schritt und fing mich auf, bevor ich auf das Kopfsteinpflaster fiel. Sein Duft hüllte mich ein. Er strahlte eine wohlige Wärme aus und sein Mantel fühlte sich weich an. Ich fühlte mich irgendwie behaglich und dachte nicht mehr an die Gefahr. Ich hoffte, dass mein Instinkt mich nicht enttäuscht. Der Mann drehte sich zur Seite und nahm mich auf den Arm. Dabei wanderte sein Arm unter meine Beine und unter meine Rücken. Er hob mich problemlos hoch. Ich legte meinen Kopf an seine Brust. Sein ruhiger Herzschlag beruhigte mich. Würde er mir etwas antun wollen, würde es stärker pochen. Nichts an ihm wirkte bedrohlich oder widerlich. Vorsichtig blickte ich auf, um mir sein Gesicht genauer anzusehen. Es war wohlgeformt und rasiert. Die Männer, welche mir Panik machten, hatten ein grobes und unrasiertes Gesicht. Seine Haare waren zerzaust und hell. Mit gerunzelter Stirn dachte ich: „Keine Schmiere in den Haaren, kein Gesicht, das aussah, als hätte man es aus Holz geschnitzt“. Er sah nicht aus wie die typischen Bösewichte, die ich aus meiner Vergangenheit oder dem Fernsehen kannte. Leider konnte ich ihm nicht in die Augen schauen. Seine Stirn war sorgenvoll gerunzelt. „Weshalb macht er sich Sorgen?”, fragte ich mich und hob den Kopf, um zu sehen, wohin er ging.
Der Fremde trug mich nasses Bündel zu seinem Auto. Es war weiß mit gläsernem Dach. Es roch kaum nach Abgase.
Seine Kleidung wurde feucht, aber das schien ihn nicht zu stören. Er setzte mich auf den Beifahrersitz und schnallte mich an. Das weiße Leder der Sitze fühlte sich angenehm an, auf meiner Haut. Er drückte auf einige Knöpfe, die orange zu leuchten begannen, und mein Sitz wurde warm. Erschrocken wollte ich aufspringen, aber der Gurt hielt mich.
Wieder sprach der Mann auf mich ein: „Es wird nicht heiß, bitte bleib ruhig. Der Sitz wärmt dich auf“, er drückte weitere Knöpfe und nahm meine Hand. Er legte sie auf seinen Sitz, auch dieser wurde warm. Mein Kleid tropfte auf den Sitz und meine Sandalen waren schmutzig. Sie waren einmal weiß gewesen, inzwischen waren sie leicht gräulich braun. Ich machte mir Sorgen, weil ich das Auto versaute. Vorsichtig schloss er die Tür. Er stieg auf seiner Seite ein, drückte einen Knopf. Ruhig surrte der Motor des Autos. Leise erklang Pianomusik und die Wärme des Sitzes machte mich schläfrig. Ich wollte ihn weiter betrachten, um seine Absichten zu erkennen aber immer wieder fielen mir die Augen zu. Obwohl ich wachsam bleiben sollte.
Jemand rüttelte an mir. Ich streckte mich und öffnete die Augen, blickte in das freundliche Gesicht eines Mannes. Ich erschrak und erst, als er mich abschnallte, erinnerte ich mich wieder, was passiert war. Der Fremde trat zur Seite, um mich aussteigen zu lassen. Zögerlich stieg ich aus dem Wagen, ich fühlte mich ausgeruht, aber mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ich schlang meine Arme um meinen Bauch und wusste nicht so recht, was ich tun sollte. „Kannst du laufen?“, fragte er mich. Prüfend lief ich auf ihn zu und atmete tief ein. Ein herrlicher Duft von Blumen und nassem Gras stieg mir in die Nase, es roch, als hätte ich einen Blumenladen betreten.
Zögerlich blickte ich mich um, die Sonne stand schon hoch am Himmel. Es musste später Vormittag sein. Ich hatte mein Zeitgefühl völlig verloren. Und ich stand in einem Garten, ich konzentrierte mich auf die einzelnen Gerüche. Rosen, Lavendel und Düfte, die ich noch nie gerochen hatte. Mein Blick wanderte weiter, ein Sandweg führte zu einem Gebäude, das hell in der Sonne schien. Das Haus am Ende des Wegs war riesig. Schützend schlang ich die Arme um mich. „Ein reicher Mann oder ein Angestellte des Hauses“, überlegte ich und senkte den Kopf. Sie hatte mich vor reichen Männern gewarnt, doch dieser schien anders zu sein. Er ging an mir vorbei in Richtung Haus. „Soll ich hier warten?“, fragte ich mich? So weit ich sehen konnte nur Hecken, welche höher waren als ich. Das große eiserne Hoftor war geschlossen. Mit Enttäuschung stellte ich fest, ich war gefangen.
„Komm du musst sicher hungrig sein. Komm lass uns reingehen“, meinte er und zögerlich folgte ich ihm. Der Sand knirschte unter unseren Schuhen. Ich betrachtete mich im hellen nun genauer. Mein blaues Kleid war zerrissen und dreckig, aber wenigstens trocken. Ein Ärmel hing nur noch unter meinen Armen am Kleid. Der Rock hatte einen großen Riss. Der Rüschensaum meiner Schürze war halb abgerissen. Ich sah fürchterlich aus. „Was muss er nur von mir denken?”, dachte ich. Zusammen durchquerten wir den Garten. Die Vögel sangen um die Wette. Aber diesmal konnte ich mich nicht daran erfreuen. Mit jedem Schritt wurde ich nervöser. „Was wird er mit mir machen?“, fragte ich mich. Wir hatten die schwere rotbraune Holztür erreicht, die sich knarrend öffnete. Im Haus nahm ich, den vertrauten zitronigen Duft von Putzmitteln war. Auch roch die Eingangshalle nach frischer Holzpolitur. Sprachlos betrachtete ich die gepflegte Wandvertäfelung. Das Parkett knarzte nicht und wurde gründlich geputzt. Der Duft gab mir für einen kurzen Moment das Gefühl von Geborgenheit. Bei meiner Herrin hatte es auch so gerochen. Ich konzentrierte mich auf die unterschiedlichen Gerüche, Waschmittel mit einer Rosennote, Holz von den Möbeln, verschiedene Gerüche von Menschen. Ich vermisste den warmen Duft von Tieren. „Nichts Bedrohliches“, nahm ich wahr und entspannte mich etwas. „Was hast du befürchtet hier zu riechen?“, sprach der Fremde mich an. „Pulver, Blut, Leder...“, gestand ich. Verwundert und besorgt sah er mich an. Der Mann antwortete nicht, er nahm meine Hand und führte mich weiter, sein Puls war immer noch ruhig. Alles an ihm wirkte entspannt. Plötzlich roch es nach frisch gebackenen Brötchen, doch wir liefen an dem Raum vorbei. Ich traute mich nicht, stehen zu bleiben. Er schritt eine Treppe hinauf und ich direkt hinterher. Sein Griff war nicht fest oder grob. Ich spürte unter meinen Sandalen den olivgrünen Teppich.
Er ließ mich los und öffnete eine Tür. Ein Schlafzimmer, ich erstarrte und wich zurück. Kommentarlos trat er ins Zimmer, schloss die Fenster und öffnete eine andere Tür. Ich schritt von der Tür weg zurück zur Treppe. Das Rauschen von Wasser drang mir in die Ohren. Ich stieß gegen das Treppengeländer. Es knarzte leise. Er trat aus dem Zimmer und schaute mich fragend an. Ich blickte von ihm zum Bett und wieder zurück und drückte mich gegen das Geländer. Erkenntnis zeichnete sein Gesicht. Das Wasserrauschen wandelte sich in ein Plätschern, eine Badewanne lief wohl voll. „Natürlich war ich sehr dreckig. Keiner möchte eine dreckige Sklavin“, dachte ich. Er wollte meine Hand nehmen, doch ich ließ das Geländer nicht los. Er wich zurück und trat wieder in das Zimmer und stellte das Wasser ab. „Im Zimmer ist ein Bad, bitte komm“, bat er und bot mir wieder seine Hand an. Ich nahm sie und ließ mich ins Zimmer führen. Im Bad roch es nach Lavendel und Rosen, tatsächlich war eine große Badewanne vollgelaufen. Schaum türmte sich über den Badewannenrand. Noch durfte ich eine Wanne benutzen. Doch dazu musste ich mich ausziehen. Ich fing an, meine Hände zu kneten, unsicher, was man jetzt von mir erwartete. Der Mann sah mich an und zog die Stirn nachdenklich in Falten. „Ich werde dir Kleidung bringen und etwas zu Essen. Wer ist deine Herrin? Sie sucht sicher nach dir. Ich würde dich gern zu ihr zurückbringen. Hast du dich verlaufen?“, fragte er mich zu viele Sachen auf einmal. Ich trat an die Wanne und schob die Hand ins Wasser. „Ich habe niemanden“, flüsterte ich und trocknete sie an meinem Kleid. Ein „mmh“, ertönte und er verließ das Zimmer. Er wollte, dass ich bade, da die Strapazen der letzten Tage in meinem Fell hingen. Ich schloss die Tür und zog mich aus. Langsam ließ ich mich ins warme wohlriechende Badewasser sinken und schloss die Augen. Das Wasser brannte kurz auf meiner Haut, langsam gewöhnte ich mich daran und schnurrte wohlig auf. Baden war herrlich, obwohl Wasser in meinen Kreisen sehr oft mit Angst dargestellt wird. Der Geruch des Lavendels und der Rosen hüllten mich tröstend ein. Auch meine Herrin badete früher mit Rosenduft, als sie noch lebte. „Was wird er jetzt tun? Eine Streunerin wie ich ist frei. Jeder kann Anspruch auf mich erheben“, dachte ich und ließ die Ohren hängen.
Am Wannenrand lag Seife und ich benutze sie, um mir den Dreck aus meinem Fell und Haaren zu waschen. Ich schrubbte meine Haut mit dem Schwamm. Schon bald fühlte ich mich sauber und besser. Doch mein Bauch erinnerte mich mit einem Grummeln an meinen Hunger. Ich hörte das Knarren der Treppe. Beim Hochschrecken blickte ich mich um und sah auf einem Regal weiße Handtücher. Das Wasser schwappte über den Wannenrand bei meinem Sprung aus selbiger. Ein flauschiges Badetuch wickelte ich mir schnell um und blieb vor der Wanne stehen, ich tropfte auf den Badvorleger und wartete. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Jemand öffnete die Zimmertür und schritt auf die Tür zum Bad zu. Es war nicht der Mann, diese Schritte waren schwerer und langsamer.
Eine Frauenstimme erklang: „ Kann ich reinkommen?“, fragte sie. Ich nickte aber, da sie das nicht sehen konnte, schritt ich durch den Raum und öffnete vorsichtig die Tür. Eine mollige Frau trat ins Zimmer und lächelte freundlich. Ihre braunen Augen strahlten Wärme aus und ihr ehrliches Lächeln verstärkte dies. „Ich helfe dir dich frisch zu machen, wenn du möchtest“, bot sie an. Ich nickte wieder. Sie schritt durchs Zimmer und ließ das Wasser aus der Wanne. „Du warst aber wirklich dreckig“, murmelte sie und spülte die Wanne aus. Sie griff nach noch einem Handtuch. „Ich trockne dir die Haare ab und du den Rest in Ordnung? Ich bin Manuela, die gute Seele dieses Hauses.“, stellte sie sich vor und fing an, das Wasser aus meinen langen Haaren zu drücken. „Ich bin Shiro“, stellte ich mich vor und lächelte. Die gute Seele des Hauses, auch bei meiner Herrin, hatte es so jemanden gegeben. “Wie es Alexandra wohl ging?”, fragte ich mich. Sie war es, die mir die Flucht ermöglichte. “Würde ich sie je wieder sehen? Würde sie wegen meiner Flucht Ärger bekommen?”, ich unterdrückte ein Seufzen. Still trocknete ich mich ab und folgte Manuela aus dem Bad. Liebevoll drückte sie mich auf einen Stuhl vor einer weißen Kommode an dem ein großer Spiegel angebracht war. Vorsichtig föhnte sie mir die Haare. Sie griff zur Bürste und schon bald sah ich wieder ordentlich aus. „Die Wäsche liegt auf dem Bett, soll ich dir helfen?“, fragte sie? Ich stand auf und lief zum Bett. Auf diesem lag ein einfaches dunkelblaues Kleid mit kurzen Ärmeln jedoch ohne Loch für meinen Schwanz. Weiße normale Strümpfe und ebenfalls weiße Unterwäsche, welche wohl keiner Neko gehört hatten, denn auch hier fehlte das Loch. Ich strich über den Stoff des Kleides. Es war weich und roch ebenfalls nach Rosen. Anscheinend wusch man die Wäsche hier mit Rosenduft. Im ganzen Haus roch es danach. “So untypisch für einen Mann” fiel mir auf „Vorsichtig ließ ich mich aufs Bett nieder. Ich nahm das Badetuch ein Stück runter und streifte ich mir zögerlich den Büstenhalter über. „Passt er? Ich war mir bei deiner Größe nicht sicher?“, fragte sie und trat aus dem Bad. Ich zog mir schnell das Höschen an und stand auf, um das Kleid überzustreifen. “Ich hab es mir von Anna ausgeliehen, du wirst sie sicher auch noch kennen lernen”, erklärte sie. “Danke für die Hilfe”, flüsterte ich.
„Sehr schön“, freute sich Manuela, sie hatte mich wohl nicht gehört und trat zu mir, sie stellte mir ein paar Schuhe hin und betrachtete mich, aber anders als meine Herrin es tat. Sie sah aus, als würde sie ihr Kind ansehen. „Mag sie mich?“, fragte ich mich. Ich zog die Strümpfe an und trat vor den großen Spiegel, der neben dem weißen Kleiderschrank stand. Die Möbel im ganzen Zimmer waren weiß und mit blauen Rosen verziert. Sie sahen alt aus, aber meine Nase verriet mir, dass sie nicht alt sein konnten. Altes Holz roch alt. Ich blickte mich um, neben dem großen Bett standen zwei Schränkchen und vor dem Fenster stand ein Sekretär. Eine schöne gemusterte Blumenvase stand darauf mit blauen Rosen darin. In der Mitte des Zimmers stand ein blaues Sofa, was unheimlich bequem aussah. Die beiden Sessel umarmten einen kleinen Tisch.
„Gefällt es dir? Herr Hertzen wünscht sich, dass du hier bleibst“, fragte, erklärte sie und ich sah sie fragend an. „Herr Hertzen?“, fragte ich sie und mein Herz schlug schneller. „Der Mann, der dich her brachte. Der Herr dieses Hauses. Michael Hertzen“, erklärte sie. Mein Magen knurrte wieder und sie erschrak. „Du hast sicher Hunger und ich halte dich auf, komm, ich bring dich in die Küche“, sagte sie und schob mir die Schuhe zu. Ich schlüpfte rein und folgte ihr die Treppe hinunter.
Mein Puls beschleunigte sich, nun hatte der Fremde einen Namen bekommen. Ich schritt die Treppen hinunter, nervös und neugierig. Ich blieb vor Herrn Hertzen stehen, welcher am Ende der Treppe stand, und verneigte mich. „Herr Hertzen, ich bedanke mich für die Kleidung und das Bad“, sprach ich und blickte auf seine Schuhe. Sie waren aus braunem Kunstleder und wirkten hochwertig. Eine Hand an der Schulter ließ mich aufblicken. „Komm lass uns frühstücken und dann reden wir in Ordnung?“, fragte er. „Ja danke“, antwortete ich und lief hinter ihm her.
Der Raum, aus dem vorhin schon der Geruch von frischen Brötchen kam war unser Ziel. Diesmal öffnete er die Tür und tatsächlich befand sich hier eine Küche, in dieser stand ein großer rechteckiger Esstisch. Die Küchenschränke waren aus hellem Buchenholz mit einer schwarzen Marmorarbeitsplatte. Niemand war hier. Die abgedeckten Schüsseln und Töpfe auf dem Herd darauf hin, dass hier vor kurzem noch gearbeitet wurde. „Hier isst das Personal“, erklärte er und ich verstand nicht ganz, wieso er hierher kam. „Ich gehörte doch nicht zum Personal, oder?“, grübelte ich und blickte ihn fragend an. „Wir essen heute zusammen hier. Ich esse normalerweise im Esszimmer“, erklärte er und nahm Platz. Ich blieb stehen. Manuela betrat die Küche und schob mich einfach auf einen der Stühle. Anscheinend war das so ihre Art. Sie öffnete eine Schranktür und schon strömte mir ein Geruch von Käse und Wurst entgegen. Belegte Brötchen auf einem Tablett wurden in die Mitte gestellt. „Bedien dich, Shiro“, meinte er und nahm sich selbst eine der Hälften. Ich wunderte mich zwar, woher er meinen Namen wusste, aber mein Hunger war größer als meine Neugierde. Ich hatte seit Tagen nichts Vernünftiges mehr gegessen.
Die Brötchenhälften schmeckten himmlisch. Eins nach dem anderen aß ich und fühlte mich mit jedem Bissen besser. Michael hatte nach dem ersten Brötchen aufgehört. Er beobachtete mich schweigend, während ich mir die 3. Hälfte nahm. Manuela hat mir Tee hingestellt und füllte mir immer wieder nach. Er schmeckte nach Orange. „Geht es dir besser?“, fragte Michael und brach damit das Schweigen. „Ja vielen Dank, Herr Hertzen“, ich senkte kurz den Kopf und blickte ihn dann wieder an. Darauf wartend, was er nun tun würde.
„Du sagtest, du hättest niemanden, wie war das vorhin gemeint?“, fragte er ruhig und nahm einen Schluck aus seiner eigenen Tasse.
„Meine Herrin ist verstorben. Niemand erhob Anspruch auf mich. Sie hatten überlegt, mich zu vermieten.... Ich bin weggelaufen“, erklärte ich kurz und senkte den Blick. Ich wollte nicht zurück zu den Händlern und nicht in einem Freudenhaus landen.
„Wie lange warst du bei deiner Herrin?“, fragte er mich.
„6 Jahre“, antwortete ich und griff nach der Tasse.
„Ich habe mich entschieden, dich hier zu behalten. Es liegt mir fern, dich an einen Händler abzugeben oder dich den Erben deiner Vorbesitzerin zu überlassen“, erklärte er und stand auf. Michael trat auf mich zu. „Möchtest du hier bleiben?“, fragte er mich. Seine Stimme klang freundlich und er machte auch nicht den Eindruck böse zu sein. Er und Manuela hatte mich gut behandelt und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wusste ich selbst nicht wohin.
Man hatte mich gewarnt, mich davon nicht von Nettigkeiten täuschen zu lassen, aber zu den Händlern zu müssen und dann in noch größere Gefahr zu geraten, ließ mich nicht zögern. „Ich würde gern hier bleiben, vielen Dank, Sir“, ich stand auf und verneigte mich tief vor ihm. „Es konnte mir wo anders viel schlechter ergehen als hier”, dachte ich.
Wieder legte er die Hand auf meine Schulter. „Bitte lass das“, meinte er und wand sich Manuela zu. „Kannst du Shiro bitte das Haus zeigen?“, fragte er sie ernst und sie nickte freundlich. „Komm meine Süße“, meinte sie mütterlich und ging mit mir hinaus. Sie führte mich zurück in den Eingangsbereich und zog an einer Schnur in an Wand und ein Läuten halte durch das Haus.
Aus allen Türen kamen Menschen heraus und stellten sich in zwei Reihen auf. Sie brachten verschiedene Gerüche mit. Die Frauen blumige die Männer würzige. Ich sah sie mir genauer an, einige rochen nach Erde oder nach Putzmittel, den Koch erkannte ich gleich, er duftete nach Fleisch und Kräutern und trug eine Kochmütze. Die Bediensteten trugen alle eine schwarzweiße Uniform „Das hier ist Shiro sie wird ab heute bei uns leben“, ich wurde gemustert und teilweisen freundlich angelächelt. Manuela sprach nun mich wieder an. „Wenn du irgendetwas brauchst sprech uns einfach an wir kümmern uns dann darum“, erklärte sie mir. “Vorstellen könnt ihr euch persönlich bei Gelegenheit. Shiro gilt bis auf weiteres als unser Gast und wird dementsprechend behandelt”, fügte Manuela hinzu und ich wunderte mich sehr darüber, noch nie war ich irgendwo ein Gast gewesen.
„Vielen Dank, ich hoffe wir kommen gut miteinander aus“, meinte ich und war froh, mir nicht jetzt schon alle Namen merken zu müssen. Manuela klatschte wieder in die Hände und die Truppe machte sich wieder an die Arbeit.
„Ich führe dich jetzt erst einmal rum“, beschloss sie und erklärte mir, dass im Erdgeschoss alle Arbeitsräume eingerichtet waren. Sie deutete auf die jeweiligen Zimmertüren, ohne sie zu öffnen. Die Waschräume, Küche und die Zimmer der Bediensteten. Gern hätte ich hineingesehen, aber Manuela zog mich weiter. „Im ersten Stock im linken Teil befinden sich die Räumlichkeiten, die einen Zweck haben. Das Arbeitszimmer des Herrn, die Bibliothek, das Esszimmer und einen Partyraum“, sagte sie, mit ihrer freundlichen Art. In ihrer ansteckenden Fröhlichkeit zeigte sie mir jeden Raum und erzählte mir, dass das Haus schon länger im Besitz der Familie ist. „Früher war hier sogar ein großer Festsaal im hinteren Teil des Hauses. Dieser wurde aber zu einem großen Wintergarten umgebaut. Wirklich schade“, meinte sie und seufzte. Wir liefen nach rechts weiter, obwohl ich jetzt gern den Wintergarten gesehen hätte. „Hier ist dein Zimmer, du kannst das blaue Zimmer gern behalten“, bot sie an und freute mich. „Ein Zimmer ganz für mich allein?“, überlegte ich laut. „Ja natürlich, was dachtest du den?“, fragte sie und schüttelte den Kopf. Ich hatte mit einem Korb gerechnet, im Zimmer des Herrn, aber das sagte ich ihr lieber nicht. Ihre fröhliche Art wollte ich ihr nicht nehmen.
Wir liefen weiter an Türen vorbei. Vor einer blieb sie dann doch stehen. „Das Zimmer von Michael“, erklärte sie und klopfte zwei Mal. Anscheinend nannte sie ihn privat nicht beim Nachnamen. „Herein“, kam es aus dem Zimmer. Wir traten ein. Der Raum roch neu und nach seinem würzigen Parfum. Aber vor allem duftete es nach ihm. Die Möbel waren in Weiß und Braun gehalten und im Gegensatz zu meinem Zimmer sehr kantig ohne Schnickschnack. Es wirkte eher praktisch als gemütlich. „Ich lass euch beiden nun allein.“, verabschiedete sich Manuela und schloss die Tür hinter sich. Herr Herzten saß auf einem der Kunstledersessel und beobachtete mich stumm. Anscheinend mochte er kein echtes Leder. Ich blieb ebenfalls an der Tür stehen. „Was wird er jetzt tun? Ich war nun sein neuer Besitz“, dachte ich und griff nach meinem Schwanz. Mein Gegenüber stand auf und schloss das Fenster und zog die hellen Gardinen zu. Mein Puls beschleunigte sich, als er auf mich zu trat. „Wird er mich jetzt zu seinem Spielzeug machen?“, befürchtete ich und mein Fell stellte sich auf.
Meiner ehemaligen Herrin war nur meine Gesellschaft wichtig. „Setz dich“, er bot mir einen der Sessel an. Ich ließ mich zögerlich darauf sinken.
„Ich habe Manuela gebeten dir Kleidung zu bestellen, ich glaube sie wird deinen Geschmack treffen. Wie bist du in der Gasse gelandet?“, fragte er.
„Nachdem ich den Enkeln meiner Herrin entkommen war bin ich den ganzen Tag gelaufen. Mir ist niemand gefolgt aber in der ersten nacht bin ich einem betrunkenen Mann begegnet. Er war es der mein Kleid so zurichtete. Ich konnte entkommen und bin eine Böschung runtergestürzt. Ich bin nur noch tagsüber gelaufen und habe mich nachts versteckt. Um nicht zu verhungern, hab ich Reste aus Mülltonnen gestohlen.“, erklärte ich und knetete meinen Schwanz. Ich erzählte nichts davon, dass Alexandra mir geholfen hatte, das Letzte, was ich wollte, war, sie in Schwierigkeiten zu bringen. Er nickte mitfühlend. „Das heißt, du warst nur bei dieser Frau?“hackte er nach. „Ja, sie wollte Gesellschaft und jemanden reden, sie hatte ... Sie hatte...“, stotterte ich und schwieg dann. Herr Herzten ging zu seinem Schreibtisch und goß Tee in zwei Tassen. Michael reichte mir eine Tasse Minztee. „Tief atmen“, bat er mich und atmete ebenfalls tief durch. Ich tat es ihm gleich. „Sie hat mich nicht, na ja ... Sie hat mich nicht in Besitz genommen“, erklärte ich und wartete auf seine Reaktion. Er zog die Stirn in die Falten. „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich habe nicht vor dich zu verletzen“, sprach er und sein Gesicht wurde ernst. Ich entspannte mich augenblicklich. „Ich weiß nicht, was man dir erzählt hat oder du erlebt hast. Mir ist es fern, ein Wesen zu verletzen oder zu misshandeln, nur weil es kein Mensch ist. Ich verspreche dir dich niemals zu etwas zu zwingen was du nicht möchtest“, stellte er klar und fühlte mich plötzlich sehr leicht. Seinem Puls und seiner Art, wie er sich an seine Tasse klammerte, zeigte mir, dass ihm die Situation genauso unangenehm war wie mir. Ich blickte in seine Augen, sie waren flaschengrün und wirken kein bisschen kalt. Sie straften ihm keine Lügen und auch seine Haltung hatte sich nicht geändert. Michael meinte, was er sagte.
Ich rieb mir die Augen und gähnte. Michael sah zur Uhr und stand auf. „Komm wir, wir essen Mittag und dann kannst du dich ausruhen“, schlug er vor und öffnete die Tür. Im Flur war reges Treiben. Ich regte die Nase ein Stück in die Luft. „Was riechst du?“, fragte er mich. „Fisch, Rosmarin, Knoblauch, Zwiebeln und etwas Süßes“, zählte ich auf und wartete auf sein Urteil. „Sehr gut“, lobte er mich und schritt Richtung Esszimmer. Der schwere braune Esstisch war schon gedeckt. Die Möbel waren aus altem massivem Holz. Er zog mir einen der Stühle zurück und ich ließ mich auf die roten Sitzkissen fallen. Michael jedoch öffnete eine Klappe in der Wand und holte zwei Teller aus dem Essensaufzug. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, gebackenes Brot mit Knoblauch und Tomate stieg mir in die Nase. Auf meinem Teller lagen zwei Tomatenbrote. „Der erste Gang, guten Appetit“, wünschte er mir und nahm mir gegenüber platz . „Danke euch auch“, antwortete ich und lächelte. Es war schön, am Tisch zu sitzen, ich war es gewöhnt, auf dem Boden zu essen. Das Brot war warm und knusprig fruchtig. „Mmh“, machte ich und nahm noch einen Bissen. Genießerisch aß ich meine Vorspeise. „Du bist kein gutes Essen gewöhnt oder“, fragte er mich. Es war mir unangenehm, darüber zu reden, man redete nicht schlecht über seine Besitzerin. „Ich bekam das, was einer Neko zusteht“, antwortete ich, ohne genauer darauf einzugehen. „Also die Reste“, schloss er richtig. „Aber ich musste nie hungern, der Koch kochte immer genug, dass es für mich gereicht hat“, stellte ich richtig. „Oder Alexandra hat mir heimlich vor dem Schlafengehen noch Kekse gebracht“, fügte ich in Gedanken hinzu. Er wirkte beruhigt. Eine Klingel ertönte. Der Teller mit einem braunen Päckchen kam zum Vorschein. Vorsichtig öffnete er es und der Geruch von Kräutern drang in den Raum. Auch ich machte mein Päckchen ebenfalls auf. Fisch mit Tomate und Kartoffel in Kräuteröl mit Rosmarinnadeln. „Pass auf die Gräten auf“, warnte er mich und fing an zu essen. Der Fisch schmeckte einfach himmlisch und die Kartoffeln hatten die Kräuter aufgesogen. Es wärmte mich auf und tat gut. „Möchtest du was trinken?“, fragte er, ohne auf eine Antwort zu warten, goss er mir Apfelsaft ein. Der Fisch war hervorragend, aber viel zu schnell verzehrt und das Glas Saft war nun schon halbleer. Ich hätte gern mehr von dem Fisch gehabt. Ich fühlte mich jedoch schon ziemlich satt. Der Nachtisch stellte sich als ein süßer gemischter Obstsalat heraus. Ich gähnte und rieb mir die Augen. „Nach dem Essen darfst du schlafen“, meinte er und löffelte seinen Salat. Ich schaffte meinen nur grade so.
Schläfrig brachte er mich in mein Zimmer. „Du findest alles was du brauchst im Bad und in deinen Schränken nach und nach wirst du ausgestattet werden“, erklärte er. „Danke für ihre Hilfe“, meinte ich ehrlich. „Schlaf schön“, antwortete er und ließ mich allein. Ich wusch mir Hände und Gesicht. In den Schränken fand ich ein einzelnes Nachthemd. Eilig zog ich mich um. Das Bett war weich und roch nach dem Waschmittel. Müde schloss ich die Augen und kuschelte mich ein. Ich hatte ein neues Zuhause und dieses schien auch wirklich eins zu sein.